Jesus – Eine Weltgeschichte.

single-image

Markus Spiek­er: Jesus – Eine Welt­geschichte. (fontis 2020)

Eine Rezen­sion
Von Roland Werner

Was passiert, wenn ein Jour­nal­ist sich mit Jesus beschäftigt? Die Antwort auf diese Frage ist in regelmäßigem Rhyth­mus jedes Jahr zu Wei­h­nacht­en und meist auch zu Ostern zu find­en. Große Print­me­di­en pro­duzieren zum x‑ten Mal eine ange­bliche Enthül­lunggeschichte, die das bib­lis­che Por­trait von Jesus demon­tieren soll. Dabei greift man meist in die Mot­tenkiste ein­er wis­senschaftlich längst über­holten hyper­skep­tis­chen Bibelkri­tik, verziert sie mit ein paar absur­den Mut­maßun­gen wie: „Jesus war in Wirk­lichkeit mit Maria Mag­dale­na ver­heiratet“ oder: „Die Jünger haben sich in der Grabadresse geir­rt, und die Gebeine von Jesus liegen noch immer irgend­wo in Jerusalem“ bis hin zu dem ural­ten Vorurteil, Jesus sei gar nicht in Beth­le­hem geboren, son­dern in Nazareth. — Diese unbe­wiesene und unbe­weis­bare Zweck­be­haup­tung hat übri­gens schon in den 1960er Jahren unser Pfar­rer regelmäßig zu Wei­h­nacht­en in unser­er Kirche im Duis­burg­er Nor­den verkündigt. Das macht sie damit auch nicht wahrschein­lich­er oder wahrer.

Kurzum: Was passiert, wenn sich fach­fremde Schreiber an die Frage nach dem his­torischen Jesus her­an­machen? Meist das, was ich hier beschrieben habe: Halb-informierte Wieder­aufwär­mung ein­er über­holten bibelkri­tis­chen Buch­staben­suppe, die sich krampfhaft und inzwis­chen längst nicht mehr überzeu­gend bemüht, eine neue sen­sa­tionelle Enthül­lung über den ange­blich wirk­lichen Jesus zu präsen­tieren. Und um diese Suppe zu würzen, holt man dann meist noch längst wider­legte, aber anscheinend für willige Leser dann doch überzeu­gend Ver­schwörungs­the­o­rien aus dem Schrank: Der Vatikan hätte seit Jahrhun­derten die wahren Evan­gelien unter Ver­schluss gehal­ten, oder: Die Schriftrollen aus Qum­ran wür­den ein ganz anderes Bild von Jesus zeigen als die neutes­ta­mentlichen Evan­gelien oder oder oder…

Ein­er objek­tiv­en Unter­suchung hal­ten diese Behaup­tun­gen nicht stand – so stam­men zum Beispiel die Schriften von Qum­ran fast voll­ständig aus der Zeit vor Jesus und kön­nen also gar nichts Alter­na­tives über ihn aus­sagen – und der vatikanis­chen Bib­lio­thek – die übri­gens großar­tig ist — schreibt man wirk­lich ein zu großes Monopol zu, wenn man meint, sie wäre die einzige Stelle, wo alte Schriften zu find­en seien.

Mit anderen Worten: Diese Art von Sen­sa­tion­sjour­nal­is­mus, den man immer zu den großen christlichen Fes­ten in zunehmend ermü­den­der Regelmäßigkeit präsen­tiert bekommt, kann man ruhig ignori­eren und zu vernün­ftiger, wis­senschaftlich ver­ant­worteter Lit­er­atur über Jesus übergehen.

Das Prob­lem ist jedoch, dass die wenig­sten Zeitgenossen Zugang zu diesen Pub­lika­tio­nen haben. Die the­ol­o­gis­che Lit­er­atur zu Jesus ist Legion. Wo soll man da anfan­gen? Und wo aufhören? Und wie kann man als Laie die Spreu vom Weizen trennen?

Es wäre doch großar­tig, wenn jemand sich so richtig in die Sache mit Jesus ein­le­sen und das Wesentliche und Ver­lässliche so zusam­men­fassen und präsen­tieren würde, dass es jed­er ver­ste­hen kann. Am besten auch noch flüs­sig und gut les­bar geschrieben, in einem leicht­en, aber den­noch tief­gründi­gem Stil. Mit anderen Worten: Es wäre großar­tig, wenn ein guter Jour­nal­ist mit Ver­ständ­nis für The­olo­gie, Philoso­phie und Geschichte die Sache mit Jesus anpack­en und all­ge­mein­ver­ständlich dar­legen würde.  Und wenn diese Per­son am Besten nicht nur die his­torische Wahrheit über Jesus, son­dern auch noch gle­ich die Auswirkun­gen, die das Leben dieses Mannes aus Nazareth in der Welt­geschichte hat, beschreiben würde.

Gesagt, getan! Das jeden­falls gilt für das vor Kurzem erschienene Buch von Markus Spiek­er mit dem Erwartung schüren­den Titel „Jesus – Eine Welt­geschichte“. Markus Spiek­er ver­sucht – und ich würde mit Überzeu­gung sagen: Es gelingt ihm! — den Bogen von den Anfän­gen der erfass­baren Men­schheits­geschichte bis zu Jesus zu span­nen, und dann von Jesus aus­ge­hend die Welt­geschichte bis in unsere Zeit nachzuze­ich­nen. Und das immer unter der Fragestel­lung: Wie kön­nen wir Jesus ver­ste­hen als Mit­telpunkt und Höhep­unkt der Geschichte? Auf welchem Hin­ter­grund geschah das Kom­men des Mes­sias aus Galiläa? Wie war die Welt beschaf­fen, in die er hineinge­boren wurde? Welche geisti­gen, philosophis­chen, geschichtlichen Kräfte waren am Werk? Wie war das Zusam­men­spiel und Gegeneinan­der der Mächte und Großmächte, die die Bühne bere­it­eten für seinen Auftritt? Gab es, und wenn ja, wo und wie, eine Art welt­geschichtliche Vor­bere­itung für das Jesus-Ereig­nis, also das, was von dem ersten Kirchengeschichtss­chreiber Euse­bius von Cäsaräa an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhun­dert als „praepa­ra­tio Evan­gel­i­ca“ (bzw. ursprünglich auf Griechisch „euan­n­ge­likê prosparaskeuê“), also als „Vor­bere­itung auf das Evan­geli­um“ beze­ich­net wurde?

Markus Spiek­er nimmt den Leser mit hinein in die römis­che, griechis­che, vorderor­i­en­tal­is­che und vor allem jüdis­che Welt vor der Zeit und zur Zeit von Jesus. Überzeu­gend und erstaunlich detail­liert zeich­net er die poli­tis­chen, gesellschaftlichen und religiösen Entwick­lun­gen im 1. vorchristlichen Jahrhun­dert bis hin zur Wende, die durch das Wesen und Wirken von Jesus markiert wird.

Was er dann über Jesus selb­st schreibt, ist nicht nur lei­den­schaftlich und mitreißend dargestellt, son­dern dur­chaus wis­senschaftlich gegen­ge­le­sen. In sein­er Danksa­gung am Ende des Buchs weist er auf die Fach­wis­senschaftler und the­ol­o­gis­chen Lehrer hin, die ihn berat­en und Vor-Ver­sio­nen seines Werkes gele­sen und kom­men­tiert haben. Den­noch ist ger­ade an diesem Kern­punkt seines Buchs die eigene Hand­schrift – bzw. vielle­icht noch bess­er gesagt — die ganz per­sön­liche Durch­dringung und For­mung seines Gegen­standes zu spüren.

Markus Spiek­er gelingt es hier, Jesus nicht nur als his­torische Per­sön­lichkeit mit ein­er unge­heuren Ausstrahlung und Wirkung zu beschreiben, son­dern die Jesus­geschichte gle­ichzeit­ig so zu ver­lebendi­gen, dass nicht nur seine Bedeu­tung für die Welt­geschichte als Ganzes, son­dern auch für den Leser als Per­son greif­bar wird. Damit zieht er den Leser unwillkür­lich in einen Dia­log hinein und stellt ihn vor die ganz exis­ten­tielle Frage nach der Bedeu­tung von Jesus für jeden Einzel­nen hier und heute. „Was sagen die Leute, dass ich bin?“ Dieser Frage Jesu an seine Nach­fol­ger damals fol­gte sofort die zweite: „Und wer sagt ihr, dass ich bin?“ (vgl. Mt 16:13–16) Vor dieser Frage ste­ht der Leser unwillkür­lich und fast beiläu­fig, ger­ade in den zen­tralen Pas­sagen, wo es um Leben, Wirken, Reden, Ster­ben und Aufer­ste­hen von Jesus geht.

Doch obwohl der Autor Jesus als Mit­telpunkt und Zielpunkt der Welt­geschichte begreift, endet seine Darstel­lung nicht hier, mit dem Ende der rein irdis­chen Exis­tenz von Jesus. Vielmehr schal­tet Markus Spiek­er im Fol­gen­den, so scheint es mir, noch ein­mal einen Gang höher, ger­ade in der Darstel­lung der unge­heuren gesellschaftlichen Umwälzun­gen, die die Aus­bre­itung der jun­gen Chris­ten­heit in der Antike aus­löste. Wed­er das römis­che Reich, das damals seine gewaltig­ste Aus­dehnung hat­te, noch die angren­zen­den Gebi­ete waren gegen den Sauerteig-mäßi­gen Ein­fluss gefeit, den die Grün­dung und das Wach­s­tum der jun­gen Chris­tenge­mein­den bedeuteten.

Nach und nach gestal­tete sich die antike Gesellschaft um: Die Rechte der Frauen wur­den gestärkt und die bis­lang fast uneingeschränk­te Ver­fü­gungs­ge­walt der Män­ner über Frauen, Kinder und Sklaven einge­gren­zt. Die sozialen Hier­ar­chien wur­den in Frage gestellt durch eine Gemein­schaft, in der laut des Völk­er­a­pos­tels Paulus es in Chris­tus, also auch rein prak­tisch in der Gemein­schaft der Chris­ten „wed­er Jude noch Grieche, wed­er Freier noch Sklave, wed­er Mann noch Frau“ gäbe (vgl. Gal 3:28). Richtig ver­standen leugneten wed­er Paulus noch die jun­gen Gemein­den die Exis­tenz dieser ver­schiede­nen Kat­e­gorien – das wäre ja wider­sin­nig gewe­sen – aber die Unter­schiede wur­den durch die Kraft des Mes­sias, durch die Ein­heit in Chris­tus, durch die geschwis­ter­liche Liebe und Für­sorge für einan­der so unwesentlich, dass Sklaven und Frauen Gemein­den leit­en kon­nten und durch gezielte Pro­gramme nicht nur die eige­nen Bedürfti­gen und Kranken son­dern auch die der nicht-christlichen Gesellschaft von den Chris­ten unter­stützt und gepflegt wurden.

Diese Real­ität, die beson­ders in den grassieren­den und unzäh­lige Opfer fordern­den Epi­demien der Spä­tan­tike zum Leucht­en kam, als teil­weise nur die Chris­ten es wagten, die an der Pest Gestor­be­nen würdig zu bestat­ten, führte zu ein­er immer stärk­eren Attrak­tion der Gemein­den als Orte der Frei­heit, der Gle­ich­heit und Geschwisterlichkeit.

Markus Spiek­er ent­fal­tet ger­ade diese Entwick­lun­gen der frühen Chris­ten­heit und führt dann weit­er durch die Kirchengeschichte, durch die Geschichte des Mönch­tums, des Mit­te­lal­ters, der Ref­or­ma­tion und der Erweck­ungs­be­we­gun­gen der Neuzeit, immer in dem Bemühen, das Beson­dere der Jesus­rev­o­lu­tion herauszuarbeiten.

„Jesus – eine Welt­geschichte“ ist in mein­er Sicht ein unbe­d­ingt notwendi­ges und zugle­ich fes­sel­ndes Buch. Notwendig, weil endlich ein­mal der Ver­such gemacht wer­den musste, die Wirk­lichkeit der Per­son Jesus aus den Ver­for­mungen ein­er sen­sa­tion­shun­gri­gen und chris­ten­tum­skri­tis­chen Presse zu befreien und zugle­ich aus den Buchdeck­eln und Fachar­tikeln der the­ol­o­gis­chen Wis­senschaft so zu ent­flecht­en, dass die unglaublich attrak­tive Per­sön­lichkeit des Nazaren­ers und seine unge­heure Wirk­mächtigkeit ans Tages­licht treten kön­nen. Und fes­sel­nd, weil der Ver­such gelingt, und weil die Lek­türe wirk­lich Spaß macht und man kaum aufhören will.

Faz­it: Lesen sollte das Buch von Markus Spiek­er jed­er, der Jesus bess­er begreifen möchte. Und Lesen müsste es jed­er und jede, der bzw. die sich öffentlich über Jesus äußert, sei es als Pas­torin oder Predi­ger, als Lehrer oder Jugen­dref­er­entin, als Poli­tik­er oder Philosophin. Und übri­gens: The­olo­gen und Jour­nal­is­ten sei es beson­ders empfohlen!

Artikel als PDF herunterladen

Bilder: Peter Bruderer

1 Comment
  1. Peter Bruderer 3 Jahren ago
    Reply

    Im Zusam­men­hang sei auch die Buchvorstel­lung von Spiek­er emp­fohlen, welche wichtige Erken­nt­nisse in ein­er stündi­gen Video-Präsen­ta­tion ver­mit­telt: https://www.youtube.com/watch?v=-imtBVXMxck

Leave a Comment

Your email address will not be published.

You may like

In the news