Weshalb es Lausanne 74 brauchte

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by Peter Bruderer | 08. Nov. 2024 | 4 comments

Kürzlich fand in Seoul der vierte Lau­sanne-Kongress statt. Das Mot­to lautete: „Let the Church declare and dis­play Christ togeth­er.“ (mehr dazu) Anlass zu diesem Kongress war das 50jährige Jubiläum, seit sich 1974 über 2000 Per­so­n­en aus 150 Natio­nen in Lau­sanne zum ersten inter­na­tionalen Kongress für Wel­te­van­ge­li­sa­tion trafen. Das wichtig­ste Ergeb­nis der dama­li­gen Kon­ferenz – die Lau­san­ner Verpflich­tung – ist ein bedeut­sames Doku­ment der jün­geren Kirchengeschichte. Aus der Entste­hungs­geschichte von Lau­sanne 74 lassen sich entschei­dende Lehren für unsere Zeit ziehen.

Ich mag die Lau­san­ner Bewe­gung. Nicht nur habe ich zeit­gle­ich mit der Lau­san­ner Verpflich­tung – im Juli 1974 – das Licht der Welt erblickt. Als Teil­nehmer am Forum für Wel­te­van­ge­li­sa­tion in Pat­taya 2004 durfte ich vor 20 Jahren selb­st etwas Lau­sanne-Luft schnuppern.

In ein­er der neueren Geschichtss­chrei­bun­gen über die evan­ge­likale Bewe­gung stellt Prof. Thorsten Dietz in Bezug auf den ersten Lau­san­ner Kongress von 1974 eine Frage, die mich auch interessiert:

«Worauf reagierte der Kongress? Von welchen ver­meintlichen Fehlen­twick­lun­gen in den christlichen Kirchen bzw. der Gesellschaft ins­ge­samt gren­zte man sich ab?»[1]

Man kann über Geschichte und deren Bew­er­tung unter­schiedlich­er Mei­n­ung sein. Vieles hängt dabei von der per­sön­lichen Biografie und Weltan­schau­ung ab. Im obi­gen Zitat gibt der Autor dem Leser jeden­falls bere­its mit der Fragestel­lung eine Bew­er­tung mit auf den Weg: Es ging bei Lau­sanne 74 schein­bar vor allem um Abgren­zung und um eine Reak­tion auf wahrgenommene Fehlen­twick­lun­gen, die in Wirk­lichkeit gar keine waren.

Meine Ein­schätzung ist wesentlich opti­mistis­ch­er: Es gab triftige Gründe, welche Lau­sanne 74 zu ein­er notwendi­gen Kon­ferenz macht­en. Und die Abgren­zun­gen, welche der Lau­san­ner Bewe­gung zugrunde liegen, sind im Licht ihrer Wirkung und der Her­aus­forderun­gen jen­er Zeit eigentlich nur pos­i­tiv zu bewerten.

Es ist zwar eine Real­ität, dass Lau­sanne 74 Teil ein­er Abset­zbe­we­gung gegenüber schwieri­gen Entwick­lun­gen der Ökumene im All­ge­meinen und des Öku­menis­chen Rats der Kirchen[2] im Speziellen war. Stich­worte dazu sind der Ver­lust zen­traler Inhalte des christlichen Glaubens und teil­weise Kor­rup­tion bis in die höch­sten Ebe­nen. Gle­ichzeit­ig hat diese Abset­zbe­we­gung – die man meinetwe­gen auch als Abgren­zung beze­ich­nen darf – eine sehr dynamis­che mis­sion­ar­ische Bewe­gung gefördert und mass­ge­blich dazu beige­tra­gen, dass die evan­ge­likale Bewe­gung heute neben dem Katholizis­mus die weltweit größte christliche Glauben­saus­prä­gung ist. Von ein­er ver­gle­ich­bar dynamis­chen Wirkung ist der Öku­menis­che Rat der Kirchen weit ent­fer­nt. Lau­sanne 74 sagte berechtigter­weise ‚nein‘ zu etwas, weil es richtiger­weise zu etwas anderem ‚Ja‘ sagte.

 

Für mich ist die Lau­san­ner Verpflich­tung ein per­fek­tes Beispiel dafür, wie durch Krisen ein ver­tieftes Ver­ständ­nis des Evan­geli­ums gewon­nen wer­den kann und nötige Kor­rek­turen Gestalt annehmen kön­nen. So möchte ich nach­fol­gend Ein­blicke geben in die Ereignisse und Umstände, welche zur Lau­san­ner Verpflich­tung geführt haben, warum ich der Überzeu­gung bin, dass es sie brauchte. Nicht zulet­zt über­trage ich meine Erken­nt­nisse auf aktuell in der evan­ge­likalen Welt drän­gende Fragen.

Die Lausanner Verpflichtung bekräftigt mutig zentrale Inhalte des christlichen Glaubens

Was hat die Lau­san­ner Verpflich­tung aus­gemacht? Die Ein­leitung gibt einen guten Ein­druck dessen, was den Urhe­bern auf dem Herzen lag:

«Gottes Wirken in unser­er Zeit bewegt uns tief. Unser Ver­sagen führt uns zur Buße. Die unvol­len­dete Auf­gabe der Evan­ge­li­sa­tion fordert uns her­aus. Wir glauben, dass das Evan­geli­um Gottes gute Nachricht für die ganze Welt ist. Durch Seine Gnade sind wir entschlossen, dem Auf­trag Jesu Christi zu gehorchen, indem wir Sein Heil der ganzen Men­schheit verkündi­gen, um alle Völk­er zu Jüngern zu machen.»[3]

Im Kern ging es bei der Lau­san­ner Verpflich­tung also um die Erfül­lung des Mis­sion­sauf­trags (vgl. Mt 28:18–20). Die ersten Artikel des Beken­nt­niss­es bekräfti­gen den Glauben an den dreieini­gen Gott (Art. 1), sie beto­nen die grosse Bedeu­tung der Bibel als dem «einzi­gen geschriebe­nen Wort Gottes» und sie beto­nen die Einzi­gar­tigkeit und Uni­ver­sal­ität von Jesus Chris­tus als dem einzi­gen Mit­tler zwis­chen Gott und Men­schen (Art. 3). Diese ersten drei Artikel for­mulieren die bewährten, tra­di­tionellen Glauben­süberzeu­gun­gen gegenüber den lib­eralen Glaubenssätzen, welche damals in vie­len protes­tantis­chen Kirchen und auch in der Ökumene zunehmend bes­tim­mend waren.

Es fol­gt im vierten Artikel das Beken­nt­nis zum Auf­trag und Wesen der Evan­ge­li­sa­tion. Evan­ge­li­sa­tion wird dabei definiert als das Ver­bre­it­en der guten Nachricht, dass Jesus Chris­tus «für unsere Sün­den starb und von den Toten aufer­stand» und dass er «die Verge­bung der Sün­den und die befreiende Gabe des Geistes allen denen anbi­etet, die Busse tun und glauben.» Die Evan­ge­li­sa­tion der Welt ver­lange, dass «die ganze Gemeinde der ganzen Welt das ganze Evan­geli­um» bringe – eine For­mulierung, welche sich in der Folge zum Mot­to der Lau­san­ner Bewe­gung mauserte. Die Gemeinde bilde dabei «die Mitte des wel­tum­fassenden Planes Gottes» und sei Gottes «auser­wähltes Werkzeug zur Ver­bre­itung des Evan­geli­ums». Wichtig sei die «Präsenz als Chris­ten in der Welt» und eben­so eine Dialogfähigkeit, die «durch ein­fühlsames Hören zum Ver­ste­hen des anderen führt.»

In den darauf­fol­gen­den Artikeln des Beken­nt­niss­es geht es um die soziale Ver­ant­wor­tung von Chris­ten (Art. 5), die Rolle der Gemeinde in der Evan­ge­li­sa­tion (Art. 6), Fra­gen der Zusam­me­nar­beit und Part­ner­schaft in der Evan­ge­li­sa­tion (Art. 7/8), die Dringlichkeit unerr­e­ichte Men­schen mit dem Evan­geli­um bekan­ntzu­machen (Art. 9) und einiges mehr. Ein spezielles Anliegen ist das Gebet für ver­fol­gte Chris­ten und das Wirken auf deren Befreiung hin (Art. 13). Im let­zten Abschnitt (Art. 15) wird der Glaube an die Wiederkun­ft von Jesus Chris­tus in Macht und Her­rlichkeit bekräftigt.

Wer sich inten­siv­er mit der Vorgeschichte der Lau­san­ner Verpflich­tung befasst, wird bald real­isieren, dass die Artikel sehr spez­i­fisch auf damals aktuelle gesellschaftliche oder innerkirch­liche Fragestel­lun­gen und Kon­tro­ver­sen reagierten. Der zen­trale vierte Artikel um das Wesen von Evan­ge­li­sa­tion und Mis­sion bildet dabei das Herzstück der Lau­san­ner Verpflich­tung. Er stellt sich dem dama­li­gen Trend in der Öku­menis­chen Bewe­gung ent­ge­gen, Mis­sion nur noch im Sinne eines dies­seit­i­gen Strebens nach mehr Gerechtigkeit oder sozialem Aus­gle­ich zu betreiben. Die Verpflich­tung reagiert aber auch auf wahrgenommene Missstände auf evan­ge­likaler Seite, wie zum Beispiel ein­er christlichen Rück­zugs­men­tal­ität oder man­gel­nder kul­tureller Sensibilität.

Welt im Umbruch, Christenheit im Umbruch, Mission im Umbruch

Die 1960er und frühen 1970er Jahre waren zweifel­los eine Zeit großer gesellschaftlich­er Umbrüche. Im West­en set­ze ein stark­er Kul­tur­wan­del ein: Werte der gesellschaftlichen Ord­nung trat­en in den Hin­ter­grund zugun­sten der Frei­heit des Einzel­nen. Errun­gen­schaften wie die Pille befeuerten die sex­uelle Rev­o­lu­tion. Die Gesellschaft plu­ral­isierte sich zunehmend – auch in Fra­gen von Reli­gion und Spir­i­tu­al­ität. Gle­ichzeit­ig macht­en sich viele soziale Bewe­gun­gen daran, Rechte für bes­timmte Bevölkerungs­grup­pen einzu­fordern: Gle­ich­berech­ti­gung für Schwarze, Frauen­be­we­gung, Friedens- und Umwelt­be­we­gung oder auch Gay Lib­er­a­tion lauteten die Stich­worte. An den Uni­ver­sitäten wurde zunehmend mehr demon­stri­ert statt studiert. Mit vom Marx­is­mus inspiri­erten Instru­menten wie Kri­tis­ch­er The­o­rie wurde die Gesellschaft nach Ungle­ich­heit­en durch­leuchtet und mit oft zunehmender Mil­i­tanz eine gerechtere Gesellschaft eingefordert.

Auf der Welt­bühne brachte das Ende des kolo­nialen Zeital­ters mas­sive Umwälzun­gen im glob­alen Süden und bei den ehe­ma­li­gen Kolo­nial­herrsch­ern ein grundle­gen­des Hin­ter­fra­gen der eige­nen Rolle und Geschichte. In allen Eck­en der Welt waren rev­o­lu­tionäre Bewe­gun­gen am Wirken. Ein Rin­gen um glob­ale Vorherrschaft zwis­chen den west­lichen Staat­en und dem kom­mu­nis­tis­chen Macht­block bes­timmte das weltweite Geschehen. Der Wet­t­lauf um die Eroberung des Weltalls war in voller Fahrt. Der­weil machte das ‚Rote Buch‘ von Mao unter antikap­i­tal­is­tis­chen Stu­den­ten im West­en die Runde. Der Kampf der zwei grossen Macht­blöcke wurde nur zu oft in Stel­lvertreterkriegen aus­ge­focht­en, sei es im Viet­nam oder in den vie­len Kon­flik­ten auf dem afrikanis­chen Kontinent.

Die west­lich geprägte Chris­ten­heit und deren Mis­sions­be­we­gun­gen wur­den mit hinein­geris­sen in all diese zum Teil berechtigten Fragestel­lun­gen, Kon­flik­te und Entwick­lun­gen ihrer Zeit. Wo und wie war Gott in ihrer Zeit am Wirken? Wie sollte aus christlich­er Sicht auf Plu­ral­isierung und Indi­vid­u­al­isierung reagiert wer­den? Wie soll­ten Gläu­bige sich zu den starken sozialen Bewe­gun­gen ihrer Zeit stellen? Soll­ten sie sich auf die Seite von rev­o­lu­tionären Bewe­gun­gen schla­gen oder den Sta­tus Quo stützen? Was sollte die Chris­ten­heit mit ihrer eige­nen, mit dem Kolo­nial­is­mus ver­flocht­e­nen Mis­sion­s­geschichte anfan­gen? Und wie sollte Mis­sion in ein­er postkolo­nialen Ära aussehen?

Ökumenische Bewegung: Brennpunkt der Auseinandersetzung um Mission

Im Rin­gen um eine angemessene Mis­sion­sstrate­gie für die neue Zeit entwick­elte sich in den 1960er Jahren der Öku­menis­che Rat der Kirchen zu einem Bren­npunkt. Ein Blick in die Grün­dungskon­ferenz des Öku­menis­chen Rates der Kirchen (Ams­ter­dam 1948) offen­bart einen doch erstaunlichen Willen zur Mis­sion der Öku­menis­chen Gründerfiguren:

«Während wir uns in diesem öku­menis­chen Rah­men mit Evan­ge­li­sa­tion befasst haben, hat uns das Gefühl der Dringlichkeit ergrif­f­en. Wir haben etwas von der apos­tolis­chen Zeit wieder­erlangt, als die Gläu­bi­gen über­all hingin­gen, um das Wort zu predi­gen. Wenn das Evan­geli­um wirk­lich eine Frage von Leben und Tod ist, scheint es unerträglich, dass irgen­dein Men­sch auf der Welt sein Leben ver­brin­gen sollte, ohne jemals die Chance zu haben, es zu hören und zu emp­fan­gen.»[4]

Dieses State­ment kön­nte eben­so gut aus der Fed­er eines evan­ge­likalen Mis­sion­ars oder Evan­ge­lis­ten stam­men. «Mis­sion» war neben »Ein­heit» und «Dienst» eines der drei zen­tralen Anliegen des ÖRK.[5] Der Fokus bei der Mis­sion lag dabei auf der Evan­ge­lisierung unerr­e­ichter Men­schen­grup­pen und auf der Predigt des bib­lis­chen Wortes.

Spätestens in der zweit­en Hälfte der 1960er Jahre griff aber in vie­len der etablierten Main­line Kirchen[6] und am Haupt­sitz des ÖRK in Genf eine grundle­gend verän­derte Sicht auf das Wesen christlich­er Mis­sion um sich. Dieser neuen Sichtweise sollte an der vierten Vol­lver­samm­lung im schwedis­chen Upp­sala erst­mals auch offiziell Aus­druck gegeben wer­den, was zu ein­er grossen Kon­tro­verse führte und let­z­tendlich wohl mit entschei­dend war, dass sich die evan­ge­likale Bewe­gung in Fra­gen der Mis­sion und Evan­ge­li­sa­tion von der öku­menis­chen Bewe­gung abge­set­zt hat.

Die neue öku­menis­che Sicht über Mis­sion hat der Mis­sion­swis­senschaftler Don­ald McGavran (1897–1990)[7], welch­er in dieser Zeit die evan­ge­likale Per­spek­tive mass­ge­blich mit­prägte, fol­gen­der­massen beschrieben:

«Das Bild der „Neuen Mis­sion“ ist kom­plex. Den­noch kann man sagen, dass ihr Kern in ein­er Auf­fas­sung von Mis­sion als Human­isierung liegt – eine Human­isierung, auf die Men­schen guten Wil­lens in jed­er Reli­gion und jed­er Ide­olo­gie drän­gen. Infolgedessen wird die ‚Bekehrung‘ von dieser Reli­gion zu jen­er, vom Marx­is­mus zum Chris­ten­tum oder vom Shin­to­is­mus zum Pres­by­te­ri­an­is­mus, weniger betont. […] Es wird nicht von Men­schen ander­er Reli­gio­nen ver­langt, ihren anges­tammten Glauben aufzugeben und Chris­ten zu wer­den. […] „Mis­sion als Human­isierung“ und „Evan­ge­li­sa­tion als unnötig“ sind grundle­gende Ele­mente der Neuen Mis­sion.»[8]

Diese zusam­men­fassende Darstel­lung macht klar, wie drama­tisch anders die neue Sicht auf Mis­sion war. Synkretismus (Reli­gionsver­mis­chung) und Uni­ver­sal­is­mus (Allver­söh­nung) waren inte­grale Bestandteile dieser neuen Sicht von Mis­sion. Die Predigt des bib­lis­chen Wortes und der Aufruf zur Ver­söh­nung mit Gott trat­en ganz in den Hin­ter­grund zugun­sten inner­weltlich­er Ver­söh­nung und dem Ein­satz für eine gerechtere und sozialere Welt. Nochmals McGavran:

«In früheren Zeit­en wurde Mis­sion pos­i­tiv als ‚Hin­wen­dung zu Gott‘ beschrieben. Heute muss Mis­sion als Befreiung des Men­schen von allem, was ihn aus­beutet und unter­drückt, beschrieben wer­den. » [9]

McGavran iden­ti­fiziert vier Fak­toren, welche Bes­tim­mend waren für die Krise des ‘alten’ und die Entste­hung des ‘neuen’ Ver­ständ­niss­es von Mis­sion:[10]

    1. Der Zusam­men­bruch der europäis­chen Wel­tre­iche: Zwar hätte christliche Mis­sio­nen nie als inte­grale Funk­tio­nen der Kolo­nialmächte funk­tion­iert, jedoch seien die durch Kolo­nialmächte regierten Län­der diejeni­gen gewe­sen, wo auch Mis­sion möglich gewe­sen sei. Der Zusam­men­bruch der Kolo­nial­struk­turen habe mancherorts zur Ausweisung von Mis­sion­aren geführt und den Ein­druck erweckt, dass das Ende der Kolo­nialzeit auch das Ende von Mis­sion in ihrer bish­eri­gen Form bedeuten müsse.
    2. Das Aufkom­men junger Kirchen: Es kon­nte nicht sein, dass die jun­gen Kirchen in den Kolo­nial­ge­bi­eten weit­er­hin aus dem West­en kon­trol­liert wur­den. Sie mussten in die Unab­hängigkeit und Eigen­ver­ant­wor­tung ent­lassen wer­den und die Beziehung zwis­chen Mis­sion­s­ge­sellschaften und lokalen Kirchen neu durch­buch­sta­biert werden.
    3. Die mas­sive Ero­sion des Glaubens an die Inspi­ra­tion und Autorität der Bibel: Viele gebildete Chris­ten seien durch lib­erale The­olo­gie zur Überzeu­gung gelangt, dass die Bibel in kein­er Art und Weise als autori­ta­tives Buch gese­hen wer­den könne. Die Bibel war nur eine Stimme unter vie­len und in sich selb­st wiederum nur eine poly­phone Samm­lung von men­schlichen Gedanken über Gott. Der Plu­ral­is­mus habe dadurch Einzug gehal­ten und andere Reli­gio­nen waren nun auch Wege, durch die Gott in kleinerem oder grösserem Aus­mass gesprochen hat.
    4. Die Ver­bre­itung ein­er marx­is­tis­chen Welt­sicht: Die Ver­bre­itung ein­er marx­is­tis­chen Welt­sicht wurde zunehmend ver­stärkt durch die vie­len Län­der, in denen marx­is­tis­che Grup­pierun­gen die Kon­trolle über die Armee und die Regierung erlangten, und so ganze Natio­nen ihrem Willen unter­war­fen. Da Marx­is­ten für sich in Anspruch nah­men, die Vertreter des ein­fachen Volkes und Kämpfer für eine klassen­lose Gesellschaft zu sein, präsen­tierten sie sich als die grossen Vorkämpfer gegen Aus­beu­tung, Impe­ri­al­is­mus, Ungerechtigkeit, Armut und Unter­drück­ung. Christliche Kirchen und Mis­sio­nen hät­ten dieses Nar­ra­tiv aufgenom­men und Mis­sion neu insze­niert als «mächtige Kam­pagne gegen jede Form von Aus­beu­tung der Massen».

Auch aus dem deutschsprachi­gen Raum kam Kri­tik an den inneröku­menis­chen Entwick­lun­gen. Der deutsche The­ologe Klaus Bock­mühl (1931–1989)[11], damals in der Schweiz als Dozent auf St. Chrischona tätig, sah die Dinge ähn­lich wie McGavran. In der neuen Mis­sion­s­the­o­rie seien «die Ansprüche der Welt wichtiger gewor­den als der Anspruch des Evan­geli­ums». Es habe eine «Welle der Bee­in­flus­sung öku­menis­ch­er The­olo­gie durch sozi­ol­o­gis­che und neo­marx­is­tis­che Ideen gegeben». Wer nicht das Evan­geli­um an den Anfang stelle, son­dern den säku­laren Men­schen, werde auch «bei einem säku­lar­isierten Evan­geli­um lan­den». Das grösste Gebot sei in dieser neuen Mis­sion­s­the­o­rie «auf ihre zweite Hälfte reduziert wor­den»: liebe deinen Näch­sten wie dich selb­st (vgl. Lk 10:27).[12]

Theologische Konfliktpunkte

Genährt wurde die neue Sicht auf Mis­sion von den the­ol­o­gis­chen Trends der 1960er. Aus Lateinameri­ka kamen erste Ansätze der Befreiungs­the­olo­gie[13]. Diese liess sich auch von marx­is­tis­chen Konzepten inspiri­eren und war daher prob­lem­los anschlussfähig an die Ideen der Neuen Linken[14] und den rev­o­lu­tionären Bewe­gun­gen jen­er Zeit. Im West­en war der­weil die human­is­tis­che «Gott ist tot»-Theologie[15] der let­zte Schrei. Prozess­the­olo­gen[16], welche die Konzepte der Evo­lu­tion­s­the­o­rie auf geistliche Dinge übertru­gen, sahen in Gott ein wan­del­bares Wesen, dessen moralis­che Werte auch mit der Zeit gehen kon­nten. The­olo­gen wie Paul Tillich (1886–1965)[17], Karl Barth (1886–1968)[18], Rudolf Bult­mann (1884–1976)[19] oder auch die Lehren eines Teil­hard de Chardin (1881–1955)[20] waren hoch im Kurs. Im Kon­trast dazu stand die evan­ge­likale Bewe­gung, welche in ihren the­ol­o­gis­chen Grund­la­gen kon­ser­v­a­tiv war, sich aber mit gross­er Dynamik entwick­elte und auch in etablierten Kirchen­ver­bän­den teils beachtlichen Rück­halt hatte.

Die divergieren­den the­ol­o­gis­chen Trends jen­er Jahre führten inner­halb der öku­menis­chen Bewe­gung zu sehr grundle­gen­den inhaltlichen Fra­gen­stel­lun­gen in Bezug auf christliche Dok­trin. McGavran beschreibt neben der fun­da­men­tal­en Frage nach der Inspi­ra­tion und Autorität der Bibel fol­gende Kon­flik­t­punk­te in der christlichen Lehre:[21]

  1. Das Wesen der Kirche: Hat die Kirche in sich einen Wert? Oder sollte sie lediglich als ein Instru­ment zur Weltverbesserung gese­hen wer­den? Einige Protes­tanten seien der Ansicht, die insti­tu­tionelle Kirche der Gegen­wart müsse durch eine noch zu bes­tim­mende neue Form von ‘Kirche’ abgelöst wer­den. Etwas völ­lig Neues würde aus dem ‘Kochtopf’ her­vortreten, vielle­icht eine neue Verbindung aller Glaubenssys­teme. Men­schen wie Ghan­di oder Che Gue­vara seien möglicher­weise die Evi­denz von Gottes Wirken in der Welt und die Leit­fig­uren der neuen ‘Kirche’.
  2. Das Wesen der Bekehrung: Muss die Kirche wirk­lich das Evan­geli­um predi­gen und die Men­schen zu per­sön­lich­er Busse, Umkehr und Nach­folge Jesu aufrufen? Ein ein­flussre­ich­er Flügel der Kirche sei aktuell der Ansicht, dies sei unnötig oder gar ille­git­im, sei doch die Auf­gabe der Kirche die «Koop­er­a­tion mit Gott in der Erschaf­fung ein­er humaneren Welt».
  3. Die kul­turellen Ele­mente des Chris­ten­tums: Was ist der kul­turüber­greifend unver­han­del­bare Kern des Chris­ten­tums? Die bish­erige Mis­sions­be­we­gung sei unver­mei­dlicher­weise eine Mis­chung aus neutes­ta­mentlichem Chris­ten­tum und west­lich­er Kul­tur gewe­sen. Wie soll­ten die Mis­sio­nen beispiel­sweise mit Polyg­a­mie oder hin­duis­tis­chen Kas­ten­sys­te­men umgehen?
  4. Die Natur und Per­son von Chris­tus: War Chris­tus die zweite Per­son der Trinität, inkarniert in der Per­son Jesus von Nazareth, oder war er ein ‘kos­mis­ch­er Chris­tus’, der sich zu ver­schiede­nen Zeit­en durch ganz ver­schiede­nen Men­schen man­i­festiert habe, die unter­schiedlich­ste ‘Wahrheit­en’ von sich gegeben hät­ten? Kon­nte der ‘kos­mis­che Chris­tus’ demzu­folge nicht auch in Krish­na oder anderen religiösen Leucht­fig­uren geehrt wer­den? Während Kreuzi­gung, Tod und Aufer­ste­hung Jesu von den meis­ten Chris­ten akzep­tiert würde, wür­den einige seinen Exk­lu­siv­ität­sanspruch ablehnen (Joh 14:6). Diese wür­den diesen Exk­lu­siv­ität­sanspruch einem Übereifer der ersten Chris­ten zuschreiben. Für diese sei das Konzept eines «kos­mis­chen Chris­tus» der sich in ver­schieden­sten Reli­gio­nen man­i­festiere, der Ausweg aus ein­er christlichen Arroganz.
  5. Die Funk­tion des Heili­gen Geistes: Wo und wie ist der Heilige Geist heute am Wirken? Das christliche Zeug­nis sei, dass der Heilige Geist immer in Übere­in­stim­mung mit der fleis­chge­wor­de­nen Offen­barung Gottes – Jesus Chris­tus – han­deln würde, von dem die Heilige Schrift wahrheits­gemäss berichte. Doch einige ‘avant-garde-Chris­ten’ wür­den das Wirken des Heili­gen Geistes lieber in den Rev­o­lu­tio­nen ihrer Tage sehen und Mao und Lenin als Diener des Geistes.  Wenn das Geis­teswirken aber mehr ausser­halb der Kirche als inner­halb zu suchen sei, dann würde dies auch den Bedarf nach Verkündi­gung von Kreuz und Aufer­ste­hung tangieren.
  6. Die Lehre des Uni­ver­sal­is­mus: Wer­den ein­mal alle Men­schen gerettet? Es sei ein zunehmender Trend, dass die his­torische Lehre der Kirche von einem ‘dop­pel­ten Aus­gang’ (dass manche Men­schen in den Him­mel kom­men, und andere in die Hölle) als eng­stirnig und intol­er­ant betra­chtet werde. Die Ein­stel­lung zu der Frage habe aber grossen Ein­fluss auf die Ein­stel­lung zu Mission.
  7. Der Auf­trag zur Jünger­schaft: Wie hal­ten wir es mit dem Befehl von Jesus Chris­tus, «alle Natio­nen zu Jüngern» zu machen (Mt28:19)? Dieser Befehl werde teil­weise unter­schiedlich aus­gelegt, teil­weise ganz weg interpretiert.
  8. Die Prax­is des Glaubens: Muss sich der Glauben im All­t­ag und im Han­deln des Gläu­bi­gen auswirken? Die Bibel lehre klar, dass Gott ein Gott der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der Barmherzigkeit sei. Gott fordere sein ‘Haus’ auf, diesel­ben Tugen­den zu man­i­festieren. Als neue Krea­turen Gottes, seien Chris­ten ange­hal­ten, nicht mehr zu sündi­gen und allen Men­schen Gutes zu erweisen. Chris­ten seien das Salz der Erde und soll­ten sich deshalb für gerechte und barmherzige gesellschaftliche Rah­menbe­din­gun­gen ein­set­zen. Die klas­sis­che evan­ge­likale Posi­tion war dabei, dass nur verän­derte Men­schen (Evan­ge­li­sa­tion) eine verän­derte Gesellschaft her­vor­brin­gen konnten.

Es liegt auf der Hand, dass solch grundle­gende the­ol­o­gis­che Kon­flik­t­punk­te die öku­menis­che Bewe­gung vor grosse Her­aus­forderun­gen stellte. Wie hat sie ver­sucht, den ‘Laden’ zusam­men­zuhal­ten? Ich nehme drei Ansätze wahr:

Plu­ral­isierung: Plu­ral­isierung bedeutete, jed­er the­ol­o­gis­chen Strö­mung etwas von dem zu geben, wonach sie suchte. Während sich evan­ge­likale Chris­ten zum Beispiel über für sie passendende State­ments zu Mis­sion in der ersten ÖRK-Vol­lver­samm­lung freuen kon­nten, haben sich andere auf ihre ganz eigene inhaltliche Tra­di­tion in den ÖRK-Tex­ten berufen kön­nen.[22]

Rel­a­tivierung: Bewusst bedeu­tung­sof­fene, ‘ambigue’ Def­i­n­i­tio­nen von Begrif­flichkeit­en schafften den Spiel­raum, in dem jed­er seine eigene Def­i­n­i­tion hinein­le­sen kon­nte. Bildlich gesprochen kön­nte man sagen: ‘Scharfe Mess­er’ waren ver­boten, nur stumpfe zuge­lassen, damit sich­er nie­man­dem weh getan wurde. Natür­lich waren bedeu­tung­sof­fene Def­i­n­i­tio­nen auch ein guter Aus­gang­punkt, um grundle­gende Umdeu­tun­gen in die Wege zu leit­en, wie dies zum Beispiel beim The­ma ‘Mis­sion’ ver­sucht wurde.[23]

Ablenkung: Anstelle von dok­trineller Ein­heit wurde nach neuen Bere­ichen gesucht, welche der Ökumene Zusam­men­halt geben kon­nten, zum Beispiel das gemein­same soziale Engage­ment oder das Pfle­gen von tra­di­tionellen oder neuen kirch­lich-litur­gis­chen Elementen.

Sich­er gehören gewisse Kom­pro­misse zu grösseren Sam­mel­be­we­gun­gen dazu. Es liegt aber auch auf der Hand, dass die beschriebe­nen 3 Strate­gien kaum eine dynamis­che mis­sion­ar­ische Bewe­gung beflügeln kon­nten. Plu­ral­isierung bedeutet, dass gle­ichzeit­ig ‘in alle Rich­tun­gen’ gezo­gen wer­den kann. Stumpfe Mess­er tun nie­man­dem weh, sie erfüllen aber auch ihre Funk­tion nicht mehr. Die Abw­er­tung von zen­tralen Kern­punk­ten des Glaubens zugun­sten von periph­eren Aspek­ten führt zu ein­er inneren Aushöhlung.

Karl F. Hen­ry (1913–2003)[24] – Vor­denker und Mas­ter­mind der Evan­ge­likalen Bewe­gung – kom­men­tierte diese Vorgänge inner­halb der Ökumene folgendermassen:

«Was evan­ge­likale Chris­ten zutief­st beun­ruhigt, ist, dass die Leit­er der Ökumene sich immer noch nicht bewusst sind, dass Einigkeit in Lehre und Mis­sion der eigentliche Schlüs­sel zur christlichen Ein­heit ist. In Erman­gelung eines the­ol­o­gis­chen Kon­sens­es und eines evan­ge­lis­tis­chen Engage­ments scheinen sich öku­menis­che Vor­denker zunehmend auf poli­tis­che Ziele zu konzen­tri­eren, in der Hoff­nung, dass diese ein verbinden­des Ele­ment sein kön­nten.»[25]

Es wäre falsch, die dama­lige Kri­tik an Entwick­lun­gen inner­halb des ÖRK als rein evan­ge­likale Angele­gen­heit zu sehen. Tat­säch­lich gab es auch im Herzen der Nachkriegszeit-Ökumene und in den etablierten Kirchen gewichtige Stim­men, welche auf prob­lema­tis­che Entwick­lun­gen und Aspek­te hin­wiesen. John Mack­ay (1889–1983)[26], Präsi­dent Emer­i­tus des Prince­ton The­o­log­i­cal Sem­i­nary warnte vor ein­er Bürokratisierung der Öku­menis­chen Bewe­gung.[27] Ian Hen­der­son, Pro­fes­sor für Sys­tem­a­tis­che The­olo­gie an der Uni­ver­sität Glas­gow wies auf die grosse Bedeu­tung von Macht­dy­namiken inner­halb der Ökumene hin. Er beleuchtete auch die Tat­sache, dass die Öku­menis­che Bewe­gung als Ein­heits­be­we­gung unauswe­ich­lich auch auss­chliessende Wirkung hat­te auf alle, welche sich nicht mit deren Annah­men und Struk­turen anfre­un­den kon­nten.[28] Paul Ram­sey (1913–1988)[29],Pro­fes­sor für Reli­gion an der Prince­ton Uni­ver­si­ty, kri­tisierte die Vorgänge um die ein­seit­ige Verurteilung des US-Ein­satzes im Viet­nam.[30] Der Schweiz­er Emil Brun­ner (1889–1966) wies darauf hin, dass eine insti­tu­tionelle Ein­heit inner­halb der protes­tantis­chen Bewe­gung unmöglich sei, weil die ver­schiede­nen Kirchen unvere­in­bare und anti­thetis­che for­ma­tive Prinzip­i­en verkör­pern wür­den.[31]

Auch der in ÖRK-Kreisen zunehmend salon­fähige Synkretismus wurde von promi­nen­ten Expo­nen­ten der Ökumene kri­tisiert. Zu den Kri­tik­ern gehörten zum Beispiel der pop­uläre Mis­si­ologe Lesslie New­bi­gin (1909–1998).[32] Die promi­nen­teste Stimme war jedoch sich­er Willem Viss­er ‘t Hooft (1900–1985)[33]. Dieser war ab 1948 der erste Gen­er­alsekretär des ÖRK und über viele Jahre hin­weg eine prä­gende Fig­ur der Bewe­gung. In seinem Buch «No oth­er Name» (1963) kri­tisierte er den Trend zum Synkretismus und Bestre­bun­gen nach ein­er neuen «Wel­tre­li­gion».[34] Als qua­si let­zter Akt seines Wirkens im ÖRK sprach er 1968 zu Beginn der vierten Vol­lver­samm­lung in Upp­sala über den Auf­trag der Öku­menis­chen Bewe­gung und rief dabei ein­drück­lich auf zu ein­er Ver­söh­nung des ver­tikalen und hor­i­zon­tal­en Aspek­tes des Glaubens:

«Ein Chris­ten­tum, das seine ver­tikale Dimen­sion ver­loren hat, hat sein Salz ver­loren, und ist nicht nur in sich selb­st fade und kraft­los, son­dern auch der Welt unnütz. Hinge­gen würde ein Chris­ten­tum, das infolge sein­er Konzen­tra­tion auf die ver­tikale Dimen­sion seine Ver­ant­wor­tung für das Gemein­schaft­sleben ver­nach­läs­si­gen würde, die Inkar­na­tion ver­leug­nen, die Liebe Gottes zur Welt, die sich in Chris­tus dargestellt hat.»[35]

Ökumenischer Showdown 1968 in Uppsala

Die bish­eri­gen Erläuterun­gen haben gezeigt, dass die zunehmenden Vor­be­halte Evan­ge­likaler gegenüber dem ÖRK in erster Lin­ie inhaltlich­er Natur waren. Es gab aber auch son­st viele ‚Nebengeräusche‘, welche zur zunehmend dis­so­nan­ten ‚Musik‘ beige­tra­gen haben.
Viele in der Mis­sion engagierte Evan­ge­likale fühlten sich unter Druck geset­zt, sich ein­er „Ein­heit“ nach den Vor­gaben des ÖRK zu verpflicht­en, selb­st da, wo bere­its gute und eigen­ständi­ge For­men regionaler und nationaler Zusam­me­nar­beit bestanden. Öku­menis­che Leit­er wür­den mit dem Argu­ment operieren, dass Spal­tung «die grosse Sünde unser­er Zeit sei». Für viele Mis­sion­are war jedoch klar, dass christliche Ein­heit nicht ein­fach in den Kat­e­gorien von Insti­tu­tio­nen beschrieben wer­den kon­nte.[36]

Andere Evan­ge­likale stell­ten die öku­menis­che These in Frage, dass die Mis­sion der Gemeinde Jesu durch die vie­len Spal­tun­gen beein­trächtig wor­den sei. Don­ald Mc Gavran kam nach ein­er Unter­suchung der Fusion divers­er protes­tantis­ch­er Kirchen zur «Church of South India» zum Schluss, die Fusion habe keine Auswirkun­gen auf das Gemein­dewach­s­tum gehabt. Die These, dass das frag­men­tierte Chris­ten­tum eine schnellere Wel­te­van­ge­li­sa­tion behin­dere, könne nicht belegt wer­den.[37]

Die Ökumene war entste­hungs­geschichtlich weit­ge­hend ein Kind der evan­ge­likal geprägten Mis­sions­be­we­gung des 19. Jahrhun­derts. Doch in den 1960er Jahren fühlten sich viele in der Ökumene engagierte Evan­ge­likale zunehmend an den Rand gedrängt. Karl F. Hen­ry gab einen guten Ein­blick in dieses Empfind­en: Die öku­menis­che Hal­tung gegenüber evan­ge­likalen Repräsen­tan­ten sei von «höflich­er Tol­er­anz» geprägt, während man sie gle­ichzeit­ig «geschickt aus­man­övriere».[38]  Es gebe keine sub­stanzielle Glaubens­ge­mein­schaft, welche in den Macht­struk­turen der Ökumene der­art unter­repräsen­tiert sei wie die Evan­ge­likalen.[39] Zudem wür­den gewisse öku­menis­che Funk­tionäre ver­suchen, «jeglichen evan­ge­likalen Wider­spruch als radikalen Fun­da­men­tal­is­mus zu stig­ma­tisieren».[40]

Mit deut­lichen Worten weist Hen­ry auch auf die Diskrepanz zwis­chen dem Anspruch der Ökumene nach mehr struk­tureller Gerechtigkeit und der Real­ität inner­halb des öku­menis­chen Machtapparates:

«Die Ironie der gegen­wär­ti­gen öku­menis­chen Zwangslage liegt in der Tat­sache, dass die Öku­menis­che Bewe­gung, die sich lei­den­schaftlich mehr für die Verän­derung sozialer Struk­turen als für die Erlö­sung des Einzel­nen ein­set­zt, wenig Bere­itschaft zeigt, ihre eige­nen kirch­lichen Struk­turen ein­er Beurteilung zu unterziehen.»[41]

Als Wasser­schei­de zwis­chen dem tra­di­tionellen und neuem Mis­sionsver­ständ­nis sowie zwis­chen der evan­ge­likalen und der Öku­menis­chen Bewe­gung kann die vierte Vol­lver­samm­lung des Öku­menis­chen Rates der Kirchen in Upp­sala, 1968, gese­hen wer­den. Dort wurde in der Sek­tion II über die Erneuerung der Mis­sion debat­tiert. Der Entwurf zum Sek­tions­bericht war im Vor­feld unter der Fed­er­führung der Gen­fer Zen­trale vor­bere­it­et wor­den. Wichtige Grund­la­gen waren bere­its 1966 durch die ‚Weltkon­ferenz über Kirche und Gesellschaft‘ in Genf gelegt wor­den. Die Kon­ferenz hat­te Kirchen unter anderem dazu aufgerufen, sich «aktiv­er für eine weltweite rev­o­lu­tionäre Oppo­si­tion gegen das kap­i­tal­is­tis­che poli­tis­che und wirtschaftliche Sys­tem einzuset­zen»[42]. Nun galt es, radikale Inhalte dieser Couleur in ange­brachter Form den Delegierten der Weltkon­ferenz in Upp­sala zu verkaufen. Richtig gelin­gen wollte dies nicht. Es gab mas­siv­en Widerspruch.

Die promi­nen­teste Fig­ur des Wider­standes war John Stott (1921–2011)[43]. Stott, der sechs Jahre später zur Mas­ter­mind der Lau­san­ner Verpflich­tung wer­den würde, gehörte zum ein­flussre­ichen evan­ge­likalen Flügel der Anglikanis­chen Kirche Eng­lands. Das offizielle Pro­tokoll fasst seinen Kom­men­tar zum Entwurf Sek­tion II mit fol­gen­den Worten zusammen:

«Pfar­rer J. R. W. Stott, Berater (Kirche von Eng­land), fand in dem Bericht keine Sorge um den geistlichen Hunger des Men­schen ver­gle­ich­bar mit dem, was über physis­chen Hunger und Armut gesagt wurde. Das wichtig­ste Anliegen der Kirche betr­e­ffe die Mil­lio­nen Men­schen, die ohne Chris­tus verder­ben. «Der öku­menis­che Rat beken­nt Jesus als Her­rn. Der Herr sendet seine Kirche, um die fro­he Botschaft zu verkündi­gen und Jünger zu gewin­nen. Ich kann nicht sehen, dass die Vol­lver­samm­lung bemüht ist, diesem Auf­trag zu fol­gen. Der Herr Jesus Chris­tus weinte über die Stadt, die ihn nicht angenom­men hat­te. Ich sehe diese Ver­samm­lung keine solche Trä­nen vergiessen.»[44]

Stott war nicht der Einzige, der Kri­tik am Entwurf übte. Der Bericht sei wirr und ohne klare Struk­tur, monierte ein Vertreter aus Südin­di­en. Ins gle­iche Horn blies ein Vertreter aus Schot­t­land. Ein Vertreter aus dem Kon­go ver­mis­ste Bezüge zur Bibel. Let­z­tendlich wurde der Entwurf von der Vol­lver­samm­lung abgelehnt und an die Sek­tion II zurück­gewiesen mit dem Auf­trag ein­er Über­ar­beitung.[45]

Doch auch die über­ar­beit­ete Schlussver­sion brachte nicht wirk­lich eine Verbesserung. Schein­bar wur­den diverse Änderun­gen, auf die man sich geeinigt hat­te, doch nicht aufgenom­men. Diverse neue Ein­schübe wirk­ten deplatziert. Am Ende kur­sierten gar unter­schiedliche Ver­sio­nen des End­bericht­es, je nach­dem ob man die englis­che oder die deutsche Fas­sung las.[46]

Aus einem Schriftverkehr zwis­chen Stott und dem deutschen The­olo­gen Peter Bey­er­haus geht her­vor, dass bei Teil­nehmern wie John Stott der Ein­druck ent­stand, die admin­is­tra­tive Spitze des ÖRK würde alles in ihrer Macht tun, um den Schlusstext in Rich­tung ihrer eige­nen vorge­fassten Leitidee zu bee­in­flussen. Stott schreibt:

«Ich denke du hast recht, dass die Gen­fer Mitar­beit­er als Lob­by­gruppe funk­tion­iert haben. Sie haben sich­er diesen Ein­druck ver­mit­telt. Ich war selb­st sehr irri­tiert, als ich den finalen Bericht zu Upp­sala 68 gele­sen habe, weil es in vie­len Belan­gen von dem abgewichen ist, was ich erwartet habe. Diverse Änderungsanträge von evan­ge­likaler Seite, auf die wir uns meines Wis­sens geeinigt hat­ten, wur­den nicht aufgenom­men.»[47]

Stott macht in ein­er schriftlichen Auswer­tung nach der Kon­ferenz aber auch klar, dass das Anliegen der Kon­ferenz, Armut und Ungerechtigkeit ent­ge­gen­zutreten, bei ihm dur­chaus auf offene Ohren gestossen ist:

«Die Ver­samm­lung war mit dem Hunger, der Armut und den Ungerechtigkeit­en der heuti­gen Welt beschäftigt. Ich selb­st war tief bewegt und her­aus­ge­fordert. Und ich möchte nicht, dass dies geschmälert wird. Was mich beun­ruhigt hat, ist, dass ich kein ver­gle­ich­bares Mit­ge­fühl oder Inter­esse für den spir­ituellen Hunger der Mil­lio­nen Men­schen fand, die nicht evan­ge­lisiert wur­den.»[48]

Funktionäre mit verborgener Agenda

Ein junger evan­ge­likaler The­ologe, der 1968 unbe­fan­gen über die Vol­lver­samm­lung in Upp­sala reflek­tieren kon­nte, war Harold Brown (1933–2007).[49] Brown, der in späteren Jahren zu ein­er wichti­gen Fig­ur in der Pro-Life Bewe­gung wurde, pub­lizierte unmit­tel­bar nach der Kon­ferenz in Upp­sala eine kri­tis­che Analyse über den Zus­tand des Protes­tantismus. Sein Buch «The Protest of a Trou­bled Protes­tant» (deutsch: «Protest eines beun­ruhigten Protes­tanten»), fand nicht nur im englis­chsprachi­gen Raum anklang, es wurde auch umge­hend auf Deutsch über­set­zt und im Brun­nen Ver­lag publiziert.

Für Brown war klar, dass der ÖRK in Upp­sala nur unter Preis­gabe seines prophetis­chen Man­dats und des evan­ge­lis­tis­chen Zeug­niss­es ein gewiss­es Mass an kirch­lich­er Ein­heit erre­ichen konnte:

«Der Weltkirchen­rat kann – wie seine 4. Kon­ferenz gezeigt hat – eine weltliche Macht nur dann kri­tisieren, wenn diese Kri­tik von den Vertretern eben jen­er Macht im Weltkirchen­rat ange­führt wird. So verurteilte die Kon­ferenz von Upp­sala zwar die Vere­inigten Staat­en in Viet­nam, aber nicht die UdSSR in der Tsche­choslowakei. […] Ein zuge­drück­tes Auge gegen die Ver­fol­gun­gen in und durch die Sow­je­tu­nion ist vielle­icht der Preis, den der Weltkirchen­rat für die Anwe­sen­heit der rus­sis­chen Brüder zahlen musste.»[50]

Der Mut des Weltkirchen­rats gehe ger­ade so weit, so Brown, «jedem Land das zu sagen, was seine eige­nen Delegierten hören wollen».

Während die Vertreter von US-Kirchen also bere­itwillig Kri­tik an ihrem Staat zuliessen oder gar wün­scht­en, war Kri­tik bei Vertretern aus dem soge­nan­nten Ost­block nicht gewün­scht. Just während der Kon­ferenz in Upp­sala war Rus­s­land seine Trup­pen am Zusam­men­ziehen, um den Prager Früh­ling gewalt­sam niederzuschla­gen. In diese Sit­u­a­tion hinein kon­nte der ÖRK jedoch nicht hinein­sprechen, weil das die rus­sis­chen Vertreter ver­grault hätte. Der Ein­satz der Ökumene für Frieden und Gerechtigkeit war also selek­tiv und damit unglaub­würdig. Der Mut des Weltkirchen­rats gehe ger­ade so weit, so Brown, «jedem Land das zu sagen, was seine eige­nen Delegierten hören wollen».

Eine ähn­liche Befan­gen­heit zeigte sich beim The­ma Chris­ten­ver­fol­gung. Richard Wurm­brand (1909–2001)[51], selb­st über Jahre aktiv in der öku­menis­chen Bewe­gung engagiert, dann aber viele Jahre um des Glaubens willen in Rumänien inhaftiert und gefoltert, wurde die Teil­nahme an der Kon­ferenz ver­weigert. Er wollte auf das Schick­sal ver­fol­gter Chris­ten und Christin­nen hin­ter dem Eis­er­nen Vorhang aufmerk­sam machen. Das ging nicht. Browns lakonis­ch­er Kom­men­tar dazu:

«Natür­lich lieben es die gut gepflegten Sow­jet­delegierten nicht, wenn man ihnen sagt, dass in kom­mu­nis­tis­chen Gefäng­nis­sen zahllose Chris­ten fest­ge­hal­ten wer­den, deren Zusam­me­nar­beit mit ihrer Regierung nicht so gut ist wie die der Uppsala-Delegierten.»

 

 

Richard Wurm­brand war in der Wahrnehmung der Funk­tionäre des ÖRK ein lästiger Stören­fried. In unzäh­li­gen Briefen und Appellen an den ÖRK hat­te er, der 1964 im Rah­men ein­er Amnestie die Aus­reise in den West­en ges­tat­tet wor­den war, auf das Schick­sal ver­fol­gter Chris­ten und der Unter­grund­kirche in kom­mu­nis­tis­chen Län­dern aufmerk­sam machen wollen. Dabei hat­te er unter anderem auch die waghal­sige Behaup­tung geäussert, dass diverse Funk­tionäre des ÖRK sowie Delegierte der Gen­er­alver­samm­lung in Wirk­lichkeit nichts anderes als sow­jetis­che Agen­ten waren. Wurm­brand nan­nte auch Namen. So bezichtigte er Erzbischof Nikodim (1929–1978)[52], der im ÖRK eine zunehmend wichtige Rolle spielte[53], ein KGB Agent zu sein.[54]

Solche Dinge kamen in den Gen­fer Chefe­ta­gen nicht sehr gut an. In einem Brief warf der dama­lige Gen­er­alsekretär des ÖRK, Eugene C. Blake (1906–1985)[55] Wurm­brand vor, er würde aus sein­er per­sön­lichen Erfahrung «all­ge­me­ingültige Beschuldigun­gen gegen Leit­er der Kirche machen». Ja, Wurm­brands Briefe liessen «den Sieg der Liebe über den Hass» ver­mis­sen.[56]

Die Sache hat­te einen Hak­en. Denn Erzbischof Nikodim war nicht nur gemäss der Vorstel­lungswelt von Wurm­brand ein Agent. Nikodim war tat­säch­lich KGB-Spi­on. Wurm­brand wollte man in den 1960er Jahren nicht glauben. Doch als sich mit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren neue Wis­sensquellen auf­schlossen, wurde der Umfang sicht­bar, mit dem der KGB die Hier­ar­chie der Ortho­dox­en Kirche Rus­s­lands und auch deren Vertreter im ÖRK bes­timmt hat.

Sehr auf­schlussre­ich war dabei das soge­nan­nte Mitrokhin Archiv [57], welch­es die gezielte Infil­tra­tion kirch­lich­er Struk­turen durch den KGB detail­liert nachze­ich­net.[58] So sei der Beitritt der Ortho­dox­en Kirche zum ÖRK 1961 in enger Abstim­mung mit dem KGB erfol­gt. In der Pub­lika­tion der Archiv­in­halte wird fol­gende Bilanz gezogen:

«KGB-Agen­ten im ÖRK waren bemerkenswert erfol­gre­ich darin, diesen davon abzubrin­gen, der religiösen Ver­fol­gung im Sow­jet­block ern­sthafte Aufmerk­samkeit zu schenken, und ihn stattdessen davon zu überzeu­gen, sich auf die Sün­den des impe­ri­al­is­tis­chen West­ens zu konzen­tri­eren.»[59]

Die Lausanner Bewegung ist das Ergebnis eines innerevangelikalen Diskurses

Während also in Upp­sala und anderen ÖRK-Kon­feren­zen soziale Gerechtigkeit und Welt­frieden ange­priesen wurde, war die Bewe­gung bis in inner­ste Kreise von Funk­tionären mit verdeck­ter Agen­da geprägt. Evan­ge­likale Vertreter, welche im Kon­takt mit der Unter­grund­kirche standen, waren sich dieser Real­ität sehr bewusst. Später wur­den diese Zustände durch andere Quellen bestätigt. Damit wird auch klar, dass für Evan­ge­likale Ende der 1960er Jahre neben den zunehmenden inhaltlichen Bedenken über den Kurs des ÖRK auch ein grundle­gen­des Ver­trauens­de­fiz­it vorhan­den war. Der Weg zu ein­er vom ÖRK unab­hängi­gen evan­ge­likalen Sam­mel­be­we­gung – der Lau­san­ner Bewe­gung – war damit vorgezeichnet.
Es wäre aber fehl am Platz, Lau­sanne als Bewe­gung zu zeich­nen, welche ein­fach aus der Abgren­zung zum ÖRK seine Iden­tität schöpfte! Die Real­ität ist eher die, dass sich in der Lau­san­ner Bewe­gung ab 1974 sowohl das ursprüngliche mis­sion­ar­ische Anliegen der Öku­menis­chen Bewe­gung (Wortverkündi­gung und evan­ge­lis­tis­che Durch­dringung) als auch die neueren sozialen Anliegen zu einem dynamis­chen neuen Ganzen zusam­men­fan­den, welche unter dem Stich­wort der «ganzheitlichen Mis­sion»’ zusam­menge­fasst wer­den kann.
Ein Blick in die Entwick­lun­gen im Umfeld evan­ge­likaler Mis­sion­s­ge­sellschaften zeigt zudem, dass viele Lau­sanne-Anliegen bere­its Mitte der 1960er Jahre anfin­gen in der evan­ge­likalen Sub­kul­tur Gestalt anzunehmen.

 

So wer­den beispiel­sweise in der Wheaton Erk­lärung von 1966 bere­its viele Lau­sanne-Anliegen the­ma­tisiert. Die Wheaton Erk­lärung wurde im Rah­men ein­er Kon­ferenz mit rund 1000 Teil­nehmern aus über 70 Län­dern erar­beit­et und brachte zudem Evan­ge­likale und Pfin­gstler an einen Tisch – damals alles andere als eine Selb­stver­ständlichkeit. [60] Die Erk­lärung wird eröffnet durch eine Diag­nose aktueller the­ol­o­gis­ch­er und weltan­schaulich­er Strö­mungen wie Lib­er­al­is­mus, Kom­mu­nis­mus, Synkretismus und Uni­ver­sal­is­mus. Sie ruft auf zu Busse über einen unbib­lis­chen Iso­la­tion­is­mus, welch­er Mis­sio­nen daran hin­dert, sich ehrlich mit den Anliegen der Men­schen zu befassen. Sie fordert, bib­lis­che Prinzip­i­en anzuwen­den in Bezug auf Prob­leme wie Ras­sis­mus, Krieg, Bevölkerung­sex­plo­sion, Armut, Fam­i­lien­au­flö­sung, soziale Rev­o­lu­tio­nen oder Kom­mu­nis­mus. Sie hält fest an der Heili­gen Schrift als «endgülti­gen Massstab für Glaube und Leben» (eine For­mulierung, welche so fast wörtlich wieder in der Lau­san­ner Verpflich­tung auf­tauchen wird). Sie fordert ein neues Miteinan­der auf Augen­höhe zwis­chen Mis­sion­s­ge­sellschaften und Lokalkirchen in deren Mis­sions­feldern. Sie stellt sich entsch­ieden gegen den Ein­satz von unethis­chen materiellen Mit­teln zur Gewin­nung von Kon­ver­titen. Sie fordert in der Mis­sion eine am Neuen Tes­ta­ment aus­gerichtete Bal­ance zwis­chen Verkündi­gung und prak­tis­ch­er Diakonie.[61]

Die Kon­ferenz von Wheaton gibt auch einen Ein­blick, wie der Fahrt aufnehmende innere­van­ge­likale Diskurs auf Seit­en der Ökumene wahrgenom­men wurde. Eugene L. Smith, ein Funk­tionär des ÖRK, welch­er als Beobachter an der Kon­ferenz in Wheaton teilgenom­men hat, lobte zwar die grossar­tige Organ­i­sa­tion, beklagte aber die von Mis­strauen gegenüber der Ökumene geprägte Atmo­sphäre. Neun von Fün­fzehn an der Kon­ferenz präsen­tierte Papiere hät­ten die öku­menis­che Bewe­gung «attack­iert». Viele der Angriffe auf die Ökumene hät­ten auf Aus­sagen von Per­so­n­en beruht, welche gar nicht in der Ökumene engagiert seien, wie beispiel­sweise der Anglikanis­che Bischof John A.T. Robin­son oder Paul Tillich.[62] Die Beziehungsstörung zwis­chen Evan­ge­likalen und der Ökumene wurde also in bei­den Lagern emp­fun­den, und der ‘schwarze Peter’ wurde hin und hergeschoben. Doch die inhaltliche Sub­stanz des Kon­flik­tes musste auch Smith zur Ken­nt­nis nehmen:

«Die häu­fig­sten Anklagepunk­te gegen uns waren the­ol­o­gis­ch­er Lib­er­al­is­mus, Ver­lust der evan­ge­likalen Überzeu­gun­gen, Uni­ver­sal­is­mus in der The­olo­gie, Ersatz von Evan­ge­li­sa­tion durch soziales Han­deln und das Streben nach Ein­heit auf Kosten der bib­lis­chen Wahrheit»[63]

Der­weil wurde auch in evangelikal/pietistisch geprägten Kreisen in Deutsch­land über Mis­sion nachgedacht. Der Mis­sion­swis­senschaftler Peter Bey­er­haus (1929–2020) prägte im Jahre 1970 die Frank­furter Erk­lärung zur Grund­la­genkrise in der Mis­sion[64], welche inter­na­tion­al Beach­tung fand.[65] Die Erk­lärung for­mulierte «Sieben unaufgeb­bare Grun­dele­mente der Mis­sion».Prof. Dietz beschreibt diese Erk­lärung als «gewichti­gen Wider­spruch» gegen den Kurs des ÖRK. Nie­mand habe den Kurs des ÖRK so «radikal verurteilt» wie Bey­er­haus.[66]

War Bey­er­haus tat­säch­lich diese kon­tro­verse, spal­tende Fig­ur? Ich weiss es nicht. Ich habe den Vorteil, dass ich mich einiger­massen unbe­fan­gen mit deutsch­er evan­ge­likaler Geschichte befassen kann. Zugegeben: Der Text der Frank­furter Erk­lärung spricht eine sehr deut­liche Sprache. Er benen­nt nicht nur wofür die Ini­tianten waren, son­dern auch woge­gen sie sich stell­ten. Let­zten Endes macht die Frank­furter Erk­lärung aber nichts anderes, als grundle­gende Dif­feren­zen mit deutsch­er Präzi­sion her­auszuar­beit­en. His­torisch gese­hen hat die Kirche immer auch die Fig­uren gebraucht, welche am Sta­tus Quo gerüt­telt haben, welche, wie man bei uns in der Schweiz so schön sagt, «mit dem Volk Deutsch gere­det haben». Die klare Sprache und das Reden in Kon­trasten, wie wir es in der Frank­furter Erk­lärung vorfind­en, wurde von gewichti­gen evan­ge­likalen Fig­uren auf dem inter­na­tionalen Par­kett als dur­chaus hil­fre­ich emp­fun­den.[67]

Auch die Frank­furter Erk­lärung hat übri­gens «das entschlossene Ein­treten aller Kirchen für Gerechtigkeit und Frieden» bejaht. Sie forderte aber eine Pri­or­isierung der evan­ge­lis­tis­chen Wortverkündi­gung, was ja ins­ge­samt betra­chtet auch der ursprünglichen Philoso­phie des ÖRK entsprochen hat. Wer sich etwas einge­hen­der mit der Frank­furter Erk­lärung befassen will, sollte auch das kleine Büch­lein «Human­isierung» von Bey­er­haus lesen.[68] Darin macht Bey­er­haus eine äusserst dif­feren­zierte Analyse der Sit­u­a­tion. Er betont die Notwendigkeit ein­er wech­sel­seit­i­gen inner­christlichen Kor­rek­tur. Er kri­tisiert nicht nur die Fehlen­twick­lun­gen im ÖRK, son­dern er spricht auch von berechtigten Ein­wän­den gegenüber gewis­sen evan­ge­likalen Konzep­tio­nen. Er prangert evan­ge­likalen «Pater­nal­is­mus» in der Mis­sion­sprax­is an, welch­er seine Ursache in einem «Ide­aldenken» in Bezug auf die eigene kirch­liche Gestalt habe. Er mah­nt die Evan­ge­likalen: «Nicht nur See­len, son­dern auch die gerecht­en Tat­en der Heili­gen wer­den einge­hen in die kom­mende Her­rlichkeit.» Er spricht von der evan­ge­likalen Gefahr, sich «einem geschlosse­nen the­ol­o­gis­chen Sys­tem zu ver­schreiben», auf­grund dessen man die Welt­geschichte mit ihren neuen, spez­i­fis­chen Her­aus­forderun­gen «nicht wirk­lich in den Blick» bekommt. Er warnt vor der Gefahr ein­er «radikal dual­is­tis­chen Schau von ewiger Seligkeit und ewiger Ver­damm­nis», bei der soziale Fra­gen leicht bedeu­tungs­los wer­den. Die von Gott geliebte und gewollte Schöp­fung würde bei diesem Denken in «fast manichäisch[69] anmu­ten­dem Heils­d­u­al­is­mus» überse­hen. Die Antwort – so Bey­er­haus — könne nicht sein, «dass man die sozial-ethis­chen Fra­gen, je lei­den­schaftlich­er sie gestellt wer­den, umso trotziger ignori­ert».[70]

Als eigentliche Ini­tialzün­dung für Lau­sanne 74 muss sich­er der Weltkongress für Evan­ge­li­sa­tion in Berlin (1966) gese­hen wer­den. Diese von Bil­ly Gra­ham (1918–2018) ini­ti­ierte und unter der Schirmherrschaft des evan­ge­likalen Mag­a­zins Chris­tian­i­ty Today durchge­führte Kon­ferenz brachte Men­schen aus 100 Natio­nen zusam­men und legte die Grund­lage für ein glob­ales Net­zw­erk, auf dem Lau­sanne 74 dann auf­bauen kon­nte. Bil­ly Gra­ham war mit der öku­menis­chen Bewe­gung dur­chaus ver­traut. So hat­te er als Beobachter für «Youth für Christ» an der ersten Vol­lver­samm­lung des ÖRK im Jahre 1948 teilgenom­men.[71]

Die an der Berlin­er Kon­ferenz ver­ab­schiedete Res­o­lu­tion macht das Ziel der Teil­nehmer klar. Sie woll­ten «nicht weniger als die Evan­ge­li­sa­tion der Men­schheit in dieser Gen­er­a­tion» voll­brin­gen. Die Res­o­lu­tion macht klar, was sie unter dem Evan­geli­um ver­ste­ht: «Dass Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den nach der Schrift; und dass er begraben wor­den ist; und dass er aufer­weckt wor­den ist, am drit­ten Tage nach der Schrift» (1Kor 15:3–4), Eben­so wird gek­lärt, was man unter Evan­ge­li­sa­tio­nen meint, näm­lich «verurteilte und ver­lorene Sün­der zu überzeu­gen, ihr Ver­trauen in Gott zu set­zen durch Annahme von Chris­tus als Ret­ter…». Diese Botschaft wollte man gemein­sam ein­er Men­schheit brin­gen, welche sich in «geistlich­er Revolte und moralis­chem Chaos» befind­et.[72]

Die Erk­lärung zur Berlin­er Kon­ferenz hat Kri­tik geern­tet, weil sie es unter­liess, sich zur ‘sozialen Frage’ zu äussern. Tat­säch­lich lag der Fokus der Kon­ferenz auf der zen­tralen Bedeu­tung per­sön­lich­er Evangelisation.

In einem Votum an der Kon­ferenz fasste William Pan­nell (1929–2024)[73], ein afroamerikanis­ch­er Evan­ge­list aus Detroit, den Stand der Dinge in der sozialen Frage gut zusam­men: Von der Schrift her sei es klar, dass verän­derte Indi­viduen der einzige Weg seien, eine Gesellschaft zum Guten zu verän­dern. Diese tra­di­tionelle Sicht könne und werde aber auch dazu miss­braucht, eben gar nichts zu unternehmen.[74]

In seinem in Buch­form erschiene­nen Kom­men­tar zur Kon­ferenz betonte Karl F. Hen­ry, die Evan­ge­likalen dürften sich «auf keinen Fall aus der Welt in ein Ghet­to-Chris­ten­tum zurückziehen, welch­es die sozialen Imp­lika­tio­nen des Evan­geli­ums ignori­ert».[75] Er machte zugle­ich aber deut­lich, dass inner­halb der Bewe­gung noch keine Einigkeit vorhan­den sei, wie das christliche soziale Anliegen ide­al­er­weise ange­gan­gen wer­den könne.[76] Hen­ry sieht jedoch in fol­gen­den 3 Punk­ten eine innere­van­ge­likale Übereinstimmung:

  1. Wo immer ein Mass an Frei­heit für das Evan­geli­um existiere, sollte diese Frei­heit max­i­mal zur Erfül­lung des Mis­sion­sauf­trages genutzt werden.
  2. Die Kraft zur Verän­derung der men­schlichen Natur und zur Trans­for­ma­tion ein­er Gesellschaft liege voll und ganz im Evan­geli­um, nicht in poli­tis­ch­er oder säku­lar­er Macht
  3. Poli­tis­che Macht hat sich his­torisch gese­hen als mehrheitlich kor­rupt und feind­selig gegenüber den Ansprüchen Gottes erwiesen.

Im Zusam­men­hang mit dem drit­ten Punkt (Kor­rup­tion poli­tis­ch­er Macht) herrsche dann aber Uneinigkeit darüber, ob der Ein­satz für Men­schen­rechte in Regierung und Gesetz deshalb eine Energiev­er­schwen­dung und Ablenkung von dem Haup­tauf­trag der Mis­sion­ierung sei oder nicht. Die evan­ge­likale Vision ein­er neuen Gesellschaft sei eine mes­sian­is­che und an die Erwartung der Rück­kehr von Jesus Chris­tus in Her­rlichkeit gebun­den. Darin liege auch ein gewiss­es Mis­strauen begrün­det gegenüber weltlich­er Macht und Ver­suchen, aus ein­er nicht erneuerten men­schlichen Natur eine gerechte Gesellschaft abzuleit­en. Hen­ry macht klar, dass hier noch eine wichtige Diskus­sion geführt wer­den müsse.[77]

In ein­er Frage mit gross­er sozialer Imp­lika­tion hat sich Berlin 1966 den­noch mit grossem Nach­druck fest­gelegt, näm­lich in der Frage der Unter­schei­dung von Men­schen auf­grund von Rasse oder Hautfarbe:

«Wir lehnen die Vorstel­lung ab, dass Men­schen auf­grund ein­er Unter­schei­dung nach Rasse oder Farbe ungle­ich sind. Im Namen der Schrift und von Jesus Chris­tus verurteilen wir Ras­sis­mus, wo immer dieser sicht­bar wird.»[78]

Diese vor­ange­gan­genen Ein­blicke brin­gen hof­fentlich zum Aus­druck, wie vielfältig, angeregt und dur­chaus auch selb­stkri­tisch die in Bezug auf Mis­sion drän­gen­den Fra­gen innere­van­ge­likal disku­tiert wur­den. Mein Ein­druck ist, dass auch ganz unab­hängig von der Öku­menis­chen Bewe­gung inten­siv, dif­feren­ziert und im Lichte des Zeit­geschehens disku­tiert wurde. Lau­sanne 74 war damit auch nicht ein­fach eine Kon­ferenz der «Abgren­zung», vielmehr bildete sie den Abschluss ein­er inten­siv­en Phase evan­ge­likaler Identitätssuche.

Es war auch ein Bewusst­sein vorhan­den, dass die evan­ge­likale Bewe­gung selb­st einen the­ol­o­gis­chen Nach­holbe­darf hat. Klaus Bock­mühl schrieb tre­f­fend, es gebe bei den Evan­ge­likalen halt keine zen­tralen Autoritäten oder ein Büro, welch­es die gemein­same Sicht definieren oder kom­mu­nizieren würde. Die gemein­same Sicht sei zwar dur­chaus vorhan­den, aber sie müsse im Rah­men von diszi­plin­iert­er the­ol­o­gis­ch­er Arbeit for­muliert und kom­mu­niziert wer­den.[79] Lau­sanne hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleitet.

In seinem Buch zu Berlin 1966 machte Karl F. Hen­ry zum Schluss klar, dass entschei­dende Jahre für die Evan­ge­likale Bewe­gung und auch die Ökumene bevorstanden:

«Ich bin der fes­ten Überzeu­gung, dass die näch­sten zehn Jahre – das Jahrzehnt zwis­chen heute und Ende 1975 – sowohl für die konzil­iare Ökumene als auch für das evan­ge­likale Chris­ten­tum von entschei­den­der Bedeu­tung sind. Wenn die konzil­iare Ökumene das evan­ge­likale Zeug­nis weit­er­hin unter­drückt und ver­hin­dert, dass es einen prä­gen­den öku­menis­chen Ein­fluss gewin­nt, dann kann die konzil­iare Ökumene nur als zurück­ge­bliebene Form des Chris­ten­tums versinken. Und wenn evan­ge­likale Chris­ten nicht über ihre vielfälti­gen Gräben hin­weg von Herz zu Herz, von Wille zu Wille und von Geist zu Geist zusam­menkom­men und ihre Loy­al­ität gegenüber dem aufer­stande­nen Her­rn der Kirche nicht ver­tiefen, kön­nten sie bis zum Jahr 2000 zu einem Kult in der Wild­nis in ein­er säku­laren Gesellschaft wer­den, der nicht mehr öffentliche Bedeu­tung hat als die alten Essen­er in ihren Höhlen am Toten Meer. In jedem Fall würde die diese tragis­che Unter­drück­ung des Evan­geli­ums die mod­erne Zivil­i­sa­tion einem neuen dun­klen Zeital­ter über­lassen.»[80]

Im Rück­spiegel der Geschichte wis­sen wir: Die Ankündi­gung von Hen­ry ging auf wun­der­bare Weise in Erfül­lung, ein­schliesslich des zeitlichen Rah­mens! Ein äusserst leb­hafter innere­van­ge­likaler Diskurs fand schlussendlich im Lau­san­ner Kongress 1974 und der damit ver­bun­de­nen Verpflich­tung eine aus­gereifte Antwort. Es lohnt sich auch heute noch, den Text der Verpflich­tung zu studieren und zu Herzen zu nehmen.

Persönliche Reflektion

Ich hoffe, dass dieser Exkurs in die Entste­hungszeit der Lau­san­ner Bewe­gung hil­fre­ich war. Vieles kön­nte an dieser Stelle ver­tieft wer­den. Und natür­lich gab es auch im Anschluss an Lau­sanne 74 eine Fort­set­zungs­geschichte, diverse Fragestel­lun­gen oder gar pointierte innere­van­ge­likale Kri­tik.[81] Eines der weit­er­hin viel disku­tierten Lau­sanne-The­men war sich­er die Beziehung von Verkündi­gung und sozialer Ver­ant­wor­tung.[82] Ich verzichte aus Grün­den des Umfangs bewusst auf eine inhaltliche Bear­beitung der Diskus­sion nach Lau­sanne 74.

Die Gen­er­a­tion, welche damals in der Entwick­lung der Lau­san­ner Verpflich­tung fed­er­führend war, ist mit­tler­weile ver­stor­ben. Aber bes­timmt gibt es viele Per­so­n­en, welche an den dama­li­gen Entwick­lun­gen noch näher dran sind als ich. Es würde mich freuen, von ihnen zu hören, ob sie meine Wahrnehmung teilen und wo sie allen­falls zu anderen Ein­schätzun­gen kommen.

Wie ein­gangs erläutert sehen die einen in der Lau­san­ner Verpflich­tung eine eigentlich unnötige Abgren­zung gegenüber der öku­menis­chen Bewe­gung jen­er Zeit. Sie tun dies möglicher­weise, weil sie sich selb­st der human­is­tis­chen Umfor­mung des Chris­ten­tums, der Selb­st­säku­lar­isierung der Kirche und der Umdeu­tung von Mis­sion in rein soziale Kat­e­gorien ver­schrieben haben. Ich meine, für die Abgren­zung von schlecht­en Entwick­lun­gen bei gle­ichzeit­iger eigen­er dynamis­ch­er Wirkungs­geschichte muss sich die Lau­san­ner Bewe­gung auch fün­fzig Jahre nach ihrer Geburt in kein­er Weise entschuldigen.

Heute wird in vie­len Medi­en die evan­ge­likale Gemein­schaft gerne als eine dargestellt, welche an sozialen Fra­gen kaum inter­essiert ist, die Men­schen nur als ‘Bekehrung­sob­jek­te’ sieht oder in Bezug auf das Welt­geschehen von apoka­lyp­tis­chen ‘Wah­n­vorstel­lun­gen’ bes­timmt ist.[83] Während man solche Men­tal­itäten unter dem grossen evan­ge­likalen Schirm auf jeden Fall find­et, so sind sie mir in den hun­derten von Seit­en, welche ich studiert habe, eher als Phänomen begeg­net, welch­es von den evan­ge­likalen Leitungsper­sön­lichkeit­en kri­tisch beurteilt wur­den. So war es beispiel­sweise ein explizites Hauptziel der Wheaton Kon­ferenz 1966, eine «unbib­lis­che Iso­la­tion von der Welt» zu hin­ter­fra­gen.[84]

Die ein­seit­ige Darstel­lung der Evan­ge­likalen hat Tra­di­tion. Karl F. Hen­ry stellte bere­its 1967 fest, dass man die Evan­ge­likalen gerne als eine gegenüber dem sozialen Anliegen feind­selig eingestellte Gemein­schaft darstelle. Dies sei eine bewusste Karikatur «mit langer Tra­di­tion in pro­gres­siv-aktivis­tis­chen Kreisen».[85] Ich denke Hen­ry hat recht. Seine Fest­stel­lung scheint lei­der auch heute noch Gültigkeit zu haben, wie mein Brud­er in seinem Artikel «Wenn Evan­ge­likale Brun­nen bauen» doku­men­tiert.

Lau­sanne 74 hat sich­er dem sozialen Anliegen inner­halb der evan­ge­likalen Bewe­gung ganz neu zu Gel­tung ver­holfen. Denn ger­ade in den USA hat­te in den ersten Jahrzehn­ten des 20. Jahrhun­derts die soge­nan­nte ‘Fundamentalist-modernist’-Kontroverse[86] dazu geführt, dass the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tive Chris­ten, im Bestreben, sich von der lib­eralen The­olo­gie der ‘Social-Gospel’ Bewe­gung[87] zu dis­tanzieren, sich auch vom dur­chaus evan­ge­likalen Erbe der sozialen Ver­ant­wor­tungsüber­nahme ver­ab­schiedet haben. Hier brachte Lau­sanne 74 wichtige Kor­rek­turen. Gle­ichzeit­ig legte die Verpflich­tung ein grif­figes the­ol­o­gis­ches Fun­da­ment, welch­es den prob­lema­tis­chen the­ol­o­gis­chen Trends inner­halb der Ökumene eine klare Absage erteilte.

Es wäre gle­ichzeit­ig ver­fehlt, Lau­sanne 74 als Geburtsstunde evan­ge­likalen sozialen Engage­ments zu sehen. Gelebt wurde die christliche Barmherzigkeit zu allen Zeit­en, auch von Evan­ge­likalen in der Mitte des 20. Jahrhun­derts. Beispiel­sweise sind bekan­nte Hil­f­swerke wie Com­pas­sion oder World Vision in den 1950er Jahren durch Evan­ge­lis­ten gegrün­det wor­den. Meine Eltern, über Jahrzehnte hin­weg als evan­ge­likal geprägte Mis­sion­are unter­wegs, haben auch nicht auf Lau­sanne 74 gewartet, um den leib­lichen Nöten von Men­schen zu begeg­nen. 1972 traf man sie in Eritrea an, wo sie während der tragis­chen Wol­lo Hunger­st­not das tat­en, was getan wer­den musste: möglichst vie­len Men­schen Essen zu geben.

Fest ste­ht: Für mich ist die Lau­san­ner Verpflich­tung ein grossar­tiges Beispiel dafür, wie durch Krisen ein ver­tieftes Ver­ständ­nis des Evan­geli­ums gewon­nen wer­den kann, nötige Kor­rek­turen Gestalt annehmen kön­nen und der Same für neues Wach­s­tum und neue Dynamik gesät wer­den kann. Bei Lau­sanne 74 brauchte es dafür sowohl Zugpferde wie Bil­ly Gra­ham, inte­gri­erende Fig­uren wie John Stott, als auch möglicher­weise kon­tro­ver­sere Beteiligte wie Beyerhaus.

Im Lichte mein­er Erörterun­gen muss auch die ket­zerische Frage gestellt wer­den, wo denn nun heute die wahre christliche Ein­heit gelebt wird. Mir scheint, dass in der Lau­san­ner Bewe­gung wesentliche Anliegen und Inhalte der ursprünglichen Ökumene weit­er­leben – Inhalte, welche der ÖRK zunehmend aus sein­er Mitte ver­ban­nt oder zur Unken­ntlichkeit umgedeutet hat. Sich­er ist: Mit Lau­sanne 74 wurde die evan­ge­likale Bewe­gung endgültig zu ein­er bedeu­ten­den inter­na­tionalen Bewe­gung in bester Tra­di­tion der apos­tolis­chen Zeit und der sozial engagierten Mis­sions- und Erweck­ungs­be­we­gun­gen des 19. Jahrhunderts.

 

 

 Ein Kommentar zur Gegenwart

Die Entwick­lun­gen im ÖRK der 1960er und 1970er Jahre dür­fen sich­er auch eine Mah­nung in die evan­ge­likale Bewe­gung hinein sein. Es brauchte lediglich 20 Jahre, um aus einem ÖRK der Wortverkündi­gung ein ÖRK der Wortver­drän­gung zu machen. Das klingt natür­lich salopp. Mein Punkt aber ist dieser: Auch die Lau­san­ner Bewe­gung ist nicht vor unge­sun­der Bürokratisierung oder ide­ol­o­gis­ch­er Irreführung gefeit, wie sie die Ökumene der 1960er heimge­sucht hat. Wahres und falsches Evan­geli­um benutzen auch heute noch das gle­iche christliche Vok­ab­u­lar, wenn sie sich den Men­schen anbi­eten. Und aus dynamis­chen Bewe­gun­gen kön­nen in erstaunlich kurz­er Zeit verknöcherte Bürokra­tien wer­den. Es braucht deshalb auch heute eine Wachsamkeit.

Es braucht zudem auch heute gründliche, klare, liebevolle, bib­lis­che und chris­tuszen­tri­erte Reak­tio­nen auf die Ide­olo­gien unser­er Zeit. Viele der Ide­olo­gien, welche heute um uns wer­ben, sind nur mutierte For­men der Ideen, welche schon vor 50 Jahren um die Kirche gewor­ben haben. Deshalb dür­fen wichtige Lehren aus der Entste­hungs­geschichte der Lau­san­ner Bewe­gung nicht vergessen wer­den. Evan­ge­likale müssen den Mut auf­brin­gen, falsche Ide­olo­gien zu benen­nen aus Liebe zur wahren ‘Ide­olo­gie’ – zur göt­tlichen Sicht auf die Welt und die Realität.

Die ver­gan­genen Jahre haben im deutschsprachi­gen Raum auch grössere innere­van­ge­likale Span­nun­gen gebracht (Stich­wort: ‘Poste­van­ge­likalis­mus’). Ein Stück­weit hat sich inner­halb der evan­ge­likalen Bewe­gung im West­en eine ähn­liche Sit­u­a­tion ergeben, wie es die Ökumene in den 1960ern hat­te: Es gibt grundle­gende the­ol­o­gis­che Kon­flik­t­punk­te und Leit­er stellen sich die Frage, wie der ‘Laden’ zusam­menge­hal­ten wer­den kann. Ich stelle mit Unruhe fest, dass viele evan­ge­likale Leit­er dabei mit ähn­lichen Strate­gien operieren wollen wie die Ökumene der 1960er: ‘Plu­ral­isierung’, ‘Rel­a­tivierung’ oder ‘Ablenkung’ sollen helfen. Man möchte den ver­schieden­sten Stim­men Raum geben, selb­st wenn diese Stim­men in grundle­gend ver­schiedene Rich­tun­gen ziehen. Man sucht die Ambi­gu­i­tät­stol­er­anz, welche aber auch Raum für Manip­u­la­tion eröffnet. Man ver­sucht, grundle­gende inhaltliche Dif­feren­zen mit rit­u­al­isierten gemein­samen Hand­lun­gen, wie zum Beispiel emo­tionalen Lobpreis-Events, zu überbrücken.

Ich glaube nicht, dass diese Strate­gien zielführend sind, wenn die Dif­feren­zen grundle­gen­der Natur sind. Die evan­ge­likale Bewe­gung in unseren Bre­it­en­graden sollte sich neu ihres inhaltlichen Kerns und ihres Auf­trags im Klaren wer­den, wenn sie eine dynamis­che Bewe­gung sein möchte. Es liegt wohl ger­ade in der Klarheit bezüglich der zen­tralen Glaubens­fra­gen, welche auf einem hohen Ver­trauen in die Heilige Schrift aufge­baut hat, dass die Lau­san­ner Bewe­gung eine inklu­sive Bewe­gung wer­den kon­nte, welche Glauben­sprä­gun­gen ver­schieden­ster Couleur auf ein­er gemein­samen Basis vere­int hat.[88] Sich des inhaltlichen Kerns neu klar zu wer­den bedeutet, auch den Mut zu haben, gewis­sen Entwick­lun­gen und Hal­tun­gen eine Absage zu erteilen. Es bedeutet auch, ver­nach­läs­sigte Man­date neu in den Blick zu nehmen, wie dies Lau­sanne 74 mit der Neubele­bung des sozialen Anliegens getan hat.

Was die Gegen­wart und Zukun­ft bet­rifft so muss zum Schluss fest­gestellt wer­den: Die weltweite Chris­ten­heit tanzt heute nicht mehr zum Takt der west­lichen Kirchen, son­dern zur Musik des glob­alen Südens. Die Chris­ten­heit des glob­alen Südens scheint her­zlich wenig Inter­esse an human­is­tis­ch­er «Gott ist tot»-Theologie zu haben, wie sie Eliten west­lich­er Kirchen in den 1960ern gefeiert haben. Das ist gut so! Aber auch die Chris­ten­heit des glob­alen Südens hat wohl ihre ganz eige­nen Ver­suchun­gen. Deshalb brauchen wir einander.

Wir dür­fen wis­sen: Der wahre Herr der Kirche ist Jesus Chris­tus selb­st. Er wird das gute Werk vol­len­den, welch­es er ange­fan­gen hat. (Phil 1:6)

 


Bilder:
Bil­ly Gra­ham Cen­ter Archives / Lau­sanne Movement

Fuss­noten:
[1] Thorsten Dietz, Men­schen mit Mis­sion – Eine Land­karte der evan­ge­likalen Welt, 2022, S69
[2] https://www.oikoumene.org/de
[3] https://lausanne.org/de/statement/lausanner-verpflichtung
[4] World Coun­cil of Church­es, The Mes­sage and Reports of the First Assem­bly of the World Coun­cil of Church­es, 1948, S40, meine Über­set­zung
[5] Vgl. Öku­menis­ch­er Rat der Kirchen, Upp­sala 68 spricht – Sek­tions­berichte Öku­menis­ch­er Rat der Kirchen, S19
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Mainline_Church
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Donald_McGavran
[8] Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S381, meine Über­set­zung
[9] Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S385, meine Über­set­zung
[10] Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S382-85
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Bockm%C3%BChl
[12] Klaus Bock­mühl, The­o­log­i­cal Ass­es­ments of the Ecumenical/Evangelical Schism, abge­druckt in: Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S350-358
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Befreiungstheologie
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Linke
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Gott-ist-tot-Theologie
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Prozesstheologie
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Tillich
[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Barth
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Bultmann
[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Teilhard_de_Chardin
[21] Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S12-20
[22] Zum Beispiel verurteilte bere­its Ams­ter­dam 1948 einen ‘lais­sez-faire’ Kap­i­tal­is­mus – ein Ansatzpunkt um west­liche Natio­nen zu kri­tisieren und sozial­is­tis­che Konzepte als ‘christliche Alter­na­tive’ ins Spiel zu brin­gen. Vgl. World Coun­cil of Church­es, The Mes­sage and Reports of the First Assem­bly of the World Coun­cil of Church­es, 1948, S54
[23] Arthur John­ston beschreibt solche Vorgänge in seinem Buch «The Bat­tle for World Evan­ge­lism», 1978: «The evan­gel­i­cal ‘lit­er­al­ism’ of bib­li­cal inter­pre­ta­tion, sys­tem­at­ic the­ol­o­gy and propo­si­tion­al truth were replaced by a pro­gres­sive and exis­ten­tial the­ol­o­gy – that, which the church believes. The style of the­ol­o­gy became “descrip­tive”, in order to unite Chris­t­ian Church­es whose The­ol­o­gy was “defin­i­tive” and, con­se­quent­ly, divi­sive» S117
[24] https://en.wikipedia.org/wiki/Carl_F._H._Henry
[25] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S92, meine Über­set­zung
[26] https://en.wikipedia.org/wiki/John_A._Mackay
[27] Mack­ay, Chris­t­ian real­i­ty & Appear­ance, 1969, S85-89
[28] Ian Hen­der­son, Pow­er with­out Glo­ry – A study in Ecu­meni­cal Pol­i­tics, 1967
[29] https://en.wikipedia.org/wiki/Paul_Ramsey_(ethicist)
[30] Paul Ram­sey, Who Speaks for the Church?, 1967, ab S82
[31] Emil Brun­ner, The Chris­t­ian Doc­trine of the Church, Faith and the Con­sum­ma­tion, 1962, S127-128, Wiedergegeben aus: Harold Lind­sell (ed.), The Church’s World­wide Mis­sion, 1966, Cover­text, meine Über­set­zung
[32] https://en.wikipedia.org/wiki/Lesslie_Newbigin — Ver­gle­iche sein Buch A faith for this one world?, 1961
[33] https://en.wikipedia.org/wiki/Willem_Visser_%27t_Hooft
[34] W.A. Viss­er ‘t Hooft, No oth­er Name, 1963
[35] Peter Bey­er­haus, Human­isierung – einzige Hoff­nung der Welt?, 1970, S49-50
[36] Vgl. Dazu den Auf­satz von Dr. Ver­non Morten­son für den Mis­sionkongress in Wheaton, 1966, pub­liziert in: Harold Lind­sell (ed.), The Church’s World­wide Mis­sion, 1966, S 168–169
[37] Harold Lind­sell, Ecu­meni­cal Merg­er and Mis­sion; Pub­liziert in: Chris­tian­i­ty Today, Mrz 1962
[38] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S89, meine Über­set­zung
[39] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S91, meine Über­set­zung
[40] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S92, meine Über­set­zung
[41] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S83, meine Über­set­zung
[42] https://www.oikoumene.org/news/geneva-1966-ethical-challenges-still-relevant-today
[43] https://en.wikipedia.org/wiki/John_Stott
[44] Öku­menis­ch­er Rat der Kirchen, Upsala 68 spricht – Sek­tions­berichte Öku­menis­ch­er Rat der Kirchen, S25-25
[45] Öku­menis­ch­er Rat der Kirchen, Upsala 68 spricht – Sek­tions­berichte Öku­menis­ch­er Rat der Kirchen, S25-25
[46] Peter Bey­er­haus, Human­isierung – einzige Hoff­nung der Welt?, 1970, S21
[47] Peter Bey­er­haus, Human­isierung – einzige Hoff­nung der Welt?, 1970, S20, meine Über­set­zung
[48] Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S382-85, meine Über­set­zung
[49] https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_O._J._Brown
[50] Harold Brown, Kirche im Ausverkauf? Protest eines beun­ruhigten Protes­tanten, 1970, S202-203
[51] https://en.wikipedia.org/wiki/Richard_Wurmbrand
[52] https://en.wikipedia.org/wiki/Nikodim_Rotov#Bibliography / Nikodim war ab 1964 der Patri­arch von Leningrad.
[53] Nikodim würde 1975 gar als sein­er von 6 ÖRK-Präsi­den­ten gewählt wer­den. Siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/World_Council_of_Churches
[54] Richard Wurm­brand, Wurm­brand­briefe, 1972, S81
[55] https://en.wikipedia.org/wiki/Eugene_Carson_Blake
[56] Richard Wurm­brand, Wurm­brand­briefe, 1972, S127
[57] https://en.wikipedia.org/wiki/Mitrokhin_Archive
[58] Christo­pher Andrew, Vasili Mitrokhin, The Mitrokhin Archive – The KGB in Europe and the West, 1999, S634-661
[59] Christo­pher Andrew, Vasili Mitrokhin, The Mitrokhin Archive – The KGB in Europe and the West, 1999, S637, meine Über­set­zung
[60] The Inter­na­tion­al Review of Mis­sions, Vol LV, 1966, S477
[61] The Inter­na­tion­al Review of Mis­sions, Vol LV, 1966, S458-476
[62] The Inter­na­tion­al Review of Mis­sions, Vol LV, 1966, S480-481
[63] The Inter­na­tion­al Review of Mis­sions, Vol LV, 1966, S481, meine Über­set­zung
[64] https://www.theologische-links.de/downloads/mission/frankfurter_erklaerung.html
[65] Der Text wurde auf Englisch und Finnisch über­set­zt. Vgl: Peter Bey­er­haus, Human­isierung – einzige Hoff­nung für die Welt?, 1970, S3
[66] Thorsten Dietz, Men­schen mit Mis­sion – Eine Land­karte der evan­ge­likalen Welt, 2022, S88
[67] Don­ald McGavran attestierte der Frank­furter Erk­lärung, sie sei sich „in großar­tiger Weis­er der gegen­wär­ti­gen Welt­lage und der heis­sen Fra­gen zur Mis­sion bewusst“. Sie sei in hoher Weise „the­ol­o­gisch Kom­pe­tent“ und schäle die Kon­traste zwis­chen alter und neuer Mis­sion­sphiloso­phie her­aus. Vgl. Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S283, meine Über­set­zung
[68] Peter Bey­er­haus, Human­isierung – einzige Hoff­nung für die Welt?, 1970
[69] Auf Mani (216–274) zurück­ge­hend, der einen radikalen Dual­is­mus von Gut und Böse, Licht und Fin­ster­n­is sowie eine radikale Abw­er­tung des natür­lich Geschaf­fe­nen, des Leibes, ver­trat.
[70] Peter Bey­er­haus, Human­isierung – einzige Hoff­nung für die Welt?, 1970, S37
[71] W. A. Viss­er ‘T Hooft (ed.), The First Assem­bly of the World Coun­cil of Church­es – The Offi­cial Report, 1948, S260
[72] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S1‑6
[73] https://www.fuller.edu/posts/in-memoriam-william-e-pannell/
[74] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S70
[75] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S76
[76] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S55
[77] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S68-69.
[78] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S4, meine Über­set­zung
[79] Klaus Bock­mühl, The­o­log­i­cal Ass­es­ments of the Ecumenical/Evangelical Schism, abge­druckt in: Don­ald McGavran (ed.), The Con­cil­iar-Evan­gel­i­cal Debate: The Cru­cial Doc­u­ments, 1964–1976, 1977, S350-358
[80] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S110-111, meine Über­set­zung
[81] In seinem ein­flussre­ichen Buch «The Bat­tle for World Evan­ge­li­sa­tion» lobte Autor Arthur John­son 1978 die Ergeb­nisse von Lau­sanne 74, übte aber auch pointiert Kri­tik. Eines sein­er Haup­tkri­tikpunk­te war, dass die Lau­san­ner Verpflich­tung zwar der Autorität und Inspi­ra­tion der Schrift neu zur Gel­tung ver­holfen habe, es aber unter­lassen habe, sich zur Bedeu­tung der Tra­di­tion zu äussern. Diese Unter­las­sung sei darin begrün­det gewe­sen, dass man die Verpflich­tung gegenüber Katho­liken, Ortho­dox­en und Anglikan­ern annehm­bar­er machen wollte. Siehe: Arthur John­son, The Bat­tle for World Evan­ge­li­sa­tion, 1978, S292. John Stott reagierte auf die Kri­tik von John­son mit einem offe­nen Brief, welch­es in Chris­tian­i­ty Today in der Jan­u­a­raus­gabe 1979 pub­liziert wurde: https://www.christianitytoday.com/1979/01/conerstone-battle-for-world-evangelism/
[82] Vgl. Dazu zum Beispiel: Klaus Bock­mühl (Hrsg.), Verkündi­gung und soziale Ver­ant­wor­tung, 1983
[83] Vgl. z.B. den Pod­cast „DAS WORT & DAS FLEISCH | 2. Die große Schei­dung: Die Evan­ge­likalen und die Ökumene“, ab ca. Min 48: https://youtu.be/cO4gQfARccE?feature=shared&t=2871
[84] Harold Lind­sell (ed.), The Church’s World­wide Mis­sion, 1966, Cover­text, meine Über­set­zung
[85] Carl F. Hen­ry, Evan­gel­i­cals at the Brink of Cri­sis — Sig­nif­i­cance of the World Con­gress on Evan­ge­lism, 1967, S56
[86] https://en.wikipedia.org/wiki/Fundamentalist%E2%80%93modernist_controversy
[87] https://de.wikipedia.org/wiki/Social_Gospel
[88] Ver­gle­iche dazu: Arthur John­son, The Bat­tle for World Evan­ge­li­sa­tion, 1978, S300

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

4 Comments

  1. yumiyoshi

    Das einzige, was wirk­lich gegen “Reform­be­we­gun­gen” wie sein­erzeit die lib­erale The­olo­gie oder heute den Poste­van­ge­likalis­mus hil­ft sind Men­schen, die ihre Beziehung zu Jesus aktiv, ehrlich und boden­ständig leben und Kirchen (egal welch­er Rich­tung), die genau das fördern. Wo Men­schen Gott erleben, wer­den solche Konzepte nicht lan­den kön­nen. Natür­lich gibt es immer Ver­lier­er dieser Mod­eer­schei­n­un­gen. Zuerst die Tra­di­tion­al­is­ten, denen das Lebendi­ge abhan­den gekom­men ist. Rit­uale, denen das Leben fehlt, sind sehr leicht durch neue, “attrak­ti­vere” Rit­uale erset­zbar. Am Ende ver­lieren aber auch die “Reformier­er” selb­st. Weil sich jene, die sich dort hinge­zo­gen fühlen aber gle­ichzeit­ig auch ehrlich nach Gott suchen, ent­täuscht abwen­den wer­den. Und die anderen wer­den sich irgend­wann irgen­deinem neuen “heißen” Trend zuwen­den und die ehe­ma­li­gen “Reformier­er” als “ver­al­tet” und “unin­ter­es­sant” ver­lassen. Beispiele dafür gab es in den ver­gan­genen 20 Jahren zuhauf. Vom einst so hochge­jaz­zten “Worthaus” habe ich bspw. schon lange nichts mehr gehört. Und wer erin­nert sich noch, was es mit der “Emerg­ing Church” auf sich hatte? 

    Wie Ein­heit funk­tion­ieren kann ohne den Kern der Botschaft von Jesus aufzugeben, hat in Öster­re­ich der ehe­ma­lige “Runde Tisch”, heute “Weg der Ver­söh­nung”, vorgelebt. Die dort ange­sproch­ene “Ökumene des Herzens” ist eben kein lauwarmer Min­i­malkom­pro­miss, son­dern meint, dass man einan­der grund­sät­zlich ver­traut im Sinne von Römer 14 (“warum verurteilst du deinen Brud­er, weil er sich anders ver­hält”?), aber auch 1. Korinther 13,12 (“alle unsere Erken­nt­nis ist bruch­stück­haft”). Das heißt ganz prak­tisch: Man geste­ht es einan­der zu, dass die unter­schiedlichen Auf­fas­sun­gen zwis­chen den Kon­fes­sio­nen aus Glauben (“alles, was nicht aus Glauben kommt, ist Sünde”) und dem Guten Willen her­aus ent­stand, Jesus best­möglich nachzu­fol­gen. Und wir beziehen das Wort von Paulus über die “bruch­stück­hafte” Erken­nt­nis immer auch auf uns selb­st und sind uns dessen bewusst, dass wir selb­st aus der Per­spek­tive von Jesus möglicher­weise um nichts weniger “falsch liegen” als unser Gegenüber, mit dessen The­olo­gie bzw. Glauben­sprax­is wir Mühe haben. Natür­lich ist dieser Weg noch lange nicht zu Ende. Wenn man sich aber ansieht, welche Kirchen in Öster­re­ich unter dem gemein­samen Dach der staatlich anerkan­nten “Freikirchen Öster­re­ichs” fir­mieren, zeigt das anschaulich, was schon erre­icht wurde. Hier übri­gens der Link zum Buch zum 25-Jahr-Jubiläum, dass das alles viel bess­er und aus­führlich­er erk­lärt: https://versoehnung.net/Story/Buch/

    Ein let­zter Punkt, der mir sehr wichtig ist: Auch wenn eini­gen der ÖRK oder das Wort “Ökumene” nicht unter die Nase gehen, sehe ich Ein­heit für uns als Nach­fol­ger von Jesus als eine Pflicht und keine Möglichkeit. Für mich sind Johannes 17,21 und 23 unmissvert­ständliche Auf­forderun­gen. Eine ges­pal­tene Kirche, in der sich Kon­fes­sio­nen und Grup­pen feind­selig gegenüber­ste­hen, kann Jesus vor der Gesellschaft nicht glaub­würdig darstellen. Wenn es einem Teil der Kirche schlecht geht, ist das kein Grund zur Schaden­freude son­dern schadet der ganzen Kirche aus (1. Kor. 12,26). Aus mein­er Sicht haben wir am Ende keine andere Wahl als uns um Ein­heit zu bemühen. Eine Ein­heit, die nicht die eigene Kirche, son­dern Chris­tus in den Mit­telpunkt stellt. Wo es zuallererst darum geht, dass Men­schen zu Jesus find­en und nicht darum, die eige­nen Rei­hen zu füllen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich erleben durfte, welche Kraft Gottes man erleben kann, wenn wir als Chris­ten auf diese Weise Ein­heit leben. Das hin­ter­lässt einen tiefen Ein­druck bei all jenen, die Gott fern ste­hen und ver­lei­ht der Botschaft von Jesus eine Glaub­würdigkeit, die sie son­st nicht haben kön­nte (Joh. 13,35; 17,21+23).

    Reply
    • Peter Bruderer

      Hal­lo “yumiyoshi”. Danke fürs lesen des Artikels und fürs teilen dein­er Gedanken.
      Meine Wahrnehmung in Bezug auf die pro­gres­sive Szene ist, dass sie sich aus­ge­fächert hat. Es gibt heute diverse Influ­encer, Blog­ger, Pod­cast­er, welche im Fahrwass­er von Worthaus um Aufmerk­samkeit buhlen. Worthaus selb­st — da stimme ich dir zu — scheint ein Stück­weit an Bedeu­tung ver­loren zuhaben.
      Das Anliegen nach Ein­heit trage ich gerne mit und ver­suche das seit vie­len Jahren lokal und region­al zu leben. Pflege und Schutz der Ein­heit muss auch Pflege und Schutz der Kern­wahrheit­en des Chris­ten­tums bedeuten (Bsp 1Kor 15,3–5).
      Her­zlich, Peter

      Reply
  2. Wolfgang Ackerknecht

    Ich habe mit großem Inter­esse diese umfan­gre­ichen Aus­führun­gen gele­sen. Gibt einen guten Überblick über ein paar beson­dere Jahrzehnte. Als 1956er kam ich durch den Cevi zum Glauben, hat­te einen Kle­ber ‘One way Jesus Christ’ auf der Wind­jacke, las Büch­er von Wurm­brand (Gefoltert für Chris­tus) und bemerk­te als junger Christ, dass die Kirche nicht wirk­lich lebendig war. Von der Lau­san­ner Bewe­gung hörte ich erst später, aber sie hat wohl Viele inspiri­ert, dem wahren Evan­geli­um treu zu bleiben. Die von dir beschriebe­nen Kräfte des Liberalismus/Humanismus etc nehmen lei­der weit­er zu. — Ver­mut­lich hil­ft dies aber erst recht, sich entsch­ieden Gottes Heil­s­plan hinzuwenden.

    Reply
    • Peter Bruderer

      Lieber Wolf­gang, Danke fürs lesen und teilen dein­er Gedanken!

      Reply

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