DNA (7/10): Jesus allein ist König

Lesezeit: 6 Minuten
Lesezeit: 6 Minuten

by Pascal Götz | 16. Feb. 2020 | 0 comments

Wenn Glaube und Wis­sen sich im Wege ste­hen, dann sollte man sich das mit dem Glauben nochmals gut über­legen. Wenn der Glaube das per­sön­liche Glück behin­dert, dann stimmt sich­er mit dem Glauben etwas nicht. Und wenn der Kaiser sich zum Gott macht, dann wird Gott schon nicht so streng sein, wenn man das The­ater ober­fläch­lich mitspielt.

Der römische Kaiser und der jüdische König

Smyr­na im Jahr 155 n.Chr.: Polykarp, der alte Bischof der Stadt, ste­ht vor Gericht. Die Anklage: Polykarp sei Christ. Doch was ist daran schlimm? Soll doch jed­er glauben, was er will!

Die Römer kann man in Glaubens­fra­gen dur­chaus als tol­er­ant beze­ich­nen. Grund­sät­zlich erlaubten sie es unter­lege­nen Völk­ern, ihre kul­turellen und religiösen Bräuche beizube­hal­ten. Z.T. über­nah­men sie sog­ar selb­st die Göt­ter der Unter­lege­nen. Römis­ch­er Mars, griechis­che Aphrodite, ägyp­tis­che Isis – ihre Schreine und Stat­uen kon­nten Seite an Seite ste­hen, ohne dass das Jeman­den gestört hätte. Was war also das Prob­lem mit den Christen?

Die Gerichtsver­hand­lung des Polykarp gibt uns darauf einige wichtige Hin­weise. Um den Kon­text bess­er zu ver­ste­hen, lohnt es sich, die ganze Mär­tyr­erak­te des Polykarp zu lesen. Sie gibt einen guten Ein­blick in eine der frühen Chris­ten­ver­fol­gun­gen. Der bis­sige Humor von Polykarp passt dabei gut zur eigentlichen Tragik der Geschichte.

«Der Prokon­sul aber drang noch mehr in ihn und sprach: “Schwöre und ich gebe dich frei, fluche Chris­to!” Da ent­geg­nete Polykarp: “Sech­sun­dachtzig Jahre diene ich ihm, und er hat mir nie ein Leid getan; wie kön­nte ich meinen König und Erlös­er lästern?” Als er aber aufs neue in ihn drang und sagte: “Schwöre beim Glücke des Kaisers”, antwortete er: “Wenn du dir mit dem Gedanken schme­ichelst, ich würde, wie du es nennst, beim Glücke des Kaisers schwören, und dich stellst, als wüßtest du nicht, wer ich bin, so höre mein freimütiges Beken­nt­nis: Ich bin ein Christ.”» Mar­tyri­um des heili­gen Polykarp 9–10

Anscheinend hielt es Polykarp für unmöglich, Christ zu sein und gle­ichzeit­ig beim Kaiser zu schwören. Beim Kaiser schwören zu müssen, hätte er als Belei­di­gung von Jesus angesehen.

Genau das war das Prob­lem, das die Römer hat­ten: Du kannst anbeten, wen oder was du willst, so lange du zusät­zlich auch den Kaiser verehrst. Dabei ging es nicht darum, dass der Kaiser der wichtig­ste oder ober­ste römis­che Gott gewe­sen wäre. Aber der Kaiser war das alles einende Prinzip. Er hielt das Reich zusam­men. Jed­er, der ihn in irgen­dein­er Form kri­tisierte, wurde als Bedro­hung für das ganze römis­che Reich ange­se­hen. Ob man den Kaiser tat­säch­lich für einen Gott hielt, war neben­säch­lich. Wichtig war, dass man sich in allen Lebens­bere­ichen seinem Befehl unterord­nete. Und wenn der ein Opfer ver­langte, dann hat­te man gefäl­ligst ein Opfer zu bringen.

Paulus betonte, dass jede staatliche Macht von Gott einge­set­zt ist und man ihr deshalb gehorchen soll (Rom 13:1–7). «Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!», hat­te Jesus gelehrt (Mt 22:16–22). Aber der Vers geht noch weit­er: «Und gebt Gott, was Gott gehört!» Die Macht des Kaisers ist nicht unendlich. Es gibt einen Bere­ich, in dem er nichts zu sagen hat. Spätestens dort, wo sich der Kaiser zum Gott erk­lärt, hört der Spass auf.

Mit dem Titel «Chris­tus» ist ein Herrschaft­sanspruch ver­bun­den. Das griechis­che chris­tos heisst im Hebräis­chen «Mes­sias» und bedeutet wörtlich «Gesalbter». Die Sal­bung war im Alten Tes­ta­ment die Ein­set­zung in ein Amt. Vor allem Könige, aber auch Priester wur­den zu Beginn ihrer Amt­szeit gesalbt (Vgl. z.B. 2.Mo. 28:41; 2.Mo. 29:21; Ri. 9:8–15; 1.Sam. 15:1; 2.Sam. 2:4). Um es etwas zu kon­tex­tu­al­isieren, kön­nte man Chris­tus auch mit «der Gekrönte» oder ein­fach nur «König» widergeben.

Spätestens jet­zt ist der Kon­flikt mit dem römis­chen Herrsch­er vor­pro­gram­miert. Den Chris­ten der Alten Kirche wurde alles Mögliche vorge­wor­fen: Athe­is­mus (weil es von ihrem Gott keine sicht­baren Stat­uen gab), Kan­ni­bal­is­mus (weil sie in ihren Zusam­menkün­ften «Fleisch und Blut» zu sich nah­men), Inzest (weil hier «Brüder und Schwest­ern» miteinan­der ver­heiratet wur­den) und eben auch Hochverrat.

Antichristliche Auss­chre­itun­gen in Lahore, Pak­istan, März 2013

Christen sind Verfolgte

«Man muss Gott mehr gehorchen als den Men­schen.» (Apg. 5:29)

Für diesen Grund­satz haben im Laufe der Geschichte unzäh­lige Chris­ten ihr Leben gelassen. Total­itäre Herrsch­er und Sys­teme haben immer ver­sucht, sich entwed­er als von Gott legit­imierte Herrsch­er auszugeben oder die Herrschaft Gottes ganz zu leug­nen. In bei­den Fällen dro­hte bei Wider­spruch der Tod.

Für uns Wes­teu­ropäer scheint diese The­matik weit weg zu sein. Schliesslich leben wir demokratisch. Dabei ignori­eren wir, dass grosse Teile der Chris­ten­heit noch heute unter den mod­er­nen Kaisern zu lei­den haben. Stim­men wie die von Open Doors sind Auf­forderung und War­nung zugle­ich. Sie sind Auf­forderung, uns in Erin­nerung zu rufen, dass wo ein Kör­perteil des Leibes Christi lei­det, alle anderen auch lei­den (1.Kor. 12:26). In dieser Ver­fol­gung ste­hen wir gemein­sam da.

Es ist aber auch eine War­nung. Am Abend vor sein­er Hin­rich­tung hat Jesus seine Jünger nochmal voraus­ge­sagt, dass ihnen Ver­fol­gung bevorste­hen würde (Joh. 15:18–27). Dem Jünger wird es nicht bess­er gehen als dem Meis­ter. Wer Christ wird, muss damit rech­nen, ver­fol­gt zu wer­den. Egal wo er lebt.

Die War­nung an uns Wes­teu­ropäer ist eine dop­pelte. Erstens: Wir soll­ten uns nicht in falsch­er Sicher­heit wäh­nen. Schauen wir auf den Zweit­en Weltkrieg zurück. Schon im Jahr der Machter­grei­fung Hitlers begann der soge­nan­nte Kirchenkampf zwis­chen den nation­al­sozial­is­tis­chen Deutschen Chris­ten und der Beken­nen­den Kirche. Vier Jahre später wurde Mar­tin Niemöller, ein­er der Anführer der Beken­nen­den Kirche, ver­haftet. Dieses Beispiel zeigt, wie schnell Glaube auch in Europa gefährlich wer­den kann.


Bild: iStock

Unsere unscheinbaren Kaiser

Die zweite War­nung bet­rifft die Kaiser, die sich nicht so offen­sichtlich als poli­tis­che Dik­ta­toren zeigen. Ob Christ oder nicht: In ein­er sta­bilen Demokratie sind wir stolz darauf, dass es so etwas wie einen Kaiser nicht gibt. Denn schliesslich ist jed­er von uns sein eigen­er König. So etwas wie einen all­ge­meinen Herrschaft­sanspruch darf nie­mand erheben.

Die Kaiser der west­lichen Demokratie haben unter­schiedliche Namen. Zwei davon heis­sen allmächtige Selb­st­bes­tim­mung und ewiges Wach­s­tum. Vor 50 Jahren hätte man vielle­icht noch die heilige Wis­senschaft dazuzählen kön­nen. Doch Kaiser Wis­sen ver­liert an Macht. Das wäre jet­zt eine län­gere Diskus­sion wert, aber hier nur ein klein­er Gedanke­nanstoss. Wis­sen ist so ver­füg­bar, wie noch nie. Gle­ichzeit­ig wird es aber immer schwieriger qual­i­fiziertes von unqual­i­fiziertem Wis­sen zu unter­schei­den. Jed­er kann zu allem und jedem seine Mei­n­ung kund­tun. Das war früher sich­er auch so. Mir scheint aber, dass  zum einen heute die eigene Mei­n­ung als beson­ders heilig gilt. Zum anderen fällt es vie­len Men­schen in der Prax­is schw­er, zwis­chen all­ge­mein­er Wahrheit, wis­senschaftlichem Forschungs­stand und per­sön­lich­er Überzeu­gung zu unterscheiden.

Der Sozi­ologe Max Weber hat­te 1917 in seinem Vor­trag «Wis­senschaft als Beruf» schon voraus­ge­sagt, dass die «Entza­uberung der Welt» durch die Wis­senschaft zu einem neuen «Kampf der Göt­ter» führen würde. Damit meinte er, dass eine Zeit anbrechen würde, in der ver­schiedene tot­geglaubte Ideen wieder lebendig wür­den. Diese Ideen und Ide­olo­gien wür­den wie die antiken Göt­ter miteinan­der kämpfen. Dieses Mal jedoch hin­ter den Kulis­sen. Ob diese Ideen ratio­nal begründ­bar sind, spielt keine Rolle. In Zeit­en von Fake News erleben wir genau das: Ob etwas wahr ist oder nicht, spielt keine Rolle. Haupt­sache ist, dass es mir nützt.

Das führt uns zu Kaiser Selb­st­bes­tim­mung. Wenn ich etwas für gut halte, wer bist du, dass du es böse nennst? Das ist der Baum der Erken­nt­nis auf die Spitze getrieben (1.Mo. 3:1–24). Wir vergessen gerne, dass das Reich Gottes keine Demokratie, son­dern ein Kön­i­gre­ich ist. Da ist ein König und dieser König bist nicht du und erst recht nicht ich. Wenn also dieser König Jesus ein­er mein­er Entschei­dun­gen wider­spricht, wer liegt dann falsch?

Ich bin mein eigen­er Kaiser. Wenn ich jemand anderem gehorchen, dann nur weil ich per­sön­lich das so entsch­ieden habe. Natür­lich hat mein Arbeit­ge­ber mir etwas zu sagen. Aber wenn er es zu weit treibt, werde ich die Arbeitsstelle wech­seln. Unsere Gesellschaft tut sich schw­er mit jeglichen Lebensen­twür­fen, die einen bedin­gungslosen Gehor­sam und eine lebenslange Treue ein­fordern. Das wäre fremdbes­timmt leben.

Der absolute Anti-Lebensen­twurf für unsere Gesellschaft ist der des Mönchs. Da verpflichtet sich jemand zu lebenslanger Enthalt­samkeit und bedin­gungslosem Gehor­sam gegenüber seinen Vorge­set­zten – nicht mal wir Chris­ten kön­nen uns vorstellen, dass das ein erfül­len­des Leben sein kön­nte. Über Jahrhun­derte hin­weg wurde das Mönch­s­tum als die christliche Lebens­form schlechthin ange­se­hen. Wer Gott dienen wollte, ging ins Kloster. Alle anderen dien­ten Gott, obwohl sie nicht im Kloster waren.

Heute ist diese Idee prak­tisch bedeu­tungs­los. Ausser­halb des römisch-katholis­chen Kon­textes sowieso. Natür­lich hat auch das Mönch­s­tum seine Prob­leme. Aber dass diese Lebens­form heute der­massen in Ver­ruf gekom­men ist, ist doch bemerkenswert. Vielle­icht sagt uns das etwas über unsere imma­teriellen Kaiser. Die find­en wir näm­lich auch in unseren Gemeinden.

Kaiser Wach­s­tum ist eine eigene The­matik. Ein ewiges, unbe­gren­ztes Wirtschaftswach­s­tum in einem endlichen, begren­zten Uni­ver­sum stellt eine Unmöglichkeit dar. Die umwelt­tech­nis­chen Fra­gen sind für diesen Artikel nur am Rande inter­es­sant. Viel wichtiger scheint mir, dass wir Chris­ten uns so sehr an unser Wirtschaftssys­tem gewöh­nt haben, dass wir uns ein anderes gar nicht mehr vorstellen kön­nen. Und genau das ist der Punkt: Sobald eine Idee, ein Prinzip, eine Ide­olo­gie, eine Per­son so mächtig wird, dass wir uns ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen kön­nen, ist sie zum Kaiser gewor­den. Sobald ein Ding alles dominiert und dieses Ding nicht Jesus Chris­tus heisst, stimmt etwas nicht.

Kaiser kom­men und gehen. Auch wenn sie es gerne wären: Sie sind nicht ewig. Doch so lange sie da sind, ist es unsere Auf­gabe ihnen zu wider­sprechen, wo sie sich an die Stelle Gottes set­zen. Selb­st­bes­tim­mung, Wach­s­tum und Wis­senschaft sind nicht grund­sät­zlich schlecht. Sie ste­hen hier stel­lvertre­tend für alles, was zu viel Raum in unserem Leben ein­nehmen will: Nation­al­stolz, Reli­giosität, Fam­i­lie usw. Das alles hat seinen Platz und seine Berech­ti­gung. Auch die römis­chen Kaiser waren nicht grund­sät­zlich schlecht. Nach Römer 13 waren auch sie von Gott einge­set­zt. Eine gute Regierung ist wun­der­bar! Aber der Kaiser ist eben Kaiser und nicht Gott. Darum:

«Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!» Mt 22:21

Artikel als PDF herunterladen

Über den Kanal

Pascal Götz

Werde Teil der Diskussion

Kommentare zu diesen Beitrag

0 Comments

Submit a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt weiterstöbern

Mehr Blogposts entdecken

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 3/10

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 3/10

Die moderne Bibelwissenschaft In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal“ befasse ich mich mit der religiösen Landschaft und der evangelikalen Binnenpluralisierung seit der Jahrtausendwende....

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 2/10

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 2/10

Evangelikales Schriftverständnis In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal“ befasse ich mich mit der religiösen Landschaft und der evangelikalen Binnenpluralisierung seit der...

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 1/10

Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist 1/10

Das Evangelium der Mitte In meinem Buch „Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal“ befasse ich mich mit der religiösen Landschaft und der evangelikalen Binnenpluralisierung seit der Jahrtausendwende. Das...