Die Geschichte von Bileam ist faszinierend und vielschichtig. Die Entwicklungen rund ums Volk Israel zu seiner Zeit sind dramatisch. Die Geschichte weckt Hoffnung in einen treuen Gott, der zu seinem Wort und seinem Volk steht. Sie zeigt auch unsere inneren Antreiber und die religiösen und sexuellen Anfälligkeiten des Volkes Gottes. In der aktuellen Zeit tun wir als Glaubende und als christliche Gemeinde gut daran, diese Lektionen aus der Bileamgeschichte zu beherzigen. Im dritten und letzten Teil unserer Bileamserie möchte ich nun einige dieser Lehren ins Auge fassen.
Eine grundlegende Erkenntnis ist dabei, dass unsere Gefährdung in erster Linie eine innere ist und nicht eine äussere. Für den einzelnen Menschen, den Glaubenden, bedeutet dies, dass er mit Stimmen in seinem eigenen Herzen ringt. Auf die christliche Gemeinde angewendet heisst das, dass sie Stimmen und Lehren in ihrer eigenen Mitte zu bewerten lernen muss.
Die Lehren aus der Geschichte Bileams sind auch relevant, weil sich die Gemeinde Jesu in der westlichen Welt heute in einer nachchristlichen Zeit bewegt. Unser Umfeld birgt Parallelen zu demjenigen der frühchristlichen Gemeinden in ihrem heidnisch-hellenistischen Kontext und auch mit demjenigen des Volkes Israel vor den Toren des verheissenen Landes — inmitten der paganistischen Kultur ihrer Zeit.
Die ersten zwei Teile dieser Serie bilden das Fundament, um die nachfolgenden Überlegungen zu verstehen:
Bileam (1/3) – Der Prophet und sein Esel
Bileam (2/3) — Treuer Gott, untreues Volk
Darauf aufbauend möchte ich zu folgenden neun Themen aus der Bileamgeschichte Schlüsse ziehen. Achtung, dies ist ein längerer Artikel. Über das nachfolgende Inhaltsverzeichnis kannst du dich orientieren:
1. Versuchung: Wie anfällig sind wir?
2. Gottes Wille, mein Wille: Wie geht das zusammen?
3. Interreligiöse Spiritualität: Der Weg zu Freiheit im Glauben?
4. ‘Ehe für alle’: Segnen, was Gott nicht segnet?
5. Sexuelle Befreiung: Wann geht es schief?
6. Kirchen: Warum schrumpfen sie?
7. Falsche Propheten: Gibt es noch ‘Bileams’?
8. Das Schwert Gottes: Wird die Bibel belanglos?
9. Die Esel Gottes: Warum braucht es sie?
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1. Versuchung: Wie anfällig sind wir?
Man muss die Geschichte Bileams vom Ende her sehen. Und dieses Ende ist vernichtend!
Samt diesen Erschlagenen töteten sie auch die Könige der Midianiter, nämlich Ewi, Rekem, Zur, Hur und Reba, die fünf Könige der Midianiter. Auch BILEAM, den Sohn Beors, töteten sie mit dem Schwert. (4Mose 31:8)
In diesem einen Vers zeigt sich die ganze Tragik des hochgelobten und begehrten Sehers. Bileam erliegt seinem Streben nach Anerkennung und Einfluss letztlich ganz. Der Seher, welcher der Versuchung widerstanden hat, das Volk Gottes zu verfluchen, ist nach den bekannten Ereignissen zurückgekehrt zu seinem Auftraggeber Balak, um ihm zu zeigen, wie er ganz einfach und ohne Krieg zu seinem Ziel kommen kann, das Volk Israel zu schwächen. Und Bileam bleibt gleich bei Balak. Er wird bei den Midianitern sesshaft.
Der vermeintliche Prophet Gottes wird schlussendlich ganz zu einem Werkzeug des Feindes von Israel. Und als solches Werkzeug geht er auch zugrunde. Es wird hier klar, weshalb Gott an erster Stelle nicht wollte, dass sich Bileam auf den Weg zu Balak macht. Es war nicht, weil Bileam mit seinen Flüchen gegen Gott irgendetwas hätte ausrichten können, sondern Gott wusste, dass Bileam letztlich ganz der inneren Versuchung nach Anerkennung und Einfluss nachgeben würde.
Gott respektiert den Willen des Menschen und lässt ihn dahin ziehen, wo er will. Aber er lässt ihn nicht ungewarnt ins Verderben gehen. Er stellt sich ihm in den Weg. Ja, er schliesst sogar einem Esel den Mund auf, um Bileam zu warnen.
Wir sind als Menschen viel anfälliger, als wir denken. Dies ist die persönliche Selbsterkenntnis, die wir nach dem Studium der Biografie Bileams haben sollten. Auf welchem Weg bist du? Bist du auf dem Weg Bileams? An dem Punkt, wo du die erste klare Anweisung Gottes aus deinem Herzen verdrängst und meinst, du könntest auf zwei Hochzeiten tanzen? Wie Bileam, der meinte, er könne gleichzeitig Gottes Worte reden und seinem persönlichen Drang nach Reichtum und Anerkennung nachrennen … Bileam, der Mann, der Gottes Stimme hören konnte, hat sich ganz der Sache der Feinde Gottes verschrieben und ist in Midian als Feind des Volkes Gottes gestorben.
Ich hoffe und bete, dass wir uns nicht auf diesen Weg Bileams begeben. Oder dass wir auf diesem Weg umkehren und die Zeichen und Rufe Gottes hören.
Mit welchen Zeichen versucht Gott dich wachzurütteln? Was sind bei dir die Signale, welche zeigen, dass du dich auf dem falschen Wege befindest? Bileam wird bei seiner Abkehr vom Willen Gottes zum Schläger eines unschuldigen Tiers (Num 22:23 – 27). Das Verdrängen dessen, wovon wir eingentlich wissen, dass es richtig wäre, zeigt sich immer auch in unserem Gemüt und unserem Verhalten.
Bei mir persönlich zeigt es sich in Schlaflosigkeit und Aggressivität gegen mich selber oder andere. Ja, das Lesen der Geschichte von Bileam hat mir ganz persönlich klargemacht, dass ich etwas in meinem Leben zu bereinigen habe: Eine finanzielle Angelegenheit, bei der ich mich ‘ins Recht redete’ — aber insgeheim wusste, was ich zu tun hätte. So hat die Bileamgeschichte glasklar in diese ganze konkrete persönliche Situation hineingesprochen. Das Bereinigen der Situation hat einiges an Geld gekostet, aber mir Frieden und Schlaf zurückgebracht.
Was hast du zu Bereinigen? Wo tanzt du mit deinem Leben auf zwei Hochzeiten? Du musst wissen, dass du viel anfälliger bist, als du denkst. Bereinige, was du zu bereinigen hast — und folge Gott neu mit ungeteiltem Herzen nach. Dann wird dein Herz leicht!
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2. Gottes Wille, mein Wille: Wie geht das zusammen?
Die Geschichte von Bileam illustriert sehr schön, wie göttlicher Wille und menschliche Freiheit zusammenspielen.
Ändert Gott in der Geschichte seine Meinung, wenn er Bileam zuerst das Losziehen mit den Boten Balaks verbietet, dann aber doch erlaubt?
Die Idee, dass Gott mit den Menschen eine ‘Geschichte mit offenem Ausgang’ schreibt, hat in den vergangenen Jahren neue Verfechter gefunden. Diese dazugehörigen theologischen Modelle (z.B. der Open Theism) präsentieren uns einen Gott, der zwar weiterhin seine eigenen langfristigen Pläne hat, welche aber durch die freien Willensentscheidungen der Menschen Korrekturen und Anpassungen erfahren.
Dies sind gewichtige Fragestellungen und bedürfen eigener Artikel. Aber manche Vertreter dieser theologischen Richtung verändern ihr Bild von Gott so weit, dass dieser seine grundsätzliche Haltung bei gewissen Themen ändere. Gottes Verlässlichkeit fokussiert sich dabei auf seine liebevolle Treue zum Menschen, während der Ausgang der Geschichte Gottes mit den Menschen ein offener sei, welcher auch für Gott ihm unbekannte Wendungen bringe.
Wenn sich in der Bibel Momente finden lassen, wo Gott seine Meinung in einer Sache zu ändern scheint, könnte es dann sein, dass er seine Haltung zum Beispiel auch in Fragen der Moral ändert? In Zeiten grosser Umbrüche im Bereich der Sexualmoral ist dies natürlich ein heisses und für manche ein willkommenes Thema! Könnte es sein, dass Gott auch in solchen Themenbereichen seine Ansichten auf ‘Antrag’ seiner Kinder revidiert?
Es lässt sich feststellen, dass es bei solchen biblisch dokumentierten ‘Meinungsänderungen’ Gottes nirgends darum geht, dass Gott seine moralischen und ethischen Massstäbe geändert hätte. Es geht darum, dass er in gewissen Situationen von einer Bestrafung des Menschen absieht respektive sie anpasst – ein Beleg für seine Langmut und Barmherzigkeit (z.B. Ex 32:7–14). Es geht darum, dass er den Menschen unter Hinweis auf die negativen Konsequenzen in seinen eigenen Willen entlässt – ein Beleg dafür, dass Gott niemanden zu seinem Glück zwingen will (z.B. 1Sam 8:4–9). Es geht darum, dass er Menschen, die sich von ihm abwenden, ihre anvertraute Berufung entziehen muss – ein Beleg dafür, dass Gott letztendlich die Kontrolle über seine Pläne ausübt (z.B. 1Sam 15:10–35).
Nirgends geht es aber darum, dass er seine moralischen und ethischen Massstäbe über den Haufen werfen würde, denn diese sind an sein unveränderliches Wesen gebunden. Die biblische Botschaft ist klar: Gottes Wesen und seine Liebe zu den Menschen zeigt sich gerade auch in seinen moralischen und ethischen Massstäben, welche zum Wohle des Menschen dienen. Das Halten der Gebote ist immer auch mit göttlicher Gnade und Segen verknüpft (vgl. Ex20:6, Ex20:12). Deshalb ist die Vorstellung, dass Gott seine moralischen oder ethischen Ideale ändern könnte – konsequent zu Ende gedacht – ein zutiefst bedrohliches Szenario für die Menschheit, denn dann sind wir der immensen Gefahr ausgesetzt, dass Gott Ungerechtigkeit dulden oder gar gutheissen könnte.
Wenn Gott Bileam das Losziehen mit den Gesandten Balaks erst verbietet (Num 22:12), dann erlaubt (Num 22:20), ist dies mitnichten eine Meinungsänderung von seiner Seite. Vielmehr ist es genau eine Situation, bei der Gott einen Menschen in seinen eigenen Willen entlässt, ohne dass er selbst von seinen eigenen Plänen abrücken würde! Diese Geschichte von Bileam zeigt eben gerade nicht einen wankelmütigen Gott, sondern einen, der mit klarer Voraussicht, hartnäckiger Liebe, ewiger Verlässlichkeit und grosser Entschlossenheit handelt!
Seine klare Voraussicht: Gott möchte Bileam von der Reise mit den Gesandten Balaks abhalten, weil er weiss, dass diese Reise ihn schliesslich ins Verderben führen wird (Num 22:32). Gott sieht nicht nur ‘bis zur nächsten Ecke’, sondern weit über die menschlichen Entscheidungen hinaus! Sein prophetischer Segen für das Volk Israel in Num 24:17–24 ist Ankündigung seines zukünftigen Wirkens, seine Warnungen an Bileam belegen seine Voraussicht.
Seine hartnäckige Liebe: Gott ist Bileam auch in seinem Ungehorsam ein Begleiter und bricht die Kommunikation mit ihm nicht ab. Er zeigt seine beständige Liebe, indem er ihm auch auf seinem falschen Weg in Form eines Engels begegnet, ihn auch dann noch herausfordert und warnt. Die Liebe Gottes zeigt sich hier gerade nicht in Form von Meinungsänderung, sondern in Form einer hartnäckigen Suche dessen, der sich auf einem Irrweg befindet.
Seine ewige Verlässlichkeit: Seine Bundestreue gegenüber dem Volk Israel ist unerschütterlich und lässt sich durch keinerlei menschliches Wirken umstossen. Die von Menschen gewünschte Verfluchung endet in einer dreimaligen Bestätigung des Segens für sein Volk. Ja, man könnte sogar von einer Akzentuierung des Segens sprechen, wenn Gott seinen letzten Segen (Num 24:17–24) mit der prophetischen Verheissung auf Christus und der Ankündigung der Vernichtung der Feinde Israels konkretisiert. Nicht nur ist Israel gesegnet, sondern Gott weiss schon sehr genau, was er in der Zukunft tun will, um dem chronischen Problem der Untreue seines Volkes Herr zu werden. Dem ‘Erzfeind’ des Volk Gottes wird er durch Christus eine endgültige Niederlage zufügen.
Seine grosse Entschlossenheit: Gott zeigt sich gerade in seiner Reaktion auf die Verführung des Volkes Israel in Num 25:1–2 als ein Gott, der mit grosser, ja geradezu martialischer Entschlossenheit um sein Volk kämpft (Num 25:3–15). Um der Seuche Herr zu werden, welche im Volk Israel aufgrund ihrer Unzucht (verbunden mit heidnischem Götzendienst) ausgebrochen war (Num 25:9, Vgl. 1Kor 10:7–8, Num 31:16), griff er zu radikalen Massnahmen. Seinem Leiter Mose öffnete er die Augen für die Hintergründe der Seuche und die nötige Bereinigung im Volk (Num 25:4–5). Mit Pinhas erweckte er auch einen Mann in der priesterlichen Linie Aarons, welcher für die endgültige Beendigung der Seuche sorgte (Num 25:7). Nicht zuletzt wird in der Prophetie auf Christus hin angedeutet, dass Gott auch in der Zukunft alles nötige Tun wird, damit sein Volk bestand hat. Ja, im Kommen von Christus zeigt Gott seine Bereitschaft, selbst den ultimativen Preis für die Freiheit seines Volkes zu zahlen.
Die Geschichte von Bileam zeigt uns überdeutlich einen handlungsfähigen Gott mit klaren Absichten, grosser Liebe und allen Mitteln, seinen Plänen zum Durchbruch zu verhelfen. Dieser Gott lässt sich durch die freien Entscheidungen eines Menschen nicht von seinen Plänen abbringen. Auch die schlechten Entscheidungen eines Menschen unterstehen letztlich Gottes weitsichtigen Vorsätzen und hindern Gott nicht an der Fortschreibung seiner Geschichte.
Hüten wir uns, Gott als einseitig vom Menschen ‘formbaren’ Gott zu präsentieren! Denn auf einen solchen Gott wäre kein Verlass. Die Voraussagen und Prophetien eines solchen Gottes gingen möglicherweise nicht in Erfüllung. Ein solcher Gott gäbe uns keinen Trost im Leid, weil wir nicht wüssten, ob da überhaupt ein überragender und sicherer göttlicher Plan existierte. Ja, ein so dargestellter Gott stünde im Kontrast zu einer Fülle biblischer Zeugnisse über Gott und sein unveränderliches Wesen, seine Allwissenheit, Voraussicht und Allmacht (Beispiele: Gen 50:20, Mal 3:6, Num 23:19, 1Sam 15:29, Jes 46:8–11). Wir dürfen glauben und vertrauen, dass Gott sich in seinem Wort verbindlich festlegt – und seine Festlegungen auch umsetzen wird.
Das zweite Orakel von Bileam bringt es auf den Punkt:
Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereuen würde. Was er gesagt hat, sollte er es nicht tun? Was er geredet hat, sollte er es nicht ausführen? (Num 23:19).
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3. Interreligiöse Spiritualität: Der Weg zu Freiheit im Glauben?
Es ist ein grundbiblisches Anliegen, dass sich Christen gegenüber jedermann um Frieden bemühen sollen (Röm 12:17–18). Ja, die Bibel spricht sogar davon, dass wir dem Frieden nachjagen sollen (Ps 34:15). Frieden fördern ist auch eines der Kernanliegen des interreligiösen Dialogs. Dem biblischen Menschenbild nach ist jede Person im ‘Ebenbild Gottes’ geschaffen (Gen 1:27) und daraus folgt auch seine Würde, seine ‘Menschenwürde’. Es ist deshalb auch nur richtig, wenn Christen mit Angehörigen anderer Religionen einen respektvollen Dialog pflegen.
Der christliche Dialog mit Menschen anderer Religionen kann aber weit über diese grundsätzlich gebotene Menschen- und Nächstenliebe hinausgehen. Manche Menschen, die sich im interreligiösen Dialog engagieren, scheinen davon auszugehen, dass der Glaubenskern der verschiedenen Religionen derselbe ist. “Von verschiedenen Startpunkten aus erklimmen wir letztlich alle den gleichen Berg der Erkenntnis”, wird uns weisgemacht.
Der sich verbreitende Perennialismus, welcher von einem gemeinsamen metaphysischen Ursprung aller Religionen ausgeht, fordert eine Verschmelzung der Religionen zu einer neuen gemeinsamen Spiritualität. Die Konzepte des Perennialismus wurden Mitte des letzten Jahrhunderts durch ein Buch von Aldous Huxley salonfähig gemacht und in unseren Tagen durch Persönlichkeiten wie Ken Wilber verfeinert. Ein Aushängeschild dieser Bewegung ist der auch unter Evangelikalen sehr beliebte Franziskaner Richard Rohr, welcher immer wieder darüber schreibt.
Wer glaubt, dass die verschiedenen Religionen ans gleiche Ziel führen, oder in diesen nur nach der ihnen zugrundeliegenden gemeinsamen Basis gesucht werden muss, ist selbstverständlich auch offen für gemeinsame Kulte.
Hierzu ein Beispiel, um zu verstehen, wie sich das konkret ausgestaltet. Im Herbst 2018 kamen Frauen aus dem Umfeld der Plattform für den interreligiösen Dialog «zVisite» zu gemeinsamen Gottesdiensten zusammen. Die Plattform der Katholischen Kirche Bern berichtete unter dem Titel ‘Beten und Frieden kehrt ein’ darüber. Die Feiern zeigten Menschen aus dem Hinduismus, dem Islam, dem Judentum, dem Bahaitum und dem Christentum in gemeinsamer Anbetung in einer Kirche.
Die Zeitschrift ‘reformiert.’, welche zur Trägerschaft der Plattform ‘zVisite’ gehört, publizierte eine entsprechende Video-Reportage darüber. Darin meint Jasmina El Sonbati, welche den Verein ‘Offene Moschee Schweiz’ initiiert und ihren Gebetsteppich im Rahmen der Feier in der Kirche ausgerollt hat:
«Es ist ein Schritt weg von einer Regelhaftigkeit und ein Schritt hin zu einer Freiheit» Jasmina El Sonbati, Verein Offene Moschee Schweiz
Gleich wie Bileam Seite an Seite mit dem heidnischen König Balak auf dem Baals-Hügel geopfert hat, wird heute zwischen den Religionen der gemeinsame Schulterschluss geübt.
Gleich wie das Volk Israel sich auf die spannende Spiritualität der umgebenden Völker mit ihren Festen und Riten eingelassen hat, bemühen sich heute Christen um die Einbeziehung anderer Glaubenssätze in die christliche Spiritualität und Theologie.
Doch führt der Weg der interreligiösen Spiritualität tatsächlich in die Freiheit? Der Blick auf unsere Geschichte stellt eine solche Praxis und ihre zugrundeliegenden Konzepte mehr als in Frage.
Die Geschichte von Bileam zeigt uns eine andere Realität:
- Die Hauptfigur der Geschichte — Bileam — wurde letztlich ganz von der midianitischen Kultur vereinnahmt, liess sich unter den Midianitern häuslich nieder und starb als einer der ihren durch die Hand des Volkes Gottes.
- Das Volk Israel tat mit ihrem Flirt mit der moabitischen Spiritualität mitnichten einen Schritt hin zu einer Freiheit. Im Gegenteil! Man hat sich nur einem neuen, knechtenden Meister hingegeben.
Der Schritt weg von einer Regelhaftigkeit und hin zur Freiheit buchstabierte sich für das Volk Israel folgendermassen:
Und Israel begab sich unter das Joch des Baal-Peor (Num 25:3)
“Du sollst keine anderen Götter haben neben mir” (Ex 20:3), lautet das erste der zehn Gebote.
Gottes Weg mit dem Volk Israel ist nie einer der Religionsvermischung. Vielmehr schafft er sich aus den heidnischen Kulturen der damaligen Zeit heraus ein Volk, welches ihm eigen ist, sich durch seine Ethik von den umliegenden Kulturen unterscheidet und ein Zeugnis unter den Völkern sein soll.
Der Verlust dieser klaren Identität durch religiöse Assimilation führt in der vorliegenden Geschichte zu einer tragischen Dezimierung des Volkes. Wir sollten uns nichts vormachen: Eine Kirche, welche in unserer Zeit den Weg des Synkretismus geht, wird ebenso schrumpfen.
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4. ‘Ehe für alle’: Segnen, was Gott nicht segnet?
Die Geschichte rund um Bileam liefert uns auch interessante Einsichten rund um die aktuelle Diskussion zur Ehe für alle.
Sexualität als Bekenntnis
In einem ausführlichen Artikel haben wir uns zum Bekenntnisaspekt der ‘Ehe für alle’ geäussert. Die Äusserungen des Rates des SEK, dass die Frage des Eheverständnisses keinen Bekenntnischarakter habe, werden durch die vorliegende Geschichte deutlich in Frage gestellt.
Das Ende der Reise in die sexuelle Befreiung ist für das Volk Israel eben genau ein neues Glaubensbekenntnis. Das sexuell befreite Volk begibt sich unter das Joch des Baal-Peor (Num 25:3). Die Literatur macht klar, wie entscheidend beim Kult des Baal-Peor die sexuelle Komponente war:
Die Anbetung dieses Götzen bestand daraus, jenen Teil des Körpers zu exponieren, welcher alle Menschen normalerweise mit grösster Sorgfalt zu verbergen suchen. Jewish Encyclopedia, eigene Übersetzung
Es ist eine Illusion zu denken, das Sexualität und Anbetung nichts miteiander zu tun hätten. Im Gegenteil: Sexuelle Praktiken und die Anbetung einer Gottheit waren nicht nur in dieser Geschichte und den Kulturen zu Zeiten des Alten Testaments eine natürliche Einheit. Durch die entsprechenden Sexualpraktiken öffnete man sich für den jeweiligen religiösen Kult. Und umgekehrt öffnete man sich durch die Zuwendung zu einem Kult auch gegenüber den mit ihr verbundenen Sexualpraktiken.
Dass auch heute noch die gleichen Mechanismen wirken, macht unser Artikel über ‘Ehe für alle’ und andere Religionen deutlich. Entsprechend geht die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität einher mit einer Zunahme des Einflusses der entsprechenden non-dualen Religionen und Weltanschauungen (vor allem östlich-monistische Religionen und Spiritualität).
Sexualität und religiöses Bekenntnis sind eng miteinander verknüpft. Dies wird durch die Bileamgeschichte sehr deutlich.
Segnen, was Gott nicht segnet
Ein weiterer Berührungspunkt im Bezug auf die ‘Ehe für alle’ ist der Aspekt des göttlichen Segens.
Der Wunsch von Balak an Bileam ist klar:
So komm nun und verfluche mir dieses Volk, denn es ist mir zu mächtig; vielleicht kann ich es dann schlagen und aus dem Land treiben; denn ich weiß: Wen du segnest, der ist gesegnet, und wen du verfluchst, der ist verflucht! (Num 22:6)
Gleich wie Balak den Seher Bileam zu einer bestimmten Handlung bewegen wollte, will unsere säkulare Gesellschaft heute unsere Kirchen zum Segen für die ‘Ehe für alle’ bewegen. Doch die Geschichte von Bileam macht deutlich, dass das Zusprechen von Segen nicht in der Verfügung von Menschen steht. Was Gott nicht verflucht, kann der Mensch nicht verfluchen, und was Gott nicht segnet, kann der Mensch nicht segnen.
Genau dies betont eine Gruppe von über 200 Pfarrern und Theologen aus der Schweiz in ihrer aktuellen Erklärung zur ‘Ehe für alle’:
Die Kirche kann daher nicht nach eigenem Gutdünken über den Segen Gottes verfügen. Ein Segen ohne Segenszusage Gottes ist nicht nur kein Segen, sondern ein Missbrauch des Namens Gottes, wovor uns die Schrift warnt. «Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht» (Ex 20:7) «Habt ihr nicht gelesen…?» Erklärung zur «Ehe für alle» in der Kirche
In einem Kommentar zu Aussagen Gottfried Lochers zur ‘Ehe für alle’ stellt Dr. Benjamin Kilchör, Fachbereichsleiter Altes Testament an der STH Basel im Zusammenhang mit der Bileamsgeschichte fest:
Ein kirchlicher Segen hat seine Kraft einzig und allein aus dem Wort Gottes. Weder die Kirche noch ein einzelner Pfarrer noch ein ‘oberster Protestant’ kann über diesen Segen verfügen … Die Kirche wird nie etwas segnen können, was nicht unter Gottes Segen steht, weil sie Gott nicht im Griff hat und nicht über ihn verfügen kann. Ein eigenmächtiger Segen ist bedeutungslos. Dr. Benjamin Kilchör
Der Schöpfungssegen (Gen 1:28), in dem der Ehesegen gründet, beinhaltet den Aspekt der Lebensweitergabe als Gottes Gabe. Die Heiligkeit menschlichen Lebens ist damit ein wesentlicher Grund für den besonderen Schutz und Segen der Ehe zwischen Mann und Frau — eine Grundlage, welche bei der Ehe für alle nicht gegeben ist.
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5. Sexuelle Befreiung: Wann geht es schief?
Im Bereich der Sexualethik mehren sich auch innerhalb der westlichen Kirchen die Stimmen, welche mit Blick auf die neuen gesellschaftlichen Realitäten in unserer Kultur nach einer zeitgemässen Haltung der Kirchen rufen.
Diese Stimmen nehmen verschiedene Formen an und gehen bis hin zu den Statements von Nadia Bolz-Weber. Diese — auch bei ‘progressiven’ Theologen im freikirchlichen Umfeld beliebte lutherische Pastorin – hat sich zunehmend als Vorkämpferin für eine sexuelle Befreiung innerhalb der Kirche positioniert. Prominente Auftritte an Veranstaltungen wie dem Deutschen evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin oder dem Emergent Forum 2016 in Frankfurt haben ihr auch im deutschsprachigen Raum zu einer Stimme verholfen.
Ihr neues Buch ‘Shameless – a sexual Reformation’ ist kürzlich ebenfalls auf Deutsch erschienen. Die Stossrichtung ist klar: Christen sollen ihre ‘antiquierten und schädlichen’ Ideen über Sex ablegen, welche ihnen von den Kirchen eingetrichtert worden sind. Die sexuelle ‘Befreiung’, welche unsere säkulare Gesellschaft über die vergangenen 50 Jahre vollzogen hat, ist nun auch in der christlichen Gemeinde überfällig.
Einige Elemente der von Bolz-Weber propagierten sexuellen Reformation:
Ein Recht auf ‘ethisch saubere’ Pornografie:
Jetzt, es gibt Aspekte von Gerechtigkeit und Ausbeutung innerhalb der Pornoindustrie, keine Frage. Aber das bedeutet nicht, dass Pornografiekonsum an den Pranger gestellt werden müsste. Es gibt ethisch hergestellte Pornografie. Nadia Bolz-Weber, eigene Übersetzung
Die biblische Vertretbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen ‘bis zum ersten Atemzug’:
Fakt ist, viele von uns haben eine Sicht, die Christen und Juden für eine sehr sehr lange Zeit innehatten – dass, basierend auf der Schöpfungsgeschichte in Genesis, das Leben mit dem Atem beginnt. Nadia Bolz-Weber
In ihrer PR-Kampagne zum Buch wendet sich Bolz-Weber ausdrücklich gegen eine Kultur der Enthaltsamkeit und ruft ihre Leser auf, ‘Purity rings’ einzuschicken. Diese Ringe, welche den Entschluss einer Person bekunden sollten, bis zur Ehe Enthaltsamkeit zu leben, sollen dann eingeschmolzen und zur Skulptur einer Vagina gegossen werden:
Ihr seid eingeladen, eure Reinheits-Ringe einzuschicken, damit sie eingeschmolzen und zu einer Vagina gegossen werden können … Als Dankeschön wirst du ein von mir unterschriebenes ‘Zertifikat der Unreinheit’ bekommen wie auch einen Ring der Schamlosigkeit/Unreinheit. Nadia Bolz-Weber, eigene Übersetzung
Die Idee, dass es so etwas wie ‘ethisch saubere Pornografie’ gibt, dürfte jeder Person, die seine persönlichen Erfahrungen mit der Thematik hat, als Widerspruch in sich vorkommen. Pornografie ist immer mit sexueller Objektifizierung verbunden. Und die PR-Aktion mit den eingeschmolzenen Ringen erinnert leider nur zu gut an bekannte Ereignisse im Alten Testament (vgl. Ex 32:1–6).
Für mich persönlich ist es erstaunlich zu sehen, wie viel Wohlwollen und Zustimmung Bolz-Weber auch nach solchen Aussagen von Christen bekommt. Die deutsche Übersetzung von ‘Shameless’ ist im bekannten christlichen Verlag Brendow erschienen. Es finden sich christliche Meinungsmacher, Theologen und Dozenten von freikirchlichen Bibelschulen unter der Schar, welche Bolz-Weber offen auf Facebook applaudieren. Ein Beispiel dafür ist die in vielen Freikirchen bekannte Sexualtherapeutin und Autorin Veronika Schmidt, welche wohlwollend Anliegen von Bolz-Weber teilt.
Und ich? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wie kann man sich nur derart unkritisch zum Sprachrohr einer Person machen, welche grundlegendste christliche Überzeugungen dermassen mit den Füssen tritt? Scheinbar liegt das heute alles im Toleranzbereich einer Christenheit, welche nicht mehr weiss, ‘was oben und was unten’ ist.
Zweifellos greifen Personen wie Bolz-Weber oder Veronika Schmidt auch Themen auf, welche tatsächlich von der christlichen Gemeinschaft diskutiert werden sollten. Und es ist wichtig, dass wir als Christen auch in Fragen der Sexualität sprachfähig werden. Wer dem Menschen aber eine Freiheit und Offenheit in der Sexualität schmackhaft machen will, sollte dies INNERHALB der lebensfördernden biblischen Leitplanken tun und nicht ausserhalb. Der Grund dafür ist einfach: Erst wenn wir unsere Sexualität in Einklang bringen mit der Idee unseres Schöpfers, werden wir als Menschen heilen und aufblühen.
Der Schaden für Leben und Glauben ist gross
Eine ausserhalb der biblischen Grundsätze gelebte Sexualität ist letztlich dem Leben nicht förderlich. Die Folgen von Seitensprüngen für Familien und Ehepaare sind dramatisch. Die Auswirkungen von Pornografiekonsum für die Beziehungsfähigkeit eines Menschen ebenfalls. Die Seelsorgezimmer der Kirchen und die Sofas der Psychiater sind gefüllt mit Menschen, welche Grenzüberschreitungen und Zerbruch im Bereich der Sexualität verarbeiten müssen. Die einzigen Gewinner sind die Psychiater, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen.
Eine ausserhalb der biblischen Leitplanken gelebte Sexualität gefährdet auch den Glauben. Bereits in unserem Artikel über Glaubensfragen und ‑zweifel haben wir darauf hingewiesen, dass für manche Personen das Beschreiten eines persönlichen Lebensweges jenseits der bisher geglaubten christlichen Moralvorstellungen mit Glaubenszweifeln einhergeht.
Gerade dieser Tage erreicht uns die Nachricht von John Crist, einem bekannten christlichen US-Komiker, der jahrelang seine Beliebtheit genutzt hat, um körperlichen Kontakt mit Frauen zu bekommen. Ins Auge sticht im aufdeckenden Artikel folgende Aussage:
Crist benutzte seinen guten christlichen Ruf, um das Vertrauen von Frauen zu gewinnen. In mindestens zwei Fällen trug dies dazu bei, dass sie — Nora und Lindsey — den Glauben verloren. Keine der beiden bezeichnet sich heute noch als Christ. Charisma Magazine, eigene Übersetzung
Die gute Gabe der Sexualität hat, wenn wir sie nicht im Sinn ihres Schöpfers und Urhebers ausleben, grosses Zerstörungspotential. Sie kann unser Innenleben beeinträchtigen, unsere Beziehungen zerstören und nicht zuletzt unseren Glauben.
Ist die Lösung tatsächlich auch für uns Christen, eine nahezu schrankenlose Freiheit im Bereich der Sexualität auszurufen? Ich persönlich glaube nicht. Die Bibel warnt uns ausdrücklich vor einer beliebigen Sexualität der persönlichen Lusterfüllung (Bsp: 1Kor 6:12–20, 1Thes 4:3–5).
Die Schwächsten bezahlen den Preis
Nicht zuletzt ist bezeichnend, wie die sexuelle Revolution der vergangenen Jahrzehnte Hand in Hand mit der Legalisierung von Abtreibungen einhergegangen ist. Dies ist auch bei Nadja Bolz-Weber nicht anders. Die sexuelle ‘Reformation’, welche sie uns Christen schmackhaft machen will, hat einen äusserst bitteren Beigeschmack: Die offene Befürwortung der Tötung ungeborenen Lebens. Kinder als ‘lästiges’ Nebenprodukt der menschlichen Freiheit.
Die Opfer auf dem Altar der sexuellen Freiheit sind unter anderem Kinder. Das war zu Zeiten Bileams nicht anders. Auch die Götzenkulte der damaligen Zeit waren nicht nur mit dem Ausleben sexueller Freizügigkeit verbunden, sondern auch mit Tötungsritualen von Kindern (vgl. z.B. 2 Kö 3:27, Deut 12:31, Deut 18:9–10). Wenn in unserer Zeit sexuelle Freiheit Hand in Hand mit dem Tod der Schwächsten der Gesellschaft einhergeht, so ist dies leider nur eine Wiederholung der Geschichte. Dann ist diese Kultur der ‘Liebe’ nicht der versprochene Fortschritt, sondern lediglich der Rückgriff auf alte Zeiten des Paganismus.
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6. Kirchen: Warum schrumpfen sie?
Die Art und Weise, wie die Geschichte von Bileam den Leser der heiligen Schrift bis in die Sendschreiben der Offenbarung hinein begleitet, macht deutlich, dass es bei dieser Geschichte um mehr geht, als um eine einmalige Lektion. Es geht bei dieser Geschichte um eine Lektion für das Volk Gottes zu allen Zeiten.
Die Achillesferse des Volkes Israel ist ebenso diejenige der Gemeinde Jesu. Und auf diese Achillesferse muss die Gemeinde immer wieder hingewiesen werden. Der ‘Rat des Bileam’ ist die bewusste und teuflische Strategie, wie die Gemeinde von Jesus zu trennen ist: Das Volk, welches andere Götter neben ihren Gott setzt, wird den einen wahren Gott letztlich ganz verlassen (Ex 20:3). Das Volk, welches sich mit seiner Ethik an anderen Göttern ausrichtet, wird diesen letzlich ganz anhangen.
Wie der Seher Bileam viel anfälliger war, als es oberflächlich den Anschein machte, so war das Volk Israel wesentlich gefährdeter, als es sich dessen bewusst war.
Genauso gefährdet ist auch heute die christliche Gemeinde. Nur zu schnell erliegen wir der teuflischen Einflüsterung, dass wir es uns doch gemütlich machen können in der uns umgebenden nichtchristlichen Kultur — dass die Götzen unserer Zeit doch unserem Glauben nichts anhaben werden.
Das ist die teuflische Einflüsterung, die auch ans Volk Israel ergangen ist: Dass wir ruhig unseren Trieben nachgehen können, dass unsere moralischen und ethischen Entscheidungen doch sicher nicht unsere Beziehung zu Gott beeinträchtigen können. Solche Einflüsterungen sind Lügen. Und sie führen auch heute noch die Gemeinde Jesu ins Verderben, wie sie zu Zeiten Bileams das Volk Israel ins Verderben geführt haben.
Die Geschichte von Bileam und die damit im Zusammenhang stehenden neutestamentlichen Stellen warnen uns eindringlich vor einer beliebigen Übernahme einer uns umgebenden Kultur. Heute stellt sich die Frage, ob sich die Kirche in einer post-christlichen Kultur nicht vielmehr durch erhöhte Wachsamkeit und theologische Stabilität auszeichnen sollte. Dies auch gerade in Anbetracht ihrer eigenen Anfälligkeit, welche in der Bibel so klar dokumentiert ist. Einen solchen Schluss legt uns jedenfalls die Geschichte von Bileam und Israel nahe. Nur eine Kirche, welche die Schrift als massgebende und zurechtbringende Kraft behält, erhält sich auch ihre kulturkritische Funktion und ihre Wirkung als ‘Salz und Licht’ der Welt (vgl. Mt 5:13–15).
Eine Dezimierung war die natürliche Folge für ein Volk, welches sich auf solche Einflüsterungen und Lügen eingelassen hatte (Num 25:9). Genauso tut die Gemeinde auch heute gut daran, ihr Herz nur an den einen Gott zu hängen und keine falschen Kompromisse einzugehen. Die Verwüstungen in Kirchen und Denominationen, welche sich auf den Weg Bileams begeben, sind auch heute nicht von der Hand zu weisen. Als Beispiel können moralische Fehltritte von Leitungspersonen oder deren theologische Legitimierung aufgeführt werden. Das Resultat ist immer der Verlust an Kraft, Leben und göttlicher Dynamik in der Gemeinde. Solche Situationen rufen nach Menschen, die aufstehen und die Gemeinde zurückrufen in Nachfolge und Treue zu Gott allein (vgl. Num 25:11).
Die Geschichte von Bileam macht aber auch das andere klar: Dieses ‘Volk Gottes’ ist unglaublich geliebt und hat in Gott einen Hirten, dessen Treue unerschütterlich ist. Nichts kann Gott davon abhalten, seinen Teil des Bundes einzuhalten, welchen er mit seinem Volk eingegangen ist. Die Geschichte von Bileam deutet ja auch auf das Kommen von Jesus hin, dem guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe gibt (Num 24:17, vgl. Joh 10:11).
Lass uns nicht dem Rat Bileams folgen, sondern dem Rat des Herrn, der uns durch sein Wort den Weg weisen will.
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7. Falsche Propheten: Gibt es noch ‘Bileams’?
Der Einblick in die Geschichte Bileams kann uns helfen, auch in unserer Zeit mit einem differenzierten Blick Menschen einzuschätzen.
Bileam hat auf seinem Weg ins Verderben tatsächlich wiederholt Gottes Wahrheit betreffend dem Volk Gottes ausgesprochen. Es ist keinesfalls so, dass bei Bileam nichts Gutes gewesen wäre. Man kann eigentlich nur Staunen, wie er dreimal dem Wunsch des moabitischen Königs widerstanden hat, das Volk Gottes zu verfluchen. Das macht auch die Einschätzung seiner Person nicht so einfach. Erst nach und nach zeigt sich ein Gesamtbild, und in den Feinheiten des Verhaltens werden die Motivationen und Ziele erkennbar.
Wir lernen Bileam vordergründig als Verkünder der Worte Gottes kennen, als Prophet, der sogar das Kommen des Messias ankündigt. Und gleichzeitig müssen wir beim näheren Hinschauen entdecken, dass er der Urheber einer der grössten Verführungen des Volkes Israel war. Er war der Einflüsterer des moabitischen Königs, der Verantwortliche für den Abfall des Volkes Israel in Götzendienst und sexuelle Unzucht. Bileam ist ein ‘Prototyp’ des falschen Propheten. Das machen die neutestamentlichen Texte ganz deutlich.
Wo es um Verfehlungen einzelner Menschen geht, ist die Bibel sehr klar: Für den Sünder hat Gott jederzeit Vergebung und Gnade bereit. Genauso sollen auch wir mit der nötigen Demut und im Wissen um unsere eigene Bedürftigkeit anderen Menschen begegnen (vgl Röm 3:23–24, Röm 7:19, Mt 7:3, 2Kor 10:17).
Eine völlig andere Sache ist es aber, wenn der Sünde eine theologische, lehrmässige Legitimierung erteilt wird. Hier fordern uns die biblischen Texte dazu auf, falschen Lehren und ihren Vertretern entgegenzutreten. Die Liste der Bibelstellen, wo mit falschen Lehrern hart ins Gericht gegangen wird, ist lang. Wiederholt wird in der Bibel vor solchen Menschen gewarnt (vgl z.B: Jes 5:20; Mt 15:14; Röm 16:17–19, Gal 1:8).
Unter Punkt 5 in diesem Artikel sind wir auf die populäre Theologin Nadia Bolz-Weber eingegangen. Auch in ihren Statements finden wir sehr wohl ‘Wahres’ und ‘Gutes’. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Standpunkte grösste Widersprüche zu den Idealen der Bibel ergeben. Könnte es sein, dass Nadja Bolz-Weber Irrlehre verbreitet, wie Bileam es tat? Bewirkt diese Irrlehre, da wo sie geglaubt wird, dass die Gemeinde sich von Jesus trennt? Bolz-Weber muss sich diese Frage auf jeden Fall gefallen lassen.
Es scheint so, als ob Bolz-Weber mit ihren Positionen den Weg in die Gegenwartskultur konsequenter beschreitet als andere. Dies sollte uns aber auch hellhörig machen bezüglich der Theologen und Fachpersonen, welche Bolz-Weber applaudieren. Nadia Bolz-Weber denkt schlussendlich ja nur konsequenter zu Ende, was bei anderen im Ansatz die gleiche Stossrichtung hat. Die ‘Früchte’, welche wir bei ihr schon in ausgereifter Form vorfinden, sind mit der nötigen Aufmerksamkeit in weniger ausgereifter Form auch bei anderen Personen zu entdecken.
Es geht nun keineswegs darum, dass wir ‘Jagd’ auf falsche Propheten machen sollen. Aber wir müssen uns als Christen bewusst sein, dass wir uns in einer geistlichen Kampfzone befinden. Mit bildhafter Sprache vergleicht die Bibel an diversen Stellen das Volk Gottes mit einer Schafherde, welche durch schlechte Hirten ausgebeutet und fehlgeleitet wird (Hes 34:1–11) oder welche zerstreut und veränstigt ist (Mt 9:36).
Der Bedarf an Orientierung ist gerade im Zeitalter gross, wo jegliches Gedankengut durch die neue Medienwelt jedem verfügbar ist. Die Geschichte von Bileam errinnert uns daran: Nicht das offensichtlich Unwahre ist zu fürchten, sondern das scheinbar Wahre.
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8. Das Schwert Gottes: Wird die Bibel belanglos?
Auch im Umfeld evangelischer Freikirchen wird heute der exklusive Wahrheitsanspruch der Bibel vermehrt in Frage gestellt. Der Zusammenhang dabei ist sehr oft, dass man die Gemeinde mit einer ‘progressiven’ Haltung in theologischen Fragen wieder gesellschaftlich relevant machen möchte.
Wie unkritisch positiv die Gegenwartskultur teilweise gedeutet wird, zeigt sich zum Beispiel im Blogbeitrag von Dave Jäggi, Studienleiter bei der selbstgenannt evangelikalen Ausbildungsstätte IGW. Gemäss ihm …
«…hat sich das Schriftverständnis und damit der Glaube und die Spiritualität immer schon „dem Zeitgeist“ angepasst. Zum Glück! Leider hinken Theologie und Kirche dem Zeitgeist normalerweise hinterher, wie z.B. die Stellung der Frau in der Kirche zeigt.» Dave Jäggi
Anders gesagt: Weil sich die Kirche sowieso der aktuellen Kultur anpassen wird, sollte diese Angleichung möglichst vorangetrieben werden, damit die Kirche gesellschaftlich anschlussfähig bleibt.
Natürlich ist es wichtig, dass unser Glaube für die Menschen von heute zugänglich ist. Und natürlich gilt es, auch unsere Überzeugungen immer wieder einer Überprüfung zu unterziehen. Beispiele aus den vergangenen Jahrhunderten zeigen ja auch, dass die Gemeinde Jesu nicht immer richtig gelegen ist mit ihren Überzeugungen (zum Beispiel in der Sklavenfrage). In solchen Fällen können Korrekturen, wenn es eine biblische Basis dafür gibt, durchaus ihre Berechtigung haben – ja sogar ihre Notwendigkeit! Gleichermassen ist es aber wichtig, dort Rückgrat zu zeigen, wo keine biblische Basis für eine Korrektur vorhanden ist.
Wenn man über die Rolle der Bibel für die Kirche nachdenkt, so macht man auch in der Geschichte von Bileam eine wichtige Entdeckung. Es ist nämlich bezeichnend, dass dort der Engel des Herrn mit einem ‘gezückten Schwert in seiner Hand’ beschrieben wird (Num 22:31). Dieses Schwert steht für das Wort Gottes und ist ein Bild, welches uns bis ins Neue Testament hinein begleitet (vgl. Eph 6:17 oder Hebr 4:12). Es wird uns im letzten Buch der Bibel im Mund des wiederkommenden Jesus Christus gezeigt (vgl. Apk 1:16 oder Apk 19:15). Dieses Schwert ist es auch, welches Gott gegen die Irrlehrer in der Gemeinde Pergamon richtet, welche sich der ‘Lehre Bileams’ angeschlossen haben (Apk 2:16).
Gottes Wort möchte uns immer wieder zurechthelfen (2Tim 3:16). Es ist ein scharfes, durchdringendes und präzises Werkzeug in der Hand Gottes, mit welcher er der Gemeinde und den einzelnen Gläubigen die für ihre Gesundheit nötige Pflege zukommen lässt.
Dieses Wort Gottes ist auch integraler Teil der Waffenrüstung Gottes (Eph 6:17) und damit wesentlich für unser Bestehen als Christen in dieser Welt. Dieses ‘Schwert des Geistes’ ist das Werkzeug, mit der wir im Stimmenwirrwarr unserer Zeit Gottes Sicht der Dinge erkennen können (Hebr 4:12).
Da, wo die Kirche dieses Schwert (die Bibel) beiseitelegt, seiner Autorität in der Kirche enthebt, sie durch Relativierung ‘abstumpft’ oder ‘verformt’, geht die Fähigkeit verloren, gesellschaftlichen Entwicklungen und Realitäten nach Gottes Willen zu begegnen.
Auch für unsere Zeit gilt: Das Evangelium von Jesus Christus darf eine ‘Zumutung’ sein. Der Apostel Paulus hat es der Gemeinde in Korinth folgendermassen klargemacht:
… verkündigen wir Christus den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis, den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, sowohl Juden als auch Griechen, [verkündigen wir] Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. (1Kor 1:23–24)
Die Frage ist: Sind wir bereit, als Christen in unserer Zeit zu diesem Ärgernis, dieser Torheit zu stehen?
Auch uns gilt der tröstende Zuspruch an die Gemeinde in Pergamon: «Ich weiß, wo du wohnst» (Apk 2:13). Gott ist sich des Umfeldes seiner Kirche sehr wohl bewusst. Es geht nicht darum, aus der Welt, in der wir leben, zu ‘fliehen’, sondern uns in ihr zu bewähren als treue Zeugen von Jesus Christus (vgl Jer 29:7).
Das Sendschreiben an die Gemeinde in Pergamon und die Geschichte von Bileam machen klar: Christus wird eine Gemeinde, die ihm vertraut und seinem Wort treu bleibt, auch in einem feindseligen Umfeld bewahren. Ja, gerade hier will er seine Gemeinde als Salz und Licht haben (Mt 5:13–16).
Die Geschichte von Bileam zeigt dabei schön, wie die Bibel letztendlich nur als Gesamtwerk verstanden werden kann. Mit ihrem dreifachen prophetischen Charakter (Botschaft für das Volk Israel, Prophetie Bileams auf Christus hin, geistliche Deutung für die christliche Gemeinde) ist die Geschichte ins Gesamt-Narrativ der Bibel eingewoben. Ihre Bedeutung und Botschaft erschliesst sich nur aus der Gesamtheit aller Informationen, welche wir über die ganze Bibel verteilt finden.
Lass uns eine Art der Bibelauslegung pflegen, welche die Schrift nicht auf falsche Weise selektiv auf die uns passenden Stellen reduziert. Lass uns die Bibel vielmehr als untrennbar verwobenes und zusammenhängendes Gesamtkunstwerk ernst nehmen. Geben wir der Schrift die Erlaubnis, bestimmend über unsere Theologie und unser Leben zu bleiben, korrigierend hineinzuwirken, und zwar nicht nur als Inspiration, sondern mit der in ihr vorhandenen ‘Schärfe’, ihrer göttlichen Autorität.
Eine Kirche, welche sich so in der Welt bewegt, bleibt gesegnet und wird Bestand haben. Gemeinschaften, die sich letztlich auf falsche Kompromisse und Vermischungen einlassen, werden vergehen.
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9. Die Esel Gottes: Warum braucht es sie?
Die einzige Figur, die in der Geschichte Bileams einen unverstellten Blick auf die göttliche Realität hat, ist ein Esel. Lass uns Esel sein, die mit einer gesunden Skepsis gegenüber einer selbsternannten theologischen Elite den Glauben leben — aber umso mehr mit einem gesunden Vertrauen gegenüber der Bibel als dem Wort Gottes für uns.
Es ist bezeichnend, dass auch Jesus diese Einstellung an den Tag legt. Von den Pharisäern mit einer spitzfindigen Frage konfrontiert zeigt Jesus genau dieses Grundvertrauen, indem er auf die SCHRIFT als REDEN GOTTES zurückgreift:
Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Habt ihr nicht GELESEN, dass der Schöpfer sie am Anfang als Mann und Frau erschuf und SPRACH: »Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen; und die zwei werden ein Fleisch sein«? (Mt 19:4–5, vgl. 1. Mose 2:24)
Es ist kennzeichnend, dass im originalen Text in Gen 2:24 nicht steht, dass der Text ein Reden Gottes ist. Jesus weiss aber, dass dem so ist und klärt das mit seiner Aussage. Jesus stellt die alttestementlichen Schriften, wie sie seine Zeitgenossen lesen konnten, mit dem gesprochenen Wort Gottes gleich. Auch wir dürfen mit demselben Grundvertrauen wie Jesus an unsere Lektüre der Bibel gehen.
Was für ein anderes Bild bietet sich da, wenn wir uns beispielsweise die Verrenkungen gewisser Theologenkreise vor Augen führen in ihrem Bemühen, klare biblische Prinzipien im Bereich der Sexualität auf einen gesellschaftsfähigen, aktuellen Stand zu bringen. Wenn die Bibel beispielsweise eine homosexuelle Praxis durchgehend negativ beurteilt, so muss sich doch irgendwie ein Weg finden lassen, ihr eine gegenteilige Botschaft abzuringen.
Die dabei erzielten Resultate sind für den aufmerksamen Leser nicht nur wenig überzeugend. Solches Vorgehen entmutigt und entmündigt auch den ernsthaft bibellesenden Laien. Dieser Laie könnte auch bei einem differenzierten Lesen der Schrift niemals auf die Ergebnisse der entsprechenden Protagonisten kommen. Er muss deshalb davon ausgehen, dass auch die klarsten Aussagen der Schrift eine gegenteilige Bedeutung haben könnten. Die Bibel wird auf diese Weise dem ‘einfachen Volk’ wieder aus der Hand genommen und zum exklusiven Fachgebiet einer ‘wissenden Elite’ gemacht. Lasst uns also wieder ‘Esel’ sein, denn der Esel war der einzige, der bei Bileam die Klarsicht hatte.
Die Infragestellung göttlicher Worte ist nicht neu: Gemäss dem biblischen Zeugnis hat sich schon die Schlange im Garten Eden des Instruments der Verdrehung oder Verformung der klaren Worte Gottes bedient, um die ersten Menschen zu verwirren und zu verführen (Gen 3:1, vgl. Gen 2:16–17).
Liebe ‘Laien’, liebe Basis-Christen, liebe ‘Esel’ Gottes: Lasst uns nicht verwirrt und entmutigt werden! Lasst uns das Prinzip des Priestertums aller Gläubigen leben (vgl. Offb 1:6)! Wenn wir die Bibel lesen, hören wir Gott zu uns reden. Und dieser Gott spricht in Klarheit und Verständlichkeit — so, dass alles Wesentliche von jedem verstanden werden kann, der die Bibel mit einem hörenden Herzen studiert.
Lasst uns mutig unsere Erkenntnisse teilen! Nicht immer werden unsere Auslegungen zu 100 Prozent stimmen. Das ist bei studierten Theologen und Wissenschaftlern nicht anders. Das Wissen um unsere eigene geistliche Bedürftigkeit ist die viel wesentlichere Grundlage, um Gottes Reden zu verstehen, als Wissen und Bildung (vgl. Mt 5:3). Wir haben einen Vater im Himmel, der Wohlgefallen daran hat, Dinge den Weisen und Klugen zu verbergen und es den Unmündigen zu offenbaren — den ‘Eseln’ Gottes (vgl. Lk 10:21).
Den Artikel finde ich hervorragend, was nicht heisst, dass ich mit allem d’accord ginge. Mit manchem habe ich noch keine fertige Meinung. Doch dem kann ich nur zustimmen: “Heute stellt sich die Frage, ob sich die Kirche in einer post-christlichen Kultur nicht vielmehr durch erhöhte Wachsamkeit und theologische Stabilität auszeichnen sollte”!!!!!!
Vielen Dank für die Erläuterungen zu Bileam im Zusammenhang der verschiedenen Bibelstellen — eine sicher sehr wichtige Geschichte! Viele anderen Ausführungen finde ich auch sehr spannend und interessant.
Deine Auseinandersetzung mit Nadja B.-W. erinnert mich sehr an das, was ich in dem Buch über Kirchengeschichte von A. Sierszyn neulich gelesen habe über die Christen der ersten Jahrhunderte, insbesondere i. über Tertullian. Die Vorstellung, dass Pornografie ok sein könnte, finde ich derart entsetzlich menschen- und frauenfeindlich, dass ich mir das nur damit erklären kann, dass sie nicht realisiert, wie sehr das die Menschenwürde der Betroffenen anrührt. Die Trennung von Sexualität und liebevoller Verbindung, die Gott ursprünglich aber verbunden in uns angelegt hat, ist auch potentiell so schmerzhaft und führt zu so viel Ungutem, dass ich annehme, dass sie selbst Gottes wunderschöne Anerkennung darin leider nicht kennt.…
Ich habe den Artikel von Paul gelesen, möchte aber trotzdem zu folgendem Satz etwas anmerken: “Entsprechend geht die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität einher mit einer Zunahme des Einflusses der entsprechenden non-dualen Religionen und Weltanschauungen (vor allem östlich-monistische Religionen und Spiritualität)”:
Die Akzeptanz Homosexueller geht auch einher mit einer zunehmenden Realisation dessen, was Menschenrechte für alle bedeutet, denke ich. Homosexualität gab es soviel ich weiß durch die Menschheitsgeschichte hindurch, aber bis in unsere Zeit hinein werden Homosexuelle psychisch und teils auch physisch bestraft. Dass die Akzeptanz von Homosexualität primär mit der Akzeptanz der nicht dualen Religionen zu tun hat, weiß ich nicht. Ich habe aber schon den Eindruck, dass unsere Gesellschaft durch die Auseinandersetzung mit insbesondere dem Buddhismus und weg vom Christentum zu einer theoretisch weniger verurteilenden und annehmenderen Haltung gefunden hat. Mein Eindruck ist es, dass auch das freikirchliche Christentum sich durch diese gesellschaftliche Wandlung verändert hat weg von Verurteilung hin zu einer stärkeren Betonung von Selbstwertstärkung durch den Glauben und Gnade, um es sehr verkürzt zu sagen. Das war jetzt eine kurze Anmerkung mit vielen Worten.
Vielen Dank jedenfalls für den gehaltvollen Beitrag!
Danke KS für dein ausführliches und wohlwollendes Feedback! Mich betrifft ja vor allem das, was du am Schluss sagst. Ich muss zugeben, dass du recht hast. Da ist was dran! Ich wünschte, dass unsere Kultur und Kirchen nicht erst in der Begegnung mit den östlichen Weltanschauungen akzeptierender geworden wären! Ich wünschte, die nötige Korrektur wäre durch eine vertiefte Auseinandersetzung gekommen mit der Bibel und der christlichen Weltanschauung. Dies ist unter anderem nicht passiert, weil die Kirche zu sehr mit der damaligen Gegenwartskultur verwoben war. Die Kirche war negativ eingestellt gegenüber Homosexualität, weil die damalige Gegenwartskultur negativ eingestellt war. Man benutzte auch die Bibel um das innerkirchlich zu begründen. Es lief sehr ähnlich wie beim Thema Sklaverei. Wenn Kirchen und Gemeinden damals ‘counter-cultural’ gelebt hätten, weil sie von einer richtigen/guten Auslegung der Bibel inspiriert waren, hätten sie Homosexuelle in ihren Gemeinde aufgenommen in einer Weise, wie sie sonst in der Kultur nicht aufgenommen wurden. Nun, für diese Fehler müssen wir uns entschuldigen. Und wir müssen darauf achten, dass wir dieselben Fehler nicht wiederholen. Die Frage ist also: bei welchen Personen-Gruppen ist UNSERE Gegenwartskultur derart negativ eingestellt, dass wir sie als Gesellschaft ausschliessen, für minderwertig halten, diskriminieren? Und sollten wir in unseren HEUTIGEN Kirchen sie in einer Weise willkommen heissen, wie sie in der Gesellschaft nicht angenommen werden?!
Ein zweiter Gedanke. Die Begründung der nicht-Diskrimierung ist aus christlich-weltanschaulicher Sicht verankert in der Ebenbildlichkeit des Menschen gegenüber Gott. Andere Weltanschauungen haben dieses sehr wichtige Element nicht. Im Hinduismus sind die Menschen eben grad NICHT alle gleich. Es ist historisch eher das christliche Weltbild, welche eine Grundlage bietet für eine umfassende nicht-Diskriminierung. Die universellen Menschenrechte sind z.B. begründet im christlichen Menschenbild der Ebenbidlichkeit Gottes. An diesem Punkt gibt es in deinem Argument möglicherweise eine Vermischung der Kategorien. Im Hinduismus ist Homosexualität akzeptiert, aber nicht weil Homosexualität Teil einer nicht-diskrimierenden Ethik wäre. Der Grund für die hinduistische Akzeptanz von Homosexualität ist, weil die Natur als göttlich angesehen wird. Das Göttliche muss (da bin ich mit dem Hinduismus einig) sowohl das Weibliche wie auch das Männliche beinhalten. Da es gemäss dem Hinduismus ausserhalb der Natur keinen Schöpfer gibt, sondern die Natur göttlich ist, muss das Weibliche und Männliche im Wesen jedes einzelnen Menschen zu finden sein. Und wenn ein Mensch sich auf den Weg macht in eine grössere Göttlichkeit, muss dieser Mensch das ihm innewohnende Weibliche mehr vereinen mit dem ihm innewohnenden Männlichen. Der Erste Schritt in Richtung mehr-Göttlichkeit ist für Hindus das Aufgeben der Ehe (in der Ehe wird ja Männlichkeit und Weiblichkeit getrennt gehalten, darum muss die Ehe aufgegeben werden). Dann muss durch Meditation und mitunter durch sexuelle Handlungen eine Vereinigung der dem einzelnen Menschen innewohnende Weiblichkeit und Männlichkeit erlangt werden. Homosexualität, Bi- und Transsexualität hat dort also vor allem damit zu tun, die umfassende Göttlichkeit zu erlangen und nicht mit Gleichheit aller Menschen. In unserer Kultur argumentieren wir für Homosexualität über die nicht-Diskriminierung. Wir schauen zum Hinduismus, erkennen dort eine positive Sicht der Homosexualität, und denken dann unkritisch, dass der Hinduismus gegen Diskriminierung sein muss. Der Grund für die Akzeptanz von Homosexualität ist im Hinduismus eine völlig andere. Die Frage ist also: welche Weltanschauung hat eine solide Grundlage für die Gleichwertigkeit aller Menschen. Und da kenne ich nur die judeo-christliche Weltanschauung, welche diese Gleichwertigkeit begründet in der Tatsache, dass es einen Schöpfer-Gott gibt, der alle Menschen geschaffen hat.
Meine Frage ist dann: Wenn unsere Gesellschaft das Fundament der christlichen Weltanschauung verlässt, verlässt sie auch die damit verbundene Überzeugung der Gleichwertigkeit aller Menschen. Und DAS könnte plötzlich ungeahnte Folgen haben. Plötzlich werden zwar Homosexuelle nicht diskriminiert, aber andere Gruppen. Und ich rede hier nicht primär von Christen, welche diskriminiert werden — das kann auch sein. Ich rede von den Schwachen unserer Gesellschaft: Ungeborene, Frauen, Kranke, Alte, Menschen mit Behinderungen, psychisch Schwache, Pädophile, etc.
Danke fuer diese
wichtige Auseinandersetzung
Um geistige Fragen und Antworten.
Bileam, diese schillernde Figur.
Sibylle, Berlin