Teenager Mädchen mit kritischem Blick

Den Glauben verlieren Teil 4: Das Kräftefeld anderer Religionen

Lesezeit: 4 Minuten
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by Paul Bruderer | 06. Sep. 2019 | 4 comments

Chris­ten ver­lieren manch­mal den Glauben. Schuld sind nicht immer die Kirchen, welche sie schlecht behan­deln oder eine unge­sunde The­olo­gie haben. Manch­mal liegt die Ursache darin, dass sich ein Christ für eine neue Lehr-Mei­n­ung öffnet, welche ihn in ein nahezu unaufhalt­sames Kräfte­feld ander­er Reli­gio­nen führt.

Ein Beispiel für eine solche Entwick­lung ist Bart Cam­po­lo. Sein Weg, der ihn von seinem christlichen Glauben zu einem Athe­is­mus geführt hat, ist gut doku­men­tiert. Er beschreibt, dass es einen bes­timmten Punkt gegeben hat. Als er diesen Punkt erre­icht hat, ist er auf einen Weg getreten, der ihn nahezu unaufhalt­sam vom Glauben an Jesus wegge­führt hat in einen völ­lig anderen Glauben, den Atheismus.

Religiöse Grund-Paradigmen

Ich möchte erk­lären, warum ich das Wort ‘unaufhalt­sam’ benutze.

Es gibt let­ztlich nicht so viele religiöse Grund-Sys­teme (ich nenne sie in diesem Artikel der Ein­fach­heit hal­ber Par­a­dig­men oder Weltan­schau­un­gen). James Sire zum Beispiel nen­nt fol­gende Weltanschauungen:

  • Christlich­er Theismus
  • Deis­mus
  • Nat­u­ral­is­mus
  • Nihilis­mus
  • Exis­ten­zial­is­mus
  • Östlich­er pan­the­is­tis­ch­er Monismus
  • New Age Spiritualität
  • Post­mod­erne
  • Islamis­ch­er Theismus

Man kann darüber debat­tieren, ob es andere sind oder zahlen­mäs­sig mehr oder weniger. Der bekan­nte Anthro­pologe Paul Hiebert unter­schei­det sechs Weltan­schau­un­gen.  Peter Jones argu­men­tiert in einem bedenkenswerten Buch, dass es let­ztlich nur zwei Par­a­dig­men gibt.

Diese Unter­schiede in der Beurteilung ändern nichts daran, dass die zen­tralen Glaubens-Überzeu­gun­gen von Weltan­schau­un­gen zwei wichtige Eigen­schaften haben:

  • Sie unter­schei­den ihr eigenes Par­a­dig­ma grundle­gend von den anderen Paradigmen
  • Sie hän­gen eng zusammen

Die oben genan­nte Unaufhalt­samkeit hat mit diesen bei­den Eigen­schaften zu tun, weshalb ich sie mit eini­gen Beispie­len illus­tri­eren möchte.

Unterscheidung

Zum Beispiel definiert sich der christliche The­is­mus durch die Überzeu­gung, dass es einen Schöpfer gibt, der sich in seinem Wesen radikal von der Schöp­fung unter­schei­det. Fach­leute nen­nen das die Tran­szen­denz Gottes. Der Gott der Bibel ist auch soge­nan­nt imma­nent — also sein­er Schöp­fung nahe. Doch er ist eben auch tran­szen­dent, also wesens­mäs­sig anders.

Die Überzeu­gung, dass der Schöpfer wesens­mäs­sig anders ist als die Schöp­fung, unter­schei­det den christlichen The­is­mus von anderen Weltan­schau­un­gen, ins­beson­dere vom bei uns tonangeben­den Nat­u­ral­is­mus und pan­the­is­tis­chen Monis­mus. Diese let­zt­ge­nan­nten Par­a­dig­men sind gekennze­ich­net durch den Glauben, dass es keinen Gott gibt ausser­halb der Natur. Gemäss ihnen ist alles, was auch nur ansatzweise ‘Gott’ genan­nt wer­den kön­nte (wobei der Nat­u­ral­is­mus das Wort ‘Gott’ nie brauchen würde), wesens­mäs­sig gle­ich wie die Natur.

Wir sehen hier, dass es grundle­gende Inkom­pat­i­bil­ität geben kann zwis­chen den Par­a­dig­men. Der Grund dafür ist die erste Eigen­schaft der zen­tralen Lehren der Weltan­schau­ung: Sie gren­zen ein Par­a­dig­ma von den anderen Par­a­dig­men ab.

Ein zusammenhängendes Netz

Pho­to by Joshua Sorti­no on Unsplash

Die zen­tralen Lehren eines Par­a­dig­mas sind eng miteinan­der verknüpft. Sie bilden sozusagen ein zusam­men­hän­gen­des, unau­flös­bares Netz. Die Folge dieser zweit­en Eigen­schaft ist: Wer eine dieser zen­tralen Lehren aufgibt, wird eine Ten­denz haben, bald auch die anderen, damit verknüpften Überzeu­gun­gen aufzugeben. Diese Art von Ket­ten­reak­tion sehen wir beson­ders gut beim ein­gangs erwäh­n­ten Campolo.

Ich kenne diese Ket­ten­reak­tio­nen aus meinem Fre­un­deskreis, wo Fre­unde einen bes­timmten Punkt erre­icht haben und sich nun schein­bar unaufhalt­sam vom Glauben an Jesus ent­fer­nen. Diese Unaufhalt­samkeit hat mit der engen Ver­bun­den­heit zu tun, welche die zen­tralen Lehren ein­er Weltan­schau­ung oft haben. Deshalb kann man nicht die eine Lehre loslassen, ohne die damit ver­bun­dene andere Lehre eben­falls aufzugeben.

Bei einem Christ kann das ausse­hen wie bei Cam­po­lo: Wenn er aufhört, an die Lehre der Sou­veränität Gottes zu glauben, wird er bald auch die damit ver­bun­de­nen Lehren ver­lieren, z.B. jene der göt­tlichen Inspi­ra­tion und Autorität der Bibel und jene der leib­lichen Aufer­ste­hung Jesu vom Tod.

Ein Bud­dhist kann eine analoge Erfahrung machen. Vielle­icht hört er auf, an eine der grundle­gen­den Überzeu­gun­gen aller monis­tis­chen Reli­gio­nen zu glauben, z.B. dass das Göt­tliche unper­sön­lich ist. Gibt er diese fun­da­men­tale Überzeu­gung auf, geht es los. Bald wird er auch an andere wichtige bud­dhis­tis­che Lehren nicht mehr glauben und wird sich in Rich­tung eines anderen Par­a­dig­mas bewegen.

Das ‘progressive Christentum’

Eine schnellwach­sende Grup­pierung inner­halb des Chris­ten­tums ist das ‘pro­gres­sive Chris­ten­tum’. Andere nen­nen es das ‘post-evan­ge­likale Chris­ten­tum’. Dave Jäg­gi schreibt:

Man geht derzeit davon aus, dass die Entwick­lung von vor- zu postkri­tisch in den USA mit jährlich mehr als drei Mio. Christin­nen und  Chris­ten die grösste Bewe­gung inner­halb des Chris­ten­tums darstellt.

Labels sind nicht immer hil­fre­ich. Aber Chris­ten, die sich ein stück­weit mit einem dieser Labels oder dieser Art von Chris­ten­tum iden­ti­fizieren, haben das Anliegen, beste­hende Überzeu­gun­gen zu hin­ter­fra­gen. Ich teile ihre Mei­n­ung, dass unsere Gemein­den Raum dazu geben müssen. Wir sind als Gemein­den nicht immer gut im Zulassen von Fra­gen, in Debat­ten, im Aushal­ten unter­schiedlich­er Meinungen.

Dieses berechtigte Anliegen kann aber dazu führen, dass Chris­ten ihren Glauben an Punk­ten hin­ter­fra­gen, die für den christlichen Glauben von der­massen zen­traler Bedeu­tung sind, dass sie wie Bart Cam­po­lo ins Kräfte­feld von fun­da­men­tal anderen Reli­gio­nen kom­men. Einige Fre­unde von mir, und mich dünkt auch einige lei­t­ende Fig­uren in diesem Seg­ment der Chris­ten­heit, sind de fak­to bere­its in ein­er nicht-christlichen Glaubens-Konzep­tion ange­langt. Sie nen­nen sich vielle­icht noch Chris­ten, aber sie müssten wie Cam­po­lo den Mut haben, sich zu out­en und zuzugeben, dass sie es nicht mehr sind.

Mein Wunsch an die Leiter, welche das progressive und post-evangelikale Christsein fördern

Mein gross­er und drin­gen­der Wun­sch an pro­gres­sive und poste­van­ge­likale Leit­er ist, dass sie den Weg, den sie ange­fan­gen haben zu gehen, soweit wie möglich zu Ende denken. Sie müssen sich bewusst sein, dass es Glaubens-Überzeu­gun­gen gibt, die der­massen zen­tral sind für den christlichen Glauben, dass wenn sie an diesen rüt­teln, sie sich selb­st und andere ins Kräfte­feld ander­er Reli­gio­nen führen.

Diese Leit­er nen­nen sich Chris­ten und bee­in­flussen bewusst die Gläu­bi­gen in unseren Kirchen und Gemein­den. Deshalb wün­sche ich von ihnen, dass sie ver­ste­hen, wo der Weg enden wird, den sie eingeschla­gen haben und auf den sie möglichst viele mit­nehmen wollen, und dass sie diesen End­punkt trans­par­ent kommunizieren.

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Paul Bruderer

Paul Bruderer, Jahrgang 1972, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, 1998 Gründungsmitglied der erwecklichen ‹Godi›-Jugendarbeit in Frauenfeld. Seit 2001 Pastor in der Chrischona Gemeinde Frauenfeld. Paul lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

4 Comments

  1. Andi

    Ich Frage mich, wieso sie so zer­fressen sind vor der Angst des Glaubensver­lustes. Für mich war dieses erleben das größte in meinem bish­eri­gen Leben. Ich “wün­sche” ihnen Mal meine dama­li­gen kämpfe (ein­deutige und ein­deutig kranke Bibelab­schnitte bracht­en mich für ein Jahr am Stück in die klappse), dann wür­den sie vielle­icht nicht mehr so furcht­bar verkopft daherre­den. Oder sie wür­den sich noch mehr an einen Gott klam­mern, der ange­blich ihre Bud­dhis­ten, über die sie so fein par­lieren, genau wie meine Oma in der Hölle brutzelt. Brauchen sie das, was ist los mit ihnen? So nicht mein Fre­und, zwis­chen mich und meine Oma passt dein allmächtiger Clown nicht!

    Reply
    • Paul Bruderer

      Ich kenne die Prob­leme und konkreten Nöte von Glaubensver­lust aus eigen­er Erfahrung. Die Bibel wird manch­mal dur­chaus falsch und krank einge­set­zt — da bin ich mit ihnen einig. Es tut mir leid, dass sie (so scheint es mir wenig­stens) wütend sind auf das, was ich schreibe. Ich will sie nicht zornig machen. Wenn es etwas gibt, das ich für sie tun kann, sagen sie es bitte.

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  2. Theofurzi

    Hal­lo Paul
    Inter­es­sante Gedanken die Du da for­mulierst. Für mich gibt es keine Glaubenssys­teme. Es gibt nur Evan­geli­um ver­sus Reli­gion. Das Prob­lem sind meis­tens Ent­täuschun­gen, wobei man durch eine falsche Annahme gerne sich ein­er Täuschung hin­gibt. Die meis­ten Athe­is­ten sind ehe­ma­lige Chris­ten oder solche die sich ein­mal dazu zählten. Wenn man den Gott der Bibel nicht mehr vere­in­baren kann mit dem was man im All­t­ag erlebt. Man muss schon tiefer graben in den Grun­dan­nah­men seines Herzens wenn man den Glauben an das Evan­geli­um nicht ver­lieren will. Mich ver­wun­dert es nicht wenn sich Men­schen wieder abwen­den. Wie Du sel­ber sagst darf man in den meis­ten Gemein­schaften nichts in Frage stellen. Der Sta­tus Quo der beste­hen­den Leit­er­schaft ver­bi­etet es. Ich hab sel­ber meine Zweifel aber die sind meist auf mich selb­st bezo­gen und meine Mit­men­schen. Kann man der Liebe trauen die Gott einem ent­ge­gen bringt. Dieses Grund­mis­strauen ist all­ge­gen­wär­tig in unser­er Zivil­i­sa­tion. Wer Ent­täuschun­gen ken­nt der weiss wie schwierig es ist zum über­winden. Ein Gutes Schwärmerge­fühl hat lei­der einzug gehal­ten in die Evan­ge­likalen Blase und davon wer­den halt manche ent­täuscht. Ich glaube die Gegen­wär­tige Korona Krise soll helfen hier etwas Gegen­s­teuer zu geben. Doch wer ist bere­it für den Dia­log mit ehrlichen Fra­gen? Ich höre viel gejam­mer wegen der fehlen­den Gemein­schaft. Wer sich jedoch auf einen unfass­baren Gott ver­lassen kann wird gestärkt in und aus der Krise. Nun vielle­icht ler­nen wir ja ein etwas ver­tiefteres Evan­geli­um ken­nen in Zukun­ft. Es gibt übri­gens noch andere Solche Seit­en wie diese. Ich hoffe Du erhälst Reak­tio­nen darauf.
    Gruss

    Reply
  3. Alpöhi

    Hil­fre­ich­er Artikel.

    Ich denke, es liegt auch an “Reli­gion vs. Glaube”. Das Chris­ten­tum als Reli­gion (wörtlich “Zurück­bindung”) kann mir gestohlen bleiben. 

    Für mich ist Christ­sein keine Reli­gion. Christ­sein ist Beziehung, denn Beziehung ist der rote Faden, der sich von vorne bis hin­ten durch die ganze Bibel durchzieht: Beziehung zwis­chen Gott und den Men­schen, und auch Beziehung unter den Men­schen. Die Beziehung geht den Men­schen kaputt, Gott flickt sie wieder, sie geht wieder kaputt, Gott flickt sie wieder… Die Bibel ist voll davon.

    Dies schreibe ich wohl wis­send, dass auch MEINE Beziehun­gen — z.B. die zu Gott und die zu mein­er Frau — zer­brech­lich sind. Ich mache es wie Luther und hänge mich an diesen Jesus. Dann erfahre ich, dass er mich trägt, auch wenn ich mal wieder zwei­fle (was schon bei den ersten Jüngern dazuge­hörte. Notwendigerweise?) 

    Denn dass ich Gott gefun­den habe, ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass ER mich gefun­den hat 😉

    Reply

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