Hahn gegen Schildkröte. Der Streit findet statt auf dem herrlichen Mosaikboden der Kirche von Aquileia. Der Hahn, Symbol der christlichen Wachsamkeit, gegen die Schildkröte, dem ‘Tier der Unterwelt’. Aquileia — das war auch der Schauplatz eines grossen Ringens um die christliche Lehre. Dieses Ringen findet auch seinen Niederschlag im Apostolikum-Kommentar von Rufin. Dieses Ringen findet auch heute in den Kirchen unserer Zeit statt.
Dreimal hat Petrus Jesus in jener denkwürdigen und langen Nacht vor dessen Verurteilung und Kreuzigung verleugnet. Als der Hahn kräht, wird Petrus die eigene Untreue mit vor Augen geführt. Er verlässt den Ort des Geschehens und weint bittere Tränen. Der Hahn, er steht für Wachsamkeit, Geistesgegenwart und die Entlarvung der Lüge. Aber nicht nur das. Der Hahn ist auch Symbol der Auferstehung und der Verkündigung der guten Nachricht: er kündigt den neuen Morgen an — gleich wie mit der Auferstehung Jesu für die Menschheit ein ‘neuer Tag’ anbricht. Heute ziert der Hahn viele Kirchtürme und erinnert dabei an die Freude der christlichen Botschaft von Ostern und gleichzeitig an unsere menschliche Anfälligkeit und Selbstüberschätzung.
Im Gegensatz dazu die Schildkröte, welche als Kreatur der Unterwelt gilt, die sich im Schlamm der Erde schmutzig macht. Das italienische Wort für Schildkröte (tartaruga) ist praktisch gleichlautend mit dem altgriechischen Wort tartaros – der Bezeichnung eines personifizierten Teils der Unterwelt. Die Schildkröte symbolisiert in der christlichen und auch mythologischen Tradition das, was ‘von unten’ kommt und das Gute und Wahre bedroht.
Der Streit zwischen dem Hahn und der Schildkröte, zwischen dem Verkünder der Wahrheit und dem Vertreter des grossen ‘Durcheinanderbringers’, ist uns in der Kirche von Aquileia in Mosaikform erhalten geblieben. Schon immer stand diese Stadt im Spannungsfeld verschiedener Glaubensvorstellungen. Als junger Mann erlebt Rufin diese Spannungen. Seine Kirche steht in einer Zerreissprobe zwischen nicäanisch-orthodoxem Glauben und der arianischen Ausprägung des Christentums. Rufin würde 373, noch bevor sich die Orthodoxie im Rahmen der Synode von Aquileia in der Region durchsetzen würde, Richtung Orient abreisen. Doch Rufins Kommentar zum Apostolikum macht klar, dass ihn das Thema der Unterscheidung zwischen gesunder und ungesunder christlicher Lehre sein ganzes Leben begleitet hat. Elf verschiedene Irrlehrer nennt Rufin in seinem Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis beim Namen – und rund zwanzig falsche Lehren werden beschrieben und verworfen.
Achtung, dies ist ein längerer Artikel. Über das nachfolgende Inhaltsverzeichnis kannst du dich orientieren:
1. Grundsätzliche Gedanken zur Irrlehre
2. Die Irrlehren im Überblick
3. Gott im Wandel
4. Böser Gott, guter Gott
5. Das vom Gesetz befreite Evangelium
6. Das Evangelium der Gesetzlichkeit
7. Der progressive Synkretismus
8. Jesus — Gott oder Mensch?
9. Eins, Zwei oder Drei
10. Leiblich Auferstanden?
11. Ein Gott der zweiten Chance?
12. Zur Hölle mit dem Teufel
13. Persönliche Bilanz
1. Grundsätzliche Gedanken zur Irrlehre
Bevor ich versuche, einen Einblick in die von Rufin thematisierten Irrlehren zu geben, möchte ich einige grundsätzliche Gedanken vorausschicken:
- Das Volk Gottes war schon zu allen Zeiten einer äusseren, wie auch einer inneren Bedrohung durch ungesunde Lehren ausgesetzt. Im Alten Testament redeten falsche Propheten ihren Königen nach dem Mund oder sorgten aktiv für die Verführung des Volkes. Beispiel eines solchen Verführers ist der Prophet Bileam, dessen subtile Taktiken das Volk Israel fast ins Verderben gestürzt hätten. Ich habe die Geschichte Bileams in einer dreiteiligen Serie aufgearbeitet (Teil 1, Teil 2, Teil 3).
- Die neutestamentliche Gemeinde steht vor den gleichen Bedrohungen, wie die alttestamentliche. «Seht zu, dass euch nicht jemand verführe» (Mt 24:4), warnte Jesus seine Jünger im Hinblick auf die Zukunft. Geistliche Wachsamkeit und Unterscheidungsvermögen hat im Zeitalter des Wahrheitspluralismus für viele einen komischen Beigeschmack bekommen. Doch wir sollten uns im Klaren sein: sie ist nicht weniger als ein Gebot Jesu an seine Jünger. Gleich dem Hahn sollen wir wachsam sein!
- Wir sollten nicht von vorneherein alles Ungewohnte oder Neue verdächtig finden und ablehnen. Vielmehr sollen wir „alles prüfen und das Gute behalten“ (1Thess 5:21). Massstab, an dem alles geprüft werden muss, ist dabei die Bibel (vgl. 1Tim 6:3 – 4; Hebr 4:12). Wie geistliches Unterscheidungsvermögen geübt und gepflegt werden kann, hat Jürgen Neidhart für uns in einem Artikel erläutert.
- Auch die grundlegenden christlichen Bekenntnisse, sind hilfreiche Instrumente in der Beurteilung von Ideen und Gedankengut, welches in der christlichen Gemeinschaft Einzug hält. Diese kompakten Zusammenfassungen des Glaubens sind, wie wir es am Beispiel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses erkennen können, auch in der Auseinandersetzung mit falschen Lehren entstanden. Lehnt jemand zum Beispiel gewisse Sätze des Apostolischen Glaubensbekenntnisses ab oder deutet sie um, so ist dies vermutlich nur Symptom einer grösseren dahinterliegenden weltanschaulichen Veränderung im Denken dieser Person. Zum Beispiel hat in unseren Tagen die Ablehnung der Jungfrauengeburt oder der leiblichen Auferstehung oft etwas damit zu tun, dass die entsprechende Person bewusst oder unbewusst einen Weltanschaulichen ‘Shift’ weg von der jüdisch-christlichen, hin zu einem naturalistischen vollzogen hat.
- Nicht immer waren bei der Bekämpfung von Irrlehren die Motive lauter. Nur schon am Beispiel des Zerwürfnisses zwischen Hieronymus und Rufin wird ersichtlich, wie schnell auch unter Christen menschliche Konflikte Vorwürfe von Irrlehre befeuern können. Deshalb gilt zuallererst: «Ein jeder Prüfe sich selbst» (Vgl. 1Kor 11:28; Gal 6:4; Mt 7:5). Dies gilt auch, wenn es um die Bekämpfung von Irrlehren auf institutioneller Ebene geht. Bewegungen, welche im Laufe der Geschichte durch die institutionelle Kirche bekämpft wurden, haben oft auch auf Missstände in der Kirche reagiert. Ob es die Waldenser, die Reformatoren, die Täufer oder die Christen des Genfer Reveil waren – Gottes Geist hat immer wieder auch Protest- und Erneuerungsbewegungen gebraucht, um seine Geschichte fortzuschreiben und seine Gemeinde neu zu beleben. Deshalb sollten neue Lehren oder Bewegungen von etablierten Kirchen immer auch als Aufruf zur Selbstprüfung verstanden werden. Die Anfälligkeit der Gemeinde Jesu hat oft ihren Hintergrund darin, dass die Gemeinde selbst sich bereits von Jesus, der Quelle des lebendigen Wassers, entfernt hat. Gott ruft in vielerlei Weise zur Busse und Umkehr. Er tut dies durch geistgewirkte Erneuerungsbewegungen. Aber auch falsche Propheten oder Menschen, welche gar nicht in einer Beziehung mit Gott stehen, können Werkzeuge sein im Dienste Gottes, um seiner Gemeinde den Spiegel vorzuhalten.
- Nicht immer waren bei der Bekämpfung von Irrlehren die Mittel angemessen. Der Beispiele, wo Christen andere Christen im Verlaufe der Geschichte mit dem Schwert bekämpft haben, gibt es leider zur Genüge. Nur 20 Minuten von meinem Wohnort in Richtung Norden wurde 1415 der Reformator Jan Hus in Konstanz von der Katholischen Kirche als Ketzer zum Feuertod verurteilt. Nur 30 Minuten südlich von meinem Wohnort wurde 1527 in Zürich der Wiedertäufer Felix Manz im Auftrag der reformierten Stadtherren in der Limmat ertränkt. Nur ein Jahr später, 1528, wird in meiner eigenen Wohngemeinde Frauenfeld einer der ansässigen Pfarrer erdolcht, im Streit um die erweckliche Lehre, welche er unters Volk brachte. Sein Name: Johannes ab Burg. Diese drei Beispiele sind notabene alles Beispiele von berechtigten Reformanliegen, welche durch eine dominante religiöse Gruppierungen mit Gewalt bekämpft wurde. Wo Christen mit Waffen und sonstigen Machtmitteln anderen Menschen den Glauben oder eine bestimmte Ausprägung des Glaubens aufzwingen wollten, entstand auch grosser Schaden für die Sache des Glaubens. Wo kirchliche und staatliche Macht in der Vergangenheit zusammengefallen sind, wurde nur zu oft vergessen, was eigentlich zur Urchristlichen DNA gehören würde, nämlich die gewaltlose Feindesliebe.
- Aus den oben genannten Punkten ergibt sich, dass Sonderlehren und häretische Bewegungen immer auch differenziert beurteilt werden sollten. Die Sieger haben die Geschichte geschrieben. Wir sollten darum bemüht sein, nicht einfach die Perspektive der Sieger einzunehmen, sondern in der menschlichen Geschichtsschreibung nach der Geschichtsschreibung Gottes zu suchen.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
2. Die Irrlehren im Überblick
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Irrlehrer und Irrlehren, welche Rufin in seinem Kommentar zum Apostolikum erwähnt.
Was waren denn die Ausschluss-Themen, wenn es um den christlichen Glauben geht? Bei allem was Rufin in seinen knappen Sätzen zusammenfasst, gilt es, die Prozesse dahinter vor Augen zu haben.
Zum einen gab es inhaltliche Prozesse. Gerade die Lehre der Dreieinigkeit hat sich erst nach und nach in den ersten Jahrhunderten konkretisiert. In diesem Prozess wurde auch manche Sackgasse erkundet. Doch durchgesetzt hat sich berechtigterweise die Lehre, wie sie die Kirche in ihren Konzilen von Nicäa und Chalcedon formuliert hat und welche die vielen biblischen Hinweise über Natur und Wesen Gottes in ein schlüssiges Gesamtbild bringt. Das Wesen Gottes bleibt letztendlich geheimnisvoll und wird sich nie vollständig in Worten beschreiben lassen. Das heisst aber nicht, dass wir nicht mithilfe der biblischen Offenbarung wahre Aussagen und Beobachtungen über Gott machen können.
Zum anderen ging es immer auch um die Frage der historischen Wahrheit. So beispielsweise in der Frage der Auferstehung. «Der Herr ist wahrhaftig auferstanden» (Lk 24:34), war der Ruf der Emmausjünger nach ihrer Begegnung mit Jesus. «Mein Herr und mein Gott!» (Joh 20:28), war der Ruf des Zweiflers Thomas, nachdem er mit seinen eigenen Händen die Wundmale des auferstandenen Jesus berührt hatte. Die leibliche Auferstehung war für die Jünger erlebte Realität – und deren Zeugen waren sie und blieben sie. Wenn nun später Menschen kommen würden, welche die leibliche Auferstehung ablehnen oder sie geistlich interpretieren würden, so ging es schlicht und einfach um die Frage einer historischen Wahrheit. Dann konnten solche Umdeutungen aus der Sicht der ersten Christen nur eines sein: Leugnung der Realität, Lüge.
Mit diesem Hintergrund möchte ich mich nun den von Rufin erwähnten Irrlehrern und Irrlehren im Einzelnen zuwenden.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
3. Gott im Wandel
Ist Gott unveränderbar, oder vollzieht er selbst eine Entwicklung? Unter anderem um diese grundlegende Frage ging es bei der Lehre von Sabellius, dem ersten Irrlehrer, den Rufin in seinem Kommentar erwähnt. Sabellius lehrte eine Form des Modalismus, welche davon ausging, dass Gott sich in einer zeitlichen Abfolge in drei verschiedenen ‘Modi’ manifestiert hat: erst als Gott-Vater, dann als Gott-Sohn und letztendlich als Heiliger Geist. In der Lehre von Sabellius besteht Gott nicht aus drei gleichzeitig existierenden unterschiedlichen Personen der Gottheit, welche zueinander in Beziehung stehen. Vielmehr entwickelt er eine Art Prozess-Theologie eines Gottes im Wandel.
Das Anliegen der Modalisten war durchaus berechtigt: sie wollten nicht in die Falle der Vielgötterei fallen, sondern am Monotheismus festhalten: “Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer” (5Mo 6:4). Aus dem Wunsch am Monotheismus festzuhalten und gleichzeitig dem göttlichen Anpruch Jesu gerecht zu werden, entwickelte sich das Konzept eines Gottes im Wandel. Die Modalisten konnten durchaus auch Bibelstellen zur Unterstützung ihres Konzeptes aufführen, wie zum Beispiel Joh 14:9: “Wer mich sieht, sieht den Vater”. Doch entstand dadurch ein Widerspruch zum starken alttestamentlichen Zeugnis über die Unveränderbarkeit Gottes (Mal 3:6) und ein Konflikt mit den diversen Trinitarischen Stellen, wo wir alle drei Personen der Gottheit gleichzeitig in Aktion sehen, wie zum Beispiel bei der Taufe (Lk 3:22). Die Lehren des Modalismus führten auch zur Idee des Patripassianismus, welche gemäss Rufin “vom Vater selbst behauptet, sowohl dass er aus der Jungfrau geboren und sichtbar geworden sei, als dass er im Fleische gelitten habe”. Genau: Wenn Christus Gott war, dann musste er auch der Vater sein, folglich war es auch der Vater, der von Maria in die Welt geboren wurde und am Kreuz hing und sich dann ’selbst auferweckte’.
Die Väter der Christenheit haben die Idee des Modalismus verworfen. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind nicht einfach sich ablösende Manifestationen eines ‘evolutionären’ Gottes, sondern haben zu allen Zeiten in Einheit bestanden. Dennoch ist die Idee eines Gottes, der sich im Wandel befindet, ein wiederkehrendes Thema in der Kirchengeschichte.
Beispiel für ein aktuelles ähnliches Konzept ist die sogenannte Prozess-Theologie — ein theologischer Megatrend der vergangenen 100 Jahre. Beeinflusst unter anderem durch die Prozess-Theorie Hegels entwickelten Theologen die Idee einer gegenseitigen Beeinflussung von Gott und Mensch, bei der auch Gott Veränderung erfährt. Hegels Idee von These-Antithese-Synthese wird dabei auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch angewandt. Das Ergebnis ist die Vorstellung, dass Gott selbst einer prozesshaften Entwicklung unterworfen ist, beeinflusst durch den Menschen. In diesem modernen Konzept der Prozess-Theologie verschwimmen die Grenzen zwischen Schöpfer und Geschöpf, denn Gott wird in einem dynamischen Prozess gleichsam auch zum vom Menschen geschaffenen und geformten Wesen.
Theologe und Buchautor Roger e. Olson begründet seine Ablehnung der Prozess-Theologie unter anderem mit ihrer modalistischen Schlagseite:
“Versuche der Prozess-Theologen, die Trinität in ihre Theologie zu integrieren, sind schwach und in aller Regel modalistisch.” (Patheos, eigene Übersetzung)
Das Konzept eines Gottes ‘im Prozess’ kann der urmenschlichen Versuchung wohl nur schwerlich widerstehen, sich Gott nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Warum sollte er zum Beispiel seine in der Bibel festgehaltenen moralischen Vorstellungen nicht anpassen, wenn wir ihn entsprechend bewegen? Die Kehrseite dieses formbaren Gottes ist, dass auf ihn nicht mehr wirklich Verlass ist. Was er heute sagt, gilt vielleicht morgen schon nicht mehr. Sabellius mag seit 1900 Jahren tot sein, seine Ideen jedoch leben immer wieder neu auf.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
4. Böser Gott, guter Gott
Ganz ähnlich hartnäckig wie die Idee des vom Menschen formbaren Gottes hält sich die Idee vom ‘bösen’ alttestamentlichen Gott und vom ‘guten’ neutestamentlichen Gott.
Zur Zeit der Kirchenväter fand diese Vorstellung in der Gnostik einen Nährboden. Diese Strömung entwickelte sich im zweiten Jahrhundert nach Christus zum weltanschaulichen Hauptgegner der frühen Kirche. Während es auch hier eine fast unüberschaubare Anzahl verschiedener Lehr-Ausprägungen gab, so waren doch einige klare und einende Prinzipien vorhanden. Eines dieser Prinzipien war die Idee, dass der Gegensatz zwischen Gut und Böse seinen Ursprung in zwei Göttern hat: einem transzendenten und verborgenen guten Gott und einem niederen und bösen Schöpfergott. Aus der mit Mangel behafteten Schöpfung schlossen die Gnostiker auf einen ebenso charakterlich mangelhaften und selbstbezogenen Schöpfergott. Die Erlösung erfolgt in der Gnostik durch die Erkenntnis dieser verborgenen Realitäten des Kosmos (Wortbedeutung Gnostik: Kenntnis, Wissen). Damit ist auch angedeutet, was diese gnostische Lehre in ihren Gemeinschaften mit sich bringen würde, nämlich eine starke interne Abstufung der Gemeinschaft aufgrund des ‘Erleuchtungsgrades’ der Mitglieder. Dies alles steht eigentlich in starkem Kontrast zum christlichen Evangelium, welches von einem guten Schöpfergott, einer Erlösung ohne Bedarf an ‘Geheimwissen’ und einer gleichwertigen Gemeinschaft aller Gläubigen spricht. Trotzdem übte die Gnostik eine grosse Anziehungskraft aus. Unter den von Rufin erwähnten Irrlehrern befinden sich einige von dieser Strömung beeinflusste Figuren, unter anderem Marcion und Valentinus.
Von Marcion schreibt Rufin, dass «er leugnet, dass der Vater Christi Gott der Schöpfer sei». Die christliche Gnostik interpretierte JAHWE, den Schöpfergott des Alten Testamentes, als böse. Ergo konnte dieser nicht der Vater von Christus sein. Christus musste vom anderen, verborgenen, guten Gott abstammen.
Nun haben die heutigen, ‘modernen’ Ideen eines ‘bösen’ alttestamentlichen Gottes einen etwas anderen Hintergrund. Die heutigen Konzepte sehen im ‘bösen’ Schöpfergott eher ein falsches Gottesbild des alttestamentlichen Volkes Israel. Doch führt dies faktisch zum gleichen Ergebnis, nämlich einer Ablehnung dessen, wie sich Gott im Alten Testament den Menschen offenbarte. Mit dem ‘guten’ neutestamentlichen Gott wird gegen den ‘bösen’ alttestamentlichen ins Feld gezogen. Die Bibel wird konsequenterweise nur noch als selektiv brauchbares Dokument gesehen: was nach ‘gutem Gott’ tönt wird angenommen, was nach ‘bösem Gott’ schmeckt abgelehnt.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
5. Das vom Gesetz befreite Evangelium
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es Marcion ist, von dem als erster ein Vorschlag für den biblischen Kanon dokumentiert ist. Doch die Bibel von Marcion war ziemlich dünn. Da fehlte das Alte Testament gänzlich und auch sämtliche neutestamentlichen Schriftteile, welche Marcion in irgendeiner Form als vom jüdischen Glauben und Gesetz beeinflusst sah. Die Bibel von Marcion bestand lediglich aus einer gekürzten Version des Lukasevangeliums und zehn Briefen von Paulus.
Marcion übernimmt, wie bereits erwähnt, Ideen von der Gnosis und adaptiert diese geschickt für die christliche Gemeinde. Marcion reagiert auch auf reelle Missstände in der Kirche. So hat er die Gnaden- und Rechtfertigungslehre von Paulus möglichweise besser verstanden als manche Theologen seiner Zeit. Doch er setzt diese mit einer falschen Radikalität um, indem er die Lehren von Jesus und von Paulus von ihren jüdischen Wurzeln geradezu ‘amputiert’. Marcions Lehren sind durchaus attraktiv. Er bietet ein vom Gesetz befreites Evangelium, sozusagen ein ‘Evangelium light‘, welches über rund hundert Jahre hinweg eine ernsthafte Konkurrenz zum historischen Christentum bildet. Doch Marcions Weltanschauung ist im Kern zutiefst pessimistisch, weil sie alles Kreatürliche als böse und schlecht sieht, weil sie die Güte des Gesetzes übersieht, welches dem Menschen zum Leben verhelfen will und weil sie eine judenfeindliche Ideologie etabliert, welche das alttestamentliche Volk Gottes als Repräsentant eines niederen und bösen Gottes versteht. Marcions Adaption des Evangeliums an den ‘Megatrend’ der Gnosis hat ein verkrüppeltes Evangelium hervorgebracht.
Aus der Bedrohung der Kirche durch Irrlehren sind immer wieder wichtige Figuren gewachsen, welche der Not begegnet sind. In diesem Fall Irenäus von Lyon. Dieser entwickelt in seiner Schrift ‘Adversus haereses’ (gegen die Heräsien) eine intellektuelle Antwort auf die gnostische Bedrohung, weist nach, wie sich das Evangelium von Jesus Christus schon in den alttestamentlichen Texten entfaltet und entwickelt die Theologie eines guten Schöpfergottes, welcher den Menschen seine Liebe erweisen möchte. Der Mensch solle sich nicht vom Schöpfergott distanzieren. Im Gegenteil: der Mensch wir nur dann zu einem wahren Kunstwerk Gottes, wenn er sich von ihm formen und gestalten lässt:
«Das Erschaffen gehört nämlich zum Wesen der Güte Gottes, das Geschaffen werden aber zum Wesen der Natur des Menschen. Wenn du ihm also übergibst, was dein Anteil ist, d. h. Glauben an ihn und Gehorsam, dann wirst du seine Kunstfertigkeit erfahren und ein vollkommenes Werk Gottes sein.» Irenäus von Lyon, Heiligenlexikon
Die Vorstellung, sich ‘lästiger’ Gesetze entledigen zu können, ist auch in unseren Tagen äusserst verlockend. Entsprechend weitverbreitet sind im progressiven und liberalen Christentum die Konzepte, welche einen Keil zwischen der Botschaft von Jesus und dem Alten Testament treiben möchten. Doch die Beziehung Jesu zum Alten Testament war nicht eine der Entfremdung, sondern eine der Liebe und des tiefen Respekts. Wer Jesus als einen Mann darstellt, der auf kritischen Abstand zum Alten Testament geht, riskiert Jesus selbst zu verlieren und landet bei einem entstellten Evangelium.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
6. Das Evangelium der Gesetzlichkeit
Wo Marcion ein Evangelium begründet, welches sich seiner Wurzeln entledigt hat, machen es andere umgekehrt: sie leben ein Christentum, welches weiterhin fast gänzlich in den jüdischen Riten und Gesetzen verhaftet ist. Für diese Fehlentwicklung steht gemäss Rufin die Figur Ebion, welcher sagt «man müsse in der Weise an Christus glauben, dass die fleischliche Beschneidung, die Haltung des Sabbaths, die feierlichen Opfer und alle übrigen Gebräuche nach dem Buchstaben des Gesetzes gehalten würden.»
Wir reden hier von einer judenchristlichen Bewegung, welche die kulturüberwindende DNA des Christentums nie wirklich erfasst hat und das Christentum lediglich als jüdische Reformbewegung lebt. Teil davon war natürlich, dass sie an religiösen Riten und Gepflogenheiten wie der Beschneidung festhielten. Die Ebioniter sehen in Jesus einen Propheten und Nachkommen Davids, aber nicht den Sohn Gottes. Sie verstümmeln die Bibel auf umgekehrte Weise wie Marcion, indem sie alle Schriften ablehnen, welche das Judentum bedrohen könnten. Es ist nicht viel bekannt über die Ebioniter. Doch sollen sie Paulus und seine Lehren rundweg abgelehnt und ihre neutestamentlichen Schriften auf den Hebräerbrief und ein gekürztes Matthäusevangelium beschränkt haben.
Werkgerechtigkeit, die Vorstellung mit unserer eigenen Anstrengung einen Beitrag zu unserer Erlösung leisten zu können, ist wohl oft gerade für Menschen eine Gefahr, welche den Glauben ernsthaft leben möchten. Diesen sollten die befreienden Kernbotschaften von Paulus umso wichtiger werden:
«Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.» (Eph 2:8–9)
«Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!» (Gal 5:1)
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
7. Der progressive Synkretismus
Wo ein verzerrtes Evangelium gepredigt wird, ist die nächste Irrlehre meist nicht weit. So verhält es sich mit den Lehren von Mani, einer der faszinierendsten religiösen Figuren der ersten Jahrhunderte. Mani wächst in Seleucia-Ctesiphon auf, etwas südlich des heutigen Bagdads, am Fluss Tigris. An der Seidenstrasse gelegen, ist die Region durch viele verschiedene religiöse Einflüsse geprägt. Mani wächst hier in einer christlichen Gemeinschaft auf, welche von der vorhin beschriebenen, sehr gesetzlichen ebionitischen Tradition geprägt ist. Seine zukünftige Entwicklung muss wohl auch als Reaktion auf sein sehr konservatives Familienumfeld gedeutet werden.
Mani wendet sich von seiner Gemeinschaft ab, um das zu machen, was in unseren Tagen gerade absolut angesagt ist: sich einen eigenen religiösen Cocktail zu mixen. Als Begründer des Manichäismus entwickelt er einen synkretistischen Glauben, welcher Elemente von Christentum, Buddhismus, Gnostik und Zoroastrismus integriert. Mit seinen eigenen göttlichen Visionen und Erkenntnissen sieht er sich selbst dann als Weiterentwickler und Vollender dessen, was bereits an göttlicher Offenbarung durch Propheten wie Jesus, Buddha oder Zarathustra (dem Begründer des Zoroastrismus) den Menschen zugänglich gemacht wurde.
Die Lehren von Mani sind umfangreich und komplex. Hier stark verkürzt einige Merkmale der Lehren von Mani:
Progressive Offenbarung. Mani sieht die Bibel und die Person Jesus nur als Zwischenetappe einer spirituellen Evolution der Menschheit. Seine eigenen Visionen und Einsichten lösen die Offenbarungen der Bibel und die Person Jesus ab.
Synkretismus. Ob Jesus, Siddhartha oder Zarathustra. Er sieht diese religiösen Gründerfiguren alle als ‘vom gleichen göttlichen Funken’ beseelt. Folglich integriert er dann auch aus verschiedenen Religionen Elemente. Das ‘Christentum’ vom Mani glaubt an Reinkarnation, integriert gnostische Vorstellungen vom bösen Schöpfergott und vieles mehr.
Eine universelle Religion. Doch es geht Mani um mehr als nur eine bunte Patchwork-Religiosität. Sein Ziel ist die Etablierung einer neuen, universellen Religion, welche alle bisherigen Religionen in eine neue integrieren würde. Diese könnte dann wiederum verschiedene Formen annehmen, je nach Kontext. Entsprechend bekam der Manichäismus im Einflussbereich des Christentums ein christliches Gesicht, im Einflussbereich des Buddhismus ein buddhistisches usw. (vgl. Britannica)
Stufen der Erleuchtung. Wie bei gnostisch inspirierten Kulten üblich erfolgt die Erlösung nicht durch die Annahme von Vergebung und Gnade, sondern durch das Aneignen von Wissen und Erkenntnis. Folgerichtig strukturiert sie die Manichäische Gemeinschaft in die Kasten der ‘erleuchteten’ Auserwählten und der ‘niederen’ Hörer. Das asketische Leben der ‘Erleuchteten’ wird durch die ‘Hörer’ ermöglicht, welche für die Erleuchteten die niederen Tätigkeiten erledigen und ihr Leben finanzieren. Dadurch bekommen die niederen Hörer selber ‘Anteil’ an der Erleuchtung.
Verachtung von Materie. Die Verachtung der geschaffenen Materie zeigt sich deutlich in der Lehre Manis von Geburt und Auferstehung Jesu. Eine leibliche Auferstehung findet nicht statt, denn das ganze Ziel der manichäischen Erlösung ist die Befreiung der Seele (Licht) aus dem irdischen Gefängnis (Finsternis). Eine natürliche Geburt von Jesus kann nicht stattgefunden haben, weil dies ein zu stark natürlicher Vorgang ist. Auch die Einstellung zur Ehe war grundsätzlich negativ, weil menschliche Vermehrung nur weitere Seelen in die Gefangenschaft ‘irdischer’ Körper bringt. Unverbindlicher Geschlechtsverkehr mit einer Konkubine unter Vermeidung von Schwangerschaft war jedoch in Ordnung. Kinder auf die Welt zu bringen war die grössere Sünde, als dem eigenen niederen Körper etwas Lustbefriedigung zu gönnen. Die körperliche Freizügigkeit des Manichäismus hatte einen körper- und schöpfungsfeindlichen Hintergrund und degradierte die Frau zum reinen Lustobjekt des Mannes.
Der Manichäismus kann vermutlich als erste globale synkretistische Religion bezeichnet werden. Sie breitete sich ab dem vierten Jahrhundert mit grosser Geschwindigkeit entlang der Seidenstrasse von Nordafrika bis nach Ostasien aus. Im Einflussbereich des Christentums operierte der Manichäismus mit christlichem Vokabular und etablierte sich bewusst auch innerhalb der bestehenden christlichen Gemeinschaften. Dementsprechend schwer war es, diesen Kult als das auszumachen, was er letztendlich war: eine fremde Religion im Gewand des Christentums. Die Katholische Enzyklopädie beschreibt die Bemühungen der Manichäer, in den Jahren 384–388 innerhalb der christlichen Gemeinde in Rom Fuss zu fassen:
«In Rom scheinen sie grösste Anstrengungen getroffen zu haben, ihre wahre Identität zu verbergen durch beinahe gänzliche Anpassung an die christlichen Bräuche.» Kath. Enzyplopedie, eigene Übersetzung
Wer sich mit dem Manichäismus auseinandersetzt, wird unweigerlich Parallelen zu heutigen Strömungen innerhalb der Christenheit finden. So finden sich Parallelen zum heutigen progressiven Christentum. Ein Vergleich mit den Konzepten des vielleicht einflussreichsten Meinungsmachers im progressiven Christentum unserer Tage, Richard Rohr, zeigt eine Verwandtschaft. So vertreten sowohl Mani als auch Rohr das Konzept eines ‘Universalen Christus’, der sich in Propheten verschiedener Religionen manifestiert hat und in Lebewesen, Pflanzen und gar totem Gestein gegenwärtig ist. Der niederländische Philosoph Roland de Wiet, ein ausgewiesener Kenner des Manichäismus, sieht den Manichäismus aufgrund seiner synkretistischen Integration verschiedener Religionen als eine ‘Quelle für die Zukunft des Christentums’.
Wir finden aber nicht nur Parallelen ins progressive Feld des Christentums, sondern auch in gewisse extreme charismatische Strömungen oder Sekten wie dem Mormonismus. Die Parallele hier: dass Offenbarungen durch neue ‘Apostel’ höhergewichtet werden als die bestehende Offenbarung in der Bibel. Wenn der Geist einem ‘Erleuchteten’ ein neues Wort gibt und dieses nicht in Übereinstimmung mit der bestehenden biblischen Offenbarung von Gott steht, dann sollte der im historischen Glauben verankerte Gläubige sehr vorsichtig sein.
Den wohl grössten Einfluss in der Entlarvung des Manichäismus als falsches Christentum hat der Kirchenvater Augustin gehabt. Dieser ist selbst einige Jahre lang als ‘Hörer’ in einer manichäischen Gemeinschaft dabei gewesen. Die Teilnahme am Kult mag zusätzliche Attraktivität gehabt haben, weil er sich dabei eine Konkubine leisten konnte, während er ‘seinen Geist weitete und perfektionierte’. Doch Augustin sieht zunehmend hinter die Fassade dieser Religion, bekommt von den ‘Erleuchteten’ keine zufriedenstellenden Antworten auf seine Fragen und wird nach seiner Zuwendung zum historischen Christentum 387 zum wichtigsten Kritiker der Manichäer. In zahlreichen Schriften deckt er die Inkonsistenzen der Lehre auf. Zum Beispiel dekonstruiert er die Sexualethik der Manichäer 388 in seiner Schrift «Über die Moral der Manichäer»:
«In der Ehe, wie das Ehegesetz sagt, kommen Mann und Frau zusammen zur Zeugung von Kindern. Wer immer die Zeugung von Kindern zur grösseren Sünde macht als den Geschlechtsverkehr, verbietet damit die Ehe und macht aus der Frau nicht eine Ehefrau, sondern eine Konkubine, welche für einige Geschenke mit dem Mann zusammengebracht wird, zur Befriedigung seiner Leidenschaften.» Über die Moral der Manichäer, eigene Übersetzung
Der Einfluss des Manichäismus in Europa wird in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends wieder schwinden. Doch in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends meldet er sich zurück: Bewegungen des Mittelalters wie die Bogomilen (Balkan/Osteuropa) und Kartharer (Südfrankreich) lassen die Konzepte von Mani wieder neu aufleben.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
8. Jesus – Gott oder Mensch?
«Ihr aber, für wen haltet ihr mich?», fragt Jesus von Nazareth eines Tages seine Jünger. Petrus antwortet: «Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.» (Mt 16:15–16).
Die Frage nach der Person Jesu, nach seiner Herkunft, seinem Wesen, seinem Verhältnis zu Gott selbst, hat nicht erst die Autoren der grossen Konzile des vierten und fünften Jahrhunderts umgetrieben. Sie stellte sich schon den Zeitgenossen von Jesus. Für die ersten Christen war bald einmal klar: in Jesus waren sie Gott selbst begegnet. Doch es gab viele Fragen zu klären.
Paul von Samosata und der von ihm inspirierte Photin meinten, Jesus sei seiner Natur nach ein ganz gewöhnlicher Mensch gewesen, der erst im Rahmen seiner Taufe von Gott zu seinem Sohn erhöht wurde (vgl. Adoptionaismus, dynamischer Monarchismus). Andere wiederum meinten, die Auferstehung Jesu sei der Moment der Erhöhung Jesu zur Göttlichkeit. Die gemeinsame Aussage: Gott wurde in Jesus nicht als Mensch geboren, sondern der Mensch Jesus wurde zu Gott gemacht. Rufin schreibt über Paul von Samosata und Photin als von denen, «die da behaupten, Christus sei nicht geboren von Ewigkeit aus dem Vater, sondern er habe aus Maria seinen Anfang genommen: und er sei nicht Gott, der als Mensch geboren worden, sondern aus einem Menschen sei er Gott geworden.»
In eine ähnliche Richtung gingen die Lehren von Arius und Eunomius. Diese meinen gemäss Rufin, «der Sohn Gottes habe einen Anfang und sei geringer als der Vater». Für Arius war Jesus weder ganz Gott, noch ganz Mensch, sondern ein ‘tertium quid’ — so etwas wie ein Hybrid zwischen Gott und Mensch.
Rufin spricht auch von Menschen die behaupten, «der Sohn Gottes sehe oder erkenne den Vater nicht so, wie er selbst vom Vater erkannt oder gesehen wird»
Man mag diese Diskussionen rund um Stellung und Ursprung von Jesus als spritzfindig erachten. Doch die Folgen sind potenziell sehr weitreichend. Ist den Aussagen eines Jesus zu vertrauen, der erst irgendwann im Laufe seines Lebens göttliche Identität bekommt? Ist den Aussagen eines Jesus zu vertrauen, der keine vollständige Erkenntnis des Vaters hat? So wird Jesus schnell zum rein menschlichen Vorbild ohne göttliche Autorität – ein ‘Kind seiner Zeit’ mit begrenzten Einsichten. Ein Beispiel, wie heute in gewissen Theologenkreisen ein rein menschliches Bild von Jesus gezeichnet wird, finden wir beim Theologen Stephan Jütte von der Reformierten Kirche Zürich in einem Podcast. Auch Jesus sei vom Weltbild seiner Zeit, ihrer Kosmologie und Theologie geprägt gewesen. Deshalb könnten die Aussagen von Jesus — angesprochen sind dessen Aussagen über Hölle und Gericht — nicht automatisch für unsere Zeit für richtig erklärt werden. Der Mensch habe seither dazugelernt. (ab Min 15:40).
Aber auch anders herum: hat ein Jesus, der nie ganz Mensch war, wirklich gelitten am Kreuz? Verspürte er die Schmerzen die ein Mensch spürt? War sein Erlösungswerk echt oder eher nur ein Schauspiel, eine Inszenierung Gottes für den Menschen? Hat sich das Leiden Jesu — wie es Rufin als die Sicht der Manichäer präsentiert — nur in ‘Scheinbildern’ zugetragen? Dann hat konsequenterweise der Tod und die Auferstehung des Menschen Jesus gar nie wirklich stattgefunden. Dann schwindet auch die Hoffnung des Christen bezüglich seiner eigenen Auferstehung.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
9. Eins, Zwei oder Drei
Die Frage nach der Identität von Jesus führt uns schon mitten in die Thematik der Dreieinigkeit. Auch wenn wir den Begriff ‘Dreieinigkeit’ vergebens in der Bibel suchen, lässt sich die christliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes mit den biblischen Schriften doch sehr schlüssig belegen. Diese Lehre unglaublich zentral, denn sie gibt letztendlich die christliche Antwort auf die Frage, wer Gott ist. Deshalb, so Fred Sanders von der Biola University in einem Artikel, hätten Häresien sehr oft in einer fehlerhaften Trinitätslehre ihren Ursprung:
«Ich denke der Grund, dass so viele Häresien, die irgendwo im christlichen Denken auftauchen, auf Probleme mit der Doktrin der Trinität zurückgeführt werden können, ist der, dass die Doktrin der Trinität die christliche Antwort auf die Frage ist: ‘Wer ist Gott? ’» Fred Sanders, eigene Übersetzung
Vor allem im dritten und vierten Jahrhundert nahm die christliche Trinitätslehre unter intensiven Diskussionen und in mehreren gesamtkirchlichen Konzilen Gestalt an – und dies vor dem Hintergrund verschiedener Irrlehren. Als einfaches Beispiel einer solchen Irrlehre kann der bereits besprochene Modalismus aufgeführt werden, welcher Vater, Sohn und Geist als einander zeitlich folgende Manifestationen des einen Gottes sah. Diese zeitliche Abfolge verunmöglicht Gemeinschaft innerhalb der Dreieinigkeit, ein Merkmal, welches ganz wesentlich zum christlichen Gottesbild gehört.
Rufin erwähnt in seinen Ausführungen eine weitere solche Verirrung, nämlich die Entkoppelung des Wirkens des Heiligen Geistes vom Wirken des Vaters und des Sohnes: «Eine Sekte der Gottlosigkeit bilden auch Diejenigen, welche zwar zugeben, dass der Sohn Gottes von der Substanz des Vaters sei, den heiligen Geist davon aber trennen und ausschließen: da doch der Heiland im Evangelium uns eine und dieselbe Kraft und Gottheit der Dreieinigkeit zeigt, wenn er sagt: “Taufet alle Völker im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.” Gottlos ist es offenbar, wenn ein Mensch Dasjenige auseinanderreißt, was göttlich verbunden ist.»
Auch hier spricht Rufin einen Trend an, den es auch heute gibt, nämlich die Vorstellung des Heiligen Geistes als einer Art autonomer ‘Energie’. Unter Energie verstehen wir etwas, was beeinflusst und gelenkt werden kann. Energie kann der schlaue Mensch unter seine Verfügung bringen und zu seinen Zielen verwerten. Die Welt der Esoterik ist voll von Menschen, welche im Rahmen von weisser Magie versuchen, ‘positive Energie’ anzuziehen und kanalisieren. Doch der Heilige Geist wirkt als Teil der Dreieinigkeit und in Verbindung mit Vater und Sohn – nicht als autonome Kraft oder Energie.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
10. Leiblich Auferstanden?
Über Rufins Apologetik der leiblichen Auferstehung habe ich im Artikel zum Apostolikum schon ausführlich geschrieben. Rufin verurteilt Lehren, welche besagen, «die Auferstehung des Fleisches werde sich nicht in der unversehrten Substanz seiner Natur vollziehen» und verurteilt Valentinus, denn dieser «leugnet die Auferstehung des Fleisches überhaupt».
Die Leugnung einer leiblichen Auferstehung stand zu Zeiten Rufins oft im Zusammenhang mit der in der Gnostik verbreiteten Verachtung des Natürlichen. Die Folgen dieser Verachtung des Natürlichen pendelten in der gelebten Praxis zwischen strengster Askese (Lustnegierung) und Hedonismus (Lustmaximierung). Gemäss Eusebius soll der bekannte Theologe Origenes sich selbst entmannt haben in seinem Streben, ein reines Leben ohne menschliche Gelüste zu führen. Weitere Asketen sollen seinem Beispiel gefolgt sein. Andere wiederum leiteten aus ihrer Geringschätzung des Natürlichen die Berechtigung ab, ihren Trieben mehr oder weniger zügellos nachzugehen. Diese sahen irdische Leidenschaften wie Geschlechtsverkehr als in keinem Zusammenhang mit ihrem geistlichen Leben.
Hier zeigt sich der Kontrast zum christlichen Menschenbild. Dieses sieht den Menschen als im Bilde Gottes geschaffen und deshalb auch in seiner leiblichen Geschöpflichkeit als wertvoll. Dieses betont den Menschen als physisch-seelische Einheit. Der Körper ist dem christlichen Menschenbild nach also gut und wertvoll. Auch deshalb ist die leibliche Auferstehung wichtig. Wer diese negiert, sagt implizit: der Körper ist unwichtig – der eigene, aber auch der des Nächsten. Wer im Gegensatz dazu die leibliche Auferstehung bejaht, sagt ja zu einer ganzheitlichen Erlösung des Menschen. Der findet in dieser Gewissheit auch die Motivation, den eigenen Körper und den Körper des Nächsten wertvoll zu schätzen.
Wie wichtig die ganze Thematik der Leiblichkeit ist, zeigt sich auch in aktuellen Diskussionen. Im Rahmen der Debatte rund um Ehe für Alle in den Evangelischen Kirchen der Schweiz stellte der Rat des SEK dar, dass Fragen rund um Sexualität und Ehe nichts mir dem christlichen Bekenntnis zu tun haben:
Im Zentrum der Kirche steht das Bekenntnis zu Jesus Christus. Die Frage des Eheverständnisses hat nach Ansicht des Rats keinen Bekenntnischarakter. (Communiqué vom Rat des SEK)
Diese Aussage haben wir bereits in einem ausführlichen Artikel in Frage gestellt — zurecht, finde ich. Denn auch das Apostolische Bekenntnis bindet mit seiner Bekräftigung der leiblichen Auferstehung den Körper mit ein ins christliche Bekenntnis. Nicht nur Jesus ist leiblich auferstanden, sondern der Täufling bekennt, dass sein eigener Leib auferstehen wird. Im Bekenntnis von Aquileia finden wir dies zugespitz, wenn der Täufling sagt: “Ich glaube an die Auferstehung DIESES Fleisches”. Deshalb ist auch der Umgang mit unserem Körper Teil unseres Bekenntnisses als Christen. Der Leib soll gemäss Rufin folgendes sein: “frei bewahrt von der Sünde”, “ein Gefäß der Ehre” und “wohlbereitet dem Herrn zu jeglichem guten Werke”. Der Christ bekennt nicht nur mit dem Mund, er bekennt auch mit dem Leib. Zu viele Menschen preisen heute Christus mit ihren Lippen, während sie ihn im Umgang mit ihrem Körper verleugnen.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
11. Ein Gott der zweiten Chance?
Wie gehen Christen mit Versagen und Fehlern um? Auch diese Frage gab zu Zeiten Rufins Anlass zu hitzigen Diskussionen.
Die Christen der ersten Jahrhunderte standen beispielsweise vor der Frage, wie sie mit Menschen umgehen sollten, welche im Rahmen von Christenverfolgungen ihren Glauben verleugnet oder Schriften und Gegenstände der christlichen Gemeinde den Behörden übergeben hatten. Was sollte mit diesen Verrätern am Glauben geschehen? Sollte ihnen eine Rückkehr in die christliche Gemeinschaft .ermöglicht werden? Die Frage stellte sich insbesondere nach der Mailänder Vereinbarung von 313 (‘Toleranzedikt’), welche den Christen nach vielen Jahren der Benachteiligung und Verfolgung die freie Glaubensausübung zugestand. Nun konnte man Christ sein ohne Verfolgungsgefahr. Die Kirche machte den Weg frei für eine Rückkehr der ‘Verräter’ vergangener Jahre. Doch Donatus wehrt sich gegen diese Politik und möchte weiterhin eine ‘bekennende’ Kirche der konsequenten Nachfolge. Die Donatisten waren eine Protestbewegung gegen eine Verflachung der Kirche.
Rufin spricht davon, dass Donatus «die Tradition der Kirche fälschlich deutete». Was Rufin damit gemeint hat entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht war er der Ansicht, dass Donatus die Politik der Kirche willentlich verzerrt darstellte? Ich für mich kann den Donatisten und ihrem Anliegen vieles abgewinnen. Doch auch wenn ich entschiedene Nachfolge als sehr erstrebenswert sehe — sie kann in einen Elitarismus mit ausschliessender Wirkung münden. Gott ist ein Gott der ersten und der zweiten Chancen. Wer zu ihm kommt, den stösst er nicht hinaus (Mt 11:28–30, Joh 6:35–37). Er hat Gnade bereit für den Versager, der ernsthaft bereut. Das beste Beispiel dafür: Petrus der Jesus vor seinem Tod dreimal verleugnet hat!
Zur gleichen Thematik gehören Rufins Vorwürfe gegenüber Novatus, der «den Gefallenen die Busse verweigerte und die zweite Ehe in Fällen, wo ein Bedürfnis gerade ihre Eingehung verlangte». Auch Novatus verwirft die Rückkehr von rückfälligen Christen in die Gemeinschaft der Kirche und dehnt diese Praxis auf alle aus, die eine ‘Todsünde’ begangen haben. Wie auch die Donatisten, waren die Novatianer in ihren theologischen Positionen orthodox, standen aber für eine rigide Gemeindezucht. Dies brachte sie in den Konflikt mit einer Kirche, welche gerade im vierten Jahrhundert immer mehr den Charakter einer Volkskirche bekommt. Die zunehmend laxe Handhabung von Gemeindezucht auf der einen Seite, führte auf der anderen Seite möglicherweise zu einer Überreaktion mit übertriebener Härte in Fragen der Moral und mit religiösem Perfektionismus. Doch unsere Perfektion liegt in Christus, nicht in perfekten Werken.
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
12. Zur Hölle mit dem Teufel
«To Hell with the Devil», singt eine meiner Lieblings-Musikgruppen in ihrem grössten Hit. Damit äussern sie sich ganz im Sinne der christlichen Tradition bezüglich der Zukunft des grossen Widersachers Gottes. Auch bezüglich des Menschen ist die historische Lehre der Kirche eindeutig: es ist dem Menschen bestimmt, «einmal zu sterben, danach aber das Gericht» (Heb 9,27).
Doch die Idee einer universellen Rettung aller Kreatur ist attraktiv. Bereits Origenes war der Idee des Universalismus nicht abgeneigt und machte sich zumindest auf einer intellektuellen Ebene Gedanken darüber. Heute ist der Universalismus in progressiven und liberalen Kreisen der Christenheit eine fast unangefochtene Arbeitsgrundlage – mit weitreichenden Konsequenzen für deren Religions- und Missionsverständnis. Doch die Idee des Universalismus steht im Widerspruch zum freien Willen des Menschen und zur christlichen Überzeugung, dass Gott Liebe nicht erzwingt.
Dass selbst der Teufel noch erlöst wird, das müsste in letzter Konsequenz die Haltung einer Person sein, welche sich dem Universalismus zuwendet. Und scheinbar war diese Haltung bereits zu Rufin’s Zeit eine zumindest diskutierte Idee. Deshalb äussert sich Rufin klar und deutlich gegen jene, die sagen, «es gebe kein gerechtes Gericht Gottes gegen Alle; der Teufel werde von der verschuldeten Verdammung erlöst”. Damit bringt er auf den Punkt, dass beim Universalismus letztendlich auch die Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben muss.
Während es in der Bibel durchaus Texte gibt, welche in einem universalistischen Sinn gedeutet werden könnten, führt eine Fallstudie zum gefallenen Engel zu eindeutigen Ergebnissen: Es gibt in der ganzen Schrift keinen einzigen Hinweis darauf, dass Satan oder irgendwelche gefallene Engel je gerettet würden. Im Gegenteil: die Schlange erscheint ein erstes Mal am Anfang der Bibel in der Versuchungs-Geschichte und erscheint in der gleichen Rolle gegen den Schluss des letzten Buches der Bibel – der Offenbarung. Auch ganz am Ende noch provoziert die Schlange die Menschheit zur Sünde und wird schlussendlich in einen feurigen See geworfen (Off. 20:10).
In einem Interview zu seinem Magnum Opus ‘The Devil’s Redemption: A New History and Interpretation of Christian Universalism’ gibt Michael McClymond folgendes Fazit bezüglich der historischen Lehre der Kirche zum Universalismus:
«In seinen geschriebenen Gebeten hat die historische Kirche für viele verlorene und verlassene Sünder gebetet: Mörder, Vergewaltiger, Entführer usw. Doch niemand wird in irgendeiner Ära oder Liturgie ein Gebet zur Errettung Satans finden. Das ist ein kleiner, aber überzeugender Hinweis darauf, um die gesamtkirchliche Überzeugung über die Jahrhunderte hinweg aufzuzeigen, dass gewisse von Gott geschaffene intelligente Wesen am Ende verloren sein werden.» Michael McClymond, Eigene Übersetzung
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
13. Persönliche Bilanz
Wer sich durch alle die Ideen und Gedanken durchgeackert hat, welche Rufin in seinem Kommentar zum Apostolikum verurteilt, der mag kurz etwas erschlagen sein. Trotzdem haben wir mit diesen Erläuterungen nur die Oberfläche angekratzt. Hinter jeder Irrlehre steht meist ein Lehrer mit seiner persönlichen Biografie. Hinter jeder Irrlehre steht meist auch eine Bewegung von Menschen. Manche falschen Lehren entstanden unter dem Einfluss von anderen Religionen und Philosophien. Gewisse Bewegungen entstanden auf dem Nährboden von kirchlichen Missständen.
Verschiedene der Lehren und Bewegungen, welche Rufin in seinem Kommentar verwirft, waren zeitweise derart einflussreich, dass sie zu einer ernsthaften Konkurrenz für den historischen Glauben der Christen wurden. Die Gründerfiguren dieser Bewegungen müssen charismatische Persönlichkeiten und intelligente Denker gewesen sein. Anders gesagt: Intelligenz, Bildung und Charisma schützen nicht vor Irrtum. Schon Augustin hatte gemahnt:
«Glaubt nicht, Brüder, dass Häresien durch irgendwelche kleinen Seelen entstehen konnten. Nur grosse Menschen haben Häresien gemacht» Augustin, Enerrationes in Psalmos 124
Doch Irrlehren waren immer auch im positiven Sinne ein Katalysator für Klärungsprozesse in der Kirche. Denn konfrontiert mit falschen Lehren mussten die Leiter der Kirche noch tiefer in den biblischen Schriften forschen, um Gottes Wahrheit zu verstehen und diese zu beschreiben. Auf diese Weise entstand die christliche Lehre von der Trinität. Auf diese Weise formte sich auch das Apostolische Glaubensbekenntnis zu seiner endgültigen Fassung.
Entscheidend waren immer wieder einzelne Personen, welche den Mut hatten, sich der Irrlehre durch ihr biblisch gegründetes Schreiben und Lehren entgegenzustellen. In Zeiten der Verwirrung und der fehlgeleiteten Ideen erstrahlt die Wahrheit und Schönheit des Evangeliums umso mehr. Doch es braucht dafür Menschen die bereit sind, mit dem Licht der göttlichen Wahrheit in die aktuellen menschlichen Ideen und Konzepte hineinzuleuchten. Wir sollten uns nicht dazu hinreissen lassen, mit den Instrumenten der Macht falschen Lehren entgegenzuwirken. Vielmehr müssen wir diesen mit einer ‘better Story’ entgegenwirken — einer ‘besseren Geschichte’, welche wir lehren UND leben.
Wenn es um das Entdecken von guter und gesunder Lehre geht, so geht es oft um das Entdecken einer ‘dritten Option’ zwischen zwei Irrtümern. An einigen Beispielen möchte ich das kurz darstellen.
Das Fazit zur gesamten Serie über Aquileia könnte folgendermassen lauten: Gott hat sein Reich im Umbruch der Zeiten gebaut (Aquileia). Er hat sein Reich durch unvollkommene Botschafter gebaut (Rufin). Er hat sein Reich durch das Bekenntnis seiner Gemeinde gebaut (Apostolisches Bekenntnis). Nicht zuletzt hat er sein Reich trotz menschlichen Irrlehren gebaut.
Diese Erkenntnis, welche wir aus der vierteiligen Serie ziehen können, bedeutet, dass auch wir heute Zuversicht haben können. Gott wird auch in den Umbrüchen unserer Zeit sein Reich weiter bauen. Er will dies durch unvollkommene Botschafter wie dich und mich tun. Er tut dies durch seine Gemeinde, welche auf dem Fundament der Apostel steht. Auch Verirrungen und Lügen müssen sich letztlich in Gottes Dienst stellen, der seine Gemeinde durch seinen Geist in alle Wahrheit leitet (Joh 16:13).
Darstellung im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
Schlussbemerkungen
Ich bin nicht Historiker, sondern schreibe lediglich als historisch interessierter Laie. Jahreszahlen sind mit der nötigen Vorsicht zu geniessen. Biografische und geschichtliche Ereignisse werden in der Literatur zum Teil abweichend voneinander dargestellt. Hier noch einige Recourcen welche mir geholfen haben:
- Die deutsche Übersetzung des Kommentars von Rufin, wie er von der Universität Fribourg zur Verfügung gestellt wird. Diese beinhaltet auch eine ausführliche einleitende Biografie von Rufin.
- Christentum in der Antike, der erste Kirchengeschichtsband meines verstorbenen Lehrers Peter H. Uhlmann
- 2000 Jahre Kirchengeschichte, Band 1, von Armin Sierszyn
- Early Christian Creeds, J.N.D. Kelly
- History of Heresies, Michael Bird
- A History of the Christian Church, Williston Walker
Kids hinter Gittern — im Glockenturm von Aquileia. Bild: Peter Bruderer
Hoi Dave
Danke für deine Rückmeldung. Das sind jetzt relativ viele Punkte….
Ich versuche kurz auf einige einzugehen.
- Habe ich die biblischen und Kirchengeschichtlichen Autoren richtig verstanden?
Diese Frage habe ich mir auch gestellt. Kirchengeschichte ist immer ein Stückweit Interpretationssache. Weil ich aber der Sache (in diesem Fall der Stadt Aquileia und der Person Rufin) möglichst auf den Grund gehen wollte, um ein möglichst stimmiges und gründliches Gesamtbild zu haben, sind die Artikel halt lange geworden. Dass da nicht alle mitgehen können bin ich mir bewusst. Es kommen dann auch wieder viel kürzere Artikel und im Juli dann eine Sommerpause 😊. Es ist mir hier aber auch um meinen eigenen Lernprozess gegangen. Manchmal geht man gezielt einer Sache nach. Manchmal geht man einfach auf eine Reise in der Hoffnung auf spannende Entdeckungen. So war es in diesem Fall bei mir.
- Gäbe es für all die vielen Stunden an Analyse und Formulierung nicht in anderer Form gewinnbringendere Möglichkeiten?
Du selbst bist auch seit Jahren konstant in aufwendigen und vermutlich kostspieligen Weiterbildungen. Ich finde: macht das nur, wenn du das als deinen Weg siehst. Was mich betrifft: Ich habe in den vergangenen zwei Monaten deutlich mehr Zeit gehabt, weil mein Festival ins Wasser gefallen ist. Während meine eigenen Nachforschungen eine aufwendige Freizeitbeschäftigung sind gibt es bei meinem Bruder grossen Synergienutzen in seine Tätigkeit als Pastor einer grösseren Gemeinde.
-Wir leben in der Post-Corona Zeit:
Die Fragen die du stellst, stelle ich mir auch. In meinem erweiterten Bekanntenkreis hat jemand die Corona-Bedingte Kündigung nicht verkraftet. Im Vermietungsgeschäft sind wir mit Geschäftsaufgaben und mehr konfrontiert. Wie sich der Lockdown nun auf die Besucherentwicklung der Gemeinden auswirken wird bin ich selbst sehr gespannt. Ich bin aber selber an etwas anderen Baustellen dran als der klassische ‘Pfarrer’. Was ich weiss ist, dass mein Bruder während dem Lockdown eine sehr hohe Resonanz auf den Livestream seiner Gemeinde hatte (bis zu 1000 Besucher pro Livestreams). Jetzt ist wieder alles im Fluss und es gilt, sich einer veränderten Zukunft zu stellen. Wenn du konkrete Ideen hast — nur zu.
- Verteidigung von Dogmen:
Ja ich bin bereit gewisse Dogmen zu verteidigen, wo ich diese als zentral empfinde. Dies weil ich immer mehr entdecke, wie sie nicht grundlos entstanden sind und letztendlich, wenn wir beginnen sie zu erfassen und zu begreifen, eben in die von dir beschriebene Hoffnung münden. In dieser Hinsicht war für mich gerade das Studium des Apostolischen Bekenntnisses sehr hilfreich. Ich habe da unglaublich viel gelernt und sehe, wie eng die Bekenntnissätze der ersten Christen zusammenspielen mit der von ihnen gelebten DNA (über die wir eine längere Serie geschrieben haben). Hier nehme ich wahr, dass gerade die modernen Dekonstruktionen von Glaubenssätzen eben nicht wirklich in Hoffnung und Halt münden. Ich war auch erstaunt, was für eine grundnegative Reaktion gewisse Leute auf diese 12 ganz einfachen und grundlegenden Sätze des christlichen Bekenntnisses haben. Das wäre jetzt interessant zu hören, was sie für dich bedeuten.
Soweit mal fürs erste… muss ein Kind im Fussball Training abholen gehen…
LG
Peti
Lieber Peti,
mit Staunen scrolle ich mich durch deine und Pauls Beiträge. Da steckt eine enorme Recherchen- und Quellenarbeit dahinter und damit viele Stunden an Arbeit. Chapeau! Gleichzeitig bin ich bestürzt, vielleicht fassungslos. Traurig.
Ich werde das Gefühl nicht los, das ihr euch in eine Richtung verrannt habt, aus der man nur schwer wieder rauskommt. Alle Beiträge, die ich lese, sind in Abgrenzung formuliert (ausgenommen Gastbeiträge, die meist ein hoffnungsvolles Bild von Kirche zu zeichnen vermögen). Aus Einzelaussagen werden Kausalzusammenhänge konstruiert, die lediglich subjektiver Interpretation unterliegen (Bsp. Aquileia 3/4, Zitat Jütte und die Schlussfolgerung, dass für Jütte das Apostolikum «belanglos» ist).
Weshalb stellt ihr wiederholt Kausalzusammenhänge dar, die so der Intention der jeweiligen Person nicht gerecht werden und zu falschen Schlussfolgerungen führen? Was mich zur Folgefrage führt, weshalb ihr davon ausgeht, die biblischen und kirchengeschichtlichen Autoren in ihrer Intention richtig verstanden zu haben (im Gegensatz zu sehr vielen anderen Denkerinnen und Denkern, leidenschaftlichen NachfolgerInnen von Jesus Christus), wenn es ganz offensichtlich auch ohne den «garstigen Graben der Geschichte» kaum möglich ist, ohne subjektives Werturteil aufgrund Prägung und Vorannahmen das Gegenüber so wiederzugeben, dass es sich verstanden fühlt?
Ein anderes Beispiel ist die Kritik an Richard Rohr, insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema «Universaler Christus». Ich weiss nicht, wie viel du selbst von Rohr wirklich gelesen hast. Ich weiss auch nicht ob dir bewusst ist, dass die englische Originalausgabe den Titel trug: «Another Name for Everything: Why Christ is more than Jesus’ last Name». Ich habe das Buch gelesen und Rohr verwendet nicht einmal den Ausdruck «Universaler Christus». Seine Darlegungen sind absolut nicht vergleichbar mit z.B. Teilhard de Chardin und seinem Omega-Punkt. Rohr argumentiert biblisch-theologisch, sehr viel stärker sogar als im vorangehenden Buch «Der göttliche Tanz». Der englische Verlag hat dann entschieden, dass «Universal Christ» im Titel kontroverser ist und das Buch damit mehr Aufmerksamkeit generiert, was anscheinend gelungen ist.
Ganz ehrlich: Je länger je mehr frage ich mich, wo eigentlich das Problem liegt, das ihr ausmacht. Wovor wollt ihr wen beschützen? Abgesehen davon: Wer liest und versteht solche umfassenden Beiträge und kann daraus für sich bestimmte Handlungen und Denkweisen ableiten? Vor allem: Wie kann er /sie das, ohne selber — und vermutlich sehr viel weniger differenziert als Paul und du – einer Abgrenzungsmentalität zu verfallen?
Ich weiss, dass sowohl du wie auch Paul von einer gesellschaftsrelevanten Kirche träumen. Von einem Evangelium, das einen Impact hat. Und ich frage mich weiter: gäbe es für all die vielen Stunden an Analyse und Formulierung nicht in anderer Form gewinnbringendere Möglichkeiten für euer Anliegen?
Wie könntet ihr eure analytischen und theologischen Fähigkeiten so einsetzen, dass durch Beobachtung des gesellschaftlichen Kontexts Möglichkeiten für eine gesellschaftsrelevante Kirche mit relevantem Evangelium erfolgen könnten, anstelle einer binnenorientierten Diskussion, die dauernd Grenzen zieht? Dabei habe ich nichts gegen durchdachte Apologetik, bei der aber die Hoffnung (!) im Vordergrund steht (1Petr 3,15) und die sich von der Gemeinschaft der Gläubigen gegen aussen richtet (und zwar gem. 1Petr erst dann, wenn konkrete Anfragen kommen und nicht präventiv).
Wir leben in der Post-Corona Zeit. Unsere Gesellschaft wurde massiv durchgeschüttelt. Suizide nehmen zu. Davon ist nachweislich jeder fünfte auf Job-Verlust zurückzuführen. Wir haben es in der Schweiz gut, was Arbeitslosenzahlen betrifft und sind nach wie vor auf tiefem Level. Die Arbeitslosigkeit ist «nur» um 1% angestiegen durch Corona. Die Digitalisierung wird gemäss vorsichtigen Schätzungen (in den USA) bis zu 40% der Menschen mittel- und langfristig ihren Job kosten. Was bedeuten solche Zahlen für Suizidraten? Einsamkeit in der Schweizer Bevölkerung wird vom Bund bereits jetzt als «Epidemie» beschrieben, die massive soziale und wirtschaftliche Folgen mit sich bringt. Wir leben in einer VUCA-World, einer hochkomplexen Umgebung, die uns künftig alles abverlangen wird, auch einen resilienten Glauben. Was bedeutet das für unsere Frömmigkeitspraxis und Theologie?
Erste Studien zeigen bereits, dass rund 48% der Gemeindeglieder währen dem Lock-Down keinen einzigen Gottesdienst oder sonstige Veranstaltung ihrer Kirche verfolgt haben und keinen Mangel beklagen. Im Gegenteil: man hat den freien Sonntag genossen, konnte endlich etwas runterfahren am Wochenende. Also fast die Hälfte hat nichts vermisst! Weitere 23% haben sich Veranstaltungen ausgesucht, die sie angesprochen haben und das waren nicht die ihrer Heimatgemeinde. Nur gerade 17% blieben ihrer Gemeinde während des Lock-Down treu. Was läuft denn da falsch, dass offensichtlich viele froh sind, mal eine Pause von all den Angeboten, Aktivitäten und immensem freiwilligen Engagement zu haben? Man kann diese Entwicklung auf den Individualismus abschieben und vermutlich hat es auch damit zu tun. Aber nicht nur. Eine kritische Selbstbefragung der Kirche ist m.E. dringend notwendig.
Das sind Fragen, die mich bewegen und die m.E. angegangen werden müssen von fähigen LeiterInnen christlicher Kirchen. Anstatt hier und da (vielleicht zu recht?) gewisse Dogmen zu verteidigen, wäre doch spätestens jetzt die Zeit zu sagen: Wir sitzen alle im selben Boot. Schauen wir gemeinsam, dass es wieder Fahrt aufnimmt.
• Schauen wir auf die Gesellschaft: Welche Themen bewegen unser Land?
• Schauen wir auf das Evangelium: Welche Hoffnung spricht von dort in die Gesellschaft?
• Schauen wir auf die Kirche: Wie kann sie diese Hoffnung inmitten der bewegten Gesellschaft leben?
• Und: Schauen wir auf theologische Bildung. Wie kann sie Leitungspersonen dafür sinnvoll ausrüsten?
So, das war jetzt auch ein langer Kommentar und ich will ja nicht Wasser predigen und Wein trinken. 😊 Ich kann nur sagen: Please think about and stay calm, denn «wer ist es, der euch schaden könnte wenn, Paul und du dem Guten nacheifert» (1Petr 3,12)?
Hi Dave, schön von dir zu hören und danke für dein Feedback, welches nicht nur diesen Artikel betrifft, sondern allgemein unsere Artikel. Anstatt auf die Punkte einzugehen, die du ansprichst möchte ich lieber eine Frage stellen: Wo liegt deiner Meinung nach das Problem mit Abgrenzung? Was genau ist es, das dich diesbezüglich traurig macht?
Wenn du möchtest, gehe ich auch gerne auf deine anderen Punkte ein. Aber ich komme hier lieber mal mit dieser Frage. Mlg Paul
Salü Paul, ich habe versucht, im nicht gerade kurzen Kommentar in Worte zu fassen, was mich traurig macht. Die Frage erstaunt mich daher. Ich denke, wir haben auch schon persönlich darüber gesprochen. Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen, es aber nochmals in Kürze zusammenfassen:
Binnenorientierte Diskussion, ohne Relevanz gegen aussen
Personen werden nicht ihrer Intention entsprechend dargestellt (falsche Kausalzusammenhänge), dadurch:
Grenzen vertiefen und Gräben ziehen
Fähigkeiten eurerseits die m.E. sinnstiftender umgelenkt werden könnten (Kontext-Gemeinde-Text-Gemeinde-Kontext statt: Gemeinde-Text-Text-Gemeinde)
Da nun aber noch keine meiner Fragen beantwortet wurde, stelle ich diese gerne ebenfalls zusammengefasst nochmals:
Was genau ist das Problem, worauf reagiert ihr? Oder wie ein geschätzter Lehrer von mir sagte: Wer baut den Staudamm weshalb?
Exakte Kritik am aktuellen Buch von Richard Rohr?
Weshalb werden Zusammenhänge interpretiert, wo ich keine sehe (Bsp. oben, Jütte)?
Gruss, Dave.
Hoi Dave
Ich hab dir zu einigen deiner Fragen schon gestern weiter oben geantwortet.
Also noch kurz zu den weiteren von heute:
Was genau ist das Problem, worauf reagiert ihr?
— Du weisst die Antwort, weil sowohl ich als auch Paul dir diese schon im mündlichen Gespräch beantwortet haben. Also nochmals ausformuliert… Wir haben in den vergangenen Jahren festgestellt, wie im evangelikalen Umfeld Personen mit Einfluss (Jugendpastoren, Gemeindebauer, Lehrer an theologischen Ausbildungsstädten) massive und rasche Veränderungen in ihren ethischen und theologischen Positionen vollzogen haben: Weg von den historischen Positionen der Kirche hin zu revisionistischen, zum Beispiel in Fragen der Sexualität oder Schriftveständnis. Du selbst hast ja so eine Reise hinter dir, aber auch weitere Personen, welche durch ihre Leitungsfunktionen prägend die kommenden Generationen im freikirchlichen Bereich beeinflussen. Du selber prägst Menschen an einer Ausbildungsstädte, welche sich an der Glaubensbasis on Allianz und Lausanner Bewegung orientiert. Umso erstaunlicher ist es, das du so gereizt auf unser Schreiben reagierst. Eigentlich müsstest du uns den Rücken stärken, denn wir schreiben ganz in diesem Sinne! Die Beobachtung solcher Diskrepanzen lösen bei uns Fragen aus. Und deshalb haben wir angefangen zu forschen, zu schreiben und unsere Stimme zu erheben. Für mich ist das auch eine persönliche geistliche Reise. Ich bin da einige Jahre doch eher träge unterwegs gewesen. Das Forschen, Fragen und schreiben fordert mich heraus, zieht mir manchmal auch den Boden unter den Füssen weg. Aber ich muss mich dem stellen, und ich entdecke die Schönheit und innere Konsistenz des Evangeliums und des historischen Glaubens der Christen auf einer ganz neuen Ebene.
Exakte Kritik am aktuellen Buch von Richard Rohr?
— Meine Kritik richtet sich nicht spezifisch gegen das Buch von Rohr sondern ich sehe gewisse Gemeinsamkeiten zwischen seinen Lehren und denen des Manichäismus. Damit ist keineswegs gesagt, dass diese beiden Deckungsgleich sind. Da gibt es auch wesentliche Unterschiede. Aber auch klare gemeinsame Konzepte. Ich will hier einfach mal zwei erwähnen:
> Perennialismus + Synkretimus. Mani ging davon aus, dass das göttliche Licht sich in den verschiedenen Religionsgründern der Antike offenbart hatte. Ins gleiche Horn bläst Rohr, der ja ein bekennender Perennialist ist. Zum Beispiel hier: “Jesus and the Buddha had both discovered the same spiritual goal and destiny, or I would say the one Holy Spirit that is guiding all of history.” https://cac.org/jesus-and-buddha-2017–12-08/#gsc.tab=0
Die Konsequenz ist dann, dass auch die religiösen Formen vermischt und kombiniert werden. Dies widerspricht meines Erachtens der Lehre von Jesus und der Apostel und führt den Menschen weg vom Evangelium.
> Trennung von ‘Jesus’ von ‘Christus’. Bereits Irenaeus hatte davor gewarnt, ‘Christus’ von ‘Jesus’ zu trennen: “But there are some who say that Jesus was merely a receptacle of Christ…” https://www.newadvent.org/fathers/0103316.htm Dieses gnostische Konzept, wo der Mensch Jesus lediglich der Träger des Göttlichen ist, findest du auch in der Lehre von Mani. Hier wird Jesus erst bei seiner Taufe zum Träger des göttlichen Lichtes. Die Manichäer waren auch strenge Vegetarier. Sie gingen davon aus, dass das göttliche Licht gefangen ist im natürlichen ‘Finsteren’. Ergo Vegetarismus, um das Licht im Natürlichen möglichst nicht zu zerstören… Rohr auf seiner Seite widmet sein Buch ‘Universal Christ’ seinem Hund Venus: “I can appropriately say that Venus was Christ for me”. Der Christus von Rohr ist weniger eine Person al sein Prozess “The Christ Mystery is not a one-time event, but an ongoing process throughout time—as constant as the light that fills the universe”. Und Jesus ist für ihn lediglich eine historische Manifestation des Christus, und nicht wirklich Gott: «Christ is God, and Jesus ist the Christ’s historical manifestation in time». Dies degradiert Jesus zum reinen Träger des göttlichen. Zugespitzt ausgedückt ist Jesus für Rohr nicht wesentlich mehr als sein Hund Venus. Der Mensch bedarf für Rohr keiner Erlösung, sondern nur der richtigen Erkenntnis seiner innewohnenden Göttlichkeit: «I have never been separate from God, nor can I be, exept in my mind». Das ist ziemlich klassische Gnosis. Rohr präsentiert meines Erachtens einen anderen Jesus, einen anderen Menschen und eine andere Erlösung als diejenige welche ich in der Bibel vorfinde und in den altkirchlichen Bekenntnissen bezeugt finde.
Für eine eingehendere Rückmeldung müsste ich mehr Zeit aufwenden, denn Rohr ist nicht der Fokus dieses Artikels. Bis dahin lies doch mal den Text des ausgewiesenen Rohr-Kenners Dr. Johannes Hartl: https://danieloption.ch/glaube/abschied-von-einem-lehrer/
Weshalb werden Zusammenhänge interpretiert, wo ich keine sehe (Bsp. oben, Jütte)?
— Rufin spricht ja von Menschen die behaupten, «der Sohn Gottes sehe oder erkenne den Vater nicht so, wie er selbst vom Vater erkannt oder gesehen wird» oder «sei geringer als der Vater». Genau das macht Jütte wenn er sagt, der Mensch habe seit der Zeit Jesu dazugelernt, die Theologie von Jesus könne man nicht automatisch für richtig halten. Dann degradiert Jütte Jesus eben genau zu einer Person, welche den Durchblick halt doch nicht so hatte und dem die Erkenntnis halt doch da und dort fehlte. Er tut damit genau das was Rufin anprangerte: Jesus die göttliche Erkenntnis absprechen. Es tut mir leid, wenn du da keinen Zusammenhang siehst, aber ich sehe einen. Es ist mir wie dir wichtig, mein Forschen für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Deshalb schaffe ich auch Bezüge in die Gegenwart, wenn ich mich mal mit der Vergangenheit beschäftige.
Soweit für Heute. Ich hoffe das diese Antworten zur Klärung deiner Fragen beitragen. Hab mir jedenfalls mühe gegeben 🙂
Geniess den Abend und deine Familie.
Peti
Lieber Peti,
Danke für die Zeit die du dir nochmals genommen hast zur Beantwortung meiner Fragen. Ich habe auch gemerkt, was mich u.a. stört an manchen eurer Beiträge. Du schreibst, ich würde “gereizt” reagieren. Das ist eine persönliche Interpretation von dir und du hebst damit von der Sache auf die Person ab. Genau das meine ich, wenn Jütte unterstellt wird, dass für ihn ein Bekenntnis “belanglos” ist, weil er andere Ansichten dazu vertritt. Nun bin ich bei weitem nicht immer einig mit Jütte’s theologischen Positionen. Trotzdem würde ich mir nicht anmassen zu sagen, dass ihm deswegen dies oder das egal ist. Das ist eine Verschiebung der Ebene in einer Diskussion, die ich nicht gutheisse und es würde mir leid tun, wenn ich dir das Gefühl gäbe, deine Person zu kritisieren.
Die Position von Hartl zu Rohr kenne ich. Sie vermag mich nicht zu überzeugen. Die Dokumente von Lausanne kenne ich ebenfalls. Wie du sicher weisst habe ich mich für eine umfangreiche Forschungsarbeit während rund 1,5 Jahren mit den Dokumenten von Lausanne 74 bis heute intensiv aus verschiedenen Perspektiven auseinandergesetzt. Ich stelle mich voll und ganz hinter Lausanne III, Cape Town Commitment. Dazu kann ich also nicht mehr sagen. Wenn es dich interessiert, du findest meine Arbeit hier: https://bit.ly/3fqZUwy
Letztlich müssen wir uns wohl alle drei eingestehen, dass wir uns momentan weder in Anliegen noch Begründung verstehen. Ich habe aber die eschatologische Hoffnung, dass wir dereinst darüber schmunzeln werden. Über unsere eigenen Positionen, die der anderen und über alle möglichen Spekulationen. Im Sinne dieser eschatologischen Hoffung: Liebe Grüsse und Segen.
Dave.
Wir haben vor 3 Monaten darüber geschrieben, was für eine Streitkultur wir uns wünschen und weshalb wir es als besser erachten mit klaren und überprüfbaren Zitaten zu arbeiten. In der Wissenschaft gehört offenes Referenzieren von Quellen zum Einmaleins des guten Arbeitens. Das Verlinken von Quellen und das korrekte Zitieren von konkreten Aussagen ermöglichen es dem Leser, diese selbst zu überprüfen und sich ein Bild zu machen, ob eine Quelle gut dargestellt wurde. Sie geben bei Kritik dem kritisierten die Möglichkeit, zu reagieren. Natürlich muss es auch hier fair bleiben. Wir erleben leider von vielen, wie sie mit wagen und unspezifischen Aussagen diffuse Feindbilder aufbauen, welche ganze Personengruppen in Geiselhaft nehmen, ohne dass diese sich dagegen wehren könnten. Das erachte ich als wesentlich problematischer. Du hast Stefan Jütte angesprochen. Stefan teilt selber ganz ordentlich aus, ich stehe seit rund einem Jahr in gutem Kontakt mit ihm und er hat bestimmt kein Problem damit, wenn ich mich zu Aussagen von ihm äussere. Hier noch der Artikel zur Streitkultur: https://danieloption.ch/glaube/einheit/streitkultur-wahrheitsliebe/
Lausanne: Schön kannst du dich hinter Lausanne III stellen. Löst bei mir aber einiges an Fragen aus, wenn ich gewisse Publikationen von dir mit den Statements von Lausanne III vergleiche – oder von Lausanne I. Nimm zum Beispiel das Schriftverständnis… Jedenfalls sind ja solche Bekenntnisse gerade deshalb hilfreich, weil sie klärend wirken und Gespräche auch strukturieren können. Deshalb finde ich die frühkirchlichen Bekenntnisse auch so relevant. Deshalb hab ich auch mit viel Gewinn über das Apostolikum geforscht. Vielleicht finden wir ja mal Zeit, uns gemeinsam durchzuackern, zum Beispiel durch die Glaubensgrundlage der SEA. Da finde ich dann heraus, wie du es mit dem «stellvertretenden Opfer des menschgewordenen Gottessohnes als einzige und allgenügsame Grundlage der Erlösung» hast oder mit der «Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade Gottes aufgrund des Glaubens an Christus». Solche Aussagen sind eben auch abgrenzend, und nicht nur eingrenzend. Im Ernst — ein solches Gespräch könnte echt klärend sein.
Hebs guet. Vielleicht wieder mal in Diesenhofen. Hab da grad ganz viele Baustellen…
Peti