Christen verlieren manchmal den Glauben. Schuld sind nicht immer die Kirchen, welche sie schlecht behandeln oder eine ungesunde Theologie haben. Manchmal liegt die Ursache darin, dass sich ein Christ für eine neue Lehr-Meinung öffnet, welche ihn in ein nahezu unaufhaltsames Kräftefeld anderer Religionen führt.
Ein Beispiel für eine solche Entwicklung ist Bart Campolo. Sein Weg, der ihn von seinem christlichen Glauben zu einem Atheismus geführt hat, ist gut dokumentiert. Er beschreibt, dass es einen bestimmten Punkt gegeben hat. Als er diesen Punkt erreicht hat, ist er auf einen Weg getreten, der ihn nahezu unaufhaltsam vom Glauben an Jesus weggeführt hat in einen völlig anderen Glauben, den Atheismus.
Religiöse Grund-Paradigmen
Ich möchte erklären, warum ich das Wort ‘unaufhaltsam’ benutze.
Es gibt letztlich nicht so viele religiöse Grund-Systeme (ich nenne sie in diesem Artikel der Einfachheit halber Paradigmen oder Weltanschauungen). James Sire zum Beispiel nennt folgende Weltanschauungen:
- Christlicher Theismus
- Deismus
- Naturalismus
- Nihilismus
- Existenzialismus
- Östlicher pantheistischer Monismus
- New Age Spiritualität
- Postmoderne
- Islamischer Theismus
Man kann darüber debattieren, ob es andere sind oder zahlenmässig mehr oder weniger. Der bekannte Anthropologe Paul Hiebert unterscheidet sechs Weltanschauungen. Peter Jones argumentiert in einem bedenkenswerten Buch, dass es letztlich nur zwei Paradigmen gibt.
Diese Unterschiede in der Beurteilung ändern nichts daran, dass die zentralen Glaubens-Überzeugungen von Weltanschauungen zwei wichtige Eigenschaften haben:
- Sie unterscheiden ihr eigenes Paradigma grundlegend von den anderen Paradigmen
- Sie hängen eng zusammen
Die oben genannte Unaufhaltsamkeit hat mit diesen beiden Eigenschaften zu tun, weshalb ich sie mit einigen Beispielen illustrieren möchte.
Unterscheidung
Zum Beispiel definiert sich der christliche Theismus durch die Überzeugung, dass es einen Schöpfer gibt, der sich in seinem Wesen radikal von der Schöpfung unterscheidet. Fachleute nennen das die Transzendenz Gottes. Der Gott der Bibel ist auch sogenannt immanent — also seiner Schöpfung nahe. Doch er ist eben auch transzendent, also wesensmässig anders.
Die Überzeugung, dass der Schöpfer wesensmässig anders ist als die Schöpfung, unterscheidet den christlichen Theismus von anderen Weltanschauungen, insbesondere vom bei uns tonangebenden Naturalismus und pantheistischen Monismus. Diese letztgenannten Paradigmen sind gekennzeichnet durch den Glauben, dass es keinen Gott gibt ausserhalb der Natur. Gemäss ihnen ist alles, was auch nur ansatzweise ‘Gott’ genannt werden könnte (wobei der Naturalismus das Wort ‘Gott’ nie brauchen würde), wesensmässig gleich wie die Natur.
Wir sehen hier, dass es grundlegende Inkompatibilität geben kann zwischen den Paradigmen. Der Grund dafür ist die erste Eigenschaft der zentralen Lehren der Weltanschauung: Sie grenzen ein Paradigma von den anderen Paradigmen ab.
Ein zusammenhängendes Netz
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Die zentralen Lehren eines Paradigmas sind eng miteinander verknüpft. Sie bilden sozusagen ein zusammenhängendes, unauflösbares Netz. Die Folge dieser zweiten Eigenschaft ist: Wer eine dieser zentralen Lehren aufgibt, wird eine Tendenz haben, bald auch die anderen, damit verknüpften Überzeugungen aufzugeben. Diese Art von Kettenreaktion sehen wir besonders gut beim eingangs erwähnten Campolo.
Ich kenne diese Kettenreaktionen aus meinem Freundeskreis, wo Freunde einen bestimmten Punkt erreicht haben und sich nun scheinbar unaufhaltsam vom Glauben an Jesus entfernen. Diese Unaufhaltsamkeit hat mit der engen Verbundenheit zu tun, welche die zentralen Lehren einer Weltanschauung oft haben. Deshalb kann man nicht die eine Lehre loslassen, ohne die damit verbundene andere Lehre ebenfalls aufzugeben.
Bei einem Christ kann das aussehen wie bei Campolo: Wenn er aufhört, an die Lehre der Souveränität Gottes zu glauben, wird er bald auch die damit verbundenen Lehren verlieren, z.B. jene der göttlichen Inspiration und Autorität der Bibel und jene der leiblichen Auferstehung Jesu vom Tod.
Ein Buddhist kann eine analoge Erfahrung machen. Vielleicht hört er auf, an eine der grundlegenden Überzeugungen aller monistischen Religionen zu glauben, z.B. dass das Göttliche unpersönlich ist. Gibt er diese fundamentale Überzeugung auf, geht es los. Bald wird er auch an andere wichtige buddhistische Lehren nicht mehr glauben und wird sich in Richtung eines anderen Paradigmas bewegen.
Das ‘progressive Christentum’
Eine schnellwachsende Gruppierung innerhalb des Christentums ist das ‘progressive Christentum’. Andere nennen es das ‘post-evangelikale Christentum’. Dave Jäggi schreibt:
Man geht derzeit davon aus, dass die Entwicklung von vor- zu postkritisch in den USA mit jährlich mehr als drei Mio. Christinnen und Christen die grösste Bewegung innerhalb des Christentums darstellt.
Labels sind nicht immer hilfreich. Aber Christen, die sich ein stückweit mit einem dieser Labels oder dieser Art von Christentum identifizieren, haben das Anliegen, bestehende Überzeugungen zu hinterfragen. Ich teile ihre Meinung, dass unsere Gemeinden Raum dazu geben müssen. Wir sind als Gemeinden nicht immer gut im Zulassen von Fragen, in Debatten, im Aushalten unterschiedlicher Meinungen.
Dieses berechtigte Anliegen kann aber dazu führen, dass Christen ihren Glauben an Punkten hinterfragen, die für den christlichen Glauben von dermassen zentraler Bedeutung sind, dass sie wie Bart Campolo ins Kräftefeld von fundamental anderen Religionen kommen. Einige Freunde von mir, und mich dünkt auch einige leitende Figuren in diesem Segment der Christenheit, sind de fakto bereits in einer nicht-christlichen Glaubens-Konzeption angelangt. Sie nennen sich vielleicht noch Christen, aber sie müssten wie Campolo den Mut haben, sich zu outen und zuzugeben, dass sie es nicht mehr sind.
Mein Wunsch an die Leiter, welche das progressive und post-evangelikale Christsein fördern
Mein grosser und dringender Wunsch an progressive und postevangelikale Leiter ist, dass sie den Weg, den sie angefangen haben zu gehen, soweit wie möglich zu Ende denken. Sie müssen sich bewusst sein, dass es Glaubens-Überzeugungen gibt, die dermassen zentral sind für den christlichen Glauben, dass wenn sie an diesen rütteln, sie sich selbst und andere ins Kräftefeld anderer Religionen führen.
Diese Leiter nennen sich Christen und beeinflussen bewusst die Gläubigen in unseren Kirchen und Gemeinden. Deshalb wünsche ich von ihnen, dass sie verstehen, wo der Weg enden wird, den sie eingeschlagen haben und auf den sie möglichst viele mitnehmen wollen, und dass sie diesen Endpunkt transparent kommunizieren.
Ich Frage mich, wieso sie so zerfressen sind vor der Angst des Glaubensverlustes. Für mich war dieses erleben das größte in meinem bisherigen Leben. Ich “wünsche” ihnen Mal meine damaligen kämpfe (eindeutige und eindeutig kranke Bibelabschnitte brachten mich für ein Jahr am Stück in die klappse), dann würden sie vielleicht nicht mehr so furchtbar verkopft daherreden. Oder sie würden sich noch mehr an einen Gott klammern, der angeblich ihre Buddhisten, über die sie so fein parlieren, genau wie meine Oma in der Hölle brutzelt. Brauchen sie das, was ist los mit ihnen? So nicht mein Freund, zwischen mich und meine Oma passt dein allmächtiger Clown nicht!
Ich kenne die Probleme und konkreten Nöte von Glaubensverlust aus eigener Erfahrung. Die Bibel wird manchmal durchaus falsch und krank eingesetzt — da bin ich mit ihnen einig. Es tut mir leid, dass sie (so scheint es mir wenigstens) wütend sind auf das, was ich schreibe. Ich will sie nicht zornig machen. Wenn es etwas gibt, das ich für sie tun kann, sagen sie es bitte.
Hallo Paul
Interessante Gedanken die Du da formulierst. Für mich gibt es keine Glaubenssysteme. Es gibt nur Evangelium versus Religion. Das Problem sind meistens Enttäuschungen, wobei man durch eine falsche Annahme gerne sich einer Täuschung hingibt. Die meisten Atheisten sind ehemalige Christen oder solche die sich einmal dazu zählten. Wenn man den Gott der Bibel nicht mehr vereinbaren kann mit dem was man im Alltag erlebt. Man muss schon tiefer graben in den Grundannahmen seines Herzens wenn man den Glauben an das Evangelium nicht verlieren will. Mich verwundert es nicht wenn sich Menschen wieder abwenden. Wie Du selber sagst darf man in den meisten Gemeinschaften nichts in Frage stellen. Der Status Quo der bestehenden Leiterschaft verbietet es. Ich hab selber meine Zweifel aber die sind meist auf mich selbst bezogen und meine Mitmenschen. Kann man der Liebe trauen die Gott einem entgegen bringt. Dieses Grundmisstrauen ist allgegenwärtig in unserer Zivilisation. Wer Enttäuschungen kennt der weiss wie schwierig es ist zum überwinden. Ein Gutes Schwärmergefühl hat leider einzug gehalten in die Evangelikalen Blase und davon werden halt manche enttäuscht. Ich glaube die Gegenwärtige Korona Krise soll helfen hier etwas Gegensteuer zu geben. Doch wer ist bereit für den Dialog mit ehrlichen Fragen? Ich höre viel gejammer wegen der fehlenden Gemeinschaft. Wer sich jedoch auf einen unfassbaren Gott verlassen kann wird gestärkt in und aus der Krise. Nun vielleicht lernen wir ja ein etwas vertiefteres Evangelium kennen in Zukunft. Es gibt übrigens noch andere Solche Seiten wie diese. Ich hoffe Du erhälst Reaktionen darauf.
Gruss
Hilfreicher Artikel.
Ich denke, es liegt auch an “Religion vs. Glaube”. Das Christentum als Religion (wörtlich “Zurückbindung”) kann mir gestohlen bleiben.
Für mich ist Christsein keine Religion. Christsein ist Beziehung, denn Beziehung ist der rote Faden, der sich von vorne bis hinten durch die ganze Bibel durchzieht: Beziehung zwischen Gott und den Menschen, und auch Beziehung unter den Menschen. Die Beziehung geht den Menschen kaputt, Gott flickt sie wieder, sie geht wieder kaputt, Gott flickt sie wieder… Die Bibel ist voll davon.
Dies schreibe ich wohl wissend, dass auch MEINE Beziehungen — z.B. die zu Gott und die zu meiner Frau — zerbrechlich sind. Ich mache es wie Luther und hänge mich an diesen Jesus. Dann erfahre ich, dass er mich trägt, auch wenn ich mal wieder zweifle (was schon bei den ersten Jüngern dazugehörte. Notwendigerweise?)
Denn dass ich Gott gefunden habe, ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass ER mich gefunden hat 😉