“Wir sollten uns mehr um die Liebe und weniger um den Sex kümmern”

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Dieser Artikel ist Teil der 11-teili­gen Serie «Die Zehn Gebote des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums — eine kri­tis­che Unter­suchung von 10 gefährlich ver­lock­enden Halb­wahrheit­en»Hier geht es zum Anfang der Serie.


Wie wir bere­its fest­gestellt haben, ist das pro­gres­sive Chris­ten­tum aus­ge­sprochen moral­is­tisch: Es kommt nicht darauf an, was man glaubt, son­dern wie man sich ver­hält. Wie selt­sam ist es dann, dass dieser Ansatz bei Fra­gen zum The­ma Sex nicht mehr gilt. Wenn es um Sex geht, sind Pro­gres­sive plöt­zlich für moralis­che Frei­heit und freie moralis­che Wahl. Das wird im neun­ten Gebot deut­lich: Wir soll­ten uns mehr um die Liebe und weniger um den Sex küm­mern.

Aus rhetorisch­er Sicht ist eine solche Sprache recht wirkungsvoll. Schliesslich sagt sie den Men­schen, was sie ohne­hin schon hören wollen: Du hast alle sex­uelle Frei­heit, die du dir wün­schst, und gle­ichzeit­ig bist du ein guter Men­sch, dem es nur um die ‘Liebe’ geht. Das ist eine absolute Win-Win-Sit­u­a­tion. Du kannst jede frag­würdi­ge sex­uelle Aktiv­ität beibehal­ten, während du dir auf die Schul­ter klopf­st bezüglich dein­er moralis­chen Überlegenheit.

Gul­leys Buch erweit­ert dieses Klis­chee zu einem voll­w­er­ti­gen Argu­ment für sex­uelle Frei­heit. Und er tut dies, indem er eine nur allzu gängige Strate­gie anwen­det. Gehen wir sie ein­mal durch.

Schritt 1: Die moralischen Tugenden derjenigen loben, die sexuell sündigen

Der erste Schritt im Skript ist, zu zeigen, wie Men­schen mit umstrit­te­nen sex­uellen Ver­hal­ten nette, wun­der­bare und run­dum tugend­hafte Men­schen sind. Dieser Schachzug soll uns dazu brin­gen, daran zu zweifeln, ob die sex­uelle Sünde wirk­lich so schlimm ist. Wenn sie so schlimm ist, wie kann sie dann von der­art wun­der­baren Men­schen began­gen wer­den? Anders aus­ge­drückt: Wenn wun­der­bare Men­schen ein Ver­hal­ten an den Tag leg­en, das ich für falsch halte, dann sollte ich vielle­icht noch ein­mal darüber nach­denken, ob dieses Ver­hal­ten wirk­lich falsch ist.

Gul­ley führt diesen Schachzug bril­lant aus. Sein erstes Beispiel han­delt von einem Paar in ihren Achtzigern, das aussere­he­lich zusam­men­lebt und zusam­men schläft. Er erzählt uns, dass sie «fre­undlich» sind, dass sie Men­schen in ihrem «beschei­de­nen Haus» «her­zlich willkom­men» heis­sen und dass Bilder von «Enkelkindern die Wände säu­men».[1]

Hier wird deut­lich, dass Gul­leys Strate­gie weit­ge­hend auf der Prämisse auf­baut, dass etwas nur dann falsch ist, wenn die Men­schen, die es tun, unan­genehme Leute sind. In der Tat zieht er selb­st diese Schlussfol­gerung offen und direkt: «Das Zuhause, das sie schufen, war von tiefer Liebe und gegen­seit­igem Respekt geprägt… Nichts fühlte sich für mich wie Sünde an.»[2]

Das ist jedoch nicht die Art und Weise, wie Chris­ten über Moral denken. Chris­ten behaupten nicht, dass etwas nur dann falsch ist, wenn es von unan­genehmen Men­schen getan wird. Wir beurteilen ein Ver­hal­ten auch nicht danach, wie sich die Beglei­tum­stände für uns «anfühlen». Wir argu­men­tieren, dass ein Ver­hal­ten dann sünd­haft ist, wenn es im Wider­spruch zu Gottes Charak­ter ste­ht, der sich in seinen Geboten widerspiegelt.

Daher wür­den Chris­ten argu­men­tieren, dass es dur­chaus möglich ist — ja sog­ar sehr häu­fig vorkommt -, dass nette Men­schen mit vie­len Tugen­den sich einem Ver­hal­ten hingeben, das mitunter sehr falsch sein kann. Es sind nicht nur Serien­mörder, die Sün­den bege­hen. Auch die nette alte Dame von nebe­nan kann Sün­den bege­hen, sog­ar grosse Sünden.

Natür­lich leben Gul­ley (und post­mod­erne Men­schen im All­ge­meinen) ihre Prämisse nicht kon­se­quent aus. Wenn ein Ver­hal­ten auf­grund sein­er Net­tigkeit in Ord­nung ist, was passiert dann, wenn sich her­ausstellt, dass eine sehr nette Per­son etwas tut, was sie ver­w­er­flich find­en? Kindesmiss­brauch, zum Beispiel. Sie wür­den in einem solchen Fall sicher­lich nicht argu­men­tieren, dass wir ein solch­es Ver­hal­ten akzep­tieren müssen ein­fach nur, weil der Täter ein net­ter Men­sch ist.

Schritt 2: Darauf bestehen, dass Gott sich um wichtigere Dinge kümmern muss

Der näch­ste Schritt im Skript beste­ht darin, Gottes Heiligkeit herun­terzus­pie­len. Er macht sich sowieso keine Sor­gen wegen sex­ueller Sünde. Es stört ihn nicht wirk­lich; er hat drin­gen­dere Sor­gen. Gul­ley sagt es dem älteren Ehep­aar ganz deut­lich: «Wisst ihr, Fre­unde, ich glaube, dass Gott größere Sor­gen hat. Lasst uns ein­fach dankbar sein, dass ihr einan­der habt[3]

Es ste­ht einem sicher­lich frei, Gott auf diese Weise darzustellen. In der Tat stellen Pro­gres­sive Gott oft dar als einen entspan­nten Kerl — eine knud­delige Gross­vater­fig­ur, die sich nicht in dein Leben ein­mis­chen will, son­dern nur will, dass du glück­lich bist. Doch das ist nicht der Gott der Bibel. Der Gott der Bibel ist unendlich heilig und redet sog­ar ziem­lich viel über sex­uelle Aktiv­itäten und sex­uelle Sünde. Und das nicht ein­fach, weil Gott prüde und alt­modisch wäre, son­dern weil die sex­uelle Sünde den Kern unseres Men­sch­seins trifft und die Ehe böswillig angreift, weil die Ehe die Vere­ini­gung von Chris­tus und sein­er Gemeinde in einzi­gar­tiger Weise wider­spiegeln soll (Eph 5:32).

Schritt 3: Nachweisen, dass das strittige Sexualverhalten zu guten Ergebnissen führt

Dieser dritte strate­gis­che Schritt ist gle­icher­massen bril­lant wie die anderen. Denn an dieser Stelle zeigt Gul­ley, wie die sex­uelle Sünde zu einem pos­i­tiv­en Ergeb­nis führt, oder wie die sex­uelle Aktiv­ität dazu beiträgt, andere Prob­leme zu lindern.

Hin­ter diesem Argu­ment ver­birgt sich die unaus­ge­sproch­ene Prämisse, dass etwas gut sein muss, wenn es zu etwas Gutem führt. Ein gutes Ergeb­nis dient dieser Ansicht nach also als pos­i­tiv­er Beweis für den moralis­chen Wert des Ver­hal­tens, das es her­vorge­bracht hat. In Bezug auf das ältere Ehep­aar stellt Gul­ley fest, dass sie finanziell knapp bei Kasse waren, so dass das Zusam­men­leben (als Paar) es ihnen ermöglichte, über die Run­den zu kom­men. Ausser­dem waren sie «ein­sam» und braucht­en die Gemein­schaft.[4]

Diese Strate­gie funk­tion­iert natür­lich gut: Jed­er, der diese Art des Zusam­men­lebens als falsch beze­ich­net, klingt gle­ichgültig für die finanzielle Sit­u­a­tion und die Ein­samkeit des Paares. Aber das ist ein­mal mehr nicht die bib­lis­che Sichtweise. Man kann sehr mit­füh­lend und ver­ständ­nisvoll mit der Sit­u­a­tion des Paares umge­hen und sie gle­ichzeit­ig daran erin­nern, dass sie Gottes Anweisun­gen für sex­uelle Aktiv­itäten befol­gen soll­ten. Diese bei­den Aspek­te schliessen sich nicht gegen­seit­ig aus.

Ausser­dem soll­ten Chris­ten die Idee in Frage stellen, dass schwierige Umstände sündi­ges Ver­hal­ten recht­fer­ti­gen. Wenn ich nicht in der Lage bin, meine Miete zu bezahlen, habe ich daraus fol­gernd nicht das Recht, eine Bank auszu­rauben, und ich bin sich­er, dass die post­mod­er­nen Leute dem zus­tim­men wür­den. Trotz­dem ist das die Logik, die sie zu benutzen ver­suchen, um sex­uelle Sünde zu rechtfertigen.

Schritt 4: Diejenigen, die sich gegen bestimmte sexuelle Verhaltensweisen aussprechen, als bösartig und grausam darstellen

Jede gute Geschichte hat einen Gegen­spiel­er, einen Feind, gegen den man schiessen kann. In dieser Geschichte über das ältere Ehep­aar beschreibt Gul­ley den Kirchen­leit­er, der ihn zuerst über die Sit­u­a­tion des Paares informiert hat. Anstelle der her­zlichen, pos­i­tiv­en Beschrei­bung, die dem älteren Paar gegeben wird, erhält dieser Mann das Gegenteil.

Er wird als «kri­tisch und über­mäs­sig aufge­bracht» beschrieben, als jemand, der andere «verurteilt» und darauf bedacht ist, seinen «ziem­lich umfassenden sex­uellen Kodex» durchzuset­zen.[5] Gul­ley deutet sog­ar an, dass er finanziell geizig und nicht bere­it ist, diesem älteren Ehep­aar zu helfen. Nach Gul­leys allzu sim­pler Darstel­lung sind nicht die Men­schen, die sex­uelle Sün­den bege­hen, das Prob­lem, son­dern diejeni­gen, die darauf hinweisen!

Dies ist die auf den Kopf gestellte Moral der Post­mod­erne (wie inkon­se­quent sie auch angewen­det wird). In den Kat­e­gorien, in denen fest­gestellt wird, dass es der grösseren pro­gres­siv­en Agen­da dient (z. B. Banküber­fall, nein; sex­uelle Sünde, ja), wer­den die Kri­te­rien für die Abwä­gung von Gut und Böse umgekehrt.

In Gul­leys Darstel­lung fehlt jedoch der Gedanke kom­plett, dass Sünde den Men­schen schadet und dass dieser Leit­er vielle­icht wirk­lich über den Schaden besorgt war, den die sex­uelle Sünde im Leben der Men­schen verur­sacht. Mit anderen Worten: Ist es möglich, dass es tat­säch­lich liebevoll ist, Sünde zu kon­fron­tieren? Das ist ein schock­ieren­der Gedanke für viele in unser­er post­mod­er­nen Welt.

Schritt 5: Darauf bestehen, dass Jesus auf deiner Seite ist

Der let­zte Schritt zur Recht­fer­ti­gung der sex­uellen Sünde beste­ht schein­bar darin, die Hil­fe von Jesus einzu­fordern. Um dies zu tun, bedi­ent sich Gul­ley des üblichen Klis­chees, wonach Jesus den Sün­dern gegenüber gnädi­ger ist als den Geset­zestreuen. Er beruft sich sog­ar (wenig über­raschend) auf die Geschichte, in der Jesus von der sündi­gen Frau gesalbt wird.[6]

Was Gul­ley jedoch aus­lässt, ist die Tat­sache, dass die Frau nicht trotzig ihre Sün­den beja­hend zu Jesus kam, son­dern sie bereuend! Tat­säch­lich weist Jesus darauf hin, dass „ihre Sün­den viele sind“, dass sie aber „vergeben“ sind (Lukas 7:47). Ja, Jesus vergibt Sün­dern. Dies bed­ingt aber, dass wir anerken­nen und zugeben, dass wir Sün­der sind.

Alles in allem ist Gul­leys neuntes Gebot ein Meis­ter­w­erk des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums. Es durch­läuft das klas­sis­che Spiel­buch der Recht­fer­ti­gung sex­ueller Sünde, was auf den ersten Blick recht überzeu­gend wirken kann. Aber let­ztlich ist es ein­fach nicht halt­bar. Wir sind nicht dazu aufgerufen, uns um die Liebe anstatt um den Sex zu küm­mern. Wir sind berufen, uns um bei­des zu küm­mern. Wie Paulus uns daran erinnert:

«Sei den Gläu­bi­gen ein Vor­bild in allem, was du sagst und tust, ein Vor­bild an Liebe, Glauben und Rein­heit.» (1Tim 4:12).

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Fragen zur Reflexion

Das neunte Gebot des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums lautet: «Wir soll­ten uns mehr um die Liebe und weniger um den Sex kümmern»

  1. Wo hast du in Blogs, Artikeln, Büch­ern oder Gesprächen einen der 4 Schritte des ‘pro­gres­siv­en Skripts zur Recht­fer­ti­gung sex­ueller Sünde’ bemerkt? Erzähle!
  2. Inwiefern glaub­st du selb­st an diese Schritte? Hast du sie selb­st benutzt, um bei anderen oder bei dir selb­st sex­uelle Sünde zu recht­fer­ti­gen? Durch­schaust du, was aus Sicht der Bibel das Prob­lem ist mit diesen Schritten?
  3. Die täuschende ‘Genial­ität’ des pro­gres­siv­en Skripts liegt in der Umkehrung, welche sie vol­lzieht: Plöt­zlich liegt das Prob­lem nicht bei der Per­son, welche die Sünde bege­ht, son­dern bei der Per­son, welche die Sünde the­ma­tisiert. Kommt dir dazu eine Bibel­stelle in den Sinn? Lies z.B. Jes 5:20; Spr 17:15
  4. Auf welche Art und Weise bedi­ent sich unsere Gesellschaft aktuell dieses ‘pro­gres­siv­en Skripts’? Was sind die Auswirkungen?
  5. Was bedeutet dies alles für unsere Gemein­den und unseren Umgang mit sex­uellen Sünden?
  6. Was nimmst du mit aus der Lek­türe dieses Kapi­tels, das dir hil­ft, in den Inhal­ten von pro­gres­siv­er Lit­er­atur oder Pod­casts bess­er unter­schei­den zu kön­nen, was bib­lisch und was nicht bib­lisch ist?

[1] Philip Gul­ley, If the Church Were Chris­t­ian: Redis­cov­er­ing the Val­ues of Jesus (San Fran­cis­co, CA: Harper­One, 2010), Seite 157–159
[2] Gul­ley, Seite 160
[3] Gul­ley, Seite 158
[4] Gul­ley, Seite 158
[5] Gul­ley, Seite 159
[6] Gul­ley, Seite 166

Die Fra­gen zur Reflex­ion wur­den durch Daniel Option zusammengestellt.

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Bild: iStock

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