Schon oft hat er die Schiffe andocken und wieder ablegen sehen im Hafen von Aquileia. Im Alter von 27 Jahren ist es für ihn selber soweit: Rufin von Aquileia segelt mit seinem Forscherdrang und seinem Gott ‘im Gepäck’ dem Orient entgegen. Fast 30 Jahre wird er unterwegs sein zwischen Ägypten und Mesopotamien. Zurückkehren wird er als profunder Kenner des damaligen Christentums, als Übersetzer bedeutender historischer und theologischer Schriften und als Gründer eines Klosters in Jerusalem. Dennoch sollte er nur eine Randnotiz der Kirchengeschichte werden. Denn Rufin war nicht nur ‘zur falschen Zeit geboren’, er macht sich auch die falsche Person zum Feind.
Das vierte Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Es ist das goldene Zeitalter der Kirchenväter. Hieronymus profiliert sich als Übersetzer der ganzen Bibel ins Lateinische, eine Übersetzung, welche unter dem Namen ‘Vulgata’ zum Normtext der katholischen Kirche werden sollte. Ambrosius präsentiert sich als gewiefter Kirchenpolitiker, welcher die Begünstigung des Christentums und letztendliche ihre Erhebung zur Staatsreligion massgeblich mitprägt. Und mit Augustinus steigt grad der ganz grosse Stern am Theologenhimmel auf, der mit Werken wie ‘Bekenntnisse’ (Confessiones), ‘Die Gottesbürgerschaft’ (De civitate dei) und einem apologetischen Riesenwerk den christlichen Glauben mit den Philosophien seiner Zeit dialogfähig machen wird.
Da kann Rufin sich noch so als Übersetzer wesentlicher Schriften wie der Kirchengeschichte von Eusebius oder den Schriften des Theologen Origenes profilieren. Da kann er sich durch seinen Kommentar zum apostolischen Glaubensbekenntnis oder der Gründung des ersten lateinischen Klosters in Jerusalem verdient machen. Die Championsleague der Kirchengeschichte bleibt ihm verwehrt. Denn irgendwann hat er sich mit seinem einflussreichen Freund Hieronymus überworfen. Rufin bleibt in den gängigen Kirchengeschichtsbüchern eine Fussnote im Zusammenhang mit anderen, ‘wichtigeren’ Namen.
Mir persönlich gefällt es, mich auch mal abseits der ausgetretenen Pfade zu bewegen, sowohl im eigenen Leben, als auch in meinem Nachforschen. Gottes Geschichte mit den Menschen ist nicht einfach deckungsgleich mit den Schlagzeilen der Geschichtsbücher. Geschichtsbücher werden zumeist von denen geschrieben, welche in der Geschichte als Sieger hervorgegangen sind. Doch Gott hat seine eigene Geschichtsschreibung. Deshalb interessiert mich Rufin, diese vergessene Figur der Kirchengeschichte.
Rufin findet man auch unter dem lateinischen Namen Rufinus oder Tyrannius Rufinus, oder auch mit Ortsbezeichnungen: Rufin von Concordia, Rufin von Aquileia, oder auch mal unter dem namen Rufus.
Rufindarstellung, Quelle: Österreichische Nationalbibliothek
Chronologie / Biographie
345
Rufin wird in Concordia bei Aquileia geboren. Seine Eltern sollen Christen gewesen sein. Rufin ist an Literatur und Wissenschaft sehr interessiert.
359
Schon im Alter von 14 Jahren kann Rufin zur Ausbildung in Rhetorik und Philosophie nach Rom gehen. Dort befasst er sich mit den Werken der lateinischen und griechischen Kirchenväter, wobei er die griechischen Kirchenväter noch mangels Sprachkenntnissen auf Latein lesen muss. Hier lernt er Hieronymus (auch bekannt unter dem Namen Jerome) kennen und befreundet sich mit ihm.
370
Im Alter von etwa 25 Jahren tritt Rufin in die monastische Gemeinschaft in Aquileia ein. Hier wird er von Bischof Valerianus getauft und als Assistent des späteren Bischofs Chromatius eingesetzt. Auch Hieronymus soll sich zwischenzeitlich in die monastische Gemeinschaft von Aquileia eingefunden haben.
372
Um diese Zeit sieht sich Hieronymus veranlasst, in den Orient zu reisen. Rufin beschliesst, es seinem Freund gleichzumachen und reist auch nach Alexandria, wo er sich der Schule von Didymus anschliesst. Hier kommt er (wie auch Hieronymus) in Kontakt mit den Werken von Origenes – dem einflussreichen und kontroversen Begründer der allegorischen Auslegungsmethode der Heiligen Schrift. Rufin begegnet hier auch dem damals 75-jährigen berühmten Asketen Makarius von Alexandrien und lernt Melania die Ältere kennen. Diese wird eine wichtige Verbündete im Leben von Rufin. Melania soll ‘eine aufrichtige Bewunderin seiner Tugend’ gewesen sein. Sie wird ihm zu einem späteren Zeitpunkt in Richtung Jerusalem folgen und von dort bis an sein Lebensende.
In Alexandrien wird der Glaube von Rufin aber auf die Probe gestellt. Anhänger der Arianischen Sonderlehre (welche 325 nach Christus auf dem Konzil von Nicäa verurteilt worden war), haben sich des bischöflichen Stuhls in Alexandria bemächtigt und versuchen, unterstützt durch den arianischen Kaiser Valens, ihre Sicht der christlichen Lehre durchzusetzen. Für Rufin bedeutete dies Kerker sowie Misshandlung durch die Hand der Arianer.
Dass er wieder freikommt hat Rufin der wohlhabenden Melania zu verdanken, welche ihr Vermögen einsetzt, um ihm und anderen verfolgten Geistlichen zu helfen.
377
Mit Melania und anderen verfolgten Christen zieht Rufin nach Jerusalem wo er dank eines Empfehlungsschreibens von Hieronymus freundlich aufgenommen wird. Hier wirkt Rufin um ca. 380 als Mitbegründer des Männerklosters am Ölberg, während die Stifterin Melania das dazugehörige Frauenkloster leitet. Durch die vielen Kontakte mit Pilgern verbreitet sich der Ruf von Rufin als Gelehrter. Er scheint sich besonders um Menschen zu bemühen, die hinsichtlich der orthodoxen Kirchenlehre abweichende Ansichten vertreten. Er wird zum Missionar und Seelsorger für fehlgeleitete Christen:
«Mit der priesterlichen Weihe ausgerüstet entfaltete sodann Rufin eine eifrige und erfolgreiche Tätigkeit in der Seelsorge, die namentlich auch durch zahlreiche Konversionen von Anhängern des antiochenischen Schisma’s wie der macedonianischen und arianischen Häresie gekrönt wurde.» Bibliothek der Kirchenväter, Universität Friburg
In Jerusalem wendet sich Rufin auch dem Studium der griechischen Sprache zu und fängt an, sich als Übersetzer griechischer Werke ins Latein einen Namen zu machen. Den Anfang machen die Geschichtsbücher von Flavius Josephus. Später folgen Werke des Origenes. In diese Zeit fallen auch diverse Reisen von Rufin. So soll er unter anderem auch Mesopotamien besucht haben, ein Gebiet, welches heute mehrheitlich im Irak liegt.
385
Sein Freund Hieronymus kommt 385 nach diversen Reisen wieder ins Heilige Land, wo er in Bethlehem ein eigenes Kloster gründet und die durch das gemeinsame wissenschaftliche Interesse genährte Freundschaft mit Rufin weiter pflegt. Doch nach 25 Jahren der Freundschaft wird in diese Zeit hinein der Same der Feindschaft zwischen den beiden Freunden gesät.
Meereslandschaft im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia, Ausschnitt.
Bild: Peter Bruderer
392
Hintergrund des sich anbahnenden Bruchs der Freundschaft ist ein Mönch Namens Aterbius. Dieser kommt ums Jahr 392 nach Jerusalem und bezichtigt Rufin wie auch Hieronymus, Anhänger von Irrlehren des Origenes zu sein. Origenes war schon immer ein umstrittener Theologe gewesen, welcher aber mit seinem umfangreichen Werk auch grosse Faszination ausübte. In dieser Situation kommt Hieronymus umgehend der Aufforderung nach, sich öffentlich von den Irrtümern des Origenes zu distanzieren. Rufin dagegen scheint in seinem persönlichen Stolz getroffen zu sein und weigert sich, auf die Forderungen von Aterbius einzugehen. Seinen Freund Hieronymus soll er der unnötigen Schwäche gegenüber einem ‘dahergelaufenen Mönch’ bezichtigt haben.
In einer späteren Schrift – seinem Kommentar zum Apostolikum – wird Rufin noch einzelne problematische Lehrmeinungen von Origenes ablehnen, ohne jedoch den Lehrer Origenes selber beim Wort zu nennen. So wird er sich gegen Allversöhnung äussern, eine Lehre, für die Origenes Sympathien hatte.
War es ein Fehler sich erhaben über die Vorwürfe von Aterbius zu fühlen? War es ein Fehler, Origenes durch ‘Aussageverweigerung’ in Schutz zu nehmen? Vielleicht schon. Jedenfalls wird der Zwischenfall in Jerusalem zum Ausgangspunkt dafür, dass sich Hieronymus in seinen einflussreichen Schriften fortan kritisch über Rufin äussert. In seiner kurz darauf erscheinenden Schrift De Viris illustribus (= “berühmte Männer”) ignoriert Hieronymus seinen langjährigen Freund ganz und gar, während er nicht weniger als 135 andere Personen mit Kurzbiografien würdigt. Das wird auch einer der Gründe sein, warum Rufin in der kirchlichen Geschichtsschreibung kaum Beachtung findet.
394
Kurz darauf, im Jahre 394, kommt es zu einem Vermittlungsversuch durch Melania, welche sich um eine Versöhnung der beiden ehemaligen Freunde bemüht. In der Grabeskirche von Jerusalem reichen sich die beiden Kontrahenten die Hand.
397
Als Begleitperson von Melania verlässt Rufin 397 das Heilige Land und kommt nach Rom. Hier macht er sich als Dienst für einen gewissen Makarius an die Übersetzung der Apologie für Origenes. Weitere Übersetzungswerke folgen. Rufin scheint sichtlich bemüht, den Ruf von Origenes zu verbessern. Er geht selber davon aus, dass die Werke von Origenes nach ihrer Verfassung diverse Fälschungen durch Häretiker erlitten haben. Deshalb greift er selber redaktionell bei seiner Übersetzungsarbeit ein, wie er in der Einleitung seiner Übersetzung des Peri archon offen zugibt. Das wiederum sollte ihm zum Vorwurf gemacht werden.
Nach Vollendung seiner Übersetzungstätigkeiten in Rom kehrt Rufin als Weitgereister in seine Heimat Aquileia zurück. Mit dabei hat er ein Empfehlungsschreiben von Papst Siricius.
Gegen 30 Jahre sind wohl vergangen, seit er ausgezogen ist von Aquileia. Er hat Sprachen gelernt, Kerker von innen gesehen, ein Kloster gegründet, Schriften verfasst und die damalige Welt des Ostens von Ägypten bis Mesopotamien bereist. Wie wohl kaum ein anderer hat er die Vielfalt und die unterschiedlichen Lehrtraditionen der damaligen Christenheit kennengelernt.
Doch vorbei ist es damit nicht mit dem Ärger. Denn Hieronymus wird auf die Werke aufmerksam, welche Rufin in Rom übersetzt hat. In diesen weist Rufin auch auf die anfängliche Begeisterung von Hieronymus für die Schriften von Origenes hin. Für Hieronymus ist dies sehr ärgerlich. Mittlerweile hat Anastasius – ein guter Freund von Hieronymus – den verstorbenen Siricius als Bischof von Rom abgelöst. Hieronymus erwirkt, dass dieser Rufin nach Rom zitiert um persönlich Verantwortung abzulegen über seinen Glauben. Doch Rufin erweist sich wie schon damals in Jerusalem als ‘schwieriger Fall’. Er weigert sich unter Verweis auf Gesundheit und Familienverhältnisse, dem Aufgebot nach Rom nachzukommen. Stattdessen verfasst er eine schriftliche Antwort, in welcher er sich ‘in durchaus rechtgläubigem Sinne über Trinität, Incarnation, Auferstehung des Fleisches, Gericht, Ewigkeit der Höllenstrafen, Ursprung der Seele’ äussert (Vgl. Bibliothek der Kirchenväter, Universität Friburg). Er betont dabei, dass er nur der Übersetzer von Origenes und nicht dessen Verteidiger oder Befürworter sei.
401
Doch die schriftliche Erklärung von Rufin wird in Rom weder vom Papst noch von Hieronymus akzeptiert. Hieronymus bezeichnet Rufin als Drückeberger und der Papst äussert seinen Unmut über Rufin’s Übersetzungsarbeiten in einem Brief an den Bischof von Jerusalem. Als Rufin davon erfährt, sieht er sich zu zwei weiteren Schriften zur Verteidigung seines Glaubens veranlasst. In diesen zeigt sich deutlich wie tief betroffen und gekränkt Rufin durch die konstanten Anschuldigungen gegenüber seiner Person ist. Rufin greift Hieronymus mit unzimperlichen Worten an. Hieronymus, selber ein äusserst temperamentvoller und von sich selbst überzogener Zeitgenosse, denkt nicht daran, klein beizugeben. Er kontert die Vorwürfe. Misstrauen, Argwohn und persönlicher Stolz scheinen zu diesem Zeitpunkt auf beiden Seiten überhandzunehmen. Es entwickelt sich ein Schlagabtausch, der schriftlich und auch öffentlich geführt wird. So verdächtigt Hieronymus Rufin, ihn bei der nordafrikanischen Kirche angeschwärzt zu haben. Er schickt eine seiner Rufin-kritischen Schriften an die nordafrikanische Kirche, worauf sich der in Nordafrika wirkende Augustinus mit einem Aufruf zur Versöhnung einschaltet. Ob dieser Aufruf Wirkung zeigt ist nicht bekannt, doch nach dieser Intervention ergreift Hieronymus nicht wieder die Feder gehen Rufin, solange dieser lebt.
Rufin selber kann sich wieder konstruktiveren Projekten zuwenden – dem Schreiben und Übersetzen von Texten. So entsteht in dieser Zeit nach dem grossen Streit auf Wunsch von Chromatius, dem Bischof von Aquileia, eine Übersetzung der Kirchengeschichte von Eusebius, welche er selber bis ins Jahr 395 hinein ergänzt. Auch in diese Zeit – vermutlich ins Jahr 404 – fällt die Verfassung seines Kommentars zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, dem ich mich in den nächsten zwei Artikeln widmen werde.
410
Vielleicht war in den Jahren nach der Jahrhundertwende auch aufgrund der geopolitischen Lage weniger Zeit übrig für persönliche Animositäten. Schon seit längerer Zeit war das römische Reich durch die aufkommende Völkerwanderung bedroht. Zudem war der Rufin gegenüber skeptisch gesinnte Papst Anastasius Ende 401 gestorben und damit möglicherweise auch die ‘Akte Rufin’ geschlossen worden. In Aquileia bedrohen die Langobarden die Stadt, und im Jahre 410 fällt die Stadt Rom beim Sturm der Visigoten. Angesichts der Bedrohung durch die Langobarden verlässt Rufin die Stadt in Richtung Rom. Er nimmt Melania und ihre Angehörigen mit und zieht nach Süden in Richtung Sizilien, wo er vermutlich um die Jahreswende 410/411 in Messina stirbt.
Während es Hieronymus nach dem Tod von Rufin nicht lassen kann, dessen Tod mit bitteren Worten zu kommentieren, sind andere des Lobes voll. Namhafte Personen wie Palladius, Cassianus, Gennadius, Sidonius oder Papst Gelasius rühmen Rufin. Paulinus von Nola soll Rufin als ‘wirklich heilig und hochgebildet’ gewürdigt haben.
Meereslandschaft im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia, Ausschnitt.
Bild: Peter Bruderer
Persönliches Fazit
Die Geschichte von Rufin gewährt einen einmaligen Einblick in die Überganszeit vom dritten zum vierten Jahrhundert und in das Leben eines weitgereisten christlichen ‘Influencers’ der damaligen Zeit.
Die geopolitische Lage war wegen Reichsteilung und beginnender Völkerwanderung äusserst instabil. Gleichzeitig wurde die Kirche, welche 380 die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion erlebte, zunehmend in die politischen Machtspiele verwickelt. Nach 300 Jahren des weltweiten Wachstums war die Kirche selber mit einem theologischen Pluralismus konfrontiert. Das führte zu Bemühungen, die Kerninhalte der christlichen Lehre in Form von Bekenntnissen schriftlich festzuhalten. Wie die Kirche von damals unvollkommen war, so auch Rufin, die Hauptfigur dieses Artikels. Doch wie Gott in den Wirren jener Zeit seine Geschichte schrieb, so auch trotz der Unvollkommenheit seines Dieners Rufin.
Rufin war zweifellos intelligent, begabt und vom Wunsch beseelt, Gott mit seinem Leben zu dienen. Dass er sich dem monastischen Leben verpflichtet hat, welches mit Enthaltsamkeit und Askese verbunden war, ist eine Bestätigung dafür.
Ein wesentliches Merkmal seiner Biographie scheint die Auseinandersetzung mit verschiedenen Glaubensströmungen gewesen zu sein. Das ist nicht erstaunlich, war doch Rufins Heimatstadt Aquileia, bedingt durch ihre geographische Lage einer Vielzahl von religiösen Einflüssen und christlichen Lehrmeinungen ausgesetzt. Später, im Rahmen seiner ausgedehnten Reisen und im Rahmen seiner Begegnungen mit Pilgern aus aller Welt in Jerusalem, ist er wohl fast jeder Ausprägung des christlichen Glaubens begegnet, welche die damalige Welt gekannt hat. Rufin kannte den Glauben, wie er in der West- und der Ostkirche gelebt wurde, wohl wie kaum ein anderer Zeitgenosse.
Gerade die Berichte aus seiner Wirkungszeit in Jerusalem präsentieren ihn als Missionar unter Christen. Rufin scheint sichtlich bemüht gewesen zu sein, Menschen zu einem gesunden und biblisch begründeten Glauben zu verhelfen. Wir befinden uns mitten in der Übergangszeit vom tolerierten Christentum zum Staatschristentum. Christ zu sein war ‘Hip’ und sozusagen der Megatrend der Stunde. Damit erlebte er die Geburtsstunde des Namens- und Kulturchristentums mit allem was dieses an falschen Glaubensvorstellungen, synkretistischen Strömungen und Lippenbekenntnissen mit sich brachte. In diesem Umfeld erweist sich Rufin als einer, der seine Mitmenschen in einen echten, gegründeten und gelebten Glauben hinein zu begleiten versucht. Vor diesem Hintergrund ist es nur verständlich, dass Rufin wohl zutiefst gekränkt war, als gegen ihn Vorwürfe erhoben wurden. Hatte er nicht Folter und Kerker erduldet für den Glauben? War nicht er derjenige, der sich mit grosser Anstrengung dafür eingesetzt hatte, Menschen von falschen und destruktiven Glaubensvorstellungen wegzubringen, hin zum lebendigen Glauben an Jesus?
In dieser Situation zeigt sich wohl eine persönliche Schwäche von Rufin. In seinem Stolz gekränkt reagiert er nicht mehr in einer der Sache dienlichen Art und Weise und verursacht dadurch den Konflikt mit Hieronymus. Dieser Konflikt zeigt deutlich, wie theologische Dispute durch persönliche Konflikte überlagert sein können. Der Konflikt zwischen Rufin und Hieronymus drehte sich vordergründig um theologische Anliegen und Fragen der Übersetzungsqualität (Hieronymus warf Rufin ungenaues Arbeiten vor), doch lag an dessen Ursprung eine Bruchstelle in der persönlichen Beziehung der ehemaligen Freunde. Dies kann uns heute eine Lehre sein in unserem eigenen Umgang mit Konflikten und Differenzen.
Waren nun die Vorwürfe der Irrlehre gegen Rufin berechtigt? Ich persönlich denke nicht. Ich denke aber, dass er durch sein Verhalten sehr unklare Signale gegeben hat, welche zu seinen Ungunsten verstanden werden konnten und einen unterschwelligen Konflikt an die Oberfläche brachten: Verweigerungshaltung, unklare Stellungnahmen in Bezug auf seine Übersetzungstätigkeiten der Werke von Origenes.
Es muss aber auch gesagt werden, dass sich Rufins ambivalentes Verhalten bezüglich Origenes eigentlich sehr gut deckt mit dessen späteren historischen Bewertung. Origenes hatte einen leidenschaftlichen Glauben gelebt und gilt als der geistige Vater der monastischen Bewegung und der christlichen Mystik. Mit seinen umfangreichen Schriften hatte er der Kirche viele wertvolle Impulse gegeben. Seine Prinzipien der allegorischen Auslegung waren weit herum beliebt und finden auch in Rufins Schriften ihren Niederschlag. Gleichzeitig aber war Origenes Theologie stark von Gnostik und Hellenismus beeinflusst, was zum theologischen ‘Flirt’ mit Lehren wie Reinkarnation und Präexistenz der Seelen, Ablehnung der leiblichen Auferstehung und Ablehnung eines gerechten Gerichtes Gottes, also Universalismus, geführt hat. (vgl. Sierszyn, Band 1, Seite 187) Diese Lehren stiessen in der Kirche sehr schnell auf Kritik und Ablehnung und wurden in späteren Konzilen ausdrücklich verworfen (z.B. Konstantinopel 553). Es ist bezeichnend, dass Rufin in seinem Kommentar zum Apostolikum viele Irrlehrer beim Namen nennt. Doch während er alle oben erwähnten problematischen Lehren von Origenes verurteilt, vermeidet es Rufin tunlichst, Origenes als Urheber falscher Lehren beim Namen zu nennen. Wollte der Hauptübersetzer der Werke von Origenes dessen Ruf schützen? Man kann darüber spekulieren. Ich halte es für möglich.
Rund 55 Jahre alt wurde Rufin. Gegen 30 Jahre davon verbrachte er im Orient. Rund 10 Jahre seines Lebens sind durch den Konflikt mit Hieronymus geprägt, welcher auch weitgehend die Geschichtsschreibung über seine Person prägt. Wir sollten aber die anderen Aspekte seines Wirkens deswegen nicht vergessen: sein Wirken als ‘Menschenfischer’ und Missionar unter Christen und auch seine eigenen Schriften. Eine seiner eigenständigen Schriften ist sein Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis – ein wertvolles Werk, mit dem ich mich in den kommenden 2 Artikeln befassen werde.
Meereslandschaft im Bodenmosaik der Basilika von Aquileia, Ausschnitt.
Bild: Peter Bruderer
Schlussbemerkungen
Ich bin nicht Historiker, sondern schreibe lediglich als historisch interessierter Laie. Jahreszahlen sind mit der nötigen Vorsicht zu geniessen. Biografische und geschichtliche Ereignisse werden in der Literatur zum Teil abweichend voneinander dargestellt. Hier noch einige Recourcen welche mir geholfen haben:
- Christentum in der Antike, der erste Kirchengeschichtsband meines verstorbenen Lehrers Peter H. Uhlmann
- 2000 Jahre Kirchengeschichte, Band 1, von Armin Sierszyn
- Einleitung: Rufin’s Leben und Schriften. Bibliothek der Kirchenväter, Universität Friburg
- A History of the Christian Church, Williston Walker
Auf den Spuren von Rufin… im ehemaligen Hafen von Aquileia
Bild: Peter Bruderer
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