DNA (7/10): Jesus allein ist König

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Wenn Glaube und Wis­sen sich im Wege ste­hen, dann sollte man sich das mit dem Glauben nochmals gut über­legen. Wenn der Glaube das per­sön­liche Glück behin­dert, dann stimmt sich­er mit dem Glauben etwas nicht. Und wenn der Kaiser sich zum Gott macht, dann wird Gott schon nicht so streng sein, wenn man das The­ater ober­fläch­lich mitspielt.

Der römische Kaiser und der jüdische König

Smyr­na im Jahr 155 n.Chr.: Polykarp, der alte Bischof der Stadt, ste­ht vor Gericht. Die Anklage: Polykarp sei Christ. Doch was ist daran schlimm? Soll doch jed­er glauben, was er will!

Die Römer kann man in Glaubens­fra­gen dur­chaus als tol­er­ant beze­ich­nen. Grund­sät­zlich erlaubten sie es unter­lege­nen Völk­ern, ihre kul­turellen und religiösen Bräuche beizube­hal­ten. Z.T. über­nah­men sie sog­ar selb­st die Göt­ter der Unter­lege­nen. Römis­ch­er Mars, griechis­che Aphrodite, ägyp­tis­che Isis – ihre Schreine und Stat­uen kon­nten Seite an Seite ste­hen, ohne dass das Jeman­den gestört hätte. Was war also das Prob­lem mit den Christen?

Die Gerichtsver­hand­lung des Polykarp gibt uns darauf einige wichtige Hin­weise. Um den Kon­text bess­er zu ver­ste­hen, lohnt es sich, die ganze Mär­tyr­erak­te des Polykarp zu lesen. Sie gibt einen guten Ein­blick in eine der frühen Chris­ten­ver­fol­gun­gen. Der bis­sige Humor von Polykarp passt dabei gut zur eigentlichen Tragik der Geschichte.

«Der Prokon­sul aber drang noch mehr in ihn und sprach: “Schwöre und ich gebe dich frei, fluche Chris­to!” Da ent­geg­nete Polykarp: “Sech­sun­dachtzig Jahre diene ich ihm, und er hat mir nie ein Leid getan; wie kön­nte ich meinen König und Erlös­er lästern?” Als er aber aufs neue in ihn drang und sagte: “Schwöre beim Glücke des Kaisers”, antwortete er: “Wenn du dir mit dem Gedanken schme­ichelst, ich würde, wie du es nennst, beim Glücke des Kaisers schwören, und dich stellst, als wüßtest du nicht, wer ich bin, so höre mein freimütiges Beken­nt­nis: Ich bin ein Christ.”» Mar­tyri­um des heili­gen Polykarp 9–10

Anscheinend hielt es Polykarp für unmöglich, Christ zu sein und gle­ichzeit­ig beim Kaiser zu schwören. Beim Kaiser schwören zu müssen, hätte er als Belei­di­gung von Jesus angesehen.

Genau das war das Prob­lem, das die Römer hat­ten: Du kannst anbeten, wen oder was du willst, so lange du zusät­zlich auch den Kaiser verehrst. Dabei ging es nicht darum, dass der Kaiser der wichtig­ste oder ober­ste römis­che Gott gewe­sen wäre. Aber der Kaiser war das alles einende Prinzip. Er hielt das Reich zusam­men. Jed­er, der ihn in irgen­dein­er Form kri­tisierte, wurde als Bedro­hung für das ganze römis­che Reich ange­se­hen. Ob man den Kaiser tat­säch­lich für einen Gott hielt, war neben­säch­lich. Wichtig war, dass man sich in allen Lebens­bere­ichen seinem Befehl unterord­nete. Und wenn der ein Opfer ver­langte, dann hat­te man gefäl­ligst ein Opfer zu bringen.

Paulus betonte, dass jede staatliche Macht von Gott einge­set­zt ist und man ihr deshalb gehorchen soll (Rom 13:1–7). «Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!», hat­te Jesus gelehrt (Mt 22:16–22). Aber der Vers geht noch weit­er: «Und gebt Gott, was Gott gehört!» Die Macht des Kaisers ist nicht unendlich. Es gibt einen Bere­ich, in dem er nichts zu sagen hat. Spätestens dort, wo sich der Kaiser zum Gott erk­lärt, hört der Spass auf.

Mit dem Titel «Chris­tus» ist ein Herrschaft­sanspruch ver­bun­den. Das griechis­che chris­tos heisst im Hebräis­chen «Mes­sias» und bedeutet wörtlich «Gesalbter». Die Sal­bung war im Alten Tes­ta­ment die Ein­set­zung in ein Amt. Vor allem Könige, aber auch Priester wur­den zu Beginn ihrer Amt­szeit gesalbt (Vgl. z.B. 2.Mo. 28:41; 2.Mo. 29:21; Ri. 9:8–15; 1.Sam. 15:1; 2.Sam. 2:4). Um es etwas zu kon­tex­tu­al­isieren, kön­nte man Chris­tus auch mit «der Gekrönte» oder ein­fach nur «König» widergeben.

Spätestens jet­zt ist der Kon­flikt mit dem römis­chen Herrsch­er vor­pro­gram­miert. Den Chris­ten der Alten Kirche wurde alles Mögliche vorge­wor­fen: Athe­is­mus (weil es von ihrem Gott keine sicht­baren Stat­uen gab), Kan­ni­bal­is­mus (weil sie in ihren Zusam­menkün­ften «Fleisch und Blut» zu sich nah­men), Inzest (weil hier «Brüder und Schwest­ern» miteinan­der ver­heiratet wur­den) und eben auch Hochverrat.

Christen sind Verfolgte

«Man muss Gott mehr gehorchen als den Men­schen.» (Apg. 5:29)

Für diesen Grund­satz haben im Laufe der Geschichte unzäh­lige Chris­ten ihr Leben gelassen. Total­itäre Herrsch­er und Sys­teme haben immer ver­sucht, sich entwed­er als von Gott legit­imierte Herrsch­er auszugeben oder die Herrschaft Gottes ganz zu leug­nen. In bei­den Fällen dro­hte bei Wider­spruch der Tod.

Für uns Wes­teu­ropäer scheint diese The­matik weit weg zu sein. Schliesslich leben wir demokratisch. Dabei ignori­eren wir, dass grosse Teile der Chris­ten­heit noch heute unter den mod­er­nen Kaisern zu lei­den haben. Stim­men wie die von Open Doors sind Auf­forderung und War­nung zugle­ich. Sie sind Auf­forderung, uns in Erin­nerung zu rufen, dass wo ein Kör­perteil des Leibes Christi lei­det, alle anderen auch lei­den (1.Kor. 12:26). In dieser Ver­fol­gung ste­hen wir gemein­sam da.

Es ist aber auch eine War­nung. Am Abend vor sein­er Hin­rich­tung hat Jesus seine Jünger nochmal voraus­ge­sagt, dass ihnen Ver­fol­gung bevorste­hen würde (Joh. 15:18–27). Dem Jünger wird es nicht bess­er gehen als dem Meis­ter. Wer Christ wird, muss damit rech­nen, ver­fol­gt zu wer­den. Egal wo er lebt.

Die War­nung an uns Wes­teu­ropäer ist eine dop­pelte. Erstens: Wir soll­ten uns nicht in falsch­er Sicher­heit wäh­nen. Schauen wir auf den Zweit­en Weltkrieg zurück. Schon im Jahr der Machter­grei­fung Hitlers begann der soge­nan­nte Kirchenkampf zwis­chen den nation­al­sozial­is­tis­chen Deutschen Chris­ten und der Beken­nen­den Kirche. Vier Jahre später wurde Mar­tin Niemöller, ein­er der Anführer der Beken­nen­den Kirche, ver­haftet. Dieses Beispiel zeigt, wie schnell Glaube auch in Europa gefährlich wer­den kann.


Bild: iStock

Unsere unscheinbaren Kaiser

Die zweite War­nung bet­rifft die Kaiser, die sich nicht so offen­sichtlich als poli­tis­che Dik­ta­toren zeigen. Ob Christ oder nicht: In ein­er sta­bilen Demokratie sind wir stolz darauf, dass es so etwas wie einen Kaiser nicht gibt. Denn schliesslich ist jed­er von uns sein eigen­er König. So etwas wie einen all­ge­meinen Herrschaft­sanspruch darf nie­mand erheben.

Die Kaiser der west­lichen Demokratie haben unter­schiedliche Namen. Zwei davon heis­sen allmächtige Selb­st­bes­tim­mung und ewiges Wach­s­tum. Vor 50 Jahren hätte man vielle­icht noch die heilige Wis­senschaft dazuzählen kön­nen. Doch Kaiser Wis­sen ver­liert an Macht. Das wäre jet­zt eine län­gere Diskus­sion wert, aber hier nur ein klein­er Gedanke­nanstoss. Wis­sen ist so ver­füg­bar, wie noch nie. Gle­ichzeit­ig wird es aber immer schwieriger qual­i­fiziertes von unqual­i­fiziertem Wis­sen zu unter­schei­den. Jed­er kann zu allem und jedem seine Mei­n­ung kund­tun. Das war früher sich­er auch so. Mir scheint aber, dass  zum einen heute die eigene Mei­n­ung als beson­ders heilig gilt. Zum anderen fällt es vie­len Men­schen in der Prax­is schw­er, zwis­chen all­ge­mein­er Wahrheit, wis­senschaftlichem Forschungs­stand und per­sön­lich­er Überzeu­gung zu unterscheiden.

Der Sozi­ologe Max Weber hat­te 1917 in seinem Vor­trag «Wis­senschaft als Beruf» schon voraus­ge­sagt, dass die «Entza­uberung der Welt» durch die Wis­senschaft zu einem neuen «Kampf der Göt­ter» führen würde. Damit meinte er, dass eine Zeit anbrechen würde, in der ver­schiedene tot­geglaubte Ideen wieder lebendig wür­den. Diese Ideen und Ide­olo­gien wür­den wie die antiken Göt­ter miteinan­der kämpfen. Dieses Mal jedoch hin­ter den Kulis­sen. Ob diese Ideen ratio­nal begründ­bar sind, spielt keine Rolle. In Zeit­en von Fake News erleben wir genau das: Ob etwas wahr ist oder nicht, spielt keine Rolle. Haupt­sache ist, dass es mir nützt.

Das führt uns zu Kaiser Selb­st­bes­tim­mung. Wenn ich etwas für gut halte, wer bist du, dass du es böse nennst? Das ist der Baum der Erken­nt­nis auf die Spitze getrieben (1.Mo. 3:1–24). Wir vergessen gerne, dass das Reich Gottes keine Demokratie, son­dern ein Kön­i­gre­ich ist. Da ist ein König und dieser König bist nicht du und erst recht nicht ich. Wenn also dieser König Jesus ein­er mein­er Entschei­dun­gen wider­spricht, wer liegt dann falsch?

Ich bin mein eigen­er Kaiser. Wenn ich jemand anderem gehorchen, dann nur weil ich per­sön­lich das so entsch­ieden habe. Natür­lich hat mein Arbeit­ge­ber mir etwas zu sagen. Aber wenn er es zu weit treibt, werde ich die Arbeitsstelle wech­seln. Unsere Gesellschaft tut sich schw­er mit jeglichen Lebensen­twür­fen, die einen bedin­gungslosen Gehor­sam und eine lebenslange Treue ein­fordern. Das wäre fremdbes­timmt leben.

Der absolute Anti-Lebensen­twurf für unsere Gesellschaft ist der des Mönchs. Da verpflichtet sich jemand zu lebenslanger Enthalt­samkeit und bedin­gungslosem Gehor­sam gegenüber seinen Vorge­set­zten – nicht mal wir Chris­ten kön­nen uns vorstellen, dass das ein erfül­len­des Leben sein kön­nte. Über Jahrhun­derte hin­weg wurde das Mönch­s­tum als die christliche Lebens­form schlechthin ange­se­hen. Wer Gott dienen wollte, ging ins Kloster. Alle anderen dien­ten Gott, obwohl sie nicht im Kloster waren.

Heute ist diese Idee prak­tisch bedeu­tungs­los. Ausser­halb des römisch-katholis­chen Kon­textes sowieso. Natür­lich hat auch das Mönch­s­tum seine Prob­leme. Aber dass diese Lebens­form heute der­massen in Ver­ruf gekom­men ist, ist doch bemerkenswert. Vielle­icht sagt uns das etwas über unsere imma­teriellen Kaiser. Die find­en wir näm­lich auch in unseren Gemeinden.

Kaiser Wach­s­tum ist eine eigene The­matik. Ein ewiges, unbe­gren­ztes Wirtschaftswach­s­tum in einem endlichen, begren­zten Uni­ver­sum stellt eine Unmöglichkeit dar. Die umwelt­tech­nis­chen Fra­gen sind für diesen Artikel nur am Rande inter­es­sant. Viel wichtiger scheint mir, dass wir Chris­ten uns so sehr an unser Wirtschaftssys­tem gewöh­nt haben, dass wir uns ein anderes gar nicht mehr vorstellen kön­nen. Und genau das ist der Punkt: Sobald eine Idee, ein Prinzip, eine Ide­olo­gie, eine Per­son so mächtig wird, dass wir uns ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen kön­nen, ist sie zum Kaiser gewor­den. Sobald ein Ding alles dominiert und dieses Ding nicht Jesus Chris­tus heisst, stimmt etwas nicht.

Kaiser kom­men und gehen. Auch wenn sie es gerne wären: Sie sind nicht ewig. Doch so lange sie da sind, ist es unsere Auf­gabe ihnen zu wider­sprechen, wo sie sich an die Stelle Gottes set­zen. Selb­st­bes­tim­mung, Wach­s­tum und Wis­senschaft sind nicht grund­sät­zlich schlecht. Sie ste­hen hier stel­lvertre­tend für alles, was zu viel Raum in unserem Leben ein­nehmen will: Nation­al­stolz, Reli­giosität, Fam­i­lie usw. Das alles hat seinen Platz und seine Berech­ti­gung. Auch die römis­chen Kaiser waren nicht grund­sät­zlich schlecht. Nach Römer 13 waren auch sie von Gott einge­set­zt. Eine gute Regierung ist wun­der­bar! Aber der Kaiser ist eben Kaiser und nicht Gott. Darum:

«Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!» Mt 22:21

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Titel­bild: iStock, Mon­tage: Peter Bruderer

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