Die natürliche Familie (2/2) – Turm für unsere Zeit

Lesezeit: 12 Minuten
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by Peter Bruderer | 28. Aug. 2021 | 0 comments

Die natür­liche Fam­i­lie ist nicht nur ein Turm der Ver­gan­gen­heit, son­dern auch ein­er für Gegen­wart und Zukun­ft unser­er Gesellschaft. In einem ersten Teil dieser Serie habe ich den his­torischen Wurzeln der Fam­i­lie, ihrem Wesen, ihrer Bedeu­tung, aber auch ihrer Gefährdung nachge­spürt. In diesem Zweit­en Teil möchte ich mich mehr der Gegen­wart wid­men und den Gewinn und den Wert der Fam­i­lie für unsere Zeit ins Zen­trum stellen.

Wir leben heute mit anderen gesellschaftlichen Real­itäten als beispiel­weise vor der sex­uellen oder indus­triellen Rev­o­lu­tion. Es kann nicht darum gehen, das Rad der Zeit zurück­zu­drehen oder die Vorzeit­en zu roman­tisieren. Die gesellschaftlichen Strö­mungen der let­zten Jahrhun­derte sind auch vor dem Hin­ter­grund reeller Missstände ent­standen. Nie­mand von uns möchte auf die pos­i­tiv­en Errun­gen­schaften der Indus­tri­al­isierung verzicht­en. Und auch der Real­ität ein­er viel stärk­er frag­men­tierten Gesellschaft mit gebroch­enen famil­iären Biografien und Sit­u­a­tio­nen müssen wir uns kon­struk­tiv stellen.

Das Bun­de­samt für Sta­tis­tik der Schweiz geht für die kom­menden Jahre von einem über­pro­por­tion­al ansteigen­den Anteil an Ein- und Zweiper­so­n­en­haushal­ten aus.[1] Dies ist ein Hin­weis, das Sin­gles, alle­in­ste­hende Senioren, kinder­lose Paare oder getren­nt lebende Fam­i­lien einen weit­er­hin wach­senden Anteil an unser­er Bevölkerung bilden dürften. Ziem­lich oft sind diese Sit­u­a­tio­nen nicht selb­st­gewählt. Sin­gles hät­ten gerne einen Part­ner gefun­den, Ehep­aare hät­ten gerne Kinder gekriegt. Geschiedene hät­ten sich gewün­scht, dass ihre Beziehung nicht in die Brüche gegan­gen wäre. Es kann hier nicht Gegen­stand sein, all diese speziellen Sit­u­a­tio­nen zu unter­suchen. Es ist auch klar, dass die Welt der natür­lichen Fam­i­lien nicht per­fekt ist. Trotz­dem bin ich überzeugt, das in ihr eine starke und pos­i­tive Kraft für unsere Zeit zu find­en ist. Deshalb kommt hier mein ‚Brain­storm‘ zur Fam­i­lie in unser­er Zeit.

Biologie ist wichtig.

Es ist und bleibt am besten, wie es ‘die Natur ein­gerichtet’ hat. Kün­stliche gesellschaftliche Kon­struk­tio­nen, welche als alter­na­tive Mod­elle zur natür­lichen Fam­i­lie ins Spiel gebracht wer­den, bleiben hin­ter dem Orig­i­nal zurück, der natür­lichen Fam­i­lie beste­hend aus leib­lichen Eltern und deren gemein­samen Kindern. So stellt beispiel­sweise Allan Carl­son bezüglich dem ide­alen Umfeld für das Aufwach­sen von Kindern fest:

«Wis­senschaft, Ehrlich betrieben und ehrlich wiedergegeben, ist der Fre­und der natür­lichen Fam­i­lie. Die Bilanz von Jahrzehn­ten der Forschung in Sozi­olo­gie, Psy­cholo­gie, Anthro­polo­gie, Sozio­bi­olo­gie, Medi­zin und Sozialgeschichte ist ein­deutig: Kinder gedei­hen am besten, wenn sie bei ihren bei­den leib­lichen Eltern geboren wer­den und von ihnen aufge­zo­gen wer­den.»[2]

Biolo­gie lässt sich auch dann nicht umschreiben, wenn wir es mit Geset­zen ver­suchen. Deshalb müsste auch der ver­fas­sungsmäs­sig ver­ankerte Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf «beson­deren Schutz ihrer Unversehrt­heit und auf Förderung ihrer Entwick­lung.»[3] bedeuten, dass der Real­ität Rech­nung getra­gen wird, dass die biol­o­gis­che Fam­i­lie auch im Jahr 2021 noch der best­mögliche Ort zum Aufwach­sen eines Kindes ist. Dies entspricht auch dem ver­fas­sungsmäs­si­gen Prinzip der «Ver­ant­wor­tung gegenüber der Schöp­fung» [4]. Dass Kinder in ihrem ‘schöp­fungs­gemässen’ Umfeld der leib­lichen Eltern die besten Chan­cen haben, muss lei­t­end sein für die Fam­i­lien­poli­tik unser­er Län­der. Es kann nicht sein, dass wir Kindern von vorn­here­in die Möglichkeit ver­wehren, mit biol­o­gis­chem Vater und biol­o­gis­ch­er Mut­ter aufzuwach­sen, wie dies grad mit der aktuellen Vor­lage zur Ehe für alle geschieht[5]. Unsere Gesellschaft erspart sich viele zukün­ftige Prob­leme, wenn sie das natür­liche Prinzip von Vater und Mut­ter achtet.

Zur Biolo­gie gehört aber auch ein Respekt für die deut­lichen Unter­schiede zwis­chen den Geschlechtern. Unsere Zeit hat die Eige­nart, Unter­schiede zwis­chen den Geschlechtern zu niv­el­lieren oder gar negieren zu wollen. Doch die Unter­schiede zwis­chen den Geschlechtern sind nun mal nicht nur soziale Kon­struk­tio­nen, welche beliebig dekon­stru­iert wer­den kön­nten. Da gibt es doch klare biol­o­gis­che, phys­i­ol­o­gis­che und neu­rol­o­gis­che Unter­schiede zwis­chen den Geschlechtern.[6] Anstatt dem Androg­y­nen nachzuren­nen, soll­ten wir auch hier die Vor­gaben unser­er eige­nen Biolo­gie und Natur wieder mehr beherzten. In der Konkre­tion kön­nte das bedeuten, dass wir neu unser ‘Ja‘ find­en zur gegen­seit­i­gen Ergänzung in der Ehe, wie auch immer sich diese dann genau aus­gestal­tet und auch ein ‘Ja’  dazu, unsere Kinder ganz ohne Kitsch und Klis­chees gemäss ihren biol­o­gis­chen Merk­malen in ihrer sex­uellen Iden­tität zu stärken.

Die Freiheit der Familie schützen

Die Fam­i­lie existiert nicht für den Staat, son­dern der Staat für die Frei­heit der Fam­i­lie. Oder wie es unsere Bun­desver­fas­sung beschreibt:

«Der Staat existiert um Fam­i­lien zu schützen und ihr Wach­s­tum und ihre Integrität zu ermuti­gen.»[7]

Die Fam­i­lie ist immer wieder ein Ort, wo viele grosse und kleine Entschei­dun­gen gefällt wer­den. Sie ist der Ort, wo Werte und Ide­ale geprägt wer­den und wo Mei­n­ungs­bil­dung stat­tfind­et. Für alle, die gesellschaftlichen Ein­fluss ausüben wollen, sind deshalb Kinder und Fam­i­lie von beson­derem Inter­esse. Total­itäre Regime, von sozial­is­tis­chen bis nation­al­sozial­is­tis­chen, haben deshalb immer ein ganz beson­deres Augen­merk auf Fam­i­lie und Kinder gehabt. Wer diese prägt, dem gehört die Zukun­ft, der kann seine Macht kon­so­li­dieren. Ger­ade deshalb ist es wichtig, dass uns die Fam­i­lie als freie gesellschaftliche Ein­heit erhal­ten bleibt, denn in ihr liegt die Kraft eines gesun­den Kor­rek­tivs. Die Fam­i­lie als ‘anar­chis­che’ Insti­tu­tion’[8] ist gle­ichzeit­ig diejenige Insti­tu­tion, welche am Ende des Tages Despoten und Tyran­nen die Stirn bieten kann. Deshalb: Fam­i­lien haben ein Recht auf die Achtung ihres Pri­vat- und Fam­i­lien­lebens. Eltern haben das Recht ihre Kinder zu prä­gen. Der geschützte Raum der Fam­i­lie ist zu vertei­di­gen, weil in ihr der Same der Frei­heit wächst.

Kinder sind ein Segen.

Die weltweit­en demografis­chen Prog­nosen sprechen eine klare Sprache. Kinder wer­den in den kom­menden Jahrzehn­ten zur ‘Man­gel­ware’ mit weitre­ichen­den Fol­gen, beispiel­weise für unsere Vor­sorgeein­rich­tun­gen. In Ital­ien, diesem Land der Fam­i­lie und der Geschlechtertürme, geht man bis 2050 von einem Rück­gang der Bevölkerung um rund 6 Mil­lio­nen aus, bei gle­ichzeit­iger Erhöhung des Durch­schnit­tal­ters um 6 Jahre. [9] Die Frucht­barkeit­srate liegt mit 1,33 weit unter der zum Bevölkerungser­halt wün­schenswerten Repro­duk­tion­srate. Die Schweiz ist da noch etwas bess­er unter­wegs, aber auch bei uns wird ein Anstieg des Durch­schnit­tal­ters um rund 4 Jahre erwartet.[10] Die weltweite Frucht­barkeit hat sich in den ver­gan­genen 60 Jahren hal­biert und liegt noch bei 2,5.[11]

Angesichts dieser Fak­ten ist es völ­lig unver­ständlich, wenn man von aktuellen Forderun­gen hört, aus Grün­den des Kli­maschutzes auf Kinder zu verzicht­en.[12] Kinder sind auch im Jahre 2021 die beste Investi­tion, welche unsere Gesellschaft in ihre Zukun­ft täti­gen kann. Die besten Chan­cen zu gedei­hen haben Kinder, wenn sie bei ihren leib­lichen Eltern aufwach­sen. Deshalb ist diese Fam­i­lie ein entschei­den­der Schlüs­sel. Hier muss der Staat investieren.

Hier gilt es aber meines Eracht­ens immer wieder gut abzuwä­gen, was für For­men eine solche Fam­i­lien-Unter­stützung annimmt. So ver­weist Allan Carl­son auf eine inter­es­sante US-Studie, wonach Steuersenkun­gen für Fam­i­lien mit Kindern im Hin­blick auf die Geburten­rate wirkungsvoller sind als Kinderzu­la­gen[13]. Auf Gut-Deutsch: Steuer­abzüge ermuti­gen Paare stärk­er dazu, grössere Fam­i­lien anzus­treben. Der Grund ist möglicher­weise psy­chol­o­gis­ch­er Natur: Kinderzu­la­gen haben den Beigeschmack ein­er Abhängigkeit vom Staat, während Steuer­abzüge ten­den­ziell das Gefühl der Unab­hängigkeit und Eigen­ständigkeit stärken. In der Schweiz haben wir bei­des, Steuer­abzüge und Kinderzu­la­gen. Wichtig scheint mir: der Staat sollte bewusst und aktiv in Fam­i­lien investieren, aber möglichst auf eine Weise, welche die Eigen­ständigkeit der Fam­i­lien erhält und auch Geburten fördert. Kinderkrip­pen und Tagess­chulen helfen beispiel­sweise, die Lebenssi­t­u­a­tio­nen von Fam­i­lien zu erle­ichtern. Sie entziehen das Kind aber auch den Eltern und greifen damit ins famil­iäre Gefüge ein. Die Moti­va­tio­nen für Krip­pen liegt möglicher­weise min­destens so stark in der Förderung der weib­lichen Autonomie als in der Schaf­fung von Ent­las­tung für Familien.

Der His­torik­er und Fam­i­lien­forsch­er Allan Carl­son war unter anderem für Ronald Rea­gan tätig.

Ger­ade wenn wir unser Leben aus ein­er christlichen Moti­va­tion her­aus leben, soll­ten wir Kinder in unser­er Mitte – also auch in unseren Ehe­beziehun­gen – her­zlich willkom­men heis­sen. «Kinder sind ein Segen», heisst es doch in der Bibel, sie sind wie ein «Köch­er voller wertvoller Pfeile»[14]. Und: «Seid frucht­bar und mehret euch!»[15]. Kinder her­zlich willkom­men zu heis­sen kön­nte bedeuten, dass wir neu über das stetig ansteigende Heirat­salter nach­denken. Nur schon über das ver­gan­gene Jahrzehnt ist in der Schweiz das durch­schnit­tliche Heirat­salter um ein weit­eres Jahr angestiegen und liegt mit­tler­weile bei über 32 (Män­ner) respek­tive über 30 (Frauen)[16]. Der nach der Heirat verbleibende Zeitraum der weib­lichen Frucht­barkeit verklein­ert sich immer mehr und definiert Grenzen.

Kinder her­zlich willkom­men zu heis­sen kann auch bedeuten, dass wir neu über Ver­hü­tung und Fam­i­lien­pla­nung nach­denken. Die evan­ge­likale Gemein­schaft hat sich, anders als die Katholis­che Kirche, in den 60er Jahren des ver­gan­genen Jahrhun­derts zu ein­er pos­i­tiv­en Hal­tung in der Frage der kün­stlichen Geburten­regelung durchgerun­gen. Die neue Devise lautete: «Seid frucht­bar und mehret euch — solange es in die Leben­s­pla­nung passt.» So hat meine Gen­er­a­tion das auch in etwa gelebt. Doch etwas in mir sagt: Da kön­nte schon auch ein neues Nach­denken ein­set­zen. Wir kri­tisieren beispiel­sweise gerne und ich finde zurecht gle­ichgeschlechtliche Paare, die sich ein Kind ‘bestellen’ wollen. Doch sind wir dabei nicht ein Stück­weit von der gle­ichen Men­tal­ität bes­timmt, wenn wir unsere Kinder ‘pla­nen’? Wie ‘offen’ sind wir wirk­lich für Kinder? Glauben wir wirk­lich, dass sie ein Segen sind? Möcht­en wir diesem Segen Gren­zen set­zen? Für meine Gen­er­a­tion ist in Fra­gen der Repro­duk­tion ‘der Zug abge­fahren’, aber wir kön­nen mit­prä­gen, wie freudig die näch­ste Gen­er­a­tion Kinder willkom­men heisst.

Ich hoffe auch inständig, dass es in der Frage der Abtrei­bung zu ein­er Zeit­en­wende kommt. Die doku­men­tierte Zahl von Schwanger­schaftsab­brüchen in der Schweiz lag 2020 bei 11’000 Babys. Das ist die Ein­wohn­erzahl ein­er Kle­in­stadt wie Wein­felden. In Deutsch­land liegt diese Zahl bei 100’000 – das ist deut­lich mehr als die Ein­wohn­erzahl von Kon­stanz. Was gibt denn eine Gesellschaft für Sig­nale, wenn sie das Töten unge­bore­nen Lebens als Selb­stver­ständlichkeit hin­nimmt, zum Men­schen­recht erk­lärt[17], Men­schen die sich für das unge­borene Leben ein­set­zen mit Spot bedi­ent, ihnen gar unrecht­mäs­sige Hür­den in den Weg legt?[18] Eine solche Gesellschaft soll bitte nicht jam­mern, wenn ihre ganze Demogra­phie aus den Fugen gerät. Liebes Bun­de­samt für Gesund­heit, warum nicht mal anstatt Kam­pag­nen für Mas­tur­ba­tion[19] und Präser­v­a­tive[20] eine Kam­pagne FÜR das Leben und FÜR die Fam­i­lie finanzieren? Ihr hät­tet dabei in der Per­son von Hor­a­tio Robin­son Stor­er (1830–1922), dem Grün­der der ersten weltweit ersten gynäkol­o­gis­chen Fachge­sellschaft ein grossar­tiges Vor­bild. Stor­er, der unter anderem die weltweit erste Kaiser­schnitt-Oper­a­tion durch­führte, argu­men­tierte schlüs­sig: Abtrei­bung ist nicht nur ein Ver­brechen gegen das Leben des unge­bore­nen Kindes, son­dern auch gegen das Leben der schwan­geren Mut­ter, gegen das famil­iäre Umfeld und gegen das öffentliche Inter­esse.[21] Kinder als Segen zu sehen muss heis­sen, das wir uns ganz neu lei­den­schaftlich für den Schutz des Lebens einsetzen.

Hor­a­tio Robin­son Storer’s Schrift “Why Not! A Book for Every Woman.” 1865

Mehr Hochzeiten, weniger Scheidungen

Die Schei­dungs- und Heirats-Sta­tis­tik der Schweiz macht klar, dass Geburten in der Schweiz prak­tisch auss­chliesslich im Rah­men ein­er Ehe stat­tfind­en. Unver­heiratete wollen keine Kinder. Geschiedene auch nicht[22]. Schei­dun­gen schaf­fen zudem jährlich 12’000 unmündi­ge Kinder mit geschiede­nen Eltern – schon wieder eine Schweiz­er Kle­in­stadt wie Wein­felden. Es ist auch kein Geheim­nis, dass Kinder geschieden­er Eltern selb­st wieder ein­er grösseren Schei­dungswahrschein­lichkeit aus­ge­set­zt sind.[23] Unsere Gesellschaft hätte also allen Grund, Heirat­en zu begrüssen und Schei­dun­gen zu ver­mei­den. Ich plädiere dafür, dass der Staat uns Bürg­ern die Schei­dung nicht zu ein­fach machen sollte, dafür dur­chaus noch mehr Anreize zur Heirat geben könnte.

Zum einen gibt es reelle finanzielle Aspek­te. In der Schweiz ist das The­ma ‘Heiratsstrafe’ beispiel­sweise immer noch aktuell, und für geschiedene oder ver­witwete Per­so­n­en bedeutet eine Heirat unter Umstän­den eine mas­sive Ver­schlechterung der finanziellen Sit­u­a­tion (weg­fal­l­ende Unter­halt­szahlun­gen oder Renten). Wenn unsere Gesellschaft für Heirat und Ehe ist, kön­nte sie nach Wegen suchen, solche finanziellen Aspek­te Ehe-fre­undlich­er zu regeln?

Im Bere­ich des Schei­dungsrecht­es scheinen die ver­gan­gen Jahrzehnte nur Erle­ichterun­gen gebracht zu haben. Es bedarf kein­er Angabe von Grün­den mehr, um eine Schei­dung zu erwirken[24]. Das wirkt auf mich schon ziem­lich nach ‘Laiss­er-faire’. Wäre es nicht im Inter­esse unser­er Gesellschaft, da höhere Hür­den zu schaf­fen und aktive Wege zu suchen, wie Ehen vielle­icht doch gerettet wer­den kön­nten? Ger­ade in mein­er Teilzeit­tätigkeit in der Immo­bilien­branche begeg­ne ich immer wieder Per­so­n­en in akuten Tren­nungssi­t­u­a­tio­nen. Das sind diejeni­gen Miet­inter­essen­ten, die ganz schnell eine möglichst gün­stige Woh­nung suchen. Die finanziellen Belas­tun­gen, welche Schei­dun­gen mit sich brin­gen, sind enorm und treiben so Manchen in die Verzweiflung.

Die Fach­welt, welche in den 70ern noch die neg­a­tiv­en Auswirkun­gen von Schei­dung auf Kinder verneinte (Buch: the Courage to Divorce, 1974), musste nach Langzeit­stu­di­en ihre Mei­n­ung rev­i­dieren (Buch: The unex­pect­ed Lega­cy of Divorce, 2000)

Ein Blick in meinen eige­nen erweit­erten Fre­un­deskreis macht klar: in den meis­ten Fällen sind Affären der Grund für Schei­dun­gen. Der Mann, der seine Hände nicht von attrak­tiv­en Frauen lassen kann und sich trotz geringer Sta­mi­na immer wieder in bren­zlige Sit­u­a­tio­nen beg­ibt, in denen er nicht beste­hen wird. Die Frau, die neue Roman­tik bei einem hüb­scheren, gebilde­teren, aben­teuer­licheren oder reicheren Mann sucht, der möglicher­weise nur ein kör­per­lich­es Inter­esse an ihr hat. Die ver­heerende Wirkung gebroch­en­er Beziehun­gen sehe ich rund um mich herum. Ich erschrecke über die Anzahl Ehen, welche auch in meinem christlich geprägten Fre­un­deskreis in die Brüche gehen. Mit ‘den Bach runter’ gehen oft langjährige Fre­und­schaften. Wir leben unsere Frei­heit auf Kosten der kom­menden Gen­er­a­tion aus.

Es geht mir keines­falls darum, mit dem Mah­n­fin­ger auf Men­schen zu zeigen. Wir sind alle Gefährdete. Ich frage mich aber, wie wir einan­der noch mehr unter­stützen kön­nten. Dür­fen wir einan­der, zum Beispiel als Män­ner, noch mehr gegen­seit­ig in die Pflicht nehmen, auf unsere Ver­sprechen hin­weisen, vor bren­zli­gen Sit­u­a­tio­nen war­nen? Würde uns im Kampf, zum Beispiel gegen die zer­störerische Pornogra­phie, ein biss­chen mehr per­sön­lich­er und gesellschaftlich­er ‘Com­stock­ism[25] gut­tun? Vielle­icht kann uns auch Pitir­im Sorokin mit seinem Konzept der ‘Totale-Liebe’ anstelle der reinen ‘Sex-Liebe’ weit­er­helfen? Jeden­falls wün­sche ich uns allen Gnade Gottes und auch mal die nötige Kon­se­quenz, um in unseren anspruchsvollen und kom­plex­en Leben­sre­al­itäten einan­der treu zu bleiben. Es ist auf jeden Fall der bessere Weg.

Antho­ny Com­stock prägte in den USA im Über­gang vom 19. zum 20. Jahrhun­dert das Ver­bot, pornografis­ches Mate­r­i­al über die Post zu versenden.

Ein ganzheitliches Ökosystem.

Wir leben oft eine reduzierte Sicht von Fam­i­lie. Unser All­t­ag ist seg­men­tiert: Hier die Arbeit, da die Fam­i­lie. Hier die Schule, da die Freizeit. Hier der Ver­di­enst, dort die Aus­gaben. Hier die Kirche, da der All­t­ag. Hier die Grossel­tern, da die Grosskinder.  Es gäbe viel zu gewin­nen, wenn wir über Fam­i­lie als ganzheitlich­es Ökosys­tem nach­denken wür­den. Die pos­i­tiv­en Wirkun­gen der Fam­i­lie in viele Bere­iche des Lebens hinein sind ein­deutig. Gemäss den Forschun­gen von Allan Carl­son bewirken natür­liche Fam­i­lien unter anderem bessere Gesund­heit, stärkere Wis­sensver­mehrung, bessere Kar­ri­erechan­cen für die Kinder, län­geres Leben, grösseren Wohl­stand, erhöhte men­tale Gesund­heit und erhöhte Sicher­heit.[26] Die natür­liche Fam­i­lie hat auch einen Beitrag in der religiösen Befriedung von mul­ti­kul­turellen Gesellschaften.[27] Wie die Unter­suchun­gen von Pio­nieren wie Fréder­ic Le Play oder Pitir­im Sorokin aufzeigen, haben Fam­i­lien ihre grösste Wirkkraft, wenn sie sich als gen­er­a­tio­nenüber­greifend­es, inte­gri­ertes, lokales Ökosys­tem aus­bilden können.

Warum also kön­nte der Arbeit­splatz nicht auch bei der Fam­i­lie sein (z.B. Home Office), oder zumin­d­est ganz in der Nähe? Das ist ökol­o­gis­ch­er, kann die pro­duk­tive Zeit oder auch die famil­iäre Freizeit erhöhen und gibt den Kids mehr Ein­blicke ins Berufsleben.

Warum nicht über Freizeit mit Bil­dungscharak­ter nach­denken (ich meine damit nicht ein­fach Galileo)? Wir haben beispiel­sweise als Fam­i­lie ange­fan­gen, ein­mal im Jahr eine europäis­che Stadt zu besuchen. In Lon­don haben wir über die Queen was gel­ernt, in Berlin über den Mauer­bau, in Paris über die Franzö­sis­che Revolution…

Warum nicht Ver­mö­gen und Ver­di­enst zusam­men­le­gen und ein Fam­i­lienun­ternehmen grün­den? Fam­i­lienge­führte Fir­men schaf­fen es oft, Tra­di­tion und Inno­va­tion auf gute Weise zu verbinden. Sie sind in aller Regel gegenüber ihren Mitar­beit­ern sozialer eingestellt, sie sind weniger auf schnellen Gewinn aus­gerichtet son­dern denken und investieren langfristig. Sie sind mehr als andere daran inter­essiert, dass nach­fol­gende Gen­er­a­tio­nen gefördert und aus­ge­bildet wer­den und vieles mehr.[28]

Warum nicht mit drei Gen­er­a­tio­nen unter dem gle­ichen Dach leben, oder zumin­d­est in unmit­tel­bar­er Nähe zueinan­der? Für alle drei Gen­er­a­tio­nen kann dies von grossem Gewinn sein. Grossel­tern kön­nen wertvolle Lebenser­fahrung ihren Grosskindern ver­mit­teln und Eltern ent­las­ten, was dur­chaus für sie selb­st sinns­tif­tend ist. Kinder erhal­ten einen Bezug zur älteren Gen­er­a­tion und ler­nen beispiel­sweise Rück­sicht zu nehmen. Eltern kön­nen ihren Eltern unkom­plizierte Unter­stützung im Alter geben. Anders gesagt: der Wis­senstrans­fer gelingt, Geld wird ges­part, Sinn wird gespendet, Charak­ter wird gebildet.

Als Per­son, welche sowohl Jugend­camps mit 600 Teil­nehmern[29] als auch gen­er­a­tio­nenüber­greifende Ferien mit 1800 Teil­nehmern[30] ver­ant­wortet hat, kann ich die Vorzüge gen­er­a­tio­nenüber­greifend­en Arbeit­ens nur bestäti­gen. Gen­er­a­tio­nenüber­greifende Set­tings helfen, eine befriedete und famil­iäre Atmo­sphäre mit gelebter Rück­sicht­nahme zu schaf­fen und ermöglichen organ­is­chere Führung­sprozesse. Auch im kirch­lichen Bere­ich ist man sich zunehmend bewusst, dass das Glaubensleben nicht ein­fach Sache der Kirche sein darf, son­dern die Fam­i­lie aktiv in der Ver­mit­tlung von Glaubensin­hal­ten einge­bun­den wer­den muss. [31]

Lokale famil­iäre Ökosys­teme schaf­fen auch eher Raum für Men­schen in Not. Sie kön­nen auch für Alle­in­ste­hende oder kinder­lose Ehep­aare eine sinns­tif­tende und inte­gri­erende Wirkung haben. Sie kön­nen den Raum auf­s­pan­nen für gelin­gende Adop­tio­nen oder Pflegesituationen.

Fazit

Das gen­er­a­tio­nenüber­greifende famil­iäre Ökosys­tem schafft genau das, was unsere Bun­desver­fas­sung sich fürs Schweiz­er Volk wün­scht, näm­lich ein «Bewusst­sein der gemein­samen Errun­gen­schaften» und die  «Ver­ant­wor­tungsüber­nahme gegen­über den kün­fti­gen Gen­er­a­tio­nen»[32]

«Die Stärke des Vol­kes misst sich am Wohl der Schwachen»[33], heisst es auch. Vielle­icht sollte dieses berechtigte Anliegen uns motivieren, zukün­ftig noch mehr unser Augen­merk auf die natür­liche Fam­i­lie zu richt­en. Denn wie es Allan Carl­son sagen würde: Die natür­liche Fam­i­lie ist ein Schlüs­sel zur Fülle des Lebens. Sie bewirkt, was kein anderes Organ­i­sa­tion­sprinzip bewirken kann: sie macht alles um sie herum bess­er. [34]

Es ist klar, dass jede Fam­i­lie Gren­zen hat und dass die Idee eines famil­iären Ökosys­tems gemäss organ­is­chen Vor­gaben organ­isatorisch ver­schieden gestal­tet wer­den muss. Trotz­dem sehe ich in ihr ein gross­es Poten­tial für eine sozialere, ökol­o­gis­chere und nach­haltigere Gesellschaft, welche nicht ein­fach am Tropf der grossen ‘Mul­tis’ hängt.

Es ist auch klar, dass Fam­i­lie nicht nur Son­nen­schein bedeutet, son­dern Ver­let­zun­gen und ‘Auszuhal­tendes’ mit sich bringt. Vielle­icht ist aber genau das Ja-Sagen zum Unper­fek­ten eine der besten Lek­tio­nen, welche wir der Fam­i­lie ler­nen kön­nen. Als ich diese Woche meinen Sohn gefragt habe, was ihm an der Fam­i­lie wertvoll ist, meinte er: «Dass wir zusammenhalten.»

Ich bin mir bewusst, dass ich in diesem Artikel die einzel­nen The­men nur ‘andisku­tieren’ kon­nte; dass es noch weit­ere wichtige Fragestel­lun­gen gibt und dass mir auch fach­lich Gren­zen geset­zt sind.  Ich habe mir trotz­dem erlaubt, freimütig zu schreiben in der Hoff­nung, dadurch Anstösse zu Gesprächen und zum Wei­t­er­denken zu geben. Dazu kann unser span­nen­des Inter­view mit Dr. Allan Carl­son nüt­zlich sein:

 

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Zum ersten Teil der Serie:
Die natür­liche Fam­i­lie (1/2) – Turm alter Zeit

Bilder:
Titel­bild: iStock
Weit­ere Bilder: Peter Bruderer

Fuss­noten:
[1] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/zukuenftige-entwicklung/haushaltsszenarien.html
[2] Allan C. Carl­son, Paul T. Mero, The nat­ur­al Fam­i­ly [a man­i­festo], 2007, S 22
[3] «Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf beson­deren Schutz ihrer Unversehrt­heit und auf Förderung ihrer Entwicklung.»
[4] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[5] https://danieloption.ch/featured/kinder-fuer-alle/
[6] Vgl. z.B. Steven E. Rhoads, Tak­ing Sex Dif­fer­ences seri­ous­ly, 2005
[7] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[8] G.K. Chester­ton, What’s wrong With the World, 1910, S50
[9] https://www.worldometers.info/world-population/italy-population/
[10] https://www.worldometers.info/world-population/switzerland-population/
[11] https://en.wikipedia.org/wiki/Total_fertility_rate
[12] Die aktuelle Geburtsstreik-Bewe­gung begrün­det den Verzicht auf Kinder mit dem Umwelt- und Kli­maschutz. Vgl. zum Beispiel: https://www.nzz.ch/wochenende/das-klima-zu-schuetzen-heisst-fuer-sie-keine-kinder-zu-haben-ld.1487205?reduced=true
[13] https://read.dukeupress.edu/demography/article/29/2/215/171160/Taxes-and-the-Family-The-impact-of-the-tax
[14] Ps 127:3–5
[15] 1Mo 1 :22, 1Mo 1 :28, 1Mo 9:1, 1Mo 9:7
[16] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/594410/umfrage/heiratsalter-von-maennern-und-frauen-in-der-schweiz/
[17] https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/matic-bericht-ein-angriff-auf-die-menschenrechte;art315,219253
[18] https://www.tagesanzeiger.ch/streit-geht-weiter-marsch-fuers-laebe-wieder-erlaubt-340687572979
[19] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20204651
[20] https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/kampagnen/lovelife.html
[21] Hor­a­tio Robin­son Stor­er, “Why Not! A Book for Every Woman.”, 1865, S79
[22] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/heiraten-eingetragene-partnerschaften-scheidungen/scheidungshaeufigkeit.html
.[23] https://www.tagesspiegel.de/themen/gesundheit/kinder-geschiedener-eltern-trennen-sich-auch-selbst-haeufiger/88490.html
[24] https://www.beobachter.ch/familie/trennung-scheidung/scheidung-wie-gehts-am-schnellsten
[25] Der Begriff hat seinen Ursprung in der Per­son von Antho­ny Com­stock. Dieser prägte in den USA im Über­gang vom 19. zum 20. Jahrhun­dert das Ver­bot, pornografis­ches Mate­r­i­al über die Post zu versenden. Das ver­gle­ich­bare Prob­lem heute heisst Inter­net­pornografie. Mehr Infor­ma­tio­nen über Com­stock: https://en.wikipedia.org/wiki/Anthony_Comstock
[26] Allen Bericht­en von famil­iär­er Gewalt und Miss­brauch zum Trotz ist die natür­liche Fam­i­lie sta­tis­tisch gese­hen der sich­er­ste Ort, sowohl für Frauen, als auch für Kinder. Vgl. Carl­son, Mero, The nat­ur­al Fam­i­ly, 2007, S157-169
[27] So gibt es beispiel­sweise einen bre­it­en Kon­sens in den monothe­is­tis­chen Reli­gio­nen (Islam, Juden­tum, Chris­ten­tum) über den Wert der natür­lichen Familie.
[28] https://www.familienunternehmen.de/nutzen-von-familienunternehmen
[29] https://www.festivalticker.de/news/springtime_festival/6354/el-campo_2010/
[30] https://chrischona.ch/termine/ferien/
[31] https://orangeleben.ch/index.php/was-bedeutet-orange-leben
[32] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[33] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[34] Allan C. Carl­son, Paul T. Mero, The nat­ur­al Fam­i­ly [a man­i­festo], 2007, S 98

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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