Wenn Glaube und Wissen sich im Wege stehen, dann sollte man sich das mit dem Glauben nochmals gut überlegen. Wenn der Glaube das persönliche Glück behindert, dann stimmt sicher mit dem Glauben etwas nicht. Und wenn der Kaiser sich zum Gott macht, dann wird Gott schon nicht so streng sein, wenn man das Theater oberflächlich mitspielt.
Der römische Kaiser und der jüdische König
Smyrna im Jahr 155 n.Chr.: Polykarp, der alte Bischof der Stadt, steht vor Gericht. Die Anklage: Polykarp sei Christ. Doch was ist daran schlimm? Soll doch jeder glauben, was er will!
Die Römer kann man in Glaubensfragen durchaus als tolerant bezeichnen. Grundsätzlich erlaubten sie es unterlegenen Völkern, ihre kulturellen und religiösen Bräuche beizubehalten. Z.T. übernahmen sie sogar selbst die Götter der Unterlegenen. Römischer Mars, griechische Aphrodite, ägyptische Isis – ihre Schreine und Statuen konnten Seite an Seite stehen, ohne dass das Jemanden gestört hätte. Was war also das Problem mit den Christen?
Die Gerichtsverhandlung des Polykarp gibt uns darauf einige wichtige Hinweise. Um den Kontext besser zu verstehen, lohnt es sich, die ganze Märtyrerakte des Polykarp zu lesen. Sie gibt einen guten Einblick in eine der frühen Christenverfolgungen. Der bissige Humor von Polykarp passt dabei gut zur eigentlichen Tragik der Geschichte.
«Der Prokonsul aber drang noch mehr in ihn und sprach: “Schwöre und ich gebe dich frei, fluche Christo!” Da entgegnete Polykarp: “Sechsundachtzig Jahre diene ich ihm, und er hat mir nie ein Leid getan; wie könnte ich meinen König und Erlöser lästern?” Als er aber aufs neue in ihn drang und sagte: “Schwöre beim Glücke des Kaisers”, antwortete er: “Wenn du dir mit dem Gedanken schmeichelst, ich würde, wie du es nennst, beim Glücke des Kaisers schwören, und dich stellst, als wüßtest du nicht, wer ich bin, so höre mein freimütiges Bekenntnis: Ich bin ein Christ.”» Martyrium des heiligen Polykarp 9–10
Anscheinend hielt es Polykarp für unmöglich, Christ zu sein und gleichzeitig beim Kaiser zu schwören. Beim Kaiser schwören zu müssen, hätte er als Beleidigung von Jesus angesehen.
Genau das war das Problem, das die Römer hatten: Du kannst anbeten, wen oder was du willst, so lange du zusätzlich auch den Kaiser verehrst. Dabei ging es nicht darum, dass der Kaiser der wichtigste oder oberste römische Gott gewesen wäre. Aber der Kaiser war das alles einende Prinzip. Er hielt das Reich zusammen. Jeder, der ihn in irgendeiner Form kritisierte, wurde als Bedrohung für das ganze römische Reich angesehen. Ob man den Kaiser tatsächlich für einen Gott hielt, war nebensächlich. Wichtig war, dass man sich in allen Lebensbereichen seinem Befehl unterordnete. Und wenn der ein Opfer verlangte, dann hatte man gefälligst ein Opfer zu bringen.
Paulus betonte, dass jede staatliche Macht von Gott eingesetzt ist und man ihr deshalb gehorchen soll (Rom 13:1–7). «Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!», hatte Jesus gelehrt (Mt 22:16–22). Aber der Vers geht noch weiter: «Und gebt Gott, was Gott gehört!» Die Macht des Kaisers ist nicht unendlich. Es gibt einen Bereich, in dem er nichts zu sagen hat. Spätestens dort, wo sich der Kaiser zum Gott erklärt, hört der Spass auf.
Mit dem Titel «Christus» ist ein Herrschaftsanspruch verbunden. Das griechische christos heisst im Hebräischen «Messias» und bedeutet wörtlich «Gesalbter». Die Salbung war im Alten Testament die Einsetzung in ein Amt. Vor allem Könige, aber auch Priester wurden zu Beginn ihrer Amtszeit gesalbt (Vgl. z.B. 2.Mo. 28:41; 2.Mo. 29:21; Ri. 9:8–15; 1.Sam. 15:1; 2.Sam. 2:4). Um es etwas zu kontextualisieren, könnte man Christus auch mit «der Gekrönte» oder einfach nur «König» widergeben.
Spätestens jetzt ist der Konflikt mit dem römischen Herrscher vorprogrammiert. Den Christen der Alten Kirche wurde alles Mögliche vorgeworfen: Atheismus (weil es von ihrem Gott keine sichtbaren Statuen gab), Kannibalismus (weil sie in ihren Zusammenkünften «Fleisch und Blut» zu sich nahmen), Inzest (weil hier «Brüder und Schwestern» miteinander verheiratet wurden) und eben auch Hochverrat.
Antichristliche Ausschreitungen in Lahore, Pakistan, März 2013
Christen sind Verfolgte
«Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.» (Apg. 5:29)
Für diesen Grundsatz haben im Laufe der Geschichte unzählige Christen ihr Leben gelassen. Totalitäre Herrscher und Systeme haben immer versucht, sich entweder als von Gott legitimierte Herrscher auszugeben oder die Herrschaft Gottes ganz zu leugnen. In beiden Fällen drohte bei Widerspruch der Tod.
Für uns Westeuropäer scheint diese Thematik weit weg zu sein. Schliesslich leben wir demokratisch. Dabei ignorieren wir, dass grosse Teile der Christenheit noch heute unter den modernen Kaisern zu leiden haben. Stimmen wie die von Open Doors sind Aufforderung und Warnung zugleich. Sie sind Aufforderung, uns in Erinnerung zu rufen, dass wo ein Körperteil des Leibes Christi leidet, alle anderen auch leiden (1.Kor. 12:26). In dieser Verfolgung stehen wir gemeinsam da.
Es ist aber auch eine Warnung. Am Abend vor seiner Hinrichtung hat Jesus seine Jünger nochmal vorausgesagt, dass ihnen Verfolgung bevorstehen würde (Joh. 15:18–27). Dem Jünger wird es nicht besser gehen als dem Meister. Wer Christ wird, muss damit rechnen, verfolgt zu werden. Egal wo er lebt.
Die Warnung an uns Westeuropäer ist eine doppelte. Erstens: Wir sollten uns nicht in falscher Sicherheit wähnen. Schauen wir auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Schon im Jahr der Machtergreifung Hitlers begann der sogenannte Kirchenkampf zwischen den nationalsozialistischen Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche. Vier Jahre später wurde Martin Niemöller, einer der Anführer der Bekennenden Kirche, verhaftet. Dieses Beispiel zeigt, wie schnell Glaube auch in Europa gefährlich werden kann.
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Unsere unscheinbaren Kaiser
Die zweite Warnung betrifft die Kaiser, die sich nicht so offensichtlich als politische Diktatoren zeigen. Ob Christ oder nicht: In einer stabilen Demokratie sind wir stolz darauf, dass es so etwas wie einen Kaiser nicht gibt. Denn schliesslich ist jeder von uns sein eigener König. So etwas wie einen allgemeinen Herrschaftsanspruch darf niemand erheben.
Die Kaiser der westlichen Demokratie haben unterschiedliche Namen. Zwei davon heissen allmächtige Selbstbestimmung und ewiges Wachstum. Vor 50 Jahren hätte man vielleicht noch die heilige Wissenschaft dazuzählen können. Doch Kaiser Wissen verliert an Macht. Das wäre jetzt eine längere Diskussion wert, aber hier nur ein kleiner Gedankenanstoss. Wissen ist so verfügbar, wie noch nie. Gleichzeitig wird es aber immer schwieriger qualifiziertes von unqualifiziertem Wissen zu unterscheiden. Jeder kann zu allem und jedem seine Meinung kundtun. Das war früher sicher auch so. Mir scheint aber, dass zum einen heute die eigene Meinung als besonders heilig gilt. Zum anderen fällt es vielen Menschen in der Praxis schwer, zwischen allgemeiner Wahrheit, wissenschaftlichem Forschungsstand und persönlicher Überzeugung zu unterscheiden.
Der Soziologe Max Weber hatte 1917 in seinem Vortrag «Wissenschaft als Beruf» schon vorausgesagt, dass die «Entzauberung der Welt» durch die Wissenschaft zu einem neuen «Kampf der Götter» führen würde. Damit meinte er, dass eine Zeit anbrechen würde, in der verschiedene totgeglaubte Ideen wieder lebendig würden. Diese Ideen und Ideologien würden wie die antiken Götter miteinander kämpfen. Dieses Mal jedoch hinter den Kulissen. Ob diese Ideen rational begründbar sind, spielt keine Rolle. In Zeiten von Fake News erleben wir genau das: Ob etwas wahr ist oder nicht, spielt keine Rolle. Hauptsache ist, dass es mir nützt.
Das führt uns zu Kaiser Selbstbestimmung. Wenn ich etwas für gut halte, wer bist du, dass du es böse nennst? Das ist der Baum der Erkenntnis auf die Spitze getrieben (1.Mo. 3:1–24). Wir vergessen gerne, dass das Reich Gottes keine Demokratie, sondern ein Königreich ist. Da ist ein König und dieser König bist nicht du und erst recht nicht ich. Wenn also dieser König Jesus einer meiner Entscheidungen widerspricht, wer liegt dann falsch?
Ich bin mein eigener Kaiser. Wenn ich jemand anderem gehorchen, dann nur weil ich persönlich das so entschieden habe. Natürlich hat mein Arbeitgeber mir etwas zu sagen. Aber wenn er es zu weit treibt, werde ich die Arbeitsstelle wechseln. Unsere Gesellschaft tut sich schwer mit jeglichen Lebensentwürfen, die einen bedingungslosen Gehorsam und eine lebenslange Treue einfordern. Das wäre fremdbestimmt leben.
Der absolute Anti-Lebensentwurf für unsere Gesellschaft ist der des Mönchs. Da verpflichtet sich jemand zu lebenslanger Enthaltsamkeit und bedingungslosem Gehorsam gegenüber seinen Vorgesetzten – nicht mal wir Christen können uns vorstellen, dass das ein erfüllendes Leben sein könnte. Über Jahrhunderte hinweg wurde das Mönchstum als die christliche Lebensform schlechthin angesehen. Wer Gott dienen wollte, ging ins Kloster. Alle anderen dienten Gott, obwohl sie nicht im Kloster waren.
Heute ist diese Idee praktisch bedeutungslos. Ausserhalb des römisch-katholischen Kontextes sowieso. Natürlich hat auch das Mönchstum seine Probleme. Aber dass diese Lebensform heute dermassen in Verruf gekommen ist, ist doch bemerkenswert. Vielleicht sagt uns das etwas über unsere immateriellen Kaiser. Die finden wir nämlich auch in unseren Gemeinden.
Kaiser Wachstum ist eine eigene Thematik. Ein ewiges, unbegrenztes Wirtschaftswachstum in einem endlichen, begrenzten Universum stellt eine Unmöglichkeit dar. Die umwelttechnischen Fragen sind für diesen Artikel nur am Rande interessant. Viel wichtiger scheint mir, dass wir Christen uns so sehr an unser Wirtschaftssystem gewöhnt haben, dass wir uns ein anderes gar nicht mehr vorstellen können. Und genau das ist der Punkt: Sobald eine Idee, ein Prinzip, eine Ideologie, eine Person so mächtig wird, dass wir uns ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen können, ist sie zum Kaiser geworden. Sobald ein Ding alles dominiert und dieses Ding nicht Jesus Christus heisst, stimmt etwas nicht.
Kaiser kommen und gehen. Auch wenn sie es gerne wären: Sie sind nicht ewig. Doch so lange sie da sind, ist es unsere Aufgabe ihnen zu widersprechen, wo sie sich an die Stelle Gottes setzen. Selbstbestimmung, Wachstum und Wissenschaft sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie stehen hier stellvertretend für alles, was zu viel Raum in unserem Leben einnehmen will: Nationalstolz, Religiosität, Familie usw. Das alles hat seinen Platz und seine Berechtigung. Auch die römischen Kaiser waren nicht grundsätzlich schlecht. Nach Römer 13 waren auch sie von Gott eingesetzt. Eine gute Regierung ist wunderbar! Aber der Kaiser ist eben Kaiser und nicht Gott. Darum:
«Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!» Mt 22:21
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