Frauen zwischen Mitarbeit und Ausschluss in der Kirche (2/3)

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Schon gewusst, dass es in der Bibel Ämter für Frauen gibt wie Diakonin, Prophetin, Lei­t­erin ein­er Haus­ge­meinde und sog­ar Apos­tolin? In diesem Artikel ler­nen wir span­nende und für die dama­lige Zeit inno­v­a­tive Rollen für Frauen ken­nen, und wie es nach der Zeit des Neuen Tes­ta­ments mit diesen Rollen weiterging. 

In diesem zweit­en Beitrag möchte ich ein weit­eres Kapi­tel in dieser kirchengeschichtlichen Rei­he erörtern. Dabei betra­cht­en wir einige Skizzen zum Ver­ständ­nis des kirch­lichen Amtes im Blick auf die Rolle der Frau. Neben geschichtlichen Fak­ten, wer­den auch the­ol­o­gis­che Bemerkun­gen ein­fliessen. Die The­men wer­den dabei häu­fig nur angeschnit­ten, kurz erörtert, aber sich­er nicht für alle Leser und Leserin­nen in der gewün­scht­en Aus­führlichkeit behan­delt. Ich ver­weise deshalb gerne auf die im Text oder in den Fuss­noten erwäh­nte Literatur.

Betra­cht­en wir in der Geschichte der Kirche die Entwick­lung der Leitungsämter, so scheinen ver­schiedene Fak­toren dazu beige­tra­gen zu haben, dass die Frauen aus den Ämtern in den Gemein­den ver­ban­nt wur­den. Doch zuerst schauen wir uns die reiche Palette an Ämtern an, die auch Frauen im NT aus­geübt haben. Danach betra­cht­en wir die Entwick­lung des Bischof­samtes, das zur Allein­leitung eines Mannes in der jew­eili­gen Orts­ge­meinde geführt hat. In einem zweit­en Teil wer­den the­ol­o­gis­che Punk­te erörtert, die mit­ge­holfen haben, Frauen aus den kirch­lichen Ämtern zu verdrängen.

Ämter, die von Frauen im Neuen Testament ausgeübt wurden

Über­raschen­der­weise find­en wir im NT das Amt der Diakonin, der Gemein­delei­t­erin, der Apos­telin, der Witwe (Lehrerin), der Evan­ge­listin und der Prophetin, ohne im Einzel­nen sehr viel darüber zu erfahren. Einige dieser Bibel­stellen wur­den im Laufe der Zeit sog­ar in den bib­lis­chen Manuskripten geän­dert, weil man es sich im Mit­te­lal­ter nicht mehr vorstellen kon­nte, dass diese Auf­gaben jemals offiziell von Frauen aus­geübt wurden.

Die Diakonin (Diakonos)

Es fällt heute in den Bibelüber­set­zun­gen oft nicht auf, dass die Frauen im NT teil­weise dur­chaus Titel tru­gen, die wir tra­di­tioneller­weise nur bei Män­nern ver­muten. Z.B. wird Rom 16:1–2 bei Luther (1984) so übersetzt:

Ich befehle euch unsere Schwest­er Phöbe an, die im Dienst der Gemeinde von Kenchreä ist, dass ihr sie aufnehmt in dem Her­rn, wie sich’s ziemt für die Heili­gen, und ihr beis­te­ht in jed­er Sache, in der sie euch braucht; denn auch sie hat vie­len beige­s­tanden, auch mir selbst.

Hier sind zwei Begriffe unzure­ichend über­set­zt, die Phöbe eigentlich als Diakon und Patron­in beze­ich­nen. Man kann ohne Weit­eres so übersetzen:.

Ich empfehle euch unsere Schwest­er Phöbe. Sie ist Diakonin (diakonos) der Gemeinde in Kenchreä. Nehmt sie im Namen des Her­rn auf, wie es Heilige tun sollen, und ste­ht ihr in jed­er Sache bei, in der sie euch braucht, denn auch sie war Patron­in (pro­sta­tis) viel­er, auch für mich.[1]

Fol­gt man den Darstel­lun­gen der evan­ge­lis­chen The­olo­gin Anni Hentschel in ihrer Dis­ser­ta­tion zum Diakonie Begriff, ist dieser viel umfassender gewe­sen, als uns der heutige Begriff der Diakonisse sug­geriert und umfasste auch Verkündi­gungs- und Leitungsauf­gaben.[2] Wörtlich:

Eine Tren­nung von ‘Wortämtern’ und ‘Dien­stämtern’ ist durch die neutes­ta­mentlichen Texte nicht belegt. […] Damit wird auch eine geschlechter­spez­i­fis­che Inter­pre­ta­tion in Verkündi­gungsämter der Män­ner und Dien­stämter der Frauen fraglich. Phoebe ist als diakonos von Kenchreä nicht ein­fach eine sozial-kar­i­ta­tiv engagierte Gemein­de­helferin, son­dern eine auch für die Lehre ver­ant­wortliche Gemein­delei­t­erin.[3]

Ganz ähn­lich argu­men­tiert der Neutes­ta­mentler Ger­hard Barth (1927 – 2002):

In der über­wiegen­den Mehrzahl der Stellen dage­gen ist ‘Diakon’ die Beze­ich­nung für einen Verkündi­ger, Predi­ger, Mis­sion­ar.[4]

Diesen Titel ‘diakonos’ trägt hier Phöbe. Wir kön­nen also davon aus­ge­hen, dass sie als Frau in dieses Amt des Diakons einge­set­zt wor­den war und alle die oben genan­nten Dinge tat.

Von Plin­ius dem Jün­geren haben wir einen inter­es­san­ten Hin­weis, dass Frauen zu Beginn des zweit­en Jahrhun­derts noch lei­t­ende Stel­lun­gen in der Gemeinde ein­nehmen kon­nten. Er schreibt in Bezug auf die zahlre­ichen Chris­ten und wie er mit ihnen umge­hen soll einen Brief an Kaiser Tra­jan, darin wörtlich:

Umso mehr hielt ich es für notwendig, von zwei Mäg­den, welche [bei ihnen] Diakonin­nen [min­is­trae] heis­sen, mit­telst der Folter die Wahrheit zu erforschen. Allein ich fand Nichts, als einen verkehrten, schwärmerischen Aber­glauben.»[5]

Vielle­icht haben auch Män­ner in der Gemeinde mit­geleit­et, Doch der Titel zeigt deut­lich zwei Frauen auf führen­den Posi­tio­nen in der Gemeinde.

Welch­es Anse­hen Diakonin­nen in Teilen der frühen Kirche gehabt haben, zeigt zudem ein Text aus der syrischen Didaskalia um 205 n.Chr.:

[Der] Lev­it aber und Hoher­priester ist der Bischof; dieser ist der Diener des Wortes und Mit­tler, […] ja er sollte von euch wie Gott geehrt wer­den. […] Der Diakon aber ste­ht an der Stelle Christi, und ihr sollt ihn lieben; die Diakonin aber soll nach dem Vor­bild des Heili­gen Geistes von euch geehrt wer­den.[6]

Dieses Wis­sen ver­siegt und mit der Zeit wird die Frau aus den kirch­lichen Ämtern ver­drängt, wie wir weit­er unten sehen werden.

Die Hausgemeindeleiterin

In Kol 4:15 wird Nympha als eine Frau vorgestellt, die in ihrem Haus eine Gemeinde hat. In vie­len Bibelüber­set­zun­gen wird hier aber ein Mann mit Namen Nymphan genan­nt. Schaut man den ganzen Vers an, wird aber sicht­bar, dass das Per­son­al­pronomen sich auf eine Frau bezieht. Einige alte Manuskripte haben dort näm­lich die weib­liche Form: Grüs­set die Brüder in Laodizea und die Nympha und die Gemeinde in ihrem Hause.“ (Kol 4:15) Tex­tkri­tisch muss man davon aus­ge­hen, dass die schwierigere Lesart die ursprünglichere ist.

Ähn­lich­es kön­nen wir über Lydia in Apg 16:13–40 lesen. Es scheint zwar eher sel­ten, aber doch wie selb­stver­ständlich, dass Frauen im NT gewisse Leitungsauf­gaben wahrgenom­men haben.

Die Apostelin

Weit­er soll hier auf einen der wichtig­sten Leitungsti­tel im NT einge­gan­gen wer­den, den wir tra­di­tioneller­weise im NT nur mit Män­nern in Verbindung brin­gen: Das Apos­te­lamt. Über­raschen­der­weise hat man diesen Titel über Jahrhun­derte hin­weg selb­stver­ständlich auch ein­er Frau ver­liehen. In Rom 16:7 wird Junia genan­nt, die unter den Apos­teln berühmt ist. Bis ins Mit­te­lal­ter ist man davon aus­ge­gan­gen, dass es sich hier um eine Frau han­delte und dass sie eine Apos­telin war. Chrisos­to­mos (347 – 407) schreibt dazu in seinem Kom­men­tar zum Rom 16:7:

Es ist schon etwas Gross­es, ein Apos­tel zu sein; aber erst unter den Apos­teln her­vor­ra­gend zu sein, bedenke, was für ein Lob das ist! Her­vor­ra­gend waren sie auf­grund ihrer Arbeit und ihrer rechtschaf­fe­nen Tat­en. Wie groß muss doch die Weisheit (griech. philosophia) dieser Frau gewe­sen sein, dass sie sog­ar für würdig gehal­ten wurde, den Apos­telti­tel zu tra­gen![7]

Heute ste­ht noch immer in vie­len Bibelüber­set­zun­gen Junias; die Frau wurde zum Mann umfunk­tion­iert. Bernadette Brooten kon­nte schlüs­sig beweisen, dass erst im 13. Jh. Aegid­ius von Rom (1245–1316) aus der Junia einen Junias gemacht hat­te. Mod­erne Bibelüber­set­zun­gen weisen ver­mehrt auf diese Tat­sache hin.

Das Witwenamt

Als näch­stes sei der Titel der Witwe und die Auf­gaben der alten Frauen erwäh­nt. Witwen wer­den im NT vor allem im 1Tim 5:5–11 genan­nt. Es entwick­elte sich daraus das Amt der Witwe, deren Arbeit wir in der frühen Kirchengeschichte klar umris­sen vorfind­en: Es «waren vor allem das Gebet und die Für­bitte, die the­ol­o­gis­che Unter­weisung, die Sal­bung der Täu­flinge und die Kranken­für­sorge.»[8] Diese Auf­gaben, kom­biniert mit einem erst von eini­gen weni­gen Auslegern ent­deck­ten Hin­weis über den Lehrauf­trag an ältere Frauen in Tit 2:1–10, ergeben ein noch stärk­eres Bild der auch lehren­den, älteren Frau und/oder Witwe.

Bei Tit 2 wird meis­tens so über­set­zt, als ob Paulus die älteren Frauen anleite, sie sollen die jün­geren Frauen lehren. Aber der Text ist anders struk­turi­ert und führt eigentlich aus, was Titus vier Grup­pen in der Gemeinde sagen soll: den alten Män­nern, den alten Frauen, den jun­gen Frauen und den jun­gen Män­nern. Dann lautet die Anweisung an die älteren Frauen:

Du [Titus] aber lehre, was angemessen ist der gesun­den Lehre: […] die alten Frauen eben­so im Ver­hal­ten der Heiligkeit angemessen, nicht ver­leumderisch, nicht vielem Wein unter­wor­fen, Gutes lehrend, damit sie beson­nen machen.[9]

Danach wird Titus instru­iert, was er den jün­geren Frauen aus­richt­en soll. Damit wird hier ein Lehrauf­trag sicht­bar, den die älteren Frauen wahrnehmen sollen.

Der The­ologe Ulrich Wen­del schreibt dazu:

«Alte Kreterin­nen, auch wenn sie keine Witwen waren, gehörten nicht aufs Abstell­gleis. Es gab eine Auf­gabe für sie.»[10]

Sie soll­ten in der Gemeinde in der Lehre mithelfen, damit sie andere beson­nen machen. Kom­biniert man die Hin­weise auf Witwen und den Aufruf zu Lehren an ältere Frauen, dann erstaunt es nicht, dass sich ein lehren­des Witwe­namt entwick­elte, das die Kirche mit der Zeit als Konkur­renz emp­fand und dazu führte, dass die Bis­chöfe dieses Amt zurückdrängten.

Ein Zeug­nis dafür liefert die Didas­calia Apos­tolo­rum, eine frühchristliche Gemein­de­ord­nung aus dem syrischen Raum, die die Kom­pe­ten­zen der Witwen zurück­drän­gen wollte.[11] Wobei auch die sehr restrik­tiv­en Erk­lärun­gen eben ger­ade zeigen, dass es dieses Amt gegeben hat. Hans Ache­lis fasst die Bemühun­gen der Diskalia, den Witwen­stand zu reg­ulieren, ja förm­lich abzuschaf­fen, fol­gen­der­massen zusammen:

Das Witwenin­sti­tut hat­te eine lange Vorgeschichte, die bis in die ältesten Zeit­en des Chris­ten­tums hin­aufre­ichte. Ein Vertreter des mod­er­nen Episkopats, wie der Ver­fass­er der Didaskalia es war, musste ihre alten Rechte als Ein­griffe in seine Stel­lung empfind­en, und er suchte sie alle zu beseit­i­gen. Da die Witwe die Taufe vol­l­zo­gen hat­te, die ihr unmöglich zu ges­tat­ten war, nimmt ihr der Bischof selb­st die Han­dre­ichun­gen bei dem wichti­gen Akt; und da sie die Seel­sorge als ihr spezielles Gebi­et ange­se­hen hat­te, so sieht er sie auch am Kranken­bett nicht gern.[12]

Die Prophetin

Noch ein kurz­er Blick auf das Amt der Prophetin sei hier gewährt. In der Apos­telgeschichte (Apg 21:9) wird von den vier Töchtern des Philip­pus gesprochen, die alle­samt Prophetinnen waren. Aus ausser­bib­lis­chen Quellen wis­sen wir, dass die bei­den heili­gen Hermione und Euty­che zwei dieser vier Töchter, des Evan­ge­lis­ten und Diakons Philip­pus gewe­sen sind. Hermione gilt als Mär­tyrerin unter Tra­jan in Eph­esus. (das Amt der Evan­ge­listin beschreibe ich weit­er unten)

Das Wis­sen um solche Frauen in Dien­sten und Ämtern des Urchris­ten­tums führt aber nicht dazu, dass die Kirchen­väter Frauen für den Dienst als Bis­chöfin oder Pries­terin vorschla­gen, son­dern sie haben — meist in Bezug­nahme auf Paulus — den Lehr- und Leitungs­di­enst von Frauen zurück­gewiesen. Die Möglichkeit eines nich­tamtlichen Lehrens sahen einige aber durch das Beispiel von Priscil­la und Apol­los gegeben.

Nur das Amt der Diakonin über­lebt län­gere Zeit, vor allem im Osten und wird dort durch Chrysos­to­mos gefördert, ver­schwindet dann aber später und wird erst seit 2004 wieder neu in der Ortho­dox­en Kirche Griechen­lands zuge­lassen. Im West­en scheint man dieses Amt stärk­er bekämpft zu haben. Dadurch ist es schon früh in Vergessen­heit ger­at­en. Deshalb kann man sich bei der Syn­ode von Nymes von 394 – 396 entset­zt zeigen, «dass ‘irgend­wo’ Frauen zu ein­er Art ‘Amt’ zuge­lassen und damit zum Klerus gerech­net wor­den seien.»[13]

Die Syn­ode von Orange 441 set­zte dem Treiben dann defin­i­tiv ein Ende: Es darf zwar weit­er­hin Diakonin­nen geben, aber sie dür­fen nicht mehr ordiniert wer­den, son­dern müssen als Laien ihren Dienst tun. Die wieder­holte Verurteilung der Diakonis­senwei­he an weit­eren Syn­oden zeigt aber, dass es trotz­dem solche geben haben muss.[14] Erst im Ver­laufe von Vatikanum II wurde der Wei­he­grad des Diakonats wiederhergestellt.

An der Spitze wird die Luft dünn

Es scheint bei allen Ämtern der urchristlichen Gemein­den in Bezug auf die Frauen schon sehr früh einen Bruch gegeben zu haben, der die Frau aus Lehre und Leitung ver­drängt. Neben den oben erwäh­n­ten patri­ar­chalen und frauen­feindlichen Grund­stim­mungen und der Ver­drän­gung spezieller weib­lich­er Ämter, scheint die Entwick­lung der Leitungsstruk­turen dabei eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Diese wird in der Folge kurz geschildert.

Die gemein­same Leitung ein­er Gemeinde durch Pres­byter wird im zweit­en Jahrhun­dert mehr und mehr erset­zt durch die alleinige Leitung der Gemeinde durch einen Bischof (Episkopen). Dadurch wer­den nicht nur die anderen Män­ner von der Spitze ver­drängt und hier­ar­chisch degradiert, son­dern auch die mitar­bei­t­en­den Frauen müssen sich den neuen Regeln beu­gen. Das Wis­sen um die ursprüngliche Leitung der Gemeinde durch ein Pres­by­teri­um hält sich aber lange. So kann noch Hierony­mus (347 – 420) schreiben:

[…] Bevor in [unser­er] Reli­gion durch Ans­tiftung des Teufels Parteiun­gen ent­standen und bevor unter den Men­schen gesagt wurde: ‘Ich gehöre zu Paulus, ich zu Apol­los und ich zu Kephas’, wur­den die Gemein­den gemein­sam von einem Pres­by­teri­um­srat geleit­et. Sobald jed­er von ihnen begann, die von ihm getauften als seine Eige­nen zu betra­cht­en, und nicht als von Chris­tus, war es für die ganze Welt entsch­ieden, dass ein einzel­ner, welch­er aus dem Kreis der Pres­byter [in jed­er Gemeinde] gewählt wurde, über den Rest geset­zt wer­den sollte, um für die ganze Gemeinde Sorge zu tra­gen. […] Aus diesem Grund soll­ten Vorste­her beacht­en, dass sie gemäß ein­er überkomme­nen Gewohn­heit und nicht wegen eines Gebotes des Her­rn über Pres­byter einge­set­zt sind.[15]

Dieser Prozess kann nicht mehr umgekehrt wer­den. Jed­er Gemeinde ste­ht im Ver­laufe des 2. Jahrhun­derts ein Bischof vor, später wer­den aus den Land­bis­chöfen ein­fache Priester, die den Bis­chöfen grösser­er Orte unter­stellt sind. In Anlehnung an den römis­chen Beamten­staat, ent­stand eine christliche Beamtenkirche, mit klaren Hier­ar­chien und ohne Frauen in lei­t­en­den Ämtern. Nach­dem das Chris­ten­tum im Laufe des 4. Jahrhun­derts zur römis­chen Staat­sre­li­gion emporgestiegen ist, übern­immt die Kirche noch mehr die Form eines römis­chen Beamtenapparates.

Diese Hier­ar­chie wird nicht ein­mal in der Ref­or­ma­tion durch­brochen, obwohl sich das Amtsver­ständ­nis grundle­gend ändert und viele Frauen hof­fen, dass sich dieses neue Ver­ständ­nis auch auf ihre Rolle in der Kirche auswirken würde. Ute Gause fasst zusammen:

Die reformierten Frauen erhofften sich von der neuen Glaubens­be­we­gung neue religiöse Möglichkeit­en. […] In ihrer Frühzeit war die Ref­or­ma­tion […] eine Bil­dungs­be­we­gung für Frauen, die die bib­lis­che Botschaft als für sich befreiend inter­pretierten. Da jedoch das lutherische wie reformierte Selb­stver­ständ­nis an den bib­lis­chen Sub­or­di­na­tionsvorstel­lun­gen fes­thielt und der Gedanke des Priester­tums aller Gläu­bi­gen mit der Kon­fes­sion­al­isierung in den Hin­ter­grund trat, wurde dieser Ver­such der Verän­derung des weib­lichen Rol­len­bildes [hin zur religiösen Mitar­beit in der Kirche] zurück­gewiesen.[16]

Somit kann sich in den Kirchen kein «weib­lich­es Amt» der Frühzeit hal­ten und bis in die Neuzeit hinein auch keines entwick­eln. Während die Katholis­chen und die Ortho­dox­en Kirchen darum bis heute keine Frauenor­di­na­tion ken­nen, haben sich seit dem 19. Jh. bei den evan­ge­lis­chen Lan­deskirchen,[17] der anglikanis­chen Kirche und bei eini­gen Freikirchen die Dinge geän­dert.

Die Anfänge bei den evan­ge­lis­chen Kirchen gehen zurück auf den lutherischen Alt­pi­etismus der Her­rn­huter, gegrün­det durch Niklaus Lud­wig Graf von Zinzen­dorf (1700 – 1760). Dort gibt es für Frauen und Män­ner die gle­ichen Ämter, wobei die Geschlechter stark getren­nt sind. Doch kön­nen sich Frauen bei Zusam­menkün­ften frei äussern.

Die evan­ge­lis­che Amerikaner­in Antoinette Brown (1825 – 1921) wird zur ersten ordinierten Frau der neueren Kirchengeschichte. Als junge amerikanis­che Frauen­recht­lerin und Christin will sie unbe­d­ingt eine geistliche Aus­bil­dung. Als sie 1850 das Ober­lin-Col­lege been­det hat, wird sie aber nicht ordiniert. Erst als drei Jahre später eine Gemeinde sie anstellt, hat sie die Ordi­na­tion erhalten.

Cather­ine (1829 – 1890) und William Booth (1829 – 1912) grün­den im 19. Jahrhun­dert die Heil­sarmee. Sie set­zen rasch bei­de Geschlechter als «Sol­dat­en Christi» gle­ich­berechtigt zum Dienst ein. Cathrine schreibt 1859 eine Schrift,[18] worin sie das Recht der Frau zu predi­gen verteidigt.

Die erste ordinierte Pas­torin der evan­ge­lis­chen Kirchen Deutsch­lands wird Elis­a­beth Haseloff (1914 – 1974). 1958 wird sie im Sinne des west­deutschen Geset­zes zur Gle­ich­berech­ti­gung von Mann und Frau als ledi­ge Frau in den Pfar­r­di­enst eingesetzt.

Theologische Begründungen

Die Entwick­lung zur rein durch Män­ner geleit­eten Gemeinde hat auch the­ol­o­gis­che Gründe. Erstens wird die Geschlechter­sym­bo­l­ik der Schrift betont, die in Chris­tus den Bräutigam, in der Kirche die Braut oder Mut­ter sieht. Zweit­ens wird dazu die Tat­sache als Vor­bild genom­men, dass Chris­tus keine Frauen in ein Amt hinein berufen hat und drit­tens überträgt man das alttes­ta­mentliche Priester­tum in das Leitungsver­ständ­nis der Kirche.

Daraus ergibt sich die fol­gende Argu­men­ta­tion­slin­ie: Jesus als Bräutigam und Hohe­p­riester tritt im Priester als seinem Repräsen­tan­ten der Gemeinde (der Braut Christi) gegenüber. Der Priester allein hat in dieser Stel­lung auch das Recht, die Sakra­mente (speziell das Abendmahl) zu ver­wal­ten. So tritt im Priester Chris­tus unter die Gemeinde und bringt im Abendmahl das «Opfer» dar.

Hier wer­den mehrere Entwick­lun­gen angedeutet, die die Män­neror­di­na­tion als alleinige Möglichkeit offen­lassen und damit die Amts­fähigkeit der Frau grund­sät­zlich in Frage stellen. Dazu einige Erläuterun­gen: Zur Repräsen­tanz Christi kam es durch den Gedanken, dass der Priester als Repräsen­tant des Bräutigams (Chris­tus) der Braut (die Gemeinde) gegenüber­tritt. Daher kann die katholis­che Kirche bis heute keine Frau zulassen, denn Chris­tus ist ein Mann, ihn kann keine Frau vertreten. Dazu ist aus evan­ge­lis­ch­er Sicht zu sagen, dass dies aus bib­lis­ch­er Per­spek­tive gar nicht nötig ist. Chris­tus ist durch den Heili­gen Geist unter uns und nicht durch ein Amt oder einen Amt­sträger. Der Priester muss auch nicht Chris­tus beim Abendmahl repräsen­tieren. Dieses Mahl ist der Gemeinde zur Ver­wal­tung gegeben und sie kann die Durch­führung so ord­nen, wie sie es inner­halb der bib­lis­chen Lin­ien für angemessen erachtet.

Auch die Über­tra­gung alttes­ta­mentlich­er Priester­vorstel­lun­gen auf das Amt des Gemein­deleit­ers ist vom NT her nicht geboten. Der Pfar­rer bringt in evan­ge­lis­chen Kirchen im Abendmahl kein Opfer dar, ist nicht Mit­tler zwis­chen Gott und Gemeinde und hat keine sakra­men­tale Wei­heg­nade, die in irgen­dein­er Art und Weise die Wand­lung von Brot und Wein zus­tande brin­gen kön­nte und so nur ihm die Sakra­mentsver­wal­tung ermöglicht. Der Priester (resp. Pfarrer/Pastor) ist auch nicht das Gegenüber im Blick auf die Gemeinde. Er ist ein­er aus der Gemeinde, der einen wichti­gen Dienst in der Kirche Jesu ausübt, wobei es noch viele andere wichtige Auf­gaben und Dien­ste daneben gibt.

Neben der Frage nach der Amts­fähigkeit der Frau ste­ht die Frage der Verkündi­gung der Frau als zweites the­ol­o­gis­ches Hin­der­nis zum Dienst der Frau im Raum. Nach der Zeit des deut­lich offeneren Urchris­ten­tums war es über Jahrhun­derte klar, dass die Frau nicht lehren und reden darf in der Gemeinde. Der einzige Ausweg der katholis­chen Frau war der Weg ins Kloster oder auf evan­ge­lis­ch­er Seite in die Mis­sion (siehe Artikel 3/3) und/oder seit dem 19. Jh. in die neu aufgekommene Diakonie, wo Frauen unter sich waren. Die Frage konzen­tri­erte sich hier auf das ver­meintliche Lehr- und Rede­ver­bot für Frauen bei Paulus. Dies wurde im Ver­laufe der Kirchengeschichte fast durchge­hend so aus­gelegt, dass die Frau kein Recht zum Predi­gen hat­te. Aus­nah­men, wie das oben erwäh­nte Notrecht bei Luther und Calvin, bestäti­gen die Regel nur.

Grund­sät­zlich geht es meis­tens um die bei­den Stellen im 1Tim 2:12 und im 1Kor 14:33–34. Als Gedanke­nanstösse wer­den hier zu jed­er Stelle einige Hin­weise gegeben ohne Voll­ständigkeit zu beanspruchen, da dies ja auch nicht der Fokus dieses Textes ist.

Zur Stelle von 1Tim 2: 1992 erschien eine philol­o­gis­che Arbeit von Cather­ine Clark Kroeger (1925 – 2011)[20]: Lehrver­bot für Frauen? Was Paulus wirk­lich meinte – eine Auseinan­der­set­zung mit 1. Tim­o­theus 2, 11–15. Durch alter­na­tive Über­set­zungsvari­anten zeigt Kroeger auf, dass Paulus hier eventuell ganz falsch ver­standen wor­den ist und er gar kein Rede- und Lehrver­bot aussprechen, son­dern nur eine gängige Irrlehre und ihre Verkündi­gung ver­bi­eten wollte. Es muss hier auch mit allem Nach­druck darauf hingewiesen wer­den, dass der Kon­text, in der diese Aus­sage gemacht wird eigentlich das Gebet ist und Paulus dann noch kurz auf die Frage der Frau einge­ht, einen Exkurs ins AT macht und anschliessend ganz sin­gulär davon spricht, dass Frauen durch Kinderge­bären gerettet wer­den (V15), was Paulus ja sich­er nicht so meint, mah­nt er doch im 1Kor 7 noch, dass Frauen ledig bleiben sollen, um dem Her­rn bess­er dienen zu kön­nen. Diese Stelle ist also nicht ein­fach zu ver­ste­hen. Abschliessend: Grund­sät­zlich sollte von so ein­er eher «dun­klen» Stelle her, keine Lehre entste­hen mit so weitre­ichen­den Folgen!

Fern­er ist in diesem Zusam­men­hang zu beacht­en, dass Paulus in den Pas­toral­briefen an eini­gen Stellen betont, dass er sich dem (dama­li­gen) Zeit­geist anpassen möchte, damit das Evan­geli­um nicht «ver­lästert» werde (z.B. 1Tim 6:1; Tit 2:5). Ihm scheint daran gele­gen, auch in dieser Frage die hei­d­nis­che und jüdis­che Umge­bung nicht schon dadurch zu verärg­ern, dass Frauen öffentlich reden und sich in Män­nerangele­gen­heit­en ein­mis­chen. Wie sehr die römis­che Kul­tur dies miss­bil­ligt, habe ich schon früher erwähnt.

Hier möchte ich noch Plutarch aus dem ersten Jahrhun­dert nach Chris­tus zitieren:

Dem Stand der Athena gab Phidias die Schlange zur Seite und dem der Aphrodite in Elis die Schild­kröte, um anzudeuten, dass Jungfrauen der Bewahrung bedür­fen, den ver­heirateten Frauen aber Häus­lichkeit und Schweigen ziemt.[21]

Paulus will sich also dem Zeit­geist anpassen, damit das Evan­geli­um nicht schon durch unzeit­gemäss­es Ver­hal­ten neg­a­tiv wahrgenom­men wird. Mit diesem Hin­weis und der schon früher gemacht­en Fest­stel­lung, dass der jüdis­che Mann nicht mit ein­er frem­den Frau sprechen soll, ist die Über­leitung zum Schweigege­bot im 1. Korinther­brief schon geschehen.

Aber will Paulus dort ein Schweigege­bot über­haupt ein­fordern? Zu 1Kor 14:33–34 liefert Heinzpeter Hempel­mann 1997 in seinem Buch Gottes Ord­nun­gen zum Leben – Die Stel­lung der Frau in der Gemeinde hil­fre­iche Hin­weise, dass es in 1Kor 14 nicht um ein generelles Schweigege­bot, son­dern um ein spezielles gehe, das die Frau nur in Fra­gen der Ausle­gung von prophetis­chem Reden betr­e­ffe. Damit schafft es Hempel­mann auf überzeu­gende Weise, die bei­den Stellen im 1. Korinther­brief (Kapi­tel 11 und 14) zu har­mon­isieren, ohne eine Stelle als Inter­po­la­tion wegdisku­tieren zu wollen.[22]

Exkurs zur Vordringlichkeit der Evangeliumsverkündigung bei Paulus

Der fol­gende Exkurs löst sich­er einiges an Diskus­sion­sstoff aus. Aber ich wage es hier trotz­dem: Paulus muss grund­sät­zlich von sein­er Vor­dringlichkeit das Evan­geli­um zu verkündi­gen ver­standen wer­den. Das ist sein Auf­trag von Chris­tus her. Die hier aufge­führten Stellen aus dem Römer­brief sollen das unterstreichen:

Paulus, Knecht Jesu Christi, berufen­er Apos­tel, aus­geson­dert zum Evan­geli­um  Gottes, welch­es vorher ver­heißen wurde durch seine Propheten in heili­gen Schriften, betr­e­ffs seines Sohnes, der her­vorge­gan­gen ist aus dem Samen Davids nach  dem Fleisch und erwiesen als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geiste der Heiligkeit  durch die Aufer­ste­hung von den Toten, Jesus Chris­tus, unser Herr; durch welchen wir Gnade und Apos­te­lamt emp­fan­gen haben, um für seinen  Namen Glaubens­ge­hor­sam zu ver­lan­gen unter allen Völk­ern,… (Rom 1:1–5)

Denn Gott, welchem ich in meinem Geist diene am Evan­geli­um seines Sohnes (Rom 1:9)

Dass ich ein Diener Jesu Christi für die Hei­den sein soll, der das Evan­geli­um Gottes priester­lich ver­wal­tet, auf dass das Opfer der Hei­den angenehm werde, geheiligt im heili­gen Geist. (Röm. 15:16)

Diesem Auf­trag ord­net Paulus alles unter. Er ist um des Evan­geli­ums willen bere­it, sich sel­ber völ­lig hinzugeben:

Denn wiewohl ich frei bin von jed­er­mann, habe ich doch mich selb­st jed­er­mann zum Knechte gemacht, auf dass ich ihrer viele gewinne. (1Kor 9:19)

Und dies fordert er auch von den Gemein­den, die durch ihn ent­standen sind. Betra­cht­en wir unter diesem Aspekt nur einige Hin­weise bei Paulus:

  1. Er möchte am lieb­sten, dass alle ledig bleiben (1Kor 1:1 und fol­gende) und die, welche ver­heiratet sind, müssen «in der noch verbleiben­den Frist» so leben, «als hät­ten sie keine» (1Kor 7:29).
  2. Obwohl die Taufe für ihn etwas ganz Wichtiges ist, nimmt er sich kaum die Zeit dafür, wie er selb­st aus­führt im 1Kor 1:14: «Ich danke Gott, dass ich nie­mand von euch getauft habe, auss­er Kris­pus und Gajus; so kann doch nie­mand sagen, ihr sei­et auf meinen Namen getauft! Ich habe aber auch das Haus des Stephanas getauft. Son­st weiß ich nicht, ob ich noch jemand getauft habe; denn Chris­tus hat mich nicht gesandt zu taufen, son­dern das Evan­geli­um zu verkündigen.»
  3. Die Gesellschaft­sor­d­nung lässt er ste­hen, obwohl er im Blick auf z.B. die Sklaverei dur­chaus die Gemein­den ermutigt (Phile­mon) hier einen neuen Kurs einzuschla­gen. Aber er fordert die Sklaven auf, treue Sklaven zu bleiben, auch wenn sie im Her­rn frei gewor­den sind. Kol 3:22 zeigt dies deut­lich: «Ihr Knechte, gehorchet in allen Din­gen euren leib­lichen Her­ren, nicht mit Augen­di­enerei, um den Men­schen zu gefall­en, son­dern in Ein­falt des Herzens, als solche, die den Her­rn fürcht­en.» (siehe auch Eph 6:5, 1Petr 2:18, etc.). In 1Tim 6:1 bringt er den Gehor­sam der Sklaven direkt mit der Ver­lästerung des Evan­geli­ums zusam­men: «Alle, welche Sklaven unter dem Joch sind, sollen ihre eige­nen Her­ren aller Ehre würdig acht­en, auf dass nicht der Name Gottes und die Lehre ver­lästert werde.»
  4. Daher wird er auch den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche und erwartet dies auch von seinen Mitar­beit­ern. Deshalb lässt er den Tim­o­theus beschnei­den (Apg 16:3) und geht auf ein Gelübde ein (Apg 21:24).

Diesem Auf­trag ord­net Paulus auch die Gemein­de­ord­nung unter. Für Paulus zählt eigentlich alles Nichts, wenn es um das Evan­geli­um geht, sog­ar seine eigene Herkun­ft beze­ich­net er als Kot, obwohl er darauf doch echt stolz hätte sein kön­nen (Phil 3:8). Umgekehrt kann man auch sagen alles zählt, wenn es darum geht, der Ver­lästerung des Evan­geli­ums unter den Hei­den durch irgen­deine Hand­lung in der Gemeinde keinen Vorschub zu leisten.

Wir betra­cht­en das hier aber nur im Blick auf die Frau in der Gemeinde. Obwohl er Frauen in sein­er Mitar­beit­er­schaft hat, und sie grüsst an etlichen Stellen in den Briefen, geht er doch auch hier Konzes­sio­nen ein, um der Verkündi­gung des Evan­geli­ums Willen. Wir müssen die Stellen, wo er den Frauen schein­bar oder je nach Ausle­gung auch ziem­lich klar etwas ver­bi­etet, nicht abweisen unter dem Vor­wand, das war damals halt so und ist heute nicht mehr so. Son­dern wir müssen es viel mehr als eine Konzes­sion — wider besseres Wis­sen – an den Zeitgeist/die Kul­tur betra­cht­en. Paulus nimmt bewusst auf diese Sit­ten Rück­sicht, damit das Evan­geli­um nicht ver­lästert wird. Schauen wir die Aus­sagen des Paulus unter diesem Schlüs­sel an.

Paulus will die Frauen förm­lich gewin­nen für die Arbeit am Evan­geli­um, darum ruft er sie auf ledig zu bleiben, damit sie sich ganz der Arbeit am Evan­geli­um hingeben kön­nen (1Kor 7:34). Er freut sich über die Haus­ge­mein­den bei Lydia (Apg 16) und Nympha (Kol 4:15). Er betont, dass die Frauen auch ler­nen sollen, ein­fach Zuhause, bis sie in der Gemeinde mitre­den, respek­tive mit­beten und weis­sagen kön­nen (1Kor 11:5). Er übergibt seine bedeu­tend­ste Schrift ein­er Diakonos (Phoebe), um sie nach Rom zu brin­gen und dort vorzule­sen, sozusagen als seine Botschaf­terin. Er grüsst die Apos­telin Junia und seine Mite­van­ge­listin­nen Tryphä­na, Tryphosa, Per­sis, (alle Römer 16), aber auch die Euo­dia und Syn­ty­che (Phil 4:2–3).

Er will aber nicht, dass sich die Dinge in der Gemeinde so verän­dern, dass dadurch die Hei­den abgeschreckt wer­den. Darum ist er zurück­hal­tend, wenn es um die Leitung in den Gemein­den geht. Er will nicht, dass die Umge­bung das Gefühl hat, in den Gemein­den der Chris­ten herrschen die Frauen (1Tim 2:12)[23]. Er will über­haupt nicht, dass in den Gemein­den jemand allein herrscht: Chris­tus ist das Haupt! Ja, Chris­tus ist der einzige Meis­ter in der Gemeinde: «Und ihr sollt euch nicht lassen Meis­ter nen­nen; denn ein­er ist euer Meis­ter, Chris­tus (Mat 23:10).» Daher hat Paulus immer Gremien einge­set­zt und nicht eine einzelne Person.

Die Ziel­rich­tung bei Paulus ist auch im Blick auf das Miteinan­der der Geschlechter klar. Er bewegt sich zwar in Worten, die gut in die Sit­ten der Zeit hinein­passen, aber er kor­rigiert diese deut­lich, indem er den Män­nern die Liebe Christi als Vor­bild der Liebe des Mannes zur Frau aufträgt (Eph 5:25). Das sagt eigentlich schon alles.[24]

Faz­it:

  • Paulus in diesem Bere­ich unter dem Hor­i­zont der dringlichen Evan­geli­umsverkündi­gung lesen – das ist sein Ziel, dem er fast alles unterordnet.
  • Paulus unter dem Hor­i­zont der Bere­itschaft kul­turelle Konzes­sio­nen zumachen verstehen.
  • Paulus im Wis­sen lesen, dass er das AT sich­er nicht korrigieren/in Frage stellen will, son­dern dass ihn die AT Anthro­polo­gie trägt und ihn zu sehr egal­itären Aus­sagen führt.
  • Der sich­er­ste Ansatz, Paulus richtig zu ver­ste­hen in diesen Fra­gen, ist es immer bei Jesus vor­beizuschauen. Das ist die Ziel­rich­tung des Paulus.
  • Unter dem Hor­i­zont von 1Kor 13, der für Paulus den höch­sten Weg darstellt, soll­ten wir gabenori­en­tiert in Fam­i­lie und Gemeinde als in Chris­tus erlöste und befre­ite gle­ich­w­er­tige Gotte­skinder leben.

Man kann Paulus auch anders ver­ste­hen als hier beschrieben, und das tun einige. Aber, wer den Gedanken der Frei­heit des Evan­geli­ums ver­standen hat, wer die frische Luft des Evan­geli­ums geschnup­pert hat und erken­nt, dass hier stein­erne Herzen weich (Hes­ekiel), die Herzen der Gen­er­a­tio­nen ver­söh­nt (Maleachi) und die Fallgestalt von Gen­e­sis 3 aufge­hoben wird, der will nicht mehr zurück: In der Ehe nicht und in der Gemeinde nicht. Denn in der Frei­heit des Evan­geli­ums achtet man sich gegen­seit­ig höher, ist die Liebe untere­inan­der Marken­ze­ichen, freut man sich am Wohl des andern und respek­tiert die Gaben, die Gott allen gegeben hat zum Wohl sein­er Gemeinde und zum Bau seines Reiches.

Denn, wenn wir in dieser Art miteinan­der umge­hen, wird genau das sicht­bar, was Paulus so am Herzen lag und von dem er wusste, dass es sein Meis­ter will:

Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einan­der liebt; dass, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einan­der liebt. Daran wird jed­er­mann erken­nen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untere­inan­der habt. (Joh 13:34–35)

Thesen

These 1: Die Ver­drän­gung der Frauen aus den noch im NT sicht­baren Ämtern hat das all­ge­meine Priester­tum unter­graben und einen grossen Teil der Gemeinde an der weit­eren Arbeit im Reich Gottes gehin­dert. Ist dadurch nicht viel Segen ver­hin­dert wor­den? Durch das all­ge­meine Priester­tum, das ger­ade bei Petrus dem ganzen Volk der Chris­ten zuge­sprochen wird (Apg 2:14 und fol­gende; 1Petr 2:9) und z.B. auch dem Bild der Gemeinde als Leib Christi (1Kor 12:12 und fol­gende) bei Paulus entspricht, ist nicht mehr der Mann Repräsen­tant Christi, son­dern die Gemeinde. Das Schweigege­bot der Frauen war damals Sitte. Paulus forderte dies, damit das Evan­geli­um nicht gelästert wird. Heute ist dies aber keine Sitte mehr und wir soll­ten uns über­legen, ob wir Paulus nicht kor­rek­ter ver­ste­hen, wenn wir uns hier – wie er damals – den Sit­ten anpassen wür­den in dieser Frage. Paulus würde heute sagen: Damit das Evan­geli­um nicht gelästert wird, sollen alle – Frauen und Män­ner ganz egal­itär und in allen Bere­ichen – ihre Gaben zum Bau der Gemeinde ein­set­zen?![25]

These 2: Die Auf­gabe der Gemein­deleitung sollte nicht in der Hand ein­er einzel­nen Per­son liegen, son­dern eines Gremi­ums. Die Auf­gabe der Verkündi­gung aber darf unter der Auf­sicht des lei­t­en­den Gremi­ums von ver­schiede­nen Men­schen wahrgenom­men werden.

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Fuss­noten:
[1] Ute Eisen, Hand­out am Sym­po­sium “Geh und verkündi­ge. Frauen in ‘Ämtern’ in der frühen Kirche” vom 27. Sep­tem­ber 2008 in Frank­furt a. M., S. 1. Ähn­lich über­set­zt auch Ulrich Wen­del, Priska, Junia & Co. Über­raschende Ein­sicht­en über Frauen im Neuen Tes­ta­ment, Giessen 2003, S. 27.
[2] Vgl. Anni Hentschel, Gemeinde, Ämter, Dien­ste. Per­spek­tiv­en zur neutes­ta­mentlichen Ekkle­si­olo­gie, Neukirchen-Vluyn 2013, S. 229
[3] Ebd., S. 229.
[4] Ger­hard Barth, Der Brief an die Philip­per, Zürcher Bibelkom­mentare NT (Bd. 9), Zürich 1979, S. 16.
[5] C. Plin­ius Cae­cil­ius Secun­dus. Briefe, über­set­zt von Ernst Klussmann und Dr. Wil­helm Binder, 3. Band, 8. ‑10. Buch, Stuttgart 1869, S. 138.
[6] Ache­lis, Hans, die ältesten Quellen des ori­en­tal­is­chen Kirchen­rechts. Die syrische Didaskalia, Leipzig, 1904, S. 45.
[7] PG 60/669f. Auch Ori­genes (185 – 253) und Hierony­mus (340–419) bezeu­gen, dass Junia weib­lich war.
[8] Eisen, Amt­strägerin­nen, S. 33.
[9] Wen­del, Priska, Junia & Co., S. 83.
[10] Ebd., S. 87.
[11] Vgl. Eisen, Amt­strägerin­nen, S. 33–34.
[12] Die syrische Didaskalia über­set­zt und erk­lärt von Hans Ache­lis und Johs. Flem­ming in: Die ältesten Quellen des ori­en­tal­is­chen Kirchen­rechts, Band 2, Leipzig 1904, S. 281.
[13] Chris­tiane Müller, Das Amt der Diakonin in der ersten fünfhun­dert Jahren der Kirchengeschichte, Ham­burg 2012, S. 61.
[14] Eisen, Amt­strägerin­nen, S. 191.
[15] Hierony­mus, Com­men­tar­ius in Epis­tu­lam Pauli ad Titum 1,5.
[16] Ute Gause, Calvin und Calvin­is­mus ein gegen­dert­er Blick in: Trau­gott Jäh­nichen, Thomas K. Kuhn, Arno Lohmann (Hg.), Zei­tansage. Calvin ent­deck­en Wirkungs­geschichte – The­olo­gie – Sozialethik (Bde. 6), Berlin 2011, S. 47.
[17] Vgl. «Frauen auf der Kanzel — Frauenor­di­na­tion und Frauenp­far­ramt in den reformierten Kirchen der Schweiz» von Pierre Aerne, Zürich 2017.
[18] Cather­ine Booth, Das Recht der Frau zu predi­gen, Lon­don 1859, dt. Köln 2000.
[19] Vgl. Rain­er Her­ing, Frauen auf der Kanzel? Die Auseinan­der­set­zun­gen um Frauenor­di­na­tion und Gle­ich­berech­ti­gung der The­ologin­nen in der Ham­burg­er Lan­deskirche, in: Rain­er Her­ing und Maria Jepsen (Hg.), Kirch­liche Zeit­geschichte (20. Jahrhun­dert), in: Ham­bur­gis­che Kirchengeschichte in Auf­sätzen Teil 5, Ham­burg 2008, S. 135. Sehr lesenswert zum The­ma des Amtes und der Ordi­na­tion ist das Buch von Wil­fried Här­le, Von Chris­tus berufen. Ein bib­lis­ches Plä­doy­er für Ordi­na­tion und Priester­wei­he von Frauen, Leipzig/Paderborn 2017.
[20] Cather­ine Klark Croeger war Alt­philolo­gin und Neutes­ta­ment­lerin. Sie lehrte in den USA an ver­schiede­nen the­ol­o­gis­chen Hochschulen und war Grün­dungsmit­glied in mehreren Insti­tu­tio­nen, die sich für die Rechte der Frauen in den USA ein­set­zte. Ihr Buch, das sie gemein­sam mit ihrem Mann geschrieben hat­te, wurde sehr kon­tro­vers aufgenom­men und erhielt teil­weise heftige Kritik.
[21] Plutarch (45–125 n.Chr.), der in vie­len Bere­ichen des sozialen Lebens eigentlich recht fortschrit­tlich dachte, zeigt hier deut­lich auf, dass Schweigen nicht eine paulin­is­che Sitte, son­dern eine all­ge­meine Sitte war. Plutarch, Drei Reli­gion­sphilosophis­che Schriften:  Über den Aber­glauben, über die späte Strafe der Got­theit, über Isis und Osiris, griechisch-deutsch über­set­zt und her­aus­gegeben von Her­wig Görge­manns, Düs­sel­dorf 22009, S. 263.
[22] Heinzpeter Hempel­mann, Gottes Ord­nun­gen zum Leben. Die Stel­lung der Frau in der Gemeinde, Ammer­buch 1997, S. 35–46.
[23] Der Begriff «herrschen» wird im ganzen NT über­haupt nur hier gebraucht. Paulus wäre es ein leicht­es gewe­sen, dies an ander­er Stelle (oder hier) bewusst in Bezug auf die Män­ner zu schreiben. Tut er aber nicht.
[24] Dieser Text will nicht die Beziehung der Geschlechter zueinan­der weit­er disku­tieren. Dazu fehlt der Raum. Deut­lich ist aber, dass Paulus die Ver­ant­wor­tung der Män­ner für ihre Fam­i­lie her­vorhebt und die in der Antike so oft fehlende Liebe der Män­ner zu den eige­nen Frauen fordert. Nimmt man Paulus in der Tiefe ernst, sieht man bei ihm deut­lich, dass die Liebe in jed­er Ehe der Massstab sein soll für das Miteinan­der. Und zwar die Liebe, die sich in gegen­seit­iger liebevoller Unterord­nung ausze­ich­net. Schaut man die Verse über die Ehe bei Paulus aus diesem Blick­winkel an, stellt man fest, dass er den Frauen eigentlich nur das damals kul­turell «Nor­male» zus­pricht und fordert. Die Män­ner aber wer­den zu ein­er Liebe zu ihren Ehe­frauen aufge­fordert, die nicht üblich war, denn die Ehe­frau war für den erb­berechtigten Nach­wuchs und nicht für die ehe­liche Liebe und Treue da. Für ihre sex­uellen und roman­tis­chen Aben­teuer hat­ten sie Pros­ti­tu­ierte, Mätressen und Lustknaben.

[25] Von ein­er etwas anderen Argu­men­ta­tion­slin­ie her – aber im Prinzip ähn­lich – argu­men­tiert Nor­bert Baumert in Frau und Mann bei Paulus. Über­win­dung eines Missver­ständ­niss­es, Würzburg, 1993 (2. Auflage). Siehe dort u.a. S. 180f. Auf S. 283 schreibt er: «Für uns aber kann sich aus dem­sel­ben Prinzip eine Fol­gerung ergeben, die dem Wort­laut zu wider­sprechen scheint. Wie aus dem Grund­satz, die Frau solle sich ver­hal­ten, wie es dem all­ge­meinen Empfind­en und der Gemein­de­ord­nung entspricht, damals fol­gte, dass sie in Entschei­dungsver­samm­lun­gen schweigen, heute aber, dass sie reden sollte, so würde aus dem Grund­satz: ‘Nehmt unter den jew­eili­gen Umstän­den den euch angemesse­nen Platz ein’, heute angesichts der Rechts­gle­ich­heit fol­gen: Ord­net euch in Frei­heit in Chris­tus ein­er dem anderen unter: der Mann der Frau und die Frau dem Mann.»

 

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