“Reale Bedürfnisse zu stillen ist wichtiger, als Institutionen aufrechtzuerhalten”

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Dieser Artikel ist Teil der 11-teili­gen Serie «Die Zehn Gebote des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums — eine kri­tis­che Unter­suchung von 10 gefährlich ver­lock­enden Halb­wahrheit­en»Hier geht es zum Anfang der Serie.


In seinem Buch «They Like Jesus but Not the Church»[1] iden­ti­fiziert Dan Kim­ball eine wichtige Verän­derung in der jün­geren Bevölkerungs­gruppe. Sie ist von der insti­tu­tionellen Kirche desil­lu­sion­iert. Sie beken­nt sich zur Nach­folge Christi, ist aber skep­tisch gegenüber organ­isierten religiösen Struk­turen. Dieses Phänomen wird durch das siebte «Gebot» des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums the­ma­tisiert: Reale Bedürfnisse zu stillen ist wichtiger, als Insti­tu­tio­nen aufrechtzuer­hal­ten.

In seinem siebten Kapi­tel beklagt Gul­ley, wie «insti­tu­tionelle Funk­tio­nen (und Funk­tion­sstörun­gen) die Mis­sion und den Zweck der Kirche zunichte machen».[2] Er argu­men­tiert, dass die meis­ten Chris­ten blind sind für diese Real­ität: «Es scheint ein gemein­samer Zug der Men­schen und der von uns geschaf­fe­nen Insti­tu­tio­nen zu sein, unsere Schwächen zu ignori­eren, selb­st wenn diese Schwächen unsere Fähigkeit, zu funk­tion­ieren und zu wach­sen, läh­men.»[3]

Gul­ley bietet in diesem Kapi­tel eine Rei­he hil­fre­ich­er Beobach­tun­gen, aber es gibt auch eine unter­schwellige anti-insti­tu­tionelle Stim­mung, die Jesus von sein­er Braut, der Kirche, trennt.

Die Kirche ist nicht perfekt

Gul­ley hat sicher­lich Recht, dass die Kirche eine unvol­lkommene Insti­tu­tion ist. Er führt zahlre­iche Beispiele von Kirchen an, die geizig, nach innen gerichtet und von Selb­ster­hal­tung und Gewin­nori­en­tierung besessen sind. Ins­beson­dere stellt er fest, dass zu viele Kirchen wie Unternehmen geführt wer­den und eine Unternehmen­skul­tur schaf­fen, die eher wie ein Grossun­ternehmen, als wie die Braut Christi funk­tion­ieren. Solche Kirchen sind mehr um ihren «Aktienkurs» als um die Bedürfnisse der Men­schen und der Gemein­schaft um sie herum besorgt.

Hier sagt Gul­ly sehr viel, dem man zus­tim­men muss und ich bin sich­er, dass jed­er Leser seine eige­nen Geschicht­en über Schwächen in der mod­er­nen Kirche hinzufü­gen kön­nte. Jede Kirche, die mit Sün­dern gefüllt und Teil ein­er gefal­l­enen Welt ist, hat ein­deutig und unweiger­lich Schwächen.

Die Kirche ist immer noch die Braut Christi

Den­noch bleibt die Kirche die her­rliche und wun­der­bare Braut Christi, die von ihm geliebt und durch sein Blut gere­inigt ist (Eph 5:25–27). Auch wenn sie bis zur Wiederkun­ft Christi nicht vol­len­det sein wird, gilt sie doch zu Recht als heilig und für Gott ausgesondert.

Lei­der teilt Gul­ley diese hohe Sicht von der Kirche nicht. Für ihn ist die Kirche als Insti­tu­tion dur­chaus ent­behrlich. Und warum? Weil sie sein­er Mei­n­ung nach wenig mit Jesus zu tun hat. Er argu­men­tiert: «Jesus schien [der Kirche] wenig Beach­tung zu schenken – wed­er ihre Entste­hung noch ihr Fortbe­stand schienen für ihn Pri­or­ität zu haben[4]

Natür­lich sind solche Aus­sagen verblüf­fend, wenn man sie neben dem liest, was Jesus tat­säch­lich über die Kirche gesagt hat. Jesus betra­chtete die Kirche nicht als etwas, das Men­schen bauen wür­den, son­dern als etwas, das er selb­st bauen würde. «Ich werde meine Kirche bauen», sagte er zu Petrus und fügte in sein­er offen­sichtlichen Sorge um ihren Fortbe­stand hinzu: «Und die Pforten der Hölle wer­den sie nicht über­wälti­gen» (Matt 16:18).

Darüber hin­aus lag es Jesus am Herzen, wie die Kirche funk­tion­ieren würde, ins­beson­dere die Art und Weise, wie sie ver­lore­nen Schafen helfen würde, zurück­zufind­en – so wie wir das fest­stell­ten, als wir im ver­gan­genen Kapi­tel über den Prozess der Gemein­de­ord­nung sprachen (Matt 18:15–20). Es ist wichtig zu merken, dass es Jesus hier nicht nur um die unsicht­bare Gemeinde ging – alle wahren Gläu­bi­gen in der ganzen Welt – son­dern auch um den anfass­baren, lokalen Aus­druck der Kirche, welche ver­lore­nen Schafen helfen soll. Mit anderen Worten: Jesus bekräftigte den Wert der insti­tu­tionellen Kirche.

Der Zweck der Kirche

Ein Großteil des Prob­lems mit Gul­leys Darstel­lung der Kirche beste­ht darin, dass er ihr einen rein hor­i­zon­tal­en Zweck zuschreibt: Die Beziehung zwis­chen Men­schen und Men­schen. In der Kirche sollte es darum gehen, Men­schen in Not zu helfen: «Den Hun­gri­gen zu essen geben, sich mit den Ein­samen anfre­un­den, den Feind lieben, die Kranken heilen».[5]

Während diese Dinge sicher­lich zum all­ge­meinen Auf­gaben­bere­ich der Kirche gehören, fehlt in Gul­leys Darstel­lung jeglich­es ver­tikale Ziel der Kirche (wie Men­schen zu Gott in Beziehung ste­hen) völ­lig. Es wird nicht erwäh­nt, dass die Kirche dazu berufen ist, Jesus anzu­beten und zu ver­her­rlichen. Es wird nicht erwäh­nt, dass die Kirche der Ort ist, an dem Gott durch sein Wort zu seinem Volk spricht. Es wird nicht erwäh­nt, was Gott durch die Sakra­mente tut.

Dies erk­lärt zu einem guten Teil, warum Gul­ley von der Kirche so frus­tri­ert ist. Er sieht die Haup­tauf­gabe der Kirche darin, die sozialen Missstände in der Gesellschaft zu beheben und er scheint verärg­ert darüber zu sein, dass sie nicht genug tut.

Ein solch­er Ansatz passt bemerkenswert gut zum pro­gres­siv­en Chris­ten­tum. Wenn das eigene religiöse Sys­tem haupt­säch­lich ein Moral­is­mus ist, dann sind die einzig anwend­baren Kat­e­gorien natür­lich die hor­i­zon­tal­en. Die «Kirche» wird dann zu ein­er weit­eren Ver­sion von «Unit­ed Way» oder dem örtlichen «YMCA».

Im Gegen­satz dazu trifft die bib­lis­che Sicht der Kirche keine Entschei­dung für nur eine der bei­den Dimen­sio­nen, son­dern sie bejaht bei­de. Selb­stver­ständlich soll die Kirche ein Licht und ein Segen für die Welt sein. Aber sie ist auch dazu da, Gott Ehre und Lob zu brin­gen und seine Wahrheit zu verkünden.

Falsches Problem, falsche Lösung

Gul­ley weist zu Recht darauf hin, dass die Kirche eine unvol­lkommene Insti­tu­tion ist. In der Tat kann es frus­tri­erend sein, mitzubekom­men, wie die Kirchen sich in ihrer Bürokratie und ihren Ver­fahren verzetteln und nicht das tun, wozu sie berufen sind. Aber Gulley’s ver­meintliche Lösung ist keine Lösung. Anstatt die insti­tu­tionelle Kirche als eine von Men­schen geschaf­fene Insti­tu­tion zu ver­w­er­fen, wie er es von uns ver­langt, müssen wir die Kirche an ihren eigentlichen Platz zurück­brin­gen: Eine Insti­tu­tion, die Chris­tus selb­st zu sein­er eige­nen Ehre einge­set­zt und aufge­baut hat.

Wir dür­fen die Kirche niemals zu lediglich einem weit­eren Instru­ment machen, um soziale Missstände zu bekämpfen. Nochmals: Auch wenn es sicher­lich einen Platz für die Kirche gibt, um der Gemein­schaft zu dienen, dür­fen wir nicht vergessen, dass die Haup­tauf­gabe der Kirche darin beste­ht, Chris­tus anzu­beten und sein Wort zu verkünden.

Lasst uns daran denken, dass die Kirche eines Tages vol­lkom­men sein wird:

«Komm, ich will dir die Braut zeigen, die Frau des Lammes. Und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederkom­men aus dem Him­mel von Gott, die hat­te die Her­rlichkeit Gottes» (Offb 21:9–11).

Fragen zur Reflexion

Das siebte Gebot des pro­gres­siv­en Chris­ten­tums lautet: «Reale Bedürfnisse zu stillen ist wichtiger, als Insti­tu­tio­nen aufrechtzuerhalten»

  1. Merkst du die von Dan Kim­ball ange­sprochen Desil­lu­sion­ierung über die Kirche als Insti­tu­tion in deinem Umfeld oder in deinem eige­nen Empfind­en? Was sind die Gründe, welche die Men­schen dafür formulieren?
  2. Welchen Lösungsansatz für dieses Prob­lem hat Gul­ly und welchen Lösungsansatz gibt uns Kruger? Worin liegt der Unter­schied zwis­chen beiden?
  3. Die Bibel spricht an vie­len Stellen darüber, was die Kirche ist. Lies fol­gende Stellen und suche, was darin über die Gemeinde/Kirche aus­ge­sagt wird: 1Tim 5:1–2; Eph 5:32; Joh 15:5; Römer 11,17–24; 1Cor 3:6–9; 1Cor 3:9; 1Cor 12:12–27; Joh 4:35; 1Pet 2:5. Welche dieser Aus­sagen kön­nten dir helfen, mit der Unvol­lkom­men­heit dein­er Gemeinde bess­er umzugehen?
  4. Fol­gende Liste ist eine Zusam­men­stel­lung der Mit­tel der Gnade für die Gemeinde, welche eine Gemeinde bibel­gemäss haben sollte. Welche dieser nach­fol­gen­den Punk­te, welche die Gemein­deglieder Gottes Gnade zuführen kön­nen, sind in der Kirche gut aus­ge­bildet und welche nicht? Wie kön­nten Verbesserun­gen gemacht werden? 
    • Verkündi­gung des Wortes
    • Gebrauch der Sakramente
    • Anwen­dung der Gemeindeordnung
    • Anbe­tung Gottes
    • Wirk­sames Gebet
    • Wirk­sames Zeugnis
    • Lebendi­ge und wirk­same Gemeinschaft
    • Dienende Leitung
    • Geistliche Voll­macht
    • Per­sön­liche Heili­gung im Leben der Gemeindeglieder
    • Soziales Engage­ment
    • Möglichkeit die Sün­den zu bekennen
    • Liebe zu Christus
  5. Was nimmst du mit aus der Lek­türe dieses Kapi­tels, das dir hil­ft, in den Inhal­ten von pro­gres­siv­er Lit­er­atur oder Pod­casts bess­er unter­schei­den zu kön­nen, was bib­lisch und was nicht bib­lisch ist?

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Fussnoten

[1] Dan Kim­ball, They Like Jesus but Not the Church: Insights from Emerg­ing Gen­er­a­tions (Grand Rapids, MI: Zon­der­van, 2007)
[2] Philip Gul­ley, If the Church Were Chris­t­ian: Redis­cov­er­ing the Val­ues of Jesus (San Fran­cis­co, CA: Harper­One, 2010), Seite 123
[3] Gul­ley, Seite 125
[4] Gul­ley, Seite 137
[5] Gul­ley, Seite 126

Die Fra­gen zur Reflex­ion wur­den durch Daniel Option zusammengestellt.

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Bild: iStock

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