‘Zweifeln erlaubt. Glauben auch!’ Dieser erfrischende Slogan begegnete mir kürzlich auf dem super Blog der FCT-Kirche aus Tägerwilen. Der Spruch trifft den Nagel auf den Kopf in einer Zeit, in der ich oft von Leuten höre, die angeblich vor allem Fragen mögen, aber keine Antwort wollen.
Auch unter Theologen begegnen mir vermehrt Menschen, welche die Fragen mehr zu lieben scheinen als die Antworten. In einem spannenden Portrait der reformierten Theologin Sara Stöcklin wird festgestellt, dass ihr ‘Fragen lieber sind als Antworten’. Ob das nur die Sicht der Journalistin ist, oder ob Stöcklin sich selbst auch so sieht, weiss ich nicht. Aber die Aussage sticht heraus!
In eine ähnliche Richtung geht der kürzlich auf dem Blog der reformierten Kirche des Kantons Zürich erschienene Artikel ‘Glaube ohne Antworten’ von Stephan Jütte. Der Artikel ist durchdrungen von Aussagen wie ‘ich weiss es nicht’ oder ‘dieses Christentum hat keine Antworten’. Jütte scheint es sehr wohl zu sein in einer Welt mit vielen Fragen und wenigen bis keinen Antworten. Das Christentum wäre seiner Meinung nach viel spannender, wenn es keine Antworten mehr präsentieren würde.
Warum sind uns Fragen manchmal lieber als Antworten? Eine Person kann verschiedene Absichten verfolgen, wenn sie Fragen stellt. Ich schlage folgende unvollständige Liste von Absichten vor (Ich würde mich über Vorschläge von weiteren Kategorien freuen!):
Gott-loses Fragen
Mein Studium zum Elektro Ingenieur an der ZHAW Winterthur war eine spannende Zeit für meinen Glauben, weil ich viele Gespräche hatte mit meinen nicht-gläubigen Freunden. Ich erinnere mich gerne an die lebhaften und engagierten Diskussionen. Manchmal endeten diese Unterhaltungen mit Fragen eines Kollegen, die schlicht nicht zu beantworten waren. Ich hatte schnell den Verdacht, dass er sie nur deshalb stellte, um sich Gott vom Leib zu halten. Ich nenne das mal ‘gott-loses Fragen’: Fragen stellen, um Gott auf Distanz zu halten, also um Gott loszuwerden.
Reaktionäres Fragen
Manchmal wollen die Leute nicht Gott, sondern die vielen gut gemeinten aber vielleicht wenig durchdachten Antworten von Christen loswerden. Ein Weg, sich die vielen mitunter unbefriedigenden Antworten vom Leib zu halten, ist, die Fragen mehr zu lieben als die Antworten. Ich nenne diese Art ‘reaktionäres Fragen’, weil man damit eine Gegenreaktion lebt zu einem Umfeld, das zu schnell und zu oft Antworten zu liefern versucht, die unbefriedigend sind.
Es könnte sein, dass die Liebe zu Fragen, welche wir bei Stöcklin und Jütte sehen, in diese Kategorie gehört. Beide sind Theologen. Ihre Vorliebe für Fragen kann also kaum zur ersten (‘gott-losen’) Kategorie gehören. Zumindest Stöcklin hat einen ähnlichen freikirchlichen Hintergrund, wie ich ihn habe. Ich weiss aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie schnell man in diesen Kreisen Antworten geben will, wenn jemand Zweifel hat. Leider sind die Antworten manchmal vorschnell und wenig durchdacht. In einem solchen Umfeld sind reaktionäre Fragen ein gutes und in gewissen Fällen wohl auch berechtigtes Mittel, um Schwächen aufzuzeigen oder sich etwas ‘Luft’ zu verschaffen.
Legitimierendes Fragen
Fragen zu stellen kann aber schlicht und einfach auch damit zu tun haben, dass man gewisse Antworten nicht hören will. Diese Art von Fragen wächst auf dem Nährboden eines beunruhigten Gewissens und dient dazu, diesem etwas entgegenzustellen. Tim Keller bringt dies auf den Punkt im Zusammenhang mit der weit verbreiteten Praxis junger Christen, vorehelichen Sex zu haben. Keller berichtet im Artikel von Derek Rishmawy davon, wie ein ihm bekannter und altgedienter ‘College-Pastor’ auf Glaubenszweifel vieler Studenten reagiert habe:
Als er mit ihnen über den Zustand ihres geistlichen Lebens sprach, murmelten sie etwas von den Schwierigkeiten mit dem Glauben, von Zweifeln, die sie hegten, nachdem sie ein bisschen Philosophie-Unterricht hatten oder ein paar Stunden Naturwissenschaft. Jetzt sei ihr Glaube in den Grundfesten erschüttert. Wenn die Studenten an diesem Punkt angelangt waren, schaute er sie an und stellte ihnen eine Frage: “Und — mit wem hast du in letzter Zeit geschlafen?”
Was tun, wenn du dich einem Verhalten hingibst, welches nach deinen bisherigen Moralvorstellungen abzulehnen ist, aber dich auf mächtige und sinnliche Weise einnimmt? Dann sind Fragen und Zweifel auf einmal sehr willkommen, weil sie dir bei der Legitimierung deines Verhaltens und beim Übertönen des eigenen Gewissens helfen können. Ich nenne dies deshalb ‘legitimierendes Fragen’.
Hoffendes Fragen
Der Slogan der FCT-Kirche deutet darauf hin, dass es eine vierte Absicht gibt, Fragen zu stellen, welche die ersten drei Kategorien nicht haben: Man fragt, weil man die Wahrheit und eine entsprechende Antwort wünscht. Man sucht, weil man am Ende glauben möchte. Ich nenne diese Art ‘hoffendes Fragen’. Man fragt, weil man hofft, eine Antwort zu bekommen! Das ist die Art zu fragen, die wir in der Bibel im Psalm 13 vorfinden:
Wie lange noch, Herr, willst du mich vergessen? Etwa für immer? Wie lange noch willst du dich vor mir verbergen? Wie lange noch muss ich unter tiefer Traurigkeit leiden und den ganzen Tag Kummer in meinem Herzen tragen? Wie lange noch darf mein Feind auf mich herabsehen? Psalm 13,2–3
Diese Fragen sind derart existenziell, dass sie nach einer Antwort lechzen! Diese Art von Fragen können niemals darauf abzielen, Gott loszuwerden. Im Gegenteil! Sie werden gestellt, gerade um wieder Nähe zu Gott zu finden! Diese Fragen sind auch nicht reaktionär, um sich Gläubige oder unangenehme ethische Themen vom Leib zu halten. Diese Fragen sind in der Hoffnung gestellt, dass Antworten kommen und man den Glauben wieder finden darf. So endet dann auch der Psalm im Glauben:
Doch ich will auf deine Güte vertrauen, von ganzem Herzen will ich jubeln über deine Rettung! Mit meinem Lied will ich dem Herrn danken, weil er mir Gutes erwiesen hat. Psalm 13,6
Über diesen Psalm und das hoffende Fragen rede ich in dieser aktuellen Video-Predigt:
Zweifeln erlaubt, Glauben auch!
Gott-loses, reaktionäres und legitimierendes Fragen sind mir zu sicher, zu kontrolliert, zu emotionslos und ’safe’, denn das Fragen findet mit kontrollierender Absicht statt.
Das hoffende Fragen mit seinen rohen Emotionen ist ehrlicher, lebensnaher, spannender und beunruhigender! Dieses existenzielle Fragen birgt die reale Gefahr des Glaubensverlustes. Aber es birgt auch die reale ‘Gefahr’, dass Gott das Herz neu mit Gewissheit des Glaubens füllt! Es birgt das Potential, dass aus Zweifel Glaube entsteht! Ich sehne mich nach mehr von dieser Art ehrlichen Fragens, wo man wirklich Antworten bekommen und den Glauben wieder finden will.
Teil 2 von diesem Artikel findest du hier.
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