Grosses leuchtendes Fragezeichen

Fragen erlaubt. Antworten auch! (Teil 1/2)

Lesezeit: 4 Minuten
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by Paul und Peter Bruderer | 22. Sep. 2019 | 0 comments

‘Zweifeln erlaubt. Glauben auch!’ Dieser erfrischende Slo­gan begeg­nete mir kür­zlich auf dem super Blog der FCT-Kirche aus Täger­wilen. Der Spruch trifft den Nagel auf den Kopf in ein­er Zeit, in der ich oft von Leuten höre, die ange­blich vor allem Fra­gen mögen, aber keine Antwort wollen.

Auch unter The­olo­gen begeg­nen mir ver­mehrt Men­schen, welche die Fra­gen mehr zu lieben scheinen als die Antworten. In einem span­nen­den Por­trait der reformierten The­olo­gin Sara Stöck­lin wird fest­gestellt, dass ihr ‘Fra­gen lieber sind als Antworten’. Ob das nur die Sicht der Jour­nal­istin ist, oder ob Stöck­lin sich selb­st auch so sieht, weiss ich nicht. Aber die Aus­sage sticht heraus!

In eine ähn­liche Rich­tung geht der kür­zlich auf dem Blog der reformierten Kirche des Kan­tons Zürich erschienene Artikel  ‘Glaube ohne Antworten’ von Stephan Jütte. Der Artikel ist durch­drun­gen von Aus­sagen wie ‘ich weiss es nicht’ oder ‘dieses Chris­ten­tum hat keine Antworten’. Jütte scheint es sehr wohl zu sein in ein­er Welt mit vie­len Fra­gen und weni­gen bis keinen Antworten. Das Chris­ten­tum wäre sein­er Mei­n­ung nach viel span­nen­der, wenn es keine Antworten mehr präsen­tieren würde.

Warum sind uns Fra­gen manch­mal lieber als Antworten? Eine Per­son kann ver­schiedene Absicht­en ver­fol­gen, wenn sie Fra­gen stellt. Ich schlage fol­gende unvoll­ständi­ge Liste von Absicht­en vor (Ich würde mich über Vorschläge von weit­eren Kat­e­gorien freuen!):

Gott-loses Fragen

Mein Studi­um zum Elek­tro Inge­nieur an der ZHAW Win­terthur war eine span­nende Zeit für meinen Glauben, weil ich viele Gespräche hat­te mit meinen nicht-gläu­bi­gen Fre­un­den. Ich erin­nere mich gerne an die leb­haften und engagierten Diskus­sio­nen. Manch­mal ende­ten diese Unter­hal­tun­gen mit Fra­gen eines Kol­le­gen, die schlicht nicht zu beant­worten waren. Ich hat­te schnell den Ver­dacht, dass er sie nur deshalb stellte, um sich Gott vom Leib zu hal­ten. Ich nenne das mal ‘gott-los­es Fra­gen’: Fra­gen stellen, um Gott auf Dis­tanz zu hal­ten, also um Gott loszuwerden.

Reaktionäres Fragen

Manch­mal wollen die Leute nicht Gott, son­dern die vie­len gut gemein­ten aber vielle­icht wenig durch­dacht­en Antworten von Chris­ten loswer­den. Ein Weg, sich die vie­len mitunter unbe­friedi­gen­den Antworten vom Leib zu hal­ten, ist, die Fra­gen mehr zu lieben als die Antworten. Ich nenne diese Art ‘reak­tionäres Fra­gen’, weil man damit eine Gegen­reak­tion lebt zu einem Umfeld, das zu schnell und zu oft Antworten zu liefern ver­sucht, die unbe­friedi­gend sind.

Es kön­nte sein, dass die Liebe zu Fra­gen, welche wir bei Stöck­lin und Jütte sehen, in diese Kat­e­gorie gehört. Bei­de sind The­olo­gen. Ihre Vor­liebe für Fra­gen kann also kaum zur ersten (‘gott-losen’) Kat­e­gorie gehören. Zumin­d­est Stöck­lin hat einen ähn­lichen freikirch­lichen Hin­ter­grund, wie ich ihn habe. Ich weiss aus eigen­er Erfahrung nur zu gut, wie schnell man in diesen Kreisen Antworten geben will, wenn jemand Zweifel hat. Lei­der sind die Antworten manch­mal vorschnell und wenig durch­dacht. In einem solchen Umfeld sind reak­tionäre Fra­gen ein gutes und in gewis­sen Fällen wohl auch berechtigtes Mit­tel, um Schwächen aufzuzeigen oder sich etwas ‘Luft’ zu verschaffen.

Legitimierendes Fragen

Fra­gen zu stellen kann aber schlicht und ein­fach auch damit zu tun haben, dass man gewisse Antworten nicht hören will. Diese Art von Fra­gen wächst auf dem Nährbo­den eines beun­ruhigten Gewis­sens und dient dazu, diesem etwas ent­ge­gen­zustellen. Tim Keller bringt dies auf den Punkt im Zusam­men­hang mit der weit ver­bre­it­eten Prax­is junger Chris­ten, vore­he­lichen Sex zu haben. Keller berichtet im Artikel von Derek Rish­mawy davon, wie ein ihm bekan­nter und altge­di­en­ter ‘Col­lege-Pas­tor’ auf Glauben­szweifel viel­er Stu­den­ten reagiert habe:

Als er mit ihnen über den Zus­tand ihres geistlichen Lebens sprach, murmelten sie etwas von den Schwierigkeit­en mit dem Glauben, von Zweifeln, die sie hegten, nach­dem sie ein biss­chen Philoso­phie-Unter­richt hat­ten oder ein paar Stun­den Natur­wis­senschaft. Jet­zt sei ihr Glaube in den Grund­festen erschüt­tert. Wenn die Stu­den­ten an diesem Punkt ange­langt waren, schaute er sie an und stellte ihnen eine Frage: “Und — mit wem hast du in let­zter Zeit geschlafen?”

Was tun, wenn du dich einem Ver­hal­ten hin­gib­st, welch­es nach deinen bish­eri­gen Moralvorstel­lun­gen abzulehnen ist, aber dich auf mächtige und sinnliche Weise ein­nimmt? Dann sind Fra­gen und Zweifel auf ein­mal sehr willkom­men, weil sie dir bei der Legit­imierung deines Ver­hal­tens und beim Übertö­nen des eige­nen Gewis­sens helfen kön­nen. Ich nenne dies deshalb ‘legit­imieren­des Fragen’.

Hoffendes Fragen

Der Slo­gan der FCT-Kirche deutet darauf hin, dass es eine vierte Absicht gibt, Fra­gen zu stellen, welche die ersten drei Kat­e­gorien nicht haben: Man fragt, weil man die Wahrheit und eine entsprechende Antwort wün­scht. Man sucht, weil man am Ende glauben möchte. Ich nenne diese Art ‘hof­fend­es Fra­gen’. Man fragt, weil man hofft, eine Antwort zu bekom­men! Das ist die Art zu fra­gen, die wir in der Bibel im Psalm 13 vorfinden:

Wie lange noch, Herr, willst du mich vergessen? Etwa für immer? Wie lange noch willst du dich vor mir ver­ber­gen? Wie lange noch muss ich unter tiefer Trau­rigkeit lei­den und den ganzen Tag Kum­mer in meinem Herzen tra­gen? Wie lange noch darf mein Feind auf mich her­ab­se­hen? Psalm 13,2–3

Diese Fra­gen sind der­art exis­ten­ziell, dass sie nach ein­er Antwort lechzen! Diese Art von Fra­gen kön­nen niemals darauf abzie­len, Gott loszuw­er­den. Im Gegen­teil! Sie wer­den gestellt, ger­ade um wieder Nähe zu Gott zu find­en! Diese Fra­gen sind auch nicht reak­tionär, um sich Gläu­bige oder unan­genehme ethis­che The­men vom Leib zu hal­ten. Diese Fra­gen sind in der Hoff­nung gestellt, dass Antworten kom­men und man den Glauben wieder find­en darf. So endet dann auch der Psalm im Glauben:

Doch ich will auf deine Güte ver­trauen, von ganzem Herzen will ich jubeln über deine Ret­tung! Mit meinem Lied will ich dem Her­rn danken, weil er mir Gutes erwiesen hat. Psalm 13,6

Über diesen Psalm und das hof­fende Fra­gen rede ich in dieser aktuellen Video-Predigt:

Zweifeln erlaubt, Glauben auch!

Gott-los­es, reak­tionäres und legit­imieren­des Fra­gen sind mir zu sich­er, zu kon­trol­liert, zu emo­tion­s­los und ’safe’, denn das Fra­gen find­et mit kon­trol­lieren­der Absicht statt.

Das hof­fende Fra­gen mit seinen rohen Emo­tio­nen ist ehrlich­er, leben­sna­her, span­nen­der und beun­ruhi­gen­der! Dieses exis­ten­zielle Fra­gen birgt die reale Gefahr des Glaubensver­lustes. Aber es birgt auch die reale ‘Gefahr’, dass Gott das Herz neu mit Gewis­sheit des Glaubens füllt! Es birgt das Poten­tial, dass aus Zweifel Glaube entste­ht! Ich sehne mich nach mehr von dieser Art ehrlichen Fra­gens, wo man wirk­lich Antworten bekom­men und den Glauben wieder find­en will.

Teil 2 von diesem Artikel find­est du hier.

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