Im ersten Teil dieser Bileam-Serie haben wir Einblick bekommen in die spannende Geschichte dieses Sehers, dieses Propheten. So ambivalent er als Person zu sein scheint — sein Stehvermögen gegenüber seinem Auftraggeber Balak scheint doch beachtlich gewesen zu sein. Er hätte das Volk Israel verfluchen sollen. Doch letztlich hat er dreimal den Segen Gottes über diesem Volk ausgesprochen. Gott ist seinem Volk treu — daran lässt sich nicht rütteln.
Auch wenn Bileam nach diesen Ereignissen wieder zu sich nach Hause zieht (Num 24:25), machen die weiteren Hinweise aus der Bibel deutlich, dass Bileam aus seiner inneren ‘Zerrissenheit’ nicht zurückfindet. Zu stark sind anscheinend die Bindungen, die er eingegangen ist, zu demütigend die erfahrene Verachtung.
Also findet Bileam einen anderen Weg, das Volk Israel von seinem Gott zu trennen. Wenn es nicht möglich ist, Gott gegen sein Volk zu wenden, so sollte es doch möglich sein zu bewirken, dass das Volk selbst sich von seinem Gott abwendet.
Moab verführt Israel zur Sünde, Illustration aus der Figures de la Bible, 1728
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Die Untreue des Volkes gegenüber seinem Gott
Das auf die Geschichte von Bileam folgende Kapitel (Num 25:1–18) zeigt uns genau dies. Nämlich wie sich das Volk Israel von seinem Gott abwendet:
Und Israel ließ sich in Sittim nieder; und das Volk fing an, Unzucht zu treiben mit den Töchtern der Moabiter, und diese luden das Volk zu den Opfern ihrer Götter ein. Und das Volk aß [mit ihnen] und betete ihre Götter an. Und Israel begab sich unter das Joch des Baal-Peor. (Num 25:1–3)
So einfach geht das. Das Volk, welches auf die unerschütterliche Treue seines Gottes zählen kann, wendet sich ab.
Doch ist es aus der Perspektive des Volkes Israel wohl gar nicht so, dass sie ihren Gott verlassen haben. Man hat sich lediglich auf die spannenden Sachen eingelassen, welche die temporäre Heimat vor den Toren des verheissenen Landes so bieten. Irgendwie muss man ja die Zeit totschlagen. Da hat es hübsche Frauen. Es gibt ziemlich schöne Feste. Und man kann spannende neue spirituelle Entdeckungen machen!
Unübersehbar ist die sexuelle Komponente in der Erzählung. Der Baal-Peor, unter dessen ‘Joch’ sich das Volk Israel nun begibt, wird von Jakob Kroeker bezeichnet als ‘der Gott der Schamlosigkeit, der Herr der Geschlechtstriebe, dem man besonders durch kultische Festlichkeiten und durch Befriedigung der sinnlichen Leidenschaften huldigte’ (vgl. auch die Jüdische Encyclopedie).
Sex schafft Bindung. Sex schafft auch gemeinsame Kinder. Gemeinsame Feste sind die beste Bühne dafür, einander kennen zu lernen und sich zu verbrüdern.
Ohne es zu merken, hat Israel sein Herz an etwas anderes ‘gehängt’, als an den einzig wahren Gott, der sie aus der Sklaverei gerettet, in der Wüste getragen, versorgt und bis vor die Tore des verheissenen Landes geführt hat.
Man könnte nun meinen, dass diese Entwicklung einfach zufällig geschehen ist, weil es der Natur des Menschen entspricht, sich seiner Umgebung anzupassen. Und es macht doch auch nur Sinn, den eigenen Glauben mit dem der Gesellschaft um sich herum zu harmonisieren und dadurch Relevanz und Glaubwürdigkeit zu gewinnen.
Ein genauer Blick auf die Vorgänge deckt aber eine schockierende Realität auf: Der Abfall des Volkes Israel erfolgt nicht zufällig. Sie beruht auf einer klaren Strategie des Feindes von Israel. Und der ‘Souffleur’ dabei ist ein Altbekannter: Bileam.
Den entscheidenden Hinweis dazu finden wir in Num 31:
Siehe, sie haben ja in der Sache des Peor durch den Rat Bileams die Kinder Israels vom HERRN abgewandt, sodass der Gemeinde des HERRN die Plage widerfuhr! (Num 31:16)
Was aus der Perspektive des Volkes Israel nach einem harmlosen Anbandeln mit den moabitischen Frauen, Kulten und Gebräuchen aussieht, ist keine zufällige Entwicklung, sondern eine klare Strategie der Moabiter auf Anraten Bileams.
Genau: Wenn es nicht möglich ist, Gott gegen sein Volk zu wenden, so sollte es doch möglich sein, dass sich das Volk selbst von seinem Gott abwendet. Und dafür braucht es gar nicht so viel. Ein paar schöne ausufernde Feste, ein wenig spirituelle Offenheit, ein bisschen wohlverdiente sexuelle Lockerheit. Das Volk Israel ahnt nicht, was sein Verhalten für neue Abhängigkeiten und Gebundenheit mit sich bringen wird. Und es ahnt auch nicht, dass es der klaren Strategie ihres Feindes auf den Leim geht.
Das Resultat dieser neuen religiösen und sexuellen Lockerheit ist letztendlich eben nicht Freiheit, sondern eine neue Abhängigkeit: ‘Israel begab sich unter das Joch des Baal-Peor.’
Unser Sexualverhalten findet eben nicht in einem weltanschaulich neutralen Raum statt, sondern hat auch eine zutiefst geistliche Dimension. Und wer einer bestimmten Praxis anhängt, der hängt sein Herz letztlich auch an die dahinterliegende Religiosität. Genauso wird auch die Person, welche einer bestimmten neuen Spiritualität anhängt, sich für die dazugehörende sexuelle Praxis öffnen. Dies macht die Geschichte von Bileam überdeutlich.
Bileam und der Sprechende Esel, Kirche Sint Janskerk, Gouda NL
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Bileams Rat und die neutestamentliche Gemeinde
Derart beispielhaft sind die Ereignisse rund um Bileam, dass seine Person auch im Neuen Testament zum Synonym wird für ein bestimmtes, wiederkehrendes Handeln und Denken in den ersten Gemeinden.
Paulus gibt die Ereignisse von damals als warnendes Beispiel für die Gemeinde in Korinth:
Werdet auch nicht Götzendiener, so wie etliche von ihnen, wie geschrieben steht: »Das Volk setzte sich nieder, um zu essen und zu trinken, und stand auf, um sich zu vergnügen«. Lasst uns auch nicht Unzucht treiben, so wie etliche von ihnen Unzucht trieben, und es fielen an einem Tag 23 000. (1Kor 10:7–8)
Wir entdecken Bileam im 2. Petrusbrief wieder. Hier steht er für Irrlehrer, welche in den betroffenen Gemeinden von Geldgier getrieben ein zügelloses Leben propagiert haben:
Dabei haben sie Augen voller Ehebruch; sie hören nie auf zu sündigen und locken die unbefestigten Seelen an sich; sie haben ein Herz, das geübt ist in Habsucht, und sind Kinder des Fluchs. Weil sie den richtigen Weg verlassen haben, sind sie in die Irre gegangen und sind dem Weg Bileams, des Sohnes Beors, gefolgt, der den Lohn der Ungerechtigkeit liebte; aber er bekam eine Zurechtweisung für seinen Frevel: Das stumme Lasttier redete mit Menschenstimme und wehrte der Torheit des Propheten. (2Pet 2:14–16).
Wir finden Bileam im Judas-Brief wieder, auch hier im Zusammenhang mit Irrlehrern:
Wehe ihnen! Denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich um Gewinnes willen völlig dem Betrug Bileams hingegeben und sind durch die Widersetzlichkeit Korahs ins Verderben geraten! (Judas 11)
Nicht zuletzt entdecken wir Bileam im letzten Buch der Bibel. Im Sendschreiben an die Gemeinde in Pergamon (Apk 2:14) wird die durch Bileam propagierte Verführung mit der Irrlehre der Nikolaïten in Verbindung gebracht, welche die damalige Gemeinde bedroht hat:
Und dem Engel der Gemeinde in Pergamus schreibe: Das sagt, der das scharfe zweischneidige Schwert hat: Ich kenne deine Werke und [weiß,] wo du wohnst: da, wo der Thron des Satans ist, und dass du an meinem Namen festhältst und den Glauben an mich nicht verleugnet hast, auch in den Tagen, in denen Antipas mein treuer Zeuge war, der bei euch getötet wurde, da, wo der Satan wohnt. Aber ich habe ein weniges gegen dich, dass du dort solche hast, die an der Lehre Bileams festhalten, der den Balak lehrte, einen Anstoß [zur Sünde] vor die Kinder Israels zu legen, sodass sie Götzenopfer aßen und Unzucht trieben. So hast auch du solche, die an der Lehre der Nikolaiten festhalten, was ich hasse. Tue Buße! Sonst komme ich rasch über dich und werde gegen sie Krieg führen mit dem Schwert meines Mundes. (Apk 2:12–16)
Viel deutlicher als das Alte Testament bringen die neutestamentlichen Stellen den Aspekt der falschen Lehre Bileams ins Spiel. Es geht in diesen Texten nicht einfach um moralische Verfehlungen einzelner Personen in den Gemeinden, sondern in viel grösserem Masse um ihre Legitimierung durch falsche Lehrer.
Wo es um Verfehlungen einzelner Menschen geht, ist die Bibel sehr klar: Wir sind allesamt Sünder und ‘ermangeln des Ruhmes’, den wir vor Gott haben sollen (Röm 3:23; vgl Röm 7:19). Wir alle bedürfen der Gnade, die uns von Gott in Christus verliehen wird (Röm 3:24). Wir sollen unsere Aufmerksamkeit zuallererst dem ‘Balken’ im eigenen Auge und nicht dem ‘Splitter’ im Auge unseres Bruders widmen (Mt 7:3). Wer sich rühmen will, der soll sich nicht seiner selbst rühmen, sondern der ‘soll sich des Herrn rühmen’ (2Kor 10:17). Für den Sünder hat Gott jederzeit Vergebung und Gnade bereit, und genauso sollen auch wir mit der nötigen Demut und im Wissen um unsere eigene Bedürftigkeit anderen Menschen begegnen.
Eine völlig andere Sache ist es aber, wenn der Sünde eine theologische, lehrmässige Legitimierung erteilt wird. Hier fordert uns die Bibel ganz klar dazu auf, falschen Lehren und ihren Vertretern entgegenzutreten. Im Beispiel der Gemeinde in Pergamon waren es die Nikolaïten, welche, wie es scheint, das Mitfeiern an heidnischen Festen (verbunden mit dem Essen von Götzenopfer) und Unzucht theologisch legitimierten.
Die Liste der Bibelstellen, wo mit falschen Lehrern hart ins Gericht gegangen wird, ist lang. Wiederholt wird in der Bibel vor solchen Menschen gewarnt (vgl z.B: Jes 5:20; Mt 15:14; Gal 1:8).
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Die Achillesferse der Gemeinde
Die Art und Weise, wie das Beispiel von Bileam und dem untreuen Volk den Leser der heiligen Schrift bis in die Sendschreiben der Offenbarung hinein begleitet, macht deutlich, dass es bei dieser Geschichte um mehr geht als um eine einmalige Lektion. Es geht um eine Lektion für das Volk Gottes zu allen Zeiten.
Das Volk Israel liess sich scheinbar problemlos zu religiösem Synkretismus und sexueller Unreinheit verleiten. Diese Achillesferse des Volkes Israel ist ebenso diejenige der Gemeinde Jesu, wie die neutestamentlichen Bibelstellen klarmachen. Darauf muss sie immer wieder hingewiesen werden, denn der ‘Rat des Bileam’ ist eine bewusste Strategie des Teufels, die Gemeinde von Jesus zu trennen.
Dieser Beitrag ist als dreiteilige Serie aufgebaut. Die weiteren Teile:
Bileam (1/3) – Der Prophet und sein Esel
Bileam (3/3) – Lehren für unsere Zeit
Wer die Bileam-Botschaft in einer Predigt aufgearbeitet sehen möchte, kann dies hier tun:
Mich erstaunt immer wieder, wie oft das ‘Volk Israel’ von seinen GOTT abfiel, obwohl es bei IHM doch am besten ging !
Wie oft in der gesamten Geschichte geschah der Abfall eigentlich ? 20 mal ? 30 mal ? Noch öfter ?
Der eigentliche Grund dafür ist dergleiche wie beim Sündenfall im Paradies — es ist stets Satan, der den Abfall provoziert …
Eigentlich hätte Gott seinen Widersacher Satan bereits zur Zeit der Sintflut aus dem Verkehr ziehen müssen, weil bis dahin es
doch eindeutig war, wes Geistes Kind dieses Wesen ist — immer konterkarierte er die Empfehlungen Gottes und verführte, wen er nur konnte ! Länger hätte Gott seinen ‘Widersacher’ nicht dulden müssen, statt noch weitere 120 Generationen zuzu-
warten ?! In diesem Punkt war und ist Gott viel zuuu langmütig … und die Menschheit wäre schon bedeutend weiter !
Rüdiger, es ist Glück, dass Gott so langmütig, treu und geduldig ist, weil Er nicht möchte, dass auch nur ein Mensch verloren ginge und jeder Mensch einen mehr als angemessenen Zeitraum zur Einsicht zur Erkenntnis seines Zustands, zur Buße, Taufe und Umkehr bekommt, um durch Christus neugeboren ein Kind Gottes werden kann. Denn der natürliche Mensch untersteht dem Zorn Gottes durch seinen Zustand der Sünde, deren Lohn der Tod ist. Die Gnadengabe Gottes das ewige Leben.
Es scheint mir, dass die Ansätze, welche das Volk Israel ins Verderben stürzten — 1. die sexuellen Kontakte mit den Töchtern der Moabiter und 2. das Opfern für die Götter der Moabiter — bereits in den Segenssprüchen Bileams enthalten waren. Das gesegnete Volk Israel wird beschrieben mit 1. “ein Volk, das abgesondert wohnt” (23,9) und 2. “es gibt keine Zauberei und keine Wahrsagerei in Israel” (23,23). — Balak musste also einfach für das Gegenteil dessen sorgen, was das gesegnete Israel charakterisierte. So wurde der Segen Bileams, der in einem Klima der Auflehnung gegen Gottes Absicht gesprochen wurde, indirekt doch noch zu einem Fluch. Wenn man so will, hat Bileam das Geheimnis des Volkes Israel ausgeplaudert: Ein Volk, das sich an Gott orientiert und ihm allein dient, geheiligt und geweiht.
Danke Christian für diese wertvolle Ergänzung!