Aquileia 2/4 — Rufin der Missionar

Lesezeit: 11 Minuten
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by Peter Bruderer | 31. Mai. 2020 | 0 comments

Schon oft hat er die Schiffe andock­en und wieder able­gen sehen im Hafen von Aquileia. Im Alter von 27 Jahren ist es für ihn sel­ber soweit: Rufin von Aquileia segelt mit seinem Forscher­drang und seinem Gott ‘im Gepäck’ dem Ori­ent ent­ge­gen. Fast 30 Jahre wird er unter­wegs sein zwis­chen Ägypten und Mesopotamien. Zurück­kehren wird er als pro­fun­der Ken­ner des dama­li­gen Chris­ten­tums, als Über­set­zer bedeu­ten­der his­torisch­er und the­ol­o­gis­ch­er Schriften und als Grün­der eines Klosters in Jerusalem. Den­noch sollte er nur eine Rand­no­tiz der Kirchengeschichte wer­den. Denn Rufin war nicht nur ‘zur falschen Zeit geboren’, er macht sich auch die falsche Per­son zum Feind. 

Das vierte Jahrhun­dert neigt sich dem Ende zu. Es ist das gold­ene Zeital­ter der Kirchen­väter. Hierony­mus pro­fil­iert sich als Über­set­zer der ganzen Bibel ins Lateinis­che, eine Über­set­zung, welche unter dem Namen ‘Vul­ga­ta’ zum Norm­text der katholis­chen Kirche wer­den sollte. Ambro­sius präsen­tiert sich als gewiefter Kirchen­poli­tik­er, welch­er die Begün­s­ti­gung des Chris­ten­tums und let­z­tendliche ihre Erhe­bung zur Staat­sre­li­gion mass­ge­blich mit­prägt. Und mit Augusti­nus steigt grad der ganz grosse Stern am The­olo­gen­him­mel auf, der mit Werken wie ‘Beken­nt­nisse’ (Con­fes­siones), ‘Die Gottes­bürg­er­schaft’ (De civ­i­tate dei) und einem apolo­getis­chen Riesen­werk den christlichen Glauben mit den Philoso­phien sein­er Zeit dialogfähig machen wird.

Da kann Rufin sich noch so als Über­set­zer wesentlich­er Schriften wie der Kirchengeschichte von Euse­bius oder den Schriften des The­olo­gen Ori­genes pro­fil­ieren. Da kann er sich durch seinen Kom­men­tar zum apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis oder der Grün­dung des ersten lateinis­chen Klosters in Jerusalem ver­di­ent machen. Die Cham­pi­onsleague der Kirchengeschichte bleibt ihm ver­wehrt. Denn irgend­wann hat er sich mit seinem ein­flussre­ichen Fre­und Hierony­mus über­wor­fen. Rufin bleibt in den gängi­gen Kirchengeschichts­büch­ern eine Fuss­note im Zusam­men­hang mit anderen, ‘wichtigeren’ Namen.

Mir per­sön­lich gefällt es, mich auch mal abseits der aus­ge­trete­nen Pfade zu bewe­gen, sowohl im eige­nen Leben, als auch in meinem Nach­forschen. Gottes Geschichte mit den Men­schen ist nicht ein­fach deck­ungs­gle­ich mit den Schlagzeilen der Geschichts­büch­er. Geschichts­büch­er wer­den zumeist von denen geschrieben, welche in der Geschichte als Sieger her­vorge­gan­gen sind. Doch Gott hat seine eigene Geschichtss­chrei­bung. Deshalb inter­essiert mich Rufin, diese vergessene Fig­ur der Kirchengeschichte.

Rufin find­et man auch unter dem lateinis­chen Namen Rufi­nus oder Tyran­nius Rufi­nus, oder auch mit Orts­beze­ich­nun­gen: Rufin von Con­cor­dia, Rufin von Aquileia, oder auch mal unter dem namen Rufus.


Rufind­arstel­lung,
Quelle: Öster­re­ichis­che Nationalbibliothek

Chronologie / Biographie

345

Rufin wird in Con­cor­dia bei Aquileia geboren. Seine Eltern sollen Chris­ten gewe­sen sein. Rufin ist an Lit­er­atur und Wis­senschaft sehr interessiert.

359

Schon im Alter von 14 Jahren kann Rufin zur Aus­bil­dung in Rhetorik und Philoso­phie nach Rom gehen. Dort befasst er sich mit den Werken der lateinis­chen und griechis­chen Kirchen­väter, wobei er die griechis­chen Kirchen­väter noch man­gels Sprachken­nt­nis­sen auf Latein lesen muss. Hier lernt er Hierony­mus (auch bekan­nt unter dem Namen Jerome) ken­nen und befre­un­det sich mit ihm.

370

Im Alter von etwa 25 Jahren tritt Rufin in die monas­tis­che Gemein­schaft in Aquileia ein. Hier wird er von Bischof Vale­ri­anus getauft und als Assis­tent des späteren Bischofs Chro­matius einge­set­zt. Auch Hierony­mus soll sich zwis­chen­zeitlich in die monas­tis­che Gemein­schaft von Aquileia einge­fun­den haben.

372

Um diese Zeit sieht sich Hierony­mus ver­an­lasst, in den Ori­ent zu reisen. Rufin beschliesst, es seinem Fre­und gle­ichzu­machen und reist auch nach Alexan­dria, wo er sich der Schule von Didy­mus anschliesst. Hier kommt er (wie auch Hierony­mus) in Kon­takt mit den Werken von Ori­genes – dem ein­flussre­ichen und kon­tro­ver­sen Begrün­der der alle­gorischen Ausle­gungsmeth­ode der Heili­gen Schrift. Rufin begeg­net hier auch dem damals 75-jähri­gen berühmten Asketen Makar­ius von Alexan­drien und lernt Mela­nia die Ältere ken­nen. Diese wird eine wichtige Ver­bün­dete im Leben von Rufin. Mela­nia soll ‘eine aufrichtige Bewun­derin sein­er Tugend’ gewe­sen sein. Sie wird ihm zu einem späteren Zeit­punkt in Rich­tung Jerusalem fol­gen und von dort bis an sein Lebensende.
In Alexan­drien wird der Glaube von Rufin aber auf die Probe gestellt. Anhänger der Ari­an­is­chen Son­der­lehre (welche 325 nach Chris­tus auf dem Konzil von Nicäa verurteilt wor­den war), haben sich des bis­chöflichen Stuhls in Alexan­dria bemächtigt und ver­suchen, unter­stützt durch den ari­an­is­chen Kaiser Valens, ihre Sicht der christlichen Lehre durchzuset­zen. Für Rufin bedeutete dies Kerk­er sowie Mis­shand­lung durch die Hand der Ari­an­er.
Dass er wieder freikommt hat Rufin der wohlhaben­den Mela­nia zu ver­danken, welche ihr Ver­mö­gen ein­set­zt, um ihm und anderen ver­fol­gten Geistlichen zu helfen.

377

Mit Mela­nia und anderen ver­fol­gten Chris­ten zieht Rufin nach Jerusalem wo er dank eines Empfehlungss­chreibens von Hierony­mus fre­undlich aufgenom­men wird. Hier wirkt Rufin um ca. 380 als Mit­be­grün­der des Män­nerk­losters am Ölberg, während die Stifterin Mela­nia das dazuge­hörige Frauen­kloster leit­et. Durch die vie­len Kon­tak­te mit Pil­gern ver­bre­it­et sich der Ruf von Rufin als Gelehrter. Er scheint sich beson­ders um Men­schen zu bemühen, die hin­sichtlich der ortho­dox­en Kirchen­lehre abwe­ichende Ansicht­en vertreten. Er wird zum Mis­sion­ar und Seel­sorg­er für fehlgeleit­ete Chris­ten:

«Mit der priester­lichen Wei­he aus­gerüstet ent­fal­tete sodann Rufin eine eifrige und erfol­gre­iche Tätigkeit in der Seel­sorge, die namentlich auch durch zahlre­iche Kon­ver­sio­nen von Anhängern des anti­ochenis­chen Schisma’s wie der mace­do­nian­is­chen und ari­an­is­chen Häre­sie gekrönt wurde.» Bib­lio­thek der Kirchen­väter, Uni­ver­sität Friburg

In Jerusalem wen­det sich Rufin auch dem Studi­um der griechis­chen Sprache zu und fängt an, sich als Über­set­zer griechis­ch­er Werke ins Latein einen Namen zu machen. Den Anfang machen die Geschichts­büch­er von Flav­ius Jose­phus. Später fol­gen Werke des Ori­genes. In diese Zeit fall­en auch diverse Reisen von Rufin. So soll er unter anderem auch Mesopotamien besucht haben, ein Gebi­et, welch­es heute mehrheitlich im Irak liegt.

385

Sein Fre­und Hierony­mus kommt 385 nach diversen Reisen wieder ins Heilige Land, wo er in Beth­le­hem ein eigenes Kloster grün­det und die durch das gemein­same wis­senschaftliche Inter­esse genährte Fre­und­schaft mit Rufin weit­er pflegt. Doch nach 25 Jahren der Fre­und­schaft wird in diese Zeit hinein der Same der Feind­schaft zwis­chen den bei­den Fre­un­den gesät.

Meeres­land­schaft im Boden­mo­saik der Basi­li­ka von Aquileia, Ausschnitt.
Bild: Peter Bruderer 

392

Hin­ter­grund des sich anbah­nen­den Bruchs der Fre­und­schaft ist ein Mönch Namens Ater­bius. Dieser kommt ums Jahr 392 nach Jerusalem und bezichtigt Rufin wie auch Hierony­mus, Anhänger von Irrlehren des Ori­genes zu sein. Ori­genes war schon immer ein umstrit­ten­er The­ologe gewe­sen, welch­er aber mit seinem umfan­gre­ichen Werk auch grosse Fasz­i­na­tion ausübte. In dieser Sit­u­a­tion kommt Hierony­mus umge­hend der Auf­forderung nach, sich öffentlich von den Irrtümern des Ori­genes zu dis­tanzieren. Rufin dage­gen scheint in seinem per­sön­lichen Stolz getrof­fen zu sein und weigert sich, auf die Forderun­gen von Ater­bius einzuge­hen. Seinen Fre­und Hierony­mus soll er der unnöti­gen Schwäche gegenüber einem ‘daherge­laufe­nen Mönch’ bezichtigt haben.

In ein­er späteren Schrift – seinem Kom­men­tar zum Apos­to­likum – wird Rufin noch einzelne prob­lema­tis­che Lehrmei­n­un­gen von Ori­genes ablehnen, ohne jedoch den Lehrer Ori­genes sel­ber beim Wort zu nen­nen. So wird er sich gegen Allver­söh­nung äussern, eine Lehre, für die Ori­genes Sym­pa­thien hatte.

War es ein Fehler sich erhaben über die Vor­würfe von Ater­bius zu fühlen? War es ein Fehler, Ori­genes durch ‘Aus­sagev­er­weigerung’ in Schutz zu nehmen? Vielle­icht schon. Jeden­falls wird der Zwis­chen­fall in Jerusalem zum Aus­gangspunkt dafür, dass sich Hierony­mus in seinen ein­flussre­ichen Schriften for­t­an kri­tisch über Rufin äussert. In sein­er kurz darauf erscheinen­den Schrift De Viris illus­tribus (= “berühmte Män­ner”) ignori­ert Hierony­mus seinen langjähri­gen Fre­und ganz und gar, während er nicht weniger als 135 andere Per­so­n­en mit Kurzbi­ografien würdigt. Das wird auch ein­er der Gründe sein, warum Rufin in der kirch­lichen Geschichtss­chrei­bung kaum Beach­tung findet.

394

Kurz darauf, im Jahre 394, kommt es zu einem Ver­mit­tlungsver­such durch Mela­nia, welche sich um eine Ver­söh­nung der bei­den ehe­ma­li­gen Fre­unde bemüht. In der Grabeskirche von Jerusalem reichen sich die bei­den Kon­tra­hen­ten die Hand.

397

Als Begleit­per­son von Mela­nia ver­lässt Rufin 397 das Heilige Land und kommt nach Rom. Hier macht er sich als Dienst für einen gewis­sen Makar­ius an die Über­set­zung der Apolo­gie für Ori­genes. Weit­ere Über­set­zungswerke fol­gen. Rufin scheint sichtlich bemüht, den Ruf von Ori­genes zu verbessern. Er geht sel­ber davon aus, dass die Werke von Ori­genes nach ihrer Ver­fas­sung diverse Fälschun­gen durch Häretik­er erlit­ten haben. Deshalb greift er sel­ber redak­tionell bei sein­er Über­set­zungsar­beit ein, wie er in der Ein­leitung sein­er Über­set­zung des Peri archon offen zugibt. Das wiederum sollte ihm zum Vor­wurf gemacht werden.

Nach Vol­len­dung sein­er Über­set­zungstätigkeit­en in Rom kehrt Rufin als Weit­gereis­ter in seine Heimat Aquileia zurück. Mit dabei hat er ein Empfehlungss­chreiben von Papst Siri­cius.

Gegen 30 Jahre sind wohl ver­gan­gen, seit er aus­ge­zo­gen ist von Aquileia. Er hat Sprachen gel­ernt, Kerk­er von innen gese­hen, ein Kloster gegrün­det, Schriften ver­fasst und die dama­lige Welt des Ostens von Ägypten bis Mesopotamien bereist. Wie wohl kaum ein ander­er hat er die Vielfalt und die unter­schiedlichen Lehrtra­di­tio­nen der dama­li­gen Chris­ten­heit kennengelernt.

Doch vor­bei ist es damit nicht mit dem Ärg­er. Denn Hierony­mus wird auf die Werke aufmerk­sam, welche Rufin in Rom über­set­zt hat. In diesen weist Rufin auch auf die anfängliche Begeis­terung von Hierony­mus für die Schriften von Ori­genes hin. Für Hierony­mus ist dies sehr ärg­er­lich. Mit­tler­weile hat Anas­ta­sius – ein guter Fre­und von Hierony­mus – den ver­stor­be­nen Siri­cius als Bischof von Rom abgelöst. Hierony­mus erwirkt, dass dieser Rufin nach Rom zitiert um per­sön­lich Ver­ant­wor­tung abzule­gen über seinen Glauben. Doch Rufin erweist sich wie schon damals in Jerusalem als ‘schwieriger Fall’. Er weigert sich unter Ver­weis auf Gesund­heit und Fam­i­lien­ver­hält­nisse, dem Aufge­bot nach Rom nachzukom­men. Stattdessen ver­fasst er eine schriftliche Antwort, in welch­er er sich ‘in dur­chaus recht­gläu­bigem Sinne über Trinität, Incar­na­tion, Aufer­ste­hung des Fleis­ches, Gericht, Ewigkeit der Höl­len­strafen, Ursprung der Seele’ äussert (Vgl. Bib­lio­thek der Kirchen­väter, Uni­ver­sität Friburg). Er betont dabei, dass er nur der Über­set­zer von Ori­genes und nicht dessen Vertei­di­ger oder Befür­worter sei.

401

Doch die schriftliche Erk­lärung von Rufin wird in Rom wed­er vom Papst noch von Hierony­mus akzep­tiert. Hierony­mus beze­ich­net Rufin als Drücke­berg­er und der Papst äussert seinen Unmut über Rufin’s Über­set­zungsar­beit­en in einem Brief an den Bischof von Jerusalem. Als Rufin davon erfährt, sieht er sich zu zwei weit­eren Schriften zur Vertei­di­gung seines Glaubens ver­an­lasst. In diesen zeigt sich deut­lich wie tief betrof­fen und gekränkt Rufin durch die kon­stan­ten Anschuldigun­gen gegenüber sein­er Per­son ist. Rufin greift Hierony­mus mit unz­im­per­lichen Worten an. Hierony­mus, sel­ber ein äusserst tem­pera­mentvoller und von sich selb­st über­zo­gen­er Zeitgenosse, denkt nicht daran, klein beizugeben. Er kon­tert die Vor­würfe. Mis­strauen, Arg­wohn und per­sön­lich­er Stolz scheinen zu diesem Zeit­punkt auf bei­den Seit­en über­handzunehmen. Es entwick­elt sich ein Schlagab­tausch, der schriftlich und auch öffentlich geführt wird. So verdächtigt Hierony­mus Rufin, ihn bei der nordafrikanis­chen Kirche angeschwärzt zu haben. Er schickt eine sein­er Rufin-kri­tis­chen Schriften an die nordafrikanis­che Kirche, worauf sich der in Nordafri­ka wirk­ende Augusti­nus mit einem Aufruf zur Ver­söh­nung ein­schal­tet. Ob dieser Aufruf Wirkung zeigt ist nicht bekan­nt, doch nach dieser Inter­ven­tion ergreift Hierony­mus nicht wieder die Fed­er gehen Rufin, solange dieser lebt.

Rufin sel­ber kann sich wieder kon­struk­tiv­eren Pro­jek­ten zuwen­den – dem Schreiben und Über­set­zen von Tex­ten. So entste­ht in dieser Zeit nach dem grossen Stre­it auf Wun­sch von Chro­matius, dem Bischof von Aquileia, eine Über­set­zung der Kirchengeschichte von Euse­bius, welche er sel­ber bis ins Jahr 395 hinein ergänzt. Auch in diese Zeit – ver­mut­lich ins Jahr 404 – fällt die Ver­fas­sung seines Kom­men­tars zum Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis, dem ich mich in den näch­sten zwei Artikeln wid­men werde.

410

Vielle­icht war in den Jahren nach der Jahrhun­der­twende auch auf­grund der geopoli­tis­chen Lage weniger Zeit übrig für per­sön­liche Ani­mositäten. Schon seit län­ger­er Zeit war das römis­che Reich durch die aufk­om­mende Völk­er­wan­derung bedro­ht. Zudem war der Rufin gegenüber skep­tisch gesin­nte Papst Anas­ta­sius Ende 401 gestor­ben und damit möglicher­weise auch die ‘Akte Rufin’ geschlossen wor­den. In Aquileia bedro­hen die Lan­go­b­ar­den die Stadt, und im Jahre 410 fällt die Stadt Rom beim Sturm der Visig­oten. Angesichts der Bedro­hung durch die Lan­go­b­ar­den ver­lässt Rufin die Stadt in Rich­tung Rom. Er nimmt Mela­nia und ihre Ange­höri­gen mit und zieht nach Süden in Rich­tung Sizilien, wo er ver­mut­lich um die Jahreswende 410/411 in Messi­na stirbt.

Während es Hierony­mus nach dem Tod von Rufin nicht lassen kann, dessen Tod mit bit­teren Worten zu kom­men­tieren, sind andere des Lobes voll. Namhafte Per­so­n­en wie Pal­la­dius, Cas­sianus, Gen­na­dius, Sido­nius oder Papst Gela­sius rüh­men Rufin. Pauli­nus von Nola soll Rufin als ‘wirk­lich heilig und hochge­bildet’ gewürdigt haben.


Meeres­land­schaft im Boden­mo­saik der Basi­li­ka von Aquileia, Ausschnitt.
Bild: Peter Bruderer 

Persönliches Fazit

Die Geschichte von Rufin gewährt einen ein­ma­li­gen Ein­blick in die Über­gan­szeit vom drit­ten zum vierten Jahrhun­dert und in das Leben eines weit­gereis­ten christlichen ‘Influ­encers’ der dama­li­gen Zeit.

Die geopoli­tis­che Lage war wegen Reich­steilung und begin­nen­der Völk­er­wan­derung äusserst insta­bil. Gle­ichzeit­ig wurde die Kirche, welche 380 die Erhe­bung des Chris­ten­tums zur Staat­sre­li­gion erlebte, zunehmend in die poli­tis­chen Macht­spiele ver­wick­elt. Nach 300 Jahren des weltweit­en Wach­s­tums war die Kirche sel­ber mit einem the­ol­o­gis­chen Plu­ral­is­mus kon­fron­tiert. Das führte zu Bemühun­gen, die Kern­in­halte der christlichen Lehre in Form von Beken­nt­nis­sen schriftlich festzuhal­ten. Wie die Kirche von damals unvol­lkom­men war, so auch Rufin, die Haupt­fig­ur dieses Artikels. Doch wie Gott in den Wirren jen­er Zeit seine Geschichte schrieb, so auch trotz der Unvol­lkom­men­heit seines Dieners Rufin.

Rufin war zweifel­los intel­li­gent, begabt und vom Wun­sch beseelt, Gott mit seinem Leben zu dienen. Dass er sich dem monas­tis­chen Leben verpflichtet hat, welch­es mit Enthalt­samkeit und Askese ver­bun­den war, ist eine Bestä­ti­gung dafür.

Ein wesentlich­es Merk­mal sein­er Biogra­phie scheint die Auseinan­der­set­zung mit ver­schiede­nen Glaubensströ­mungen gewe­sen zu sein. Das ist nicht erstaunlich, war doch Rufins Heimat­stadt Aquileia, bed­ingt durch ihre geo­graphis­che Lage ein­er Vielzahl von religiösen Ein­flüssen und christlichen Lehrmei­n­un­gen aus­ge­set­zt. Später, im Rah­men sein­er aus­gedehn­ten Reisen und im Rah­men sein­er Begeg­nun­gen mit Pil­gern aus aller Welt in Jerusalem, ist er wohl fast jed­er Aus­prä­gung des christlichen Glaubens begeg­net, welche die dama­lige Welt gekan­nt hat. Rufin kan­nte den Glauben, wie er in der West- und der Ostkirche gelebt wurde, wohl wie kaum ein ander­er Zeitgenosse.

Ger­ade die Berichte aus sein­er Wirkungszeit in Jerusalem präsen­tieren ihn als Mis­sion­ar unter Chris­ten. Rufin scheint sichtlich bemüht gewe­sen zu sein, Men­schen zu einem gesun­den und bib­lisch begrün­de­ten Glauben zu ver­helfen. Wir befind­en uns mit­ten in der Über­gangszeit vom tolerierten Chris­ten­tum zum Staatschris­ten­tum. Christ zu sein war ‘Hip’ und sozusagen der Mega­trend der Stunde. Damit erlebte er die Geburtsstunde des Namens- und Kul­turchris­ten­tums mit allem was dieses an falschen Glaubensvorstel­lun­gen, synkretis­tis­chen Strö­mungen und Lip­pen­beken­nt­nis­sen mit sich brachte. In diesem Umfeld erweist sich Rufin als ein­er, der seine Mit­men­schen in einen echt­en, gegrün­de­ten und gelebten Glauben hinein zu begleit­en ver­sucht. Vor diesem Hin­ter­grund ist es nur ver­ständlich, dass Rufin wohl zutief­st gekränkt war, als gegen ihn Vor­würfe erhoben wur­den. Hat­te er nicht Folter und Kerk­er erduldet für den Glauben? War nicht er der­jenige, der sich mit gross­er Anstren­gung dafür einge­set­zt hat­te, Men­schen von falschen und destruk­tiv­en Glaubensvorstel­lun­gen wegzubrin­gen, hin zum lebendi­gen Glauben an Jesus?

In dieser Sit­u­a­tion zeigt sich wohl eine per­sön­liche Schwäche von Rufin. In seinem Stolz gekränkt reagiert er nicht mehr in ein­er der Sache dien­lichen Art und Weise und verur­sacht dadurch den Kon­flikt mit Hierony­mus. Dieser Kon­flikt zeigt deut­lich, wie the­ol­o­gis­che Dis­pute durch per­sön­liche Kon­flik­te über­lagert sein kön­nen. Der Kon­flikt zwis­chen Rufin und Hierony­mus drehte sich vorder­gründig um the­ol­o­gis­che Anliegen und Fra­gen der Über­set­zungsqual­ität (Hierony­mus warf Rufin unge­naues Arbeit­en vor), doch lag an dessen Ursprung eine Bruch­stelle in der per­sön­lichen Beziehung der ehe­ma­li­gen Fre­unde. Dies kann uns heute eine Lehre sein in unserem eige­nen Umgang mit Kon­flik­ten und Differenzen.

Waren nun die Vor­würfe der Irrlehre gegen Rufin berechtigt? Ich per­sön­lich denke nicht. Ich denke aber, dass er durch sein Ver­hal­ten sehr unklare Sig­nale gegeben hat, welche zu seinen Ungun­sten ver­standen wer­den kon­nten und einen unter­schwelli­gen Kon­flikt an die Ober­fläche bracht­en: Ver­weigerung­shal­tung, unklare Stel­lung­nah­men in Bezug auf seine Über­set­zungstätigkeit­en der Werke von Origenes.

Es muss aber auch gesagt wer­den, dass sich Rufins ambiva­lentes Ver­hal­ten bezüglich Ori­genes eigentlich sehr gut deckt mit dessen späteren his­torischen Bew­er­tung. Ori­genes hat­te einen lei­den­schaftlichen Glauben gelebt und gilt als der geistige Vater der monas­tis­chen Bewe­gung und der christlichen Mys­tik. Mit seinen umfan­gre­ichen Schriften hat­te er der Kirche viele wertvolle Impulse gegeben. Seine Prinzip­i­en der alle­gorischen Ausle­gung waren weit herum beliebt und find­en auch in Rufins Schriften ihren Nieder­schlag. Gle­ichzeit­ig aber war Ori­genes The­olo­gie stark von Gnos­tik und Hel­lenis­mus bee­in­flusst, was zum the­ol­o­gis­chen ‘Flirt’ mit Lehren wie Reinkar­na­tion und Präex­is­tenz der See­len, Ablehnung der leib­lichen Aufer­ste­hung und Ablehnung eines gerecht­en Gericht­es Gottes, also Uni­ver­sal­is­mus, geführt hat. (vgl. Sier­szyn, Band 1, Seite 187) Diese Lehren stiessen in der Kirche sehr schnell auf Kri­tik und Ablehnung und wur­den in späteren Konzilen aus­drück­lich ver­wor­fen (z.B. Kon­stan­tinopel 553). Es ist beze­ich­nend, dass Rufin in seinem Kom­men­tar zum Apos­to­likum viele Irrlehrer beim Namen nen­nt. Doch während er alle oben erwäh­n­ten prob­lema­tis­chen Lehren von Ori­genes verurteilt, ver­mei­det es Rufin tun­lichst, Ori­genes als Urhe­ber falsch­er Lehren beim Namen zu nen­nen. Wollte der Haup­tüber­set­zer der Werke von Ori­genes dessen Ruf schützen? Man kann darüber spekulieren. Ich halte es für möglich.

Rund 55 Jahre alt wurde Rufin. Gegen 30 Jahre davon ver­brachte er im Ori­ent. Rund 10 Jahre seines Lebens sind durch den Kon­flikt mit Hierony­mus geprägt, welch­er auch weit­ge­hend die Geschichtss­chrei­bung über seine Per­son prägt. Wir soll­ten aber die anderen Aspek­te seines Wirkens deswe­gen nicht vergessen: sein Wirken als ‘Men­schen­fis­ch­er’ und Mis­sion­ar unter Chris­ten und auch seine eige­nen Schriften. Eine sein­er eigen­ständi­gen Schriften ist sein Kom­men­tar zum Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis – ein wertvolles Werk, mit dem ich mich in den kom­menden 2 Artikeln befassen werde.


Meeres­land­schaft im Boden­mo­saik der Basi­li­ka von Aquileia, Ausschnitt.
Bild: Peter Bruderer 

Schluss­be­merkun­gen
Ich bin nicht His­torik­er, son­dern schreibe lediglich als his­torisch inter­essiert­er Laie. Jahreszahlen sind mit der nöti­gen Vor­sicht zu geniessen. Biografis­che und geschichtliche Ereignisse wer­den in der Lit­er­atur zum Teil abwe­ichend voneinan­der dargestellt. Hier noch eini­ge Recour­cen wel­che mir gehol­fen haben:

Auf den Spuren von Rufin… im ehe­ma­li­gen Hafen von Aquileia
Bild: Peter Bruderer

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Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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