Meine Artikel der letzten Wochen waren vor allem eine Kritik an der Postmoderne. Doch die Postmoderne öffnete Türen für gute Dinge, konkret für die Suche des Menschen nach Transzendenz. In diesem Artikel illustriere ich dies anhand der gescheiterten Idee der Säkularisierung.
Transzendenz (vom Lateinischen trans-jenseits und sedere-schreiten) bedeutet den Bereich, der jenseits einer Grenze liegt. Es gibt Dinge die beispielsweise jenseits der Grenze unserer körperlichen Sinne liegen. Ultraschall ist für den Menschen nicht hörbar, liegt also für unser Gehör im Bereich des Transzendenten. Für die Fledermaus trifft dies jedoch nicht zu, denn sie hört Ultraschall und nutzt ihn für die Navigation im Dunkeln.
Auch unser Verstand hat Grenzen. Zum Beispiel glaube ich dass die Dreieinigkeit Gottes etwas ist, das real ist, aber letztlich von uns Menschen verstandesmässig nicht völlig ergründet werden kann. Die Dreieinigkeit Gottes liegt also verstandesmässig in der Transzendenz.
Unser Universum bildet eine weitere Grenze. Der Flammarion Holzstich eines unbekannten Künstlers wurde zum ersten Mal im Jahr 1888 veröffentlicht. Darin ist ein Mann zu sehen, der sich bis an den Rand des Universums durchkämpft, um dort einen Blick in die transzendente Realität Gottes zu erhaschen.
Der Holzstich bringt die unbändige Sehnsucht des Menschen nach der Transzendenz zum Ausdruck, die auch David in Psalm 63 gespürt hat. David braucht sehr intensive Worte des Herzens und der Gefühle um seine Sehnsucht nach dem transzendenten Gott zu beschreiben:
Ein Psalm Davids aus der Zeit, als er sich in der Wüste von Juda aufhielt. Gott, mein Gott bist du, dich suche ich. Wie ein Durstiger, der nach Wasser lechzt, so verlangt meine Seele nach dir. Mit meinem ganzen Körper spüre ich, wie groß meine Sehnsucht nach dir ist in einem dürren, ausgetrockneten Land, wo es kein Wasser mehr gibt. Mit dem gleichen Verlangen hielt ich im Heiligtum Ausschau nach dir, um deine Macht und Herrlichkeit zu sehen. (Psalm 63:1–3)
Die Vernichtung der Transzendenz?
In den 60-er Jahren entstand die Theorie der Säkularisierung. Man nahm an, dass die Menschen Gott nur benötigen, um die unerklärbaren Realitäten des Universums zu erklären. Man ging davon aus, dass ungebildete Menschen auf transzendente Erklärungen zurückgreifen, weil sie die Natur und das Universum noch nicht richtig verstanden haben. Wenn die Wissenschaft nun immer mehr von dem erklärt, wofür man vorher Gott als Erklärung benötigte, dann würden die Menschen Gott immer weniger als Erklärung brauchen. Je mehr die Wissenschaft die Welt erklärt, desto mehr würde die Religion aus der Gesellschaft verschwinden — so die Idee der Säkularisierungs-Theorie.
Nun hat die Säkularisierung tatsächlich Einzug gehalten, insbesondere in Westeuropa und Kanada. Aber die Vordenker der Säkularisierungs-Theorie zeigen mit der Zeit eine wachsende Irritation, dass Religion nicht in dem Mass verschwindet, wie sie prognostiziert haben.
Einer der führenden Exponenten der Säkularisierungs-Theorie war der Religionssoziologe Peter Berger. Berger ist vor wenigen Jahren im hohen Alter gestorben. Seine wissenschaftlichen Studien überblicken mehr als fünf Jahrzehnte. Man erkennt in seinen Veröffentlichungen eine wachsende Irritation dass seine ursprüngliche Theorie nicht eintrifft:
1969: “Wenn die Kommentatoren sich in Bezug auf Religion über etwas einig sind, dann über folgendes: Das Übernatürliche hat die moderne Welt verlassen.” A rumor of angels, Kapitel 1, eigene Übersetzung
1969 war noch alles klar: Unsere Welt braucht keine Transzendenz mehr und demzufolge wird die Sehnsucht des Menschen nach Transzendenz rapide abnehmen. Diese Zuversicht änderte mit der Zeit, wie das nächste Zitat zeigt:
1999: “Die Annahme, dass wir in einer säkularisierten Welt leben, ist falsch. Mit wenigen Ausnahmen ist die Welt entschlossen religiös wie schon immer, in einigen Orten sogar mehr als früher.” The Desecularization of the World, Seite 1, eigene Übersetzung
Es ist Berger hoch anzurechnen, dass er fair mit den Fakten umgeht. Sein Eingeständnis nach 30 Jahren verblüfft: Die Welt ist so religiös wie eh und je. An manchen Orten weniger, an anderen jedoch noch mehr als früher. Und dies trotz immer mehr Erklärungen der Wissenschaften über unzählige Aspekte unserer Welt! Kurz vor seinem Tod schreibt Berger:
2014: “Die Theorie der Säkularisierung gründete auf der Idee, dass die Moderne das Ende der Religion bringen wird. Diese Annahme kann angesichts der vorhandenen Tatsachen nicht mehr aufrecht erhalten werden.” The many altars modernity, Einführung, eigene Übersetzung
Ein Problem der Moderne, eine Chance der Postmoderne
Die Moderne versuchte durch Einsatz des menschlichen Verstandes und entsprechender Wissenschaft möglichst alles zu erklären. Zuversichtlich meinte man, man könne damit transzendente Erklärungen aus der Welt schaffen und die Menschen würden immer weniger religiös werden. Klar gab es da intellektuelle Riesen wie Immanuel Kant, die uns warnten, dass das Transzendente von uns her zwar nicht erreicht, aber auch nicht wegerklärt werden kann. Vielleicht hätten die Religionssoziologen etwas mehr auf Kant hören sollen? Vielleicht hätten sie auch mehr auf David und andere hören sollen, für die Gott nicht einfach nur eine provisorische Erklärung für unverständliche Dinge ist, bis die Wissenschaft sie erklären kann.
Es sieht ganz so aus, als sei der Mensch ‘unheilbar’ religiös. Unsere Seele verlangt danach, sich mit etwas zu verbinden, das grösser ist als sie selbst. Wir sind geschaffen für Intimität mit dem Ewigen. Die Bibel nennt das Anbetung.
Die Postmoderne mit ihrer grösseren Offenheit für unfertige Wahrheit ermöglichte eine grössere Akzeptanz für die spirituelle Suche der Menschen nach dieser Transzendenz. Die 70-er und 80-er Jahre sahen einen Boom an religiöser Vielfalt in der Esoterik und dem Interesse an non-dualen (östlichen) Religionen. In der Schweiz hielt zum Beispiel eine Meditationstechnik Einzug namens transzendentale Meditation, mit Hauptsitz im schönen Seelisberg, direkt über der berühmtesten Schweizer Kuh-Wiese, dem Rütli. Es stimmt, der Mensch ist ‘unheilbar’ religiös und die Gesellschaft lässt sich nicht säkularisieren, moderne Wissenschaft hin oder her!
Wo unsere Sehnsucht nach Transzendenz gestillt wird
Doch reicht es, wenn wir uns einfach nach etwas Transzendentem ausstrecken? David zeigt uns im Psalm 63, dass letztlich nur die Begegnung mit DEM Transzendenten selbst, dem personalen Schöpfer dieser Welt, unsere Sehnsucht stillt. Wir müssen Gott suchen, und zwar um seiner selbst willen. Einfach nur ‘Transzendenz’ stillt die Sehnsucht nicht. Wir sehen diesen Punkt im Psalm 63 auf folgende Weise. David befindet sich in der Wüste (siehe Ps 63:1) auf der Flucht vor seinem eigenen Sohn Absalom, der mit einer Gruppe von Elite — Soldaten seinen Vater sucht, um diesen umzubringen. Doch David bittet Gott nicht um sein Leben sondern ruft:
Deine Güte ist besser als das Leben (Psalm 63:4)
Mit ‘Güte’ ist hier die sogenannte Bundes-Treue Gottes gemeint. Alles im äusseren Leben von David deutet eher auf Gottes Untreue hin. Immerhin hat Gott zugelassen, dass David von der eigenen Familie an Leib und Leben bedroht wird. Doch weil David’s Seele von Sehnsucht nach dem transzendenten Gott erfüllt ist, blickt er an all dem vorbei. Er streckt sich nach Gott aus, um Gottes selbst willen! Er will Gott nicht als Mittel zum eigenen Zweck, und sei das sogar sein eigenes Leben. Er geht aufs Ganze. Er gibt sich nicht mit weniger zufrieden als mit Gott selbst!
Viele Menschen leben die Suche nach Transzendenz mit 50% Einsatz. Sie kommen zu Gott in den Nöten ihres Lebens. Das dürfen sie selbstverständlich auch tun! Oft sprechen sie ein Gebet mit ungefähr dieser Aussage: “Gott wenn du da bist: Ich gebe dir alles, wenn du nur mein Gebet erhörst!” Doch sie wollen Gott das eine nicht geben, was er von ihnen wünscht: dass sie sich für ihn selbst interessieren um seiner selbst willen. Erst wenn wir uns für Gott um seiner selbst willen interessieren, stillt sich unsere Sehnsucht nach Transzendenz. Gott weiss das. Er hat uns so erschaffen, mit dieser eingebauten Sehnsucht nach ihm selbst.
CS Lewis bringt die halbherzige Suche vieler Menschen gut zum Ausdruck in einem wichtigen Aufsatz namens ‘Das Gewicht der Herrlichkeit’:
“Es scheint, als müssten unsere Sehnsüchte dem Herrn eher zu schwach als zu gross vorkommen. Wir sind halbherzige Geschöpfe, die sich mit Alkohol, Sex und Karriere zufrieden geben, wo uns unendliche Freude angeboten wird. Wir geben uns viel zu schnell zufrieden!” CS Lewis, Das Gewicht der Herrlichkeit, meine Hervorhebung
Unsere Leidenschaften sind nicht zu stark, sondern zu schwach — diese Aussage gefällt mir sehr! Wenn wir Gott als Mittel zum eigenen, weltlichen Zweck suchen, bleibt unsere Sehnsucht ungestillt. Denn unsere Seele verlangt danach, sich mit etwas zu verbinden, das grösser ist als sie selbst. Wir sind geschaffen für Intimität mit der ewigen Person selbst. Kirchen sollten Orte sein, an denen Menschen in ihrer Suche nach Transzendenz ermutigt werden, DEM Transzendenten selbst, dem personalen Schöpfer dieser Welt zu begegnen. David ging in die Kirche um Gott zu suchen:
So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum, wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit. (Ps 63:3)
Wenn Kirchen von einer Theologie bestimmt sind die das Transzendente aus der Bibel und aus dem Glauben herauszuhalten versuchen, verhindert diese Theologie genau das, was die Menschen so nötig haben: Orte wo sie ihrer Suche nach Transzendenz nachgehen und ihre Sehnsucht stillen in der Begegnung mit Gott, um seiner selbst willen. Lasst uns Menschen und Kirchen sein, welche die selbstzentrierte Halbherzigkeit ablegen und leidenschaftliche Sucher des transzendenten Gottes selbst werden!
Hier kannst du meinen Vortrag zu diesem Artikel schauen
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