Wie erleben internationale Menschen die Bedeutung der multikulturellen Gemeinde? Ist es schwierig oder einfach, eine solche Kultur in den Gemeinden zu fördern? Sind sie überhaupt offen für Menschen anderer Rassen? In diesem Artikel erzählen Joy, Milena, Brigitte & Jimmy, Johannes und Kurt persönlich aus ihrem Erleben und Denken!
In unserem Grundsatz-Artikel zeigen wir, dass in der Gemeinde von Jesus Menschen aus jeder Rasse willkommen sind. In einem weiteren Artikel zeigen wir auf, wie Gemeindebau in einem Multikulturellen Umfeld gelingen kann. Der multi-kulturelle Wesenszug gehört zur DNA der christlichen Gemeinde und muss unbedingt gefördert und persönlich erlebt werden! Geniesse in diesem Artikel die persönlichen Berichte folgender Personen:
In zwei ergänzenden Artikeln zeigen wir, wie Menschen die Schönheit der multikulturellen Gemeinde von Jesus erleben und wie Gemeindebau in einem Multikulturellen Umfeld gelingen kann.
Kurt Beutler ist Schweizer evangelischer Theologe, mit einer Ägypterin verheiratet, Pastor, Arabist, Islamkenner und Buchautor. Kurt hat erlebt, dass Hass zwischen Rassen überwunden werden kann.
Milena Šelemba ist Schweizerin und mit Dado aus Bosnien verheiratet, Pastorin und Mutter. Milena weiss aus eigener Erfahrung, wie bereichernd und gleichzeitig herausfordernd es ist, als ausländische Person in einer Gemeinde zu sein.
Nerlande Joy Gbati aus Haiti, Sängerin und Mutter, ist als Schwarze in Frankreich bei Weissen aufgewachsen. Nadou erlebt in der Internationalen Kirche Thurgau ein Stück Himmel auf Erden.
Brigitte und Jimmy Fernandez kommen aus der Schweiz und aus Bolivien. Brigitte hat Sozialwissenschaften und Jimmy Elektrotechnik studiert. Sie haben sich 2011 in Bolivien kennengelernt wo sie nach ihrer Hochzeit zusammen gedient haben. Sie wohnen seit 2018 in der schönen Schweiz und bauen hier an Gottes Reich. Sie erleben, wie sie als Ausländer durch Teilnahme an einer lokalen Gemeinde in ihrem Glauben gewachsen sind.
Kurt Beutler: Achtung, es wird scharf geschossen!
Kurden, Christen und Araber sollen im gleichen Heim leben, Tür an Tür, mit gemeinsamer Küche und Toiletten. Ist das möglich in der Schweiz, obwohl sie doch gerade wegen diesen Leuten ihre Heimat und geliebte Menschen verloren haben? Seit hunderten von Jahren gehen die Kriege zwischen ihnen weiter und hören nicht mehr auf. Sie hassen sich zutiefst, auch wenn sie bei jeder Gelegenheit das Gegenteil beteuern.
Ein Palästinenser träumt, dass er in die Ferien fliegt. Er sieht sich im Flugzeug sitzen und wundert sich, wohin es geht. Suchend richtet sich sein Blick nach oben. Da entdeckt er plötzlich die weiss-blaue Flagge mit dem Stern in der Mitte. Nun wird ihm klar, dass er in einer Maschine der El-Al sitzt und nach Israel fliegt! Dabei fühlt er sich aber sehr wohl. Als er aufwacht, weint er vor Freude. Von da an verspürt er nicht mehr Hass, sondern eine seltsame Liebe zum Volk der Juden.
Es ist ihm klar, dass nur Gott hinter diesem Traum stecken kann. Doch seine Freunde verstehen seine Veränderung nicht. Sie hatten keinen derartigen Traum und alle seine Versuche, Brücken zu bauen, führen nur zu neuen Verletzungen. Es ist keineswegs einfach, Vorurteile, generationenlangen Hass und geeiterte Verletzungen zu überwinden. Auch in der Kirche nicht. Wer sich nicht bewusst ist, auf was er sich da einlässt, wird tief enttäuscht werden.
Es ist viel einfacher, monokulturelle Gemeinden zu bauen – Gemeinden mit nur einer Kultur. Dazu braucht man auch viel weniger Heiligen Geist. Die Leute passen natürlicherweise zusammen und müssen sich auch nicht verändern. Die Einheit, die dabei entsteht, ist aber eine oberflächliche, weil es nur eine ethnisch und kulturell Einheit ist. Es ist keine geistliche, sondern eine äusserliche Scheineinheit ohne Tiefgang. Die Leute können weiterhin die Vorurteile und den alten Hass in ihren Herzen pflegen und mit sich tragen. Sie können auch in die Kirche kommen, ohne zu lieben.
Interkulturelle Gemeinden kann man nur bauen, wenn man die Mördergruben in den Herzen ausräuchert, und dies als grossen Erfolg feiern kann. Das ist schwierig. Es ist wohl eines der Probleme dieser Welt, die nur Jesus höchstpersönlich lösen kann. Nur durch die Liebe des Heilandes können die Gräben zwischen den Völkern überwunden werden, denn er hat am Kreuz sein Leben sowohl für Iraner als auch Afghanen, für Hutus wie auch Tutsis, für Amerikaner, aber auch Russen und für Angehörige aller indischen Kasten gegeben. Aber ehrlich gesagt: Es gibt Leute, die sich nie darauf einlassen, auch wenn sie gläubig werden. Automatisch läuft das nirgends ab. Es braucht enorme Seelsorge- und Vergebungsarbeit, um die Verachtung und den Hochmut der Völker gegeneinander zu überwinden. Doch die Chance ist da. Wer es tut, der ist wirklich Salz für diese Erde und tut etwas, was die Welt verändert. Und wenn wir alle mit Christus gekreuzigt sind, so gibt es keine gravierenden kulturellen Unterschiede mehr.
Vor dem Thron Gottes werden dereinst Menschen aus allen Völker stehen. Keiner besser als der andere, denn sie sind alle erlöste Sünder, und können dort nicht stehen, weil sie Schweizer sind oder aus nobler Familie stammen, sondern weil sie durch das kostbare Blut Jesu erkauft sind. Sie alle werden sich zu Boden werfen vor dem Lamm, das sie gerettet hat. Wenn in unseren heutigen Gemeinden ein Stück davon erlebt und sichtbar werden darf, ist das ein Vorgeschmack auf Himmel!
Milena Šelemba: Nach Bosnien und zurück
Schon die Anfänge der ersten Gemeinde sind multi-ethnisch. In Apostelgeschichte 2 lesen wir davon, dass die zurückgebliebenen Jünger Jesu mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden und anfingen in Sprachen zu reden, so dass die anwesenden Festbesucher, die aus den verschiedensten Ländern angereist waren (in den Versen 8 – 12 lesen wir davon), ihre eigene Sprache hörten. Gottes Ziel mit der neuen Gemeinde war von Beginn weg, alle Nationen zu erreichen. In Apostelgeschichte 1,8 lesen wir: «Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.» In Apostelgeschichte 8 wird dieser Vers bereits Realität: Die Verfolgung setzt ein und die Gemeinde in Jerusalem zerstreut sich. Später beginnen die Missionsreisen von Paulus – und das zu einer Zeit, wo Reisen weitaus beschwerlicher war als für uns heute!
Wir erleben heute eine Gegenbewegung wie noch nie zuvor – eine regelrechte Völkerwanderung, die zur Folge hat, dass die Menschen anderer Kulturen direkt vor unserer Haustüre leben. Natürlich bringt das viele Probleme mit sich und die Entwicklung an und für sich ist extrem schwierig. Trotzdem sehe ich, als ein Mensch, den andere Kulturen faszinieren, grosse Chancen in unserer Zeit, nicht nur für die Menschen, die zu uns kommen, sondern auch für uns als Christen und Gemeinden.
Die grundsätzliche Frage, die sich dabei wohl stellt, ist die Frage: Was lösen Menschen aus anderen ethnischen Hintergründen und Religionen bei uns aus? Machen sie uns Angst, weil wir ihr Denken, ihre Traditionen, ja ihre ganze Art zu leben nicht verstehen? Könnte es vielleicht sogar sein, dass es ihnen im Blick auf ihre Gastkultur ähnlich geht und dass wir genau darum Schritte auf sie zutun müssen, damit sie hier Fuss fassen, die Kultur verstehen und sich letztlich integrieren können?
Als ich vor mehr als 11 Jahren nach Bosnien-Herzegowina zog, in die Heimat meines Mannes, fühlte ich mich zuerst einfach mal fremd. Auf den ersten Blick schienen die kulturellen Unterschiede gar nicht so gross zu sein, aber ich wurde schnell eines Besseren belehrt und die Herausforderungen begannen. Ich war wohl noch nie zuvor in meinem Leben, so sehr mit meiner Identität als Schweizerin konfrontiert, wie in den ersten Monaten in meiner neuen Heimat. Das betraf mein ganzes Sein: meine Wahrnehmung der Dinge, mein Denken und Fühlen, meine Beurteilungen, auch mein geistliches Denksystem. Ich war plötzlich auf mich selber zurückgeworfen und musste mich mit meinen Werten auseinandersetzen: Was ist für mich richtig? Warum ist es das? Woher kommt meine Beurteilung eigentlich?
In dieser Zeit wäre es am einfachsten gewesen, mich zurückzuziehen, aber ich war froh um Einheimische, die Zeit mit mir verbrachten, die mir halfen, die Sprache zu üben, die mir Situationen erklärten und mir halfen, Dinge einzuordnen. Es war ein langer Weg zum Punkt – nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen – an dem ich sagen konnte: «Ja, man kann es auch anders machen. Und: Auch anders ist gut!» Und damit ist der Weg noch nicht zu Ende, sondern er führt weiter zum Punkt: Anders ist nicht nur gut, anders bereichert auch mein Leben, reisst neue Horizonte auf und hilft, manches ganz neu zu verstehen – gerade auch im Blick auf Gottes Reich, auf die Gemeinde.
Warum tun wir, was wir tun, so wie wir es tun? Das wurde für mich zur zentralen Frage. Weihnachten liegt gerade hinter uns. Die letzten 11 Jahre lebten wir als Familie in einer ethisch und kulturell sehr gemischten Kultur. Auf den Konflikt, der diesen Kulturen zugrunde liegt, will ich gar nicht eingehen. Aber eine Konsequenz dieses Kulturengemisches war, dass Weihnachten, Ostern und auch typisch christliche Symbole wie das Kreuz in unsern Gemeinden gar nicht vorkamen – einerseits weil das ehemals kommunistische Land diese Traditionen gar nicht kennt, andererseits auch aus Rücksichtnahme gegenüber denjenigen, die aus muslimischem Hintergrund stammen und mit diesen Symbolen, Krieg, Mord und Hass verbinden – Folgen eines Krieges im Namen der Religionen.
Als Familie erlebten wir 2019 zum ersten Mal die Weihnachtszeit in der Schweiz mit all ihren Bräuchen und Traditionen, auch in unsern Gemeinden, die wir oft nicht hinterfragen. Aber mein Mann hinterfragt, ist kritisch, will wissen, was dahintersteht! Er geht nämlich zur Zeit gerade durch die Phase, die ich in meiner Anfangszeit in Bosnien-Herzegwoina erlebt habe. Und er hinterfragt, wie ich finde zurecht! Das ist nicht immer einfach, weil wir Schweizer uns angegriffen fühlen, aber es zwingt uns dazu, herauszufinden, wo wir tatsächlich Jesuskultur leben und nicht einfach Tradition.
Unsere traditionellen Gemeinden in der Schweiz sind kulturell oft nicht sehr gemischt. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein und haben nicht zuletzt damit zu tun, dass sich Kulturen nicht so leicht miteinander verbinden und wir die oben beschriebenen Prozesse oft nicht bewusst durchleben, sondern bei uns selber stehenbleiben und dem, was uns richtig erscheint. Es hat sicher auch damit zu tun, dass uns Fremdes Angst macht und damit, dass wir uns nicht gerne hinterfragen lassen. Werden wir hinterfragt, braucht es gute Antworten. Und ich behaupte: Sie fehlen uns oft. Das weiss ich aus eigener Erfahrung. Warum tun wir, was wir tun, so wie wir es tun? Die zentrale Frage!
Um in unserem Land, in dem so viele Kulturen beheimatet sind, relevant zu werden, müssen wir neugierig werden und uns öffnen für das, was wir nicht kennen. Persönlich habe ich so viel Horizonterweiterung erlebt und Impulse bekommen durch Christen anderer Kulturen, die ihren Glauben anders leben, deren Anbetung anders geschieht als meine. Plötzlich ist im Lobpreis nicht mehr wichtig, ob ein Lied alt oder neu ist, ob der Text englisch oder deutsch ist und ich mitsingen kann oder nicht, wenn ich miterlebe, wie durch ein Lied in Urdu, Gottes Gegenwart plötzlich den Raum füllt und ich mich hineinnehmen lasse, obwohl ich kein Wort verstehe und der Melodie überhaupt nicht folgen kann. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, dass sich die Menschen aus andern Kulturen unserer Kultur anpassen, sondern dass wir voneinander lernen und gemeinsam neue Wege beschreiten. Geistliche und persönliche Horizonterweiterung durch das Miteinander unterschiedlicher Kulturen – das wünsche ich mir für unsere Gemeinden.
Nerlande Joy Gbati: Die internationale Gemeinde gab mir Heimat
Ich wurde in Haiti geboren, mit acht Jahren in Frankreich adoptiert und bin schwarzer Hautfarbe. Mein Vorname lautet Nerlande, der Herr taufte mich auf den Namen Joy.
Mit meinen Eltern, die sich selbst als Atheisten bezeichneten, war es schwierig, über meinen Glauben zu reden. Das Zusammensein mit meiner Grossmutter habe ich immer sehr genossen. Sie kannte Gott und sprach mit mir über die Bibel, trotz der Einstellung meiner Eltern. Ich wollte, dass meine Eltern die Liebe, die ich zu meinem himmlischen Vater habe, verstehen und an ihr teilhaben, denn Gottes Absicht ist es, das Evangelium allen Nationen, Gläubigen und Nichtgläubigen zu bringen. Er ist eine Quelle der Hoffnung für alle. Und ich wollte, dass meine Eltern gerettet werden. Schliesslich benutzte Gott mich eines Tages, um meiner Mutter die frohe Botschaft des Evangeliums mitzuteilen. Was ich damit meine, wird in Apostelgeschichte 11, 1–24 genauer veranschaulicht. Wir sind dazu aufgerufen, uns unter der Führung von Jesus, unserem einzigen Hirten, zu vereinen. Er ist unsere einzige Möglichkeit zur Erlösung.
Gottes Schöpfung ist voller Farben und Kontrasten, mit vielen verschiedenen Pflanzen, Landschaften und Tieren. Ich glaube, die Menschheit wurde auf die gleiche Weise erschaffen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten und Charakteren, Werten, Kulturen … und durch den Heiligen Geist mit vielen verschiedenen Sprachen. In jeder Nation sind die Menschen in der Lage, zu lehren und zu lernen und das Wort Gottes in ihrer eigenen Sprache zu verstehen. Als ich aufwuchs und von Weissen erzogen wurde, fiel es mir schwer, die Tatsache zu würdigen und mich damit abzufinden, dass ich in einer „weissen Welt“ schwarz war und niemand so aussah wie ich. Damals fragte ich meine Mutter: „Wenn ich viel Milch trinke, werde ich dann weiss sein wie du?“ Sie lachte und sah dabei ein wenig verwirrt aus. Im Laufe der Jahre wurde mir klar, dass die Hautfarbe in meiner ‚geistlichen‘ Familie keinen Unterschied macht, denn Schwarze und Weisse sowie Menschen aus Lateinamerika und sogar aus Asien sind in ihr vertreten.
Wir sehen alle unterschiedlich aus und haben unterschiedliche Lebensgeschichten, aber wir verstehen, dass wir alle gleich sind, ohne dass wir das genau erklären könnten. Ich bin mit einem afrikanischen Mann verheiratet. Und obwohl ich eine schwarze Frau bin, hat die französische Erziehung in mir manchmal interkulturelle Spannungen zwischen uns hervorgerufen, weil wir uns gegenseitig nicht immer wirklich verstanden haben. Aber Gott sei Dank war das bald vorbei. Er ist auch ein Kind Gottes. In meiner lokalen Gemeinde fühlte ich mich zu Beginn neugierig beobachtet, war ich doch eine von so wenigen Schwarzen. Aber sie alle haben mich so herzlich und ohne Vorbehalte aufgenommen, dass ich mich bald zu Hause fühlte, weil sie sich für mich interessieren und mir im Gegenzug viel über die Kultur beibringen, in der ich lebe.
Ich glaube, dass wir alle, die wir Jesus als Haupt haben, die Gemeinde Gottes sind. Diese Kirche ist der Leib Christi, und wie eine gut geölte Maschine haben wir alle eine Aufgabe zu erfüllen. Und es ist sehr wichtig, dass alle Nationen beteiligt sind, damit sich das Wort Gottes überall verbreitet. Wenn ich in eine Versammlung gehe und dort eine Vielfalt von Kulturen sehe und viele verschiedene Sprachen höre, berührt mich das sehr, da ich weiss, dass Gott dies so haben möchte. Diese interkulturelle Gemeinschaft bringt Menschen näher zusammen und fördert Respekt, Toleranz und Akzeptanz. Es gibt so viele Dinge, die wir voneinander lernen können. Unabhängig von unterschiedlichen Hintergründen sind wir eins. Ich empfehle Ungläubigen, sich den Film „Der König der Löwen“ („The Lion King“) anzuschauen und sie werden verstehen, was ich genau meine. Mit ein und demselben Herzen, geleitet von einem Geist, auf dem gleichen Weg zum Haus des Herrn, erheben sich unsere Stimmen, um den einen und einzigen König zu preisen und anzubeten, den wir alle kennen und gemeinsam haben. Diese Gemeinschaft ist so stark. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache … aber in einem besonderen Augenblick verstehen wir uns alle grenzenlos. Für einen winzigen Moment ist es mir egal, woher du kommst. Ich weiss nur, dass ich einen neuen Bruder oder eine neue Schwester in Christus habe und das ist wunderschön. In Gottes Augen sind wir alle von unschätzbarem Wert. Wir alle gehören ihm und sind seine Kinder. Seine Liebe und Toleranz überwiegen den Hass oder die Ablehnung dieser Welt, wie wir sie kennen. Seit meiner Jugend hatten manche meiner Mitmenschen Vorurteile gegen mich. Sie verletzten mich oder waren unfreundlich, sei es wegen meiner Herkunft, meines Aussehens oder wegen ihrer Angst, weil sie mich nicht kannten. Ich vergebe ihnen, da sie nicht wussten, dass Vielfalt der Wille Gottes ist. Wir sollen unterschiedlich sein und wir sehen unterschiedlich aus, um sein Königreich zu bereichern.
Wir müssen unsere interkulturellen Unterschiede, die für sich genommen ein Wunder sind, achten und sie nutzen, um dem Herrn zu dienen. Ich glaube nicht, dass in der Kirche die Farbe oder die Kleidung der Menschen oder ihre Art zu essen wichtig sind im Vergleich zur Reinheit ihrer Herzen. Wir alle werden gestärkt, wenn wir uns vereinen, um Gott anzubeten. Wir sind alle unterschiedlich, wie etwa ein Barnabas oder Paulus, um unserem Meister zu dienen. Für Gott sind wir eins, aber er liebt jedes einzelne seiner Kinder gleichermassen. Kultur, Farbe, Tradition oder Sprachen – sie alle sind hoch zu schätzen und man braucht keine Angst vor ihnen zu haben. Die Menschheit ist eine der Schöpfungen Gottes und perfekt gemacht, wie alles, was Er tut. Und wir alle sollen leben, um Seine Herrlichkeit zu sehen.
Unsere Herzen schlagen auf die gleiche Art und Weise, und in unseren Körpern fliesst das gleiche rote Blut. Wir verehren denselben Gott und unser letztes Ziel ist der Himmel. Für mich ist kulturelle Pluralität wie eine wunderschöne Leinwand mit Formen, Farben, Geschichten und Kontrasten, die von Gottes Hand geschaffen und signiert wurde. Ich bin stolz, ein Teil dieser Schöpfung und in der Lage zu sein, meiner neu gegründeten Familie in Haiti oder Menschen in der Schweiz die frohe Botschaft Gottes zu überbringen und einfach ein Kind Gottes zu sein.
Brigitte und Jimmy Fernandez: Können und sollen Kirchen multikulturell sein?
Ich (Brigitte) erinnere mich noch gut, vor fast zehn Jahren betrat ich zum ersten Mal eine Kirche in Bolivien. Ich war damals erst wenige Tage im Land und noch völlig überwältigt von all den neuen Eindrücken. Alles war anders; die Landschaft, das Essen, das Strassenleben und eben auch die Kirche.
Ich hatte grossen Respekt vor der Kirche, denn ich hatte schon viel darüber gehört, wie konservativ bolivianische Kirchen sein können. Frauen müssen Röcke und ein Kopftuch tragen, die Musik ist oft schlecht, die Predigten oberflächlich und noch vieles mehr. Die Kirche, von der ich ein Teil werden sollte, hatte den Ruf, sehr konservativ und auch sehr gesetzlich zu sein. Ich befasste mich intensiv mit der Frage, wie ich mit solchen konservativen Vorstellungen umgehen sollte. Wie konnte ich mich sein, wenn mir so viele Dinge vorgeschrieben würden? Konnte ich Gott in einem solchen Umfeld finden? Wie konnte ich meine Beziehung zu Gott leben, wenn mir vorgeschrieben würde, was ich anziehen, essen, trinken, wie ich meine Zeit verbringen, wie ich sprechen und wohin ich gehen sollte?
Eine Kirche, die diesem Ruf entspricht, wird kaum eine erfolgreiche multikulturelle Kirche werden. Mit dieser Frage wollen wir (Brigitte & Jimmy) uns in diesem Artikel beschäftigen: Was ist eine multikulturelle Kirche und was braucht es, damit sie zum Segen wird?
Was ist eine interkulturelle Kirche?
Eine interkulturelle Kirche, auch multikulturell oder multiethnisch genannt, ist eine Kirche, in der nicht eine bestimmte Kultur vorherrscht, sondern in der es Mitglieder aus verschiedenen kulturellen Hintergründen hat und diese auch in das Gemeindeleben einfliessen. In der Schweiz können das zum Beispiel Kirchen sein, in denen es Schweizer, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund hat. Die Leitung würde in diesem Beispiel nicht nur aus Schweizern bestehen und der Gottesdienst wäre nicht klassisch schweizerisch, sondern hätte Elemente aus den verschiedenen Kulturen der Mitglieder.
Bevor wir ganz in das Thema eintauchen, möchten wir aber festhalten, dass nicht alle Kirchen interkulturell sein können oder sogar sein müssen. Es gibt Orte, an denen es kaum Ausländer gibt, wie zum Beispiel im Bündnerland. Dann ist es nicht nötig eine multiethnische Gemeinde zu sein. Aber auch an Orten, an denen es Menschen mit Migrationshintergrund hat, müssen nicht alle Kirchen interkulturell sein. Jede Kirche ist verschieden, hat einen spezifischen Kontext und ist deshalb auch einzigartig.
Welche Kultur ist richtig?
Weltweit gibt es riesige Unterschiede, wie das Gemeindeleben und das Leben als Nachfolger Jesus gestaltet wird. Die einen wollen laute, lebhafte Musik, die anderen mögen es lieber leise. Für einige muss der Prediger unbedingt ein Mann sein, für andere darf es auch eine Frau sein. Einige geben sich extra Mühe beim Aussuchen der Kleider für den Gottesdienst, andere kommen so, wie es gerade bequem ist. Es gibt Kirchen, da sitzen Männer und Frauen getrennt und in anderen wollen Paare zusammensitzen. An einigen Orten dürfen alle am Abendmahl teilnehmen, in anderen Kirchen nur diejenigen, die zeigen, dass sie Jesus aus ganzem Herzen nachfolgen. Einheitlich ist eigentlich nur, dass es sehr schwierig ist, einen gemeinsamen Konsens der verschiedenen Stile und Vorstellungen zu finden.
Wenn wir es aber schaffen, uns so zu arrangieren, dass verschiedene Kulturen in unseren Kirchen Platz haben, können wir viel voneinander lernen. Migranten, die neu in der Schweiz sind, können besser integriert werden und mehr über das Leben in der Schweiz lernen. Schweizer können lernen, flexibler und offener zu sein. Wir alle können neue Perspektiven gewinnen und neue Ideen bekommen, wie wir Gott mit unseren Leben ehren können.
Einige Ideen, damit es funktioniert
Was machen wir nun, damit die Herausforderungen zum Segen werden? Wir glauben, dass eine multiethnische Kirche nur funktioniert, wenn alle bereit sind nachzugeben. Es wird nicht funktionieren, wenn wir sagen: «Wir sind in der Schweiz und in der Schweiz macht man es so». Zentral ist nicht, wie wir es schon immer gemacht haben, sondern was die Bibel dazu sagt. Niemand sollte in seinen Traditionen erstarren, sondern wir alle müssen unsere Werte und Bräuche mit der Bibel abgleichen.
Gespräche und gemeinsames Bibelstudium sind also entscheidend. Dabei können Menschen aus verschiedenen Kulturen erklären, weshalb sie etwas auf eine bestimmte Art und Weise machen. Alle, die an solchen Gesprächen teilnehmen, sollten mit Offenheit dabei sein. Das Ziel ist nicht, andere von der eigenen Ansicht zu überzeugen, sondern voneinander zu lernen. So beginnen wir, nicht eine Schweizer Kultur zu leben, sondern die Kultur des Reiches Gottes. Wir schützen uns auch vor Gesetzlichkeit, denn wir werden unsere Vorstellungen und Richtlinien immer wieder überdenken und analysieren müssen.
Es wird Fragen geben, die nicht in einem einmaligen Gespräch gelöst werden können. Einige müssen immer wieder gestellt und um Lösungen muss immer wieder gerungen werden. Es wird auch Fragen geben, auf die wir nie eine einheitliche Antwort finden werden. Manche Fragen müssen und sollen offenbleiben.
Dabei kann uns das folgende Zitat leiten:
Im Notwendigen Einheit, im Nicht-Notwendigen Freiheit, in beidem Liebe — Rupertus Meldenius
Welche Antworten sind notwendig und müssen darum gefunden werden und wo müssen wir üben, damit zu leben nicht einer Meinung zu sein?
«…die größte aber von diesen ist die Liebe» (1. Korinther 13:13)
Aber das Wichtigste, das Zentralste ist, wie es das Zitat sagt, die Liebe. Wenn wir miteinander im Gespräch bleiben und gemeinsam Lösungen suchen, soll immer die Liebe zum Nächsten an erster Stelle stehen. Es ist so schnell passiert, dass wir meinen, uns auf unser Recht berufen zu können.
Mitte Januar haben wir in der ganzen Schweiz die Allianzwoche gefeiert. Am Sonntag zum Abschluss der Woche haben wir andere Kirchen zu uns in den Gottesdienst eingeladen. Der Gottesdienst begann eigentlich ganz gut, wir haben uns viel Mühe gegeben, damit sich unsere Gäste willkommen fühlen. Doch dann, nach den ersten Predigtsätzen, steht ein Gast auf und beschwert sich darüber, dass vor ihm übersetzt wird. Das Geräusch einer zweiten Stimme, die als unregelmässiges Echo wahrgenommen wurde, störte ihn in seiner Konzentration auf die Predigt. Wir hatten an diesem Sonntag auch Besuch von jemandem, der kein Deutsch spricht und für ihn wurde auf Spanisch übersetzt. Ich habe mich wie ein Kochtopf gefühlt, der gleich übersprudelt, ich war so aufgebracht. Ich habe mir Dinge, wie die folgenden Sätze gedacht: «Wie wagt er es, sich als Gast zu beschweren?» und «Wie kann man nur so egoistisch sein?» Doch gleich darauf hat Gott mich angestupst und ich habe gemerkt, wie ich mich auf meine Tradition und mein Recht berufe. Entscheidend ist nicht, was ich will oder richtig finde, sondern die Liebe soll regieren. Vielleicht brauchte dieser Mann genau diese Predigt für sein Leben. Oder er hat sich für jemand anderen eingesetzt. Ich habe gemerkt, wie vorschnell ich geurteilt habe, genau, was ich eigentlich nicht machen will.
Nun zurück zu meinem Anfang in Bolivien. Wie gesagt, es sah gar nicht rosig aus, doch es kam ganz anders als erwartet. Begrüsst wurde ich von sehr liebevollen Menschen, die mich sofort in ihr Herz geschlossen hatten, obwohl ich noch gar nichts gemacht hatte. Ich konnte kaum mehr sagen als «Hola». Die Kirche, die mich so herzlich aufgenommen hatte, wurde zu einem riesigen Geschenk für mich, die Predigten waren relevant und tiefgründig und die Musik super! Obwohl «meine» Kirche in Bolivien tatsächlich zu den konservativsten gehört, blühte meine Gottesbeziehung richtig auf. Ich merkte schnell, dass viele der Regeln und Vorstellungen Sinn machten. Es waren auch gar nicht wirklich Regeln, sondern Dinge, die ich anfing, aus Liebe zu Gott und meinen Mitmenschen zu tun oder eben nicht. Und klar gibt es Überzeugungen, die ich bis heute nicht teile oder nicht verstehe. Einige Dinge lebe ich bewusst anders, um ein Vorbild zu sein und andere respektiere ich aus Liebe zu meinen Mitmenschen.
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