Leitlichter und Irrlichter

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Wind, Regen am South Stack Leucht­turm. Während die Schweiz in der Som­mer­hitze von 2022 dahin schmilzt, ver­bringe ich Ferien mit Fam­i­lie und Ver­wandtschaft auf der kühlen Hal­binsel Angle­sey in Wales. Einige von uns steigen die steilen Trep­pen ent­lang der Klippe hin­unter. Unten ange­langt kehren sie wegen der Kälte um, um im war­men Lokal einen Kaf­fee zu trinken. Mich hinge­gen zieht es weit­er auf die ver­wit­terte, kleine Insel, weit­er bis in die Spitze des Leuchtturms…

Oben im Turm tre­ffe ich auf den lokalen Touris­ten­führer, der die faszinierende Entste­hung und Geschichte von South Stack erk­lärt. South Stack ist ein­er von mehreren Leucht­tür­men die gebaut wur­den, nach­dem viele Schiffe in Stür­men an den Klip­pen Eng­lands zer­schell­ten. Jed­er Leucht­turm hat eine eigene Sig­natur, erk­lärt der Fach­mann. Die Farbe und Rota­tion­s­geschwindigkeit des Lichts hil­ft den Schif­f­en zu wis­sen, welchen Leucht­turm sie sehen. Damit kön­nen sie genauer ermit­teln, wo sie sich im Wass­er befinden.

«So viel Aufwand, Koor­di­na­tion und Hingabe, um Schiffe in Gefahr zu war­nen!» denke ich beim Zuhören. Die Men­schen, welche die Leucht­türme betreiben, leben teil­weise unter widri­gen Umstän­den. Auf South Stack leben sie zeitweise mit Frau und Kind als Selb­stver­sorg­er. Kinder wer­den auf der Insel geboren, da die Wet­terum­stände keine Reise ins Spi­tal zulassen.

Die Schiff­s­na­tion Eng­land merkt offen­sichtlich, dass sie sich vor ver­mei­d­barem Ver­lust an Schiff­sgut und Leben schützen muss. Deshalb baut sie mit viel Aufwand ein ganzes Net­zw­erk von Leucht­tür­men an den beson­ders gefährde­ten Küs­ten­teilens ihres Lan­des auf.

Der Besuch auf South Stack hat meinen ‘sech­sten Sinn’ angeregt: Kön­nte dies alles ein Bild sein für gute The­olo­gie? Gute The­olo­gie, die zeigt, wo sich ein­er­seits der Hafen befind­et und ander­er­seits, wo die Klip­pen sind, an denen ein Glaubens-Schiff zer­schellen könnte?

Bild: Paul Bruderer

Die ‘Wreckers’

Zurück in der Schweiz erzäh­le ich mein­er englis­chen Mut­ter von der Erfahrung. Wie aus der Kanone geschossen kommt ihre Antwort: «Es gab auch ‘Wreck­ers’!» Sie erk­lärt: «Das sind Leute, die mit falschen Lichtern und Feuern den Schif­f­en Leucht­türme vor­getäuscht haben, damit sie an den Klip­pen zer­schellen und aus­ger­aubt wer­den können.»

Mein ‘sech­ster Sinn’ ist sofort wieder da. Kön­nten ‘Wreck­ers’ ein Bild sein für Irrlehrer, die in der Geschichte der Kirche immer wieder, mitunter bewusst, Chris­ten in the­ol­o­gisch gefährlich­es Gelände lock­ten und so der Glaube von manchem Christ Schiff­bruch erlitt?

Ich habe inzwis­chen die His­tor­iz­ität der Wreck­ers unter­sucht. Es gab min­destens 3 Sorten von Men­schen, die bei Schiffs­bruch das Gut ergat­tert haben. Es scheint his­torisch unsich­er, ob es jene Sorte von Wreck­ers gab, die mit falschen Lichtern Schiffe bewusst in die Klip­pen ver­führten. Das Gesamt­bild ist jedoch kom­plex und es ist auch nicht erwiesen, dass es keine solchen Ereignisse gab. Men­schen, die his­torisch näher an den Ereignis­sen lebten als wir, waren sich sich­er, dass es auch diese bösar­tige Sorte gab. So hat das Bild der Wreck­ers die Imag­i­na­tion der Seena­tion Eng­lands sehr geprägt. Es ist ein Bild, das mich an die Worte von Jesus Chris­tus erinnert:

«Ein Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlacht­en und umzubrin­gen. Ich bin gekom­men, damit sie das Leben haben und volle Genüge. Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kom­men und ver­lässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zer­streut sie –, denn er ist ein Mietling und küm­mert sich nicht um die Schafe.» (Joh 10:10–13)

Ja, es gibt sie, die ‘geistlichen Wreck­ers’, die kom­men, um die Herde auszunehmen oder die sich beim Hüten der Herde aus dem Staub machen, wenn es darauf ankommt. Die auf Chris­tus fol­gende Zeit zeigt, dass dies zu ein­er trau­ri­gen Real­ität wird. So warnt Paulus die Leit­er ein­er Kirchgemeinde:

«Denn das weiß ich, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch kom­men, die die Herde nicht ver­scho­nen wer­den. Auch aus eur­er Mitte wer­den Män­ner auf­ste­hen, die Verkehrtes reden, um die Jünger an sich zu ziehen. Darum seid wach­sam…» (Paulus in Apg 20:29–31)

Seid wach­sam… sagt Paulus. Seid Leucht­türme… sagt Paulus.

Bild: iStock

Der geistliche Schiffbruch

Auch zur Zeit der Bibel gab es bei Per­so­n­en geistliche Entwick­lun­gen, die als Schiff­bruch beze­ich­net wer­den. Paulus nen­nt ein konkretes Beispiel:

«Ich übergebe dir die Auf­gabe, diese Botschaft weit­erzusagen, Tim­o­theus, mein Kind, auf­grund der prophetis­chen Aus­sagen, die schon früher über dich aus­ge­sprochen wur­den, sodass du durch sie den guten Kampf führst und dabei das Ver­trauen auf Gott und ein gutes Gewis­sen bewahrst. Das haben einige Leute von sich gestoßen und in ihrem Glauben Schiff­bruch erlit­ten. Zu diesen Men­schen gehören auch Hymenäus und Alexan­der.» (1Tim 1:18–20)

Paulus nen­nt in diesem Text zwei Namen von Gläu­bi­gen, die geistlichen Schiff­bruch erlit­ten haben. Damit zeigt er Tim­o­theus, dass Schiff­bruch eine Real­ität ist. Und Paulus agiert hier als Leucht­turm, indem er Tim­o­theus Ori­en­tierung gibt:

Zum Ersten beruft Paulus Tim­o­theus dazu, ‘diese Botschaft’ zu verkündi­gen und nicht damit aufzuhören. Die Verse 14–15 zeigen, dass damit das Evan­geli­um gemeint ist, jene zen­trale Botschaft des Chris­ten­tums: «Diese Aus­sage ist zuver­läs­sig und sollte angenom­men wer­den: Jesus, der Mes­sias, ist in die Welt gekom­men, um Sün­der zu ret­ten» (1Tim 1:14–15). Paulus betont Gottes Gnade für ihn und für alle Sün­der. Wer aufhört, diese Wahrheit des Evan­geli­ums zu glauben und aufhört, sie weit­erzugeben, ste­ht gemäss Paulus in Gefahr, im Glauben schiff­brüchig zu werden.

Dies bleibt auch heute wahr. Wo Chris­ten das Evan­geli­um nicht mehr ver­ste­hen, es ver­ste­hen, ihm aber  nicht mehr ver­trauen, oder es inhaltlich der­art verän­dern, dass es nicht mehr ‘diese Botschaft’ ist, da beste­ht die reale Gefahr eines geistlichen Schiffbruchs.

Zum Zweit­en warnt Paulus Tim­o­theus vor toleriert­er Sünde. Tim­o­theus soll im Unter­schied zu Hymenäus und Alexan­der ein reines Gewis­sen behal­ten. Näheres dazu wird im Text nicht gesagt. Fakt ist, dass manche evan­ge­likalen ‘Rock­stars’ dieser Tage an diesem Punkt scheit­ern und dabei immensen Schaden anrichten.

Noch schlim­mer wird es, wenn The­olo­gen ihre The­olo­gie so ver­drehen, dass Sünde nicht mehr als Sünde beze­ich­net wird. Diese The­olo­gen sind ‘geistliche Wreck­ers’, die falsche Lichter anzün­den um irrezuführen. Wenn Chris­ten solche The­olo­gien lesen und ihnen Glauben schenken, kann es dazu führen, dass sie ihr Gewis­sen abtöten. Paulus warnt hier mit schar­fen Worten davor, einen solchen Weg zu gehen, der direkt in den Schiff­bruch führen kann.

Zum Drit­ten zeich­net Paulus ein ver­trauenswürdi­ges Gottes­bild. Tim­o­theus darf wis­sen, dass Gott auch dann ver­trauenswürdig ist, wenn es hart kommt. Unser Ver­trauen in Gott ist und bleibt her­aus­ge­fordert! Doch wer sein Ver­trauen in Gott investiert, auch dann, wenn er ihn nicht ver­ste­ht, wird geschützt durch die Klip­pen navigieren können.

Bild: Paul Bruderer

Schiffbrüche meiden

Lei­der gibt es viele aktuelle Beispiele von geistlich Schiff­brüchi­gen und auch von ‘Wreck­ers’. Ich unter­lasse es, Namen zu nen­nen. Bess­er ist zu ver­ste­hen, wie es zu solchen Schiff­brüchen kom­men kann und wie wir diese ver­mei­den können.

Zum einen kann das post­mod­erne Gefühl unser­er Zeit uns  gegen die Real­ität des ‘geistlichen Schiff­bruchs’ immu­nisieren. Den Glauben zu verän­dern, wird heute meist pos­i­tiv gew­ertet, nahezu egal in welche Rich­tung die Entwick­lung geht. Ich stimme zu, dass Verän­derung im Glauben dur­chaus pos­i­tiv und wichtig sein kann. Doch manch­mal ist die Verän­derung nichts weniger als ein Schiffbruch.

In ganz andere Glaubenssys­teme zu wech­seln, oder ver­schiedene dur­chaus inkom­pat­i­ble Glaubenssys­teme zu kom­binieren ver­suchen, wird in unseren Tagen sel­ten als prob­lema­tisch gese­hen. Aber es gibt zen­trale weltan­schauliche Überzeu­gun­gen der Chris­ten­heit, denen man nicht ohne Gefahr des geistlichen Schiff­bruch­es den Rück­en kehrt.

Dies passiert beispiel­sweise, wenn jemand seinen christlichen Glauben schrit­tweise umgestal­tet in etwas, das kaum von einem östlichen Pan­the­is­mus zu unter­schei­den ist, und inhaltlich nahezu nichts mehr gemein­sam hat mit dem his­torischen Chris­ten­tum — auss­er vielle­icht noch die Worthülsen eines völ­lig anders definierten, christlichen Vok­ab­u­lars. Was vielle­icht noch christlich klingt, ist fak­tisch etwas ganz anderes gewor­den. Ich habe in zwei Artikeln hierzu einige Hin­weise fest­ge­hal­ten: : Tol­er­anz oder Abgren­zung? und Das Kräfte­feld ander­er Reli­gio­nen. Mein Brud­er hat aus­führlich dazu geblog­gt in sein­er Aquilea Serie oder in seinem Artikel über Michael Gun­gors Dekon­ver­sion.

Bild: iStock

Ein Leuchtturm werden

Neben dem aufmerk­samen Ver­mei­den des eige­nen Schiff­bruchs kön­nen wir auch selb­st – im pos­i­tiv­en Sinne – zu einem guten Warn­sys­tem beitra­gen. Wir kön­nen neue Leucht­türme auf­bauen, beste­hende Leucht­türme anerken­nen und das Zusam­men­wirken dieser Türme fördern.

Zur Kat­e­gorie der beste­hen­den Leucht­türme gehören sich­er christliche Glaubens­beken­nt­nisse. Diese wur­den meist vor dem Hin­ter­grund von Irrlehren als Leucht­türme für die Gemeinde for­muliert und hal­ten wesentliche Wahrheit­en fest. Sie haben sich als ver­lässliche Ori­en­tierungspunk­te erwiesen bis hinein in Fra­gen der Ethik.

Auch the­ol­o­gis­che Aus­bil­dungsstät­ten kön­nen Leucht­türme sein, sofern sie eine reife, gute The­olo­gie prä­gen, die ‘in den Hafen leit­et’ und gle­ichzeit­ig auch warnt. Wenn sie so wirken, wie Paulus gegenüber Tim­o­theus, kön­nen christliche Influ­encer wie Pas­toren, Leit­er und andere geistliche Vor­bilder Leucht­türme sein, an denen wir uns ori­en­tieren kön­nen. Wichtig ist neben der Kanzel auch der Bere­ich der (sozialen) Medi­en, in den sich die Mei­n­ungs­bil­dung viel­er ver­lagert hat. Ob Büch­er, Blogs oder Video-Kanäle: Wir brauchen heute mehr denn je auch Leucht­türme in der virtuellen Welt, denn sind wir ehrlich, da tum­melt sich neben Gutem auch unglaublich viel attrak­tiv­er, aber ver­führerisch­er Non­sens. Dies ist mit ein Grund, dass auch wir bei DanielOp­tion wieder mit Bloggen anfan­gen und unsere mit­tler­weile vierte Sai­son einläuten.

Mir gefällt das Bild der kom­binierten Wirkung ein­er Vielzahl von Leucht­tür­men. In der Kirchengeschichte war es beispiel­sweise oft das zusam­men­wirk­ende und kom­binierte the­ol­o­gis­che Arbeit­en ver­schieden­er Per­so­n­en und Insti­tu­tio­nen, welche die gute The­olo­gie her­vor­brachte. Auch heute kön­nte durch koor­diniertes Zusam­men­wirken von Blogs, Büch­ern, the­ol­o­gis­chen Aus­bil­dungsstät­ten und christlichen Influ­encern ein Leit- und Schutzsys­tem entste­hen, welch­es mehr Wert hat, als nur die Summe der Einzel­wirkun­gen. Wir  selb­st sind auf jeden Fall bere­it, unseren Beitrag zu leisten.

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Titel­bild: iStock

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