Die natürliche Familie ist nicht nur ein Turm der Vergangenheit, sondern auch einer für Gegenwart und Zukunft unserer Gesellschaft. In einem ersten Teil dieser Serie habe ich den historischen Wurzeln der Familie, ihrem Wesen, ihrer Bedeutung, aber auch ihrer Gefährdung nachgespürt. In diesem Zweiten Teil möchte ich mich mehr der Gegenwart widmen und den Gewinn und den Wert der Familie für unsere Zeit ins Zentrum stellen.
Wir leben heute mit anderen gesellschaftlichen Realitäten als beispielweise vor der sexuellen oder industriellen Revolution. Es kann nicht darum gehen, das Rad der Zeit zurückzudrehen oder die Vorzeiten zu romantisieren. Die gesellschaftlichen Strömungen der letzten Jahrhunderte sind auch vor dem Hintergrund reeller Missstände entstanden. Niemand von uns möchte auf die positiven Errungenschaften der Industrialisierung verzichten. Und auch der Realität einer viel stärker fragmentierten Gesellschaft mit gebrochenen familiären Biografien und Situationen müssen wir uns konstruktiv stellen.
Das Bundesamt für Statistik der Schweiz geht für die kommenden Jahre von einem überproportional ansteigenden Anteil an Ein- und Zweipersonenhaushalten aus.[1] Dies ist ein Hinweis, das Singles, alleinstehende Senioren, kinderlose Paare oder getrennt lebende Familien einen weiterhin wachsenden Anteil an unserer Bevölkerung bilden dürften. Ziemlich oft sind diese Situationen nicht selbstgewählt. Singles hätten gerne einen Partner gefunden, Ehepaare hätten gerne Kinder gekriegt. Geschiedene hätten sich gewünscht, dass ihre Beziehung nicht in die Brüche gegangen wäre. Es kann hier nicht Gegenstand sein, all diese speziellen Situationen zu untersuchen. Es ist auch klar, dass die Welt der natürlichen Familien nicht perfekt ist. Trotzdem bin ich überzeugt, das in ihr eine starke und positive Kraft für unsere Zeit zu finden ist. Deshalb kommt hier mein ‚Brainstorm‘ zur Familie in unserer Zeit.
Biologie ist wichtig.
Es ist und bleibt am besten, wie es ‘die Natur eingerichtet’ hat. Künstliche gesellschaftliche Konstruktionen, welche als alternative Modelle zur natürlichen Familie ins Spiel gebracht werden, bleiben hinter dem Original zurück, der natürlichen Familie bestehend aus leiblichen Eltern und deren gemeinsamen Kindern. So stellt beispielsweise Allan Carlson bezüglich dem idealen Umfeld für das Aufwachsen von Kindern fest:
«Wissenschaft, Ehrlich betrieben und ehrlich wiedergegeben, ist der Freund der natürlichen Familie. Die Bilanz von Jahrzehnten der Forschung in Soziologie, Psychologie, Anthropologie, Soziobiologie, Medizin und Sozialgeschichte ist eindeutig: Kinder gedeihen am besten, wenn sie bei ihren beiden leiblichen Eltern geboren werden und von ihnen aufgezogen werden.»[2]
Biologie lässt sich auch dann nicht umschreiben, wenn wir es mit Gesetzen versuchen. Deshalb müsste auch der verfassungsmässig verankerte Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf «besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.»[3] bedeuten, dass der Realität Rechnung getragen wird, dass die biologische Familie auch im Jahr 2021 noch der bestmögliche Ort zum Aufwachsen eines Kindes ist. Dies entspricht auch dem verfassungsmässigen Prinzip der «Verantwortung gegenüber der Schöpfung» [4]. Dass Kinder in ihrem ‘schöpfungsgemässen’ Umfeld der leiblichen Eltern die besten Chancen haben, muss leitend sein für die Familienpolitik unserer Länder. Es kann nicht sein, dass wir Kindern von vornherein die Möglichkeit verwehren, mit biologischem Vater und biologischer Mutter aufzuwachsen, wie dies grad mit der aktuellen Vorlage zur Ehe für alle geschieht[5]. Unsere Gesellschaft erspart sich viele zukünftige Probleme, wenn sie das natürliche Prinzip von Vater und Mutter achtet.
Zur Biologie gehört aber auch ein Respekt für die deutlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Unsere Zeit hat die Eigenart, Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu nivellieren oder gar negieren zu wollen. Doch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind nun mal nicht nur soziale Konstruktionen, welche beliebig dekonstruiert werden könnten. Da gibt es doch klare biologische, physiologische und neurologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern.[6] Anstatt dem Androgynen nachzurennen, sollten wir auch hier die Vorgaben unserer eigenen Biologie und Natur wieder mehr beherzten. In der Konkretion könnte das bedeuten, dass wir neu unser ‘Ja‘ finden zur gegenseitigen Ergänzung in der Ehe, wie auch immer sich diese dann genau ausgestaltet und auch ein ‘Ja’ dazu, unsere Kinder ganz ohne Kitsch und Klischees gemäss ihren biologischen Merkmalen in ihrer sexuellen Identität zu stärken.
Die Freiheit der Familie schützen
Die Familie existiert nicht für den Staat, sondern der Staat für die Freiheit der Familie. Oder wie es unsere Bundesverfassung beschreibt:
«Der Staat existiert um Familien zu schützen und ihr Wachstum und ihre Integrität zu ermutigen.»[7]
Die Familie ist immer wieder ein Ort, wo viele grosse und kleine Entscheidungen gefällt werden. Sie ist der Ort, wo Werte und Ideale geprägt werden und wo Meinungsbildung stattfindet. Für alle, die gesellschaftlichen Einfluss ausüben wollen, sind deshalb Kinder und Familie von besonderem Interesse. Totalitäre Regime, von sozialistischen bis nationalsozialistischen, haben deshalb immer ein ganz besonderes Augenmerk auf Familie und Kinder gehabt. Wer diese prägt, dem gehört die Zukunft, der kann seine Macht konsolidieren. Gerade deshalb ist es wichtig, dass uns die Familie als freie gesellschaftliche Einheit erhalten bleibt, denn in ihr liegt die Kraft eines gesunden Korrektivs. Die Familie als ‘anarchische’ Institution’[8] ist gleichzeitig diejenige Institution, welche am Ende des Tages Despoten und Tyrannen die Stirn bieten kann. Deshalb: Familien haben ein Recht auf die Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Eltern haben das Recht ihre Kinder zu prägen. Der geschützte Raum der Familie ist zu verteidigen, weil in ihr der Same der Freiheit wächst.
Kinder sind ein Segen.
Die weltweiten demografischen Prognosen sprechen eine klare Sprache. Kinder werden in den kommenden Jahrzehnten zur ‘Mangelware’ mit weitreichenden Folgen, beispielweise für unsere Vorsorgeeinrichtungen. In Italien, diesem Land der Familie und der Geschlechtertürme, geht man bis 2050 von einem Rückgang der Bevölkerung um rund 6 Millionen aus, bei gleichzeitiger Erhöhung des Durchschnittalters um 6 Jahre. [9] Die Fruchtbarkeitsrate liegt mit 1,33 weit unter der zum Bevölkerungserhalt wünschenswerten Reproduktionsrate. Die Schweiz ist da noch etwas besser unterwegs, aber auch bei uns wird ein Anstieg des Durchschnittalters um rund 4 Jahre erwartet.[10] Die weltweite Fruchtbarkeit hat sich in den vergangenen 60 Jahren halbiert und liegt noch bei 2,5.[11]
Angesichts dieser Fakten ist es völlig unverständlich, wenn man von aktuellen Forderungen hört, aus Gründen des Klimaschutzes auf Kinder zu verzichten.[12] Kinder sind auch im Jahre 2021 die beste Investition, welche unsere Gesellschaft in ihre Zukunft tätigen kann. Die besten Chancen zu gedeihen haben Kinder, wenn sie bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Deshalb ist diese Familie ein entscheidender Schlüssel. Hier muss der Staat investieren.
Hier gilt es aber meines Erachtens immer wieder gut abzuwägen, was für Formen eine solche Familien-Unterstützung annimmt. So verweist Allan Carlson auf eine interessante US-Studie, wonach Steuersenkungen für Familien mit Kindern im Hinblick auf die Geburtenrate wirkungsvoller sind als Kinderzulagen[13]. Auf Gut-Deutsch: Steuerabzüge ermutigen Paare stärker dazu, grössere Familien anzustreben. Der Grund ist möglicherweise psychologischer Natur: Kinderzulagen haben den Beigeschmack einer Abhängigkeit vom Staat, während Steuerabzüge tendenziell das Gefühl der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit stärken. In der Schweiz haben wir beides, Steuerabzüge und Kinderzulagen. Wichtig scheint mir: der Staat sollte bewusst und aktiv in Familien investieren, aber möglichst auf eine Weise, welche die Eigenständigkeit der Familien erhält und auch Geburten fördert. Kinderkrippen und Tagesschulen helfen beispielsweise, die Lebenssituationen von Familien zu erleichtern. Sie entziehen das Kind aber auch den Eltern und greifen damit ins familiäre Gefüge ein. Die Motivationen für Krippen liegt möglicherweise mindestens so stark in der Förderung der weiblichen Autonomie als in der Schaffung von Entlastung für Familien.
Gerade wenn wir unser Leben aus einer christlichen Motivation heraus leben, sollten wir Kinder in unserer Mitte – also auch in unseren Ehebeziehungen – herzlich willkommen heissen. «Kinder sind ein Segen», heisst es doch in der Bibel, sie sind wie ein «Köcher voller wertvoller Pfeile»[14]. Und: «Seid fruchtbar und mehret euch!»[15]. Kinder herzlich willkommen zu heissen könnte bedeuten, dass wir neu über das stetig ansteigende Heiratsalter nachdenken. Nur schon über das vergangene Jahrzehnt ist in der Schweiz das durchschnittliche Heiratsalter um ein weiteres Jahr angestiegen und liegt mittlerweile bei über 32 (Männer) respektive über 30 (Frauen)[16]. Der nach der Heirat verbleibende Zeitraum der weiblichen Fruchtbarkeit verkleinert sich immer mehr und definiert Grenzen.
Kinder herzlich willkommen zu heissen kann auch bedeuten, dass wir neu über Verhütung und Familienplanung nachdenken. Die evangelikale Gemeinschaft hat sich, anders als die Katholische Kirche, in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einer positiven Haltung in der Frage der künstlichen Geburtenregelung durchgerungen. Die neue Devise lautete: «Seid fruchtbar und mehret euch — solange es in die Lebensplanung passt.» So hat meine Generation das auch in etwa gelebt. Doch etwas in mir sagt: Da könnte schon auch ein neues Nachdenken einsetzen. Wir kritisieren beispielsweise gerne und ich finde zurecht gleichgeschlechtliche Paare, die sich ein Kind ‘bestellen’ wollen. Doch sind wir dabei nicht ein Stückweit von der gleichen Mentalität bestimmt, wenn wir unsere Kinder ‘planen’? Wie ‘offen’ sind wir wirklich für Kinder? Glauben wir wirklich, dass sie ein Segen sind? Möchten wir diesem Segen Grenzen setzen? Für meine Generation ist in Fragen der Reproduktion ‘der Zug abgefahren’, aber wir können mitprägen, wie freudig die nächste Generation Kinder willkommen heisst.
Ich hoffe auch inständig, dass es in der Frage der Abtreibung zu einer Zeitenwende kommt. Die dokumentierte Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen in der Schweiz lag 2020 bei 11’000 Babys. Das ist die Einwohnerzahl einer Kleinstadt wie Weinfelden. In Deutschland liegt diese Zahl bei 100’000 – das ist deutlich mehr als die Einwohnerzahl von Konstanz. Was gibt denn eine Gesellschaft für Signale, wenn sie das Töten ungeborenen Lebens als Selbstverständlichkeit hinnimmt, zum Menschenrecht erklärt[17], Menschen die sich für das ungeborene Leben einsetzen mit Spot bedient, ihnen gar unrechtmässige Hürden in den Weg legt?[18] Eine solche Gesellschaft soll bitte nicht jammern, wenn ihre ganze Demographie aus den Fugen gerät. Liebes Bundesamt für Gesundheit, warum nicht mal anstatt Kampagnen für Masturbation[19] und Präservative[20] eine Kampagne FÜR das Leben und FÜR die Familie finanzieren? Ihr hättet dabei in der Person von Horatio Robinson Storer (1830–1922), dem Gründer der ersten weltweit ersten gynäkologischen Fachgesellschaft ein grossartiges Vorbild. Storer, der unter anderem die weltweit erste Kaiserschnitt-Operation durchführte, argumentierte schlüssig: Abtreibung ist nicht nur ein Verbrechen gegen das Leben des ungeborenen Kindes, sondern auch gegen das Leben der schwangeren Mutter, gegen das familiäre Umfeld und gegen das öffentliche Interesse.[21] Kinder als Segen zu sehen muss heissen, das wir uns ganz neu leidenschaftlich für den Schutz des Lebens einsetzen.
Mehr Hochzeiten, weniger Scheidungen
Die Scheidungs- und Heirats-Statistik der Schweiz macht klar, dass Geburten in der Schweiz praktisch ausschliesslich im Rahmen einer Ehe stattfinden. Unverheiratete wollen keine Kinder. Geschiedene auch nicht[22]. Scheidungen schaffen zudem jährlich 12’000 unmündige Kinder mit geschiedenen Eltern – schon wieder eine Schweizer Kleinstadt wie Weinfelden. Es ist auch kein Geheimnis, dass Kinder geschiedener Eltern selbst wieder einer grösseren Scheidungswahrscheinlichkeit ausgesetzt sind.[23] Unsere Gesellschaft hätte also allen Grund, Heiraten zu begrüssen und Scheidungen zu vermeiden. Ich plädiere dafür, dass der Staat uns Bürgern die Scheidung nicht zu einfach machen sollte, dafür durchaus noch mehr Anreize zur Heirat geben könnte.
Zum einen gibt es reelle finanzielle Aspekte. In der Schweiz ist das Thema ‘Heiratsstrafe’ beispielsweise immer noch aktuell, und für geschiedene oder verwitwete Personen bedeutet eine Heirat unter Umständen eine massive Verschlechterung der finanziellen Situation (wegfallende Unterhaltszahlungen oder Renten). Wenn unsere Gesellschaft für Heirat und Ehe ist, könnte sie nach Wegen suchen, solche finanziellen Aspekte Ehe-freundlicher zu regeln?
Im Bereich des Scheidungsrechtes scheinen die vergangen Jahrzehnte nur Erleichterungen gebracht zu haben. Es bedarf keiner Angabe von Gründen mehr, um eine Scheidung zu erwirken[24]. Das wirkt auf mich schon ziemlich nach ‘Laisser-faire’. Wäre es nicht im Interesse unserer Gesellschaft, da höhere Hürden zu schaffen und aktive Wege zu suchen, wie Ehen vielleicht doch gerettet werden könnten? Gerade in meiner Teilzeittätigkeit in der Immobilienbranche begegne ich immer wieder Personen in akuten Trennungssituationen. Das sind diejenigen Mietinteressenten, die ganz schnell eine möglichst günstige Wohnung suchen. Die finanziellen Belastungen, welche Scheidungen mit sich bringen, sind enorm und treiben so Manchen in die Verzweiflung.
Ein Blick in meinen eigenen erweiterten Freundeskreis macht klar: in den meisten Fällen sind Affären der Grund für Scheidungen. Der Mann, der seine Hände nicht von attraktiven Frauen lassen kann und sich trotz geringer Stamina immer wieder in brenzlige Situationen begibt, in denen er nicht bestehen wird. Die Frau, die neue Romantik bei einem hübscheren, gebildeteren, abenteuerlicheren oder reicheren Mann sucht, der möglicherweise nur ein körperliches Interesse an ihr hat. Die verheerende Wirkung gebrochener Beziehungen sehe ich rund um mich herum. Ich erschrecke über die Anzahl Ehen, welche auch in meinem christlich geprägten Freundeskreis in die Brüche gehen. Mit ‘den Bach runter’ gehen oft langjährige Freundschaften. Wir leben unsere Freiheit auf Kosten der kommenden Generation aus.
Es geht mir keinesfalls darum, mit dem Mahnfinger auf Menschen zu zeigen. Wir sind alle Gefährdete. Ich frage mich aber, wie wir einander noch mehr unterstützen könnten. Dürfen wir einander, zum Beispiel als Männer, noch mehr gegenseitig in die Pflicht nehmen, auf unsere Versprechen hinweisen, vor brenzligen Situationen warnen? Würde uns im Kampf, zum Beispiel gegen die zerstörerische Pornographie, ein bisschen mehr persönlicher und gesellschaftlicher ‘Comstockism’[25] guttun? Vielleicht kann uns auch Pitirim Sorokin mit seinem Konzept der ‘Totale-Liebe’ anstelle der reinen ‘Sex-Liebe’ weiterhelfen? Jedenfalls wünsche ich uns allen Gnade Gottes und auch mal die nötige Konsequenz, um in unseren anspruchsvollen und komplexen Lebensrealitäten einander treu zu bleiben. Es ist auf jeden Fall der bessere Weg.
Ein ganzheitliches Ökosystem.
Wir leben oft eine reduzierte Sicht von Familie. Unser Alltag ist segmentiert: Hier die Arbeit, da die Familie. Hier die Schule, da die Freizeit. Hier der Verdienst, dort die Ausgaben. Hier die Kirche, da der Alltag. Hier die Grosseltern, da die Grosskinder. Es gäbe viel zu gewinnen, wenn wir über Familie als ganzheitliches Ökosystem nachdenken würden. Die positiven Wirkungen der Familie in viele Bereiche des Lebens hinein sind eindeutig. Gemäss den Forschungen von Allan Carlson bewirken natürliche Familien unter anderem bessere Gesundheit, stärkere Wissensvermehrung, bessere Karrierechancen für die Kinder, längeres Leben, grösseren Wohlstand, erhöhte mentale Gesundheit und erhöhte Sicherheit.[26] Die natürliche Familie hat auch einen Beitrag in der religiösen Befriedung von multikulturellen Gesellschaften.[27] Wie die Untersuchungen von Pionieren wie Fréderic Le Play oder Pitirim Sorokin aufzeigen, haben Familien ihre grösste Wirkkraft, wenn sie sich als generationenübergreifendes, integriertes, lokales Ökosystem ausbilden können.
Warum also könnte der Arbeitsplatz nicht auch bei der Familie sein (z.B. Home Office), oder zumindest ganz in der Nähe? Das ist ökologischer, kann die produktive Zeit oder auch die familiäre Freizeit erhöhen und gibt den Kids mehr Einblicke ins Berufsleben.
Warum nicht über Freizeit mit Bildungscharakter nachdenken (ich meine damit nicht einfach Galileo)? Wir haben beispielsweise als Familie angefangen, einmal im Jahr eine europäische Stadt zu besuchen. In London haben wir über die Queen was gelernt, in Berlin über den Mauerbau, in Paris über die Französische Revolution…
Warum nicht Vermögen und Verdienst zusammenlegen und ein Familienunternehmen gründen? Familiengeführte Firmen schaffen es oft, Tradition und Innovation auf gute Weise zu verbinden. Sie sind in aller Regel gegenüber ihren Mitarbeitern sozialer eingestellt, sie sind weniger auf schnellen Gewinn ausgerichtet sondern denken und investieren langfristig. Sie sind mehr als andere daran interessiert, dass nachfolgende Generationen gefördert und ausgebildet werden und vieles mehr.[28]
Warum nicht mit drei Generationen unter dem gleichen Dach leben, oder zumindest in unmittelbarer Nähe zueinander? Für alle drei Generationen kann dies von grossem Gewinn sein. Grosseltern können wertvolle Lebenserfahrung ihren Grosskindern vermitteln und Eltern entlasten, was durchaus für sie selbst sinnstiftend ist. Kinder erhalten einen Bezug zur älteren Generation und lernen beispielsweise Rücksicht zu nehmen. Eltern können ihren Eltern unkomplizierte Unterstützung im Alter geben. Anders gesagt: der Wissenstransfer gelingt, Geld wird gespart, Sinn wird gespendet, Charakter wird gebildet.
Als Person, welche sowohl Jugendcamps mit 600 Teilnehmern[29] als auch generationenübergreifende Ferien mit 1800 Teilnehmern[30] verantwortet hat, kann ich die Vorzüge generationenübergreifenden Arbeitens nur bestätigen. Generationenübergreifende Settings helfen, eine befriedete und familiäre Atmosphäre mit gelebter Rücksichtnahme zu schaffen und ermöglichen organischere Führungsprozesse. Auch im kirchlichen Bereich ist man sich zunehmend bewusst, dass das Glaubensleben nicht einfach Sache der Kirche sein darf, sondern die Familie aktiv in der Vermittlung von Glaubensinhalten eingebunden werden muss. [31]
Lokale familiäre Ökosysteme schaffen auch eher Raum für Menschen in Not. Sie können auch für Alleinstehende oder kinderlose Ehepaare eine sinnstiftende und integrierende Wirkung haben. Sie können den Raum aufspannen für gelingende Adoptionen oder Pflegesituationen.
Fazit
Das generationenübergreifende familiäre Ökosystem schafft genau das, was unsere Bundesverfassung sich fürs Schweizer Volk wünscht, nämlich ein «Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften» und die «Verantwortungsübernahme gegenüber den künftigen Generationen»[32]
«Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen»[33], heisst es auch. Vielleicht sollte dieses berechtigte Anliegen uns motivieren, zukünftig noch mehr unser Augenmerk auf die natürliche Familie zu richten. Denn wie es Allan Carlson sagen würde: Die natürliche Familie ist ein Schlüssel zur Fülle des Lebens. Sie bewirkt, was kein anderes Organisationsprinzip bewirken kann: sie macht alles um sie herum besser. [34]
Es ist klar, dass jede Familie Grenzen hat und dass die Idee eines familiären Ökosystems gemäss organischen Vorgaben organisatorisch verschieden gestaltet werden muss. Trotzdem sehe ich in ihr ein grosses Potential für eine sozialere, ökologischere und nachhaltigere Gesellschaft, welche nicht einfach am Tropf der grossen ‘Multis’ hängt.
Es ist auch klar, dass Familie nicht nur Sonnenschein bedeutet, sondern Verletzungen und ‘Auszuhaltendes’ mit sich bringt. Vielleicht ist aber genau das Ja-Sagen zum Unperfekten eine der besten Lektionen, welche wir der Familie lernen können. Als ich diese Woche meinen Sohn gefragt habe, was ihm an der Familie wertvoll ist, meinte er: «Dass wir zusammenhalten.»
Ich bin mir bewusst, dass ich in diesem Artikel die einzelnen Themen nur ‘andiskutieren’ konnte; dass es noch weitere wichtige Fragestellungen gibt und dass mir auch fachlich Grenzen gesetzt sind. Ich habe mir trotzdem erlaubt, freimütig zu schreiben in der Hoffnung, dadurch Anstösse zu Gesprächen und zum Weiterdenken zu geben. Dazu kann unser spannendes Interview mit Dr. Allan Carlson nützlich sein:
Zum ersten Teil der Serie:
Die natürliche Familie (1/2) – Turm alter Zeit
Bilder:
Titelbild: iStock
Weitere Bilder: Peter Bruderer
Fussnoten:
[1] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/zukuenftige-entwicklung/haushaltsszenarien.html
[2] Allan C. Carlson, Paul T. Mero, The natural Family [a manifesto], 2007, S 22
[3] «Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.»
[4] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[5] https://danieloption.ch/featured/kinder-fuer-alle/
[6] Vgl. z.B. Steven E. Rhoads, Taking Sex Differences seriously, 2005
[7] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[8] G.K. Chesterton, What’s wrong With the World, 1910, S50
[9] https://www.worldometers.info/world-population/italy-population/
[10] https://www.worldometers.info/world-population/switzerland-population/
[11] https://en.wikipedia.org/wiki/Total_fertility_rate
[12] Die aktuelle Geburtsstreik-Bewegung begründet den Verzicht auf Kinder mit dem Umwelt- und Klimaschutz. Vgl. zum Beispiel: https://www.nzz.ch/wochenende/das-klima-zu-schuetzen-heisst-fuer-sie-keine-kinder-zu-haben-ld.1487205?reduced=true
[13] https://read.dukeupress.edu/demography/article/29/2/215/171160/Taxes-and-the-Family-The-impact-of-the-tax
[14] Ps 127:3–5
[15] 1Mo 1 :22, 1Mo 1 :28, 1Mo 9:1, 1Mo 9:7
[16] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/594410/umfrage/heiratsalter-von-maennern-und-frauen-in-der-schweiz/
[17] https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/matic-bericht-ein-angriff-auf-die-menschenrechte;art315,219253
[18] https://www.tagesanzeiger.ch/streit-geht-weiter-marsch-fuers-laebe-wieder-erlaubt-340687572979
[19] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20204651
[20] https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/kampagnen/lovelife.html
[21] Horatio Robinson Storer, “Why Not! A Book for Every Woman.”, 1865, S79
[22] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/heiraten-eingetragene-partnerschaften-scheidungen/scheidungshaeufigkeit.html
.[23] https://www.tagesspiegel.de/themen/gesundheit/kinder-geschiedener-eltern-trennen-sich-auch-selbst-haeufiger/88490.html
[24] https://www.beobachter.ch/familie/trennung-scheidung/scheidung-wie-gehts-am-schnellsten
[25] Der Begriff hat seinen Ursprung in der Person von Anthony Comstock. Dieser prägte in den USA im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert das Verbot, pornografisches Material über die Post zu versenden. Das vergleichbare Problem heute heisst Internetpornografie. Mehr Informationen über Comstock: https://en.wikipedia.org/wiki/Anthony_Comstock
[26] Allen Berichten von familiärer Gewalt und Missbrauch zum Trotz ist die natürliche Familie statistisch gesehen der sicherste Ort, sowohl für Frauen, als auch für Kinder. Vgl. Carlson, Mero, The natural Family, 2007, S157-169
[27] So gibt es beispielsweise einen breiten Konsens in den monotheistischen Religionen (Islam, Judentum, Christentum) über den Wert der natürlichen Familie.
[28] https://www.familienunternehmen.de/nutzen-von-familienunternehmen
[29] https://www.festivalticker.de/news/springtime_festival/6354/el-campo_2010/
[30] https://chrischona.ch/termine/ferien/
[31] https://orangeleben.ch/index.php/was-bedeutet-orange-leben
[32] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[33] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de
[34] Allan C. Carlson, Paul T. Mero, The natural Family [a manifesto], 2007, S 98
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