Die dritte Option für Ökonomie

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Wenn ich mit Men­schen über Finanzen und Ökonomie rede, wird oft schnell etiket­tiert. Alles ist dann ‘entwed­er-oder’. Es ist liberal/kapitalistisch oder es ist sozialistisch/kommunistisch. Ich möchte einen Weg aus dieser Engführung find­en, indem ich in Anlehnung an den Artikel DNA 10/10 von Paul Brud­er­er für eine «dritte Option» der Ökonomie plädiere.

Als Christ befasse ich mich seit Jahren inten­siv mit ökonomis­chen The­men, beson­ders auf der Mikroebene der Fam­i­lie und Kirche. Die benutzten Etiket­ten wirken oft wie ein Totschla­gar­gu­ment, welch­es auf der per­sön­lichen wie auch auf der poli­tis­chen Ebene ein weit­eres Gespräch unmöglich machen. «Der Sozial­is­mus ist mit dem Fall der Sow­je­tu­nion gescheit­ert, das geht nicht.» oder «Dass der Kap­i­tal­is­mus nicht funk­tion­iert, zeigt die Real­ität, das geht nicht.»

Der bekan­nte Autor Yuval Hariri beschreibt in seinen Büch­ern Homo Deus und 21 Lek­tio­nen wie der Men­sch sich immer mehr als Gott sieht und der Tech­nik immer mehr Ver­ant­wor­tung über­tra­gen wird. Die Frage ist, ob wir wirk­lich in diese Rich­tung gehen wollen. Mehrere Autoren haben mich inspiri­ert und mir Optio­nen gezeigt, welche uns einen Ausweg geben kön­nten. Chris­t­ian Fel­ber hat span­nende Gedanken zu ein­er Ökonomie des Gemein­wohls. Kim Tan’s Ein­sicht­en über das soge­nan­nte Erlass­jahr haben mein Denken verändert.

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Liebe und Freiheit

Für Chris­ten ist die Bibel unsere Grund­lage. Die grösste und wichtig­ste Quelle in Werte­fra­gen ist Gottes Wort (siehe DNA 9/10 von Silas Wohler), da Gott der Erfind­er allen Lebens ist. Dort find­en wir das ober­ste Ziel men­schlichen Lebens mehrfach deut­lich genan­nt, beispiel­sweise in Mat 22.37–39:

Du sollst den Her­rn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganz­er Seele und von ganzem Gemüt… Du sollst deinen Näch­sten lieben wie dich selbst

Bern­hard Ott sieht die ganze Botschaft der Bibel zusam­menge­fasst in Luk 2.14:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Men­schen seines Wohlgefallens.

Gottes ober­stes Ziel für das men­schliche Leben ist die Beziehung zwis­chen Men­schen und Gott sowie zwis­chen den Men­schen untere­inan­der. Die höch­ste Form der Beziehung ist die Liebe, welche nur in Frei­heit wach­sen, gedei­hen und gelebt wer­den kann.

Zu dieser Frei­heit hat uns Jesus Chris­tus berufen (Gal 5.1). Er beschenkt uns darum auch mit der Wahrheit, mit sich selb­st (ver­gle­iche Joh 1.1ff, Joh 8.31 und Joh 14.6). Dies ist nicht nur das christliche Ver­ständ­nis von Liebe. Auch die Frieden­sak­tivistin und Athe­istin Emma Gold­mann bekennt:

Wenn man Liebe nicht bedin­gungs­los geben und nehmen kann, ist es keine Liebe, son­dern ein Han­del. (zitiert von Ricar­da Sage­horn und Cor­nelia Mrosek in “Loslass­er, der Herz­men­sch ein­er Dualsee­len­liebe”, S. 31)

Gott ist Urhe­ber allen Lebens und freut sich daran (Ps 36.10; Gen 1.31). Alles, was er schuf und tat, soll dem Leben dienen, einem Leben in vol­lkommen­er Liebe und in voller Frei­heit. Dies sind die Ele­mente, welche das Leben aus­machen und wiederum neues Leben schaf­fen. Eben­so soll alles, was wir sind und tun, diesem Ziel dienen (siehe Mat 6). Die ganze Geschichte Gottes mit den Men­schen und seine Lehre zeigen dies auf. Daraus fol­gt, dass wir als Chris­ten uns bei allen Entschei­dun­gen, in ökonomis­chen wie anderen, die Frage stellen müssen:

Ermöglicht, fördert, stärkt meine Entschei­dung direkt und/oder indi­rekt Leben, Liebe und Frei­heit in der Beziehung der Betrof­fe­nen zu Gott und/oder zwis­chen den Menschen? 


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Ökonomie, Liebe und Freiheit

Wenn wir unsere ökonomis­chen Entschei­dun­gen dieser Prü­fung unter­stellen, wird unsere per­sön­liche maslovsche Bedürfnispyra­mide sicht­bar. Bud­get- und Finanzber­ater ken­nen das: «Schau ins Porte­mon­naie eines Men­schen und du siehst in seine Seele». Es zeigt sich, ob wir Gott und sein­er Treue, Güte und Ver­sorgung ver­trauen (Mat 6.19–34). Es wird deut­lich sicht­bar, an was wir unser Herz gehängt haben. Dabei kön­nen und dür­fen wir nicht über andere urteilen, da sich unser Ver­trauen ganz unter­schiedlich zeigen kann.

Hier ein Beispiel, um das zu ver­an­schaulichen. Ein Men­sch entschei­det sich, 100’000.- CHF als Reserve anzus­paren. Er kann dies in völ­liger Frei­heit tun und ohne innere Bindung an dieses Geld. Er kann aber auch den gle­ichen Entscheid fällen aus der der Angst her­aus, dass Gott ihn nicht genü­gend versorgt.

Nach Aussen sehen bei­de Vari­anten gle­ich aus, aber in Wirk­lichkeit haben wir es mit zwei unter­schiedlichen Din­gen zu tun. Eine Vari­ante dient dem Leben in dieser Welt, die andere Vari­ante dient sich selb­st. Erst wenn die Per­son die Grund­frage an sich her­an­lässt, zeigt sich, ob sie auf dem lebens­be­ja­hen­den Kurs ist oder nicht.


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Ökonomie in der Dritten Option

Ger­ade die Dritte Option trägt dem aus mein­er Sicht am meis­ten Rech­nung. Sie ori­en­tiert sich nicht an den gängi­gen Polen und Etiket­ten, son­dern ori­en­tiert sich an den Werten, die der Schöpfer der Welt uns lebens­be­ja­hend vorgibt: Liebe und Frei­heit. Die Dritte Option inte­gri­ert sowohl liberal/kapitalistische, wie auch sozialistisch/kommunistische Elemente.

Wie das ausse­hen kann ver­suche ich in der unten­ste­hen­den Grafik aufzuzeigen. Den Rah­men soll dabei Gottes Wille bilden, den wir in der Bibel erken­nen. Es ist mir bewusst, dass ich in der Darstel­lung genau die Etiket­ten ver­wende, die ich oben anklage. Und das erst noch sim­pli­fiziert, schliesslich gibt es nicht «DEN Kap­i­tal­is­mus» oder «DEN Sozial­is­mus». Bei­de Pole gibt es in mehreren Abwand­lun­gen. Der Far­b­ver­lauf mag diese «Shades of Grey» andeuten. Die als Dritte Option genan­nten Punk­te sind auch nicht als abso­lut oder einzige Option, son­dern als Diskus­sion­s­grund­lage zu verstehen.

Lasst uns Chris­ten doch nach solchen «drit­ten Optio­nen» suchen, damit wir ler­nen, noch mehr Gottes Willen zu erken­nen und zu leben. Ger­ade dies ist mir im Umgang mit unseren Ressourcen (= Ökonomie) ein beson­ders gross­es Anliegen!

Ob im Umgang mit den ver­schiede­nen Aspek­ten gemäss Grafik gesamt­ge­sellschaftlich eine Verän­derung erwün­scht ist oder her­beige­führt wer­den soll, ist umstrit­ten. Die aus mein­er Sicht entschei­den­dere Frage ist: Wie gehe ich per­sön­lich damit um? Also beispiel­sweise: Wie sehe ich den Finanz­markt und wie prägt das meine Entschei­dun­gen? Wie ste­he ich zum The­ma Steuern und wie han­dle ich da? Wie kön­nte eine Dritte Option in mein­er Denk- und Hand­lungsweise aussehen?


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Abschliessende Beobachtungen

Es wird zunehmend darüber disku­tiert, ob Kap­i­tal­is­mus und Demokratie über­haupt kom­pat­i­bel sind. Im Real­sozial­is­mus hat man die Inkom­pat­i­bil­ität dieser bei­den Ansätze erkan­nt. Was würde dies für uns bedeuten?

In Chi­na hat sich ein Staatskap­i­tal­is­mus entwick­elt, der auch eine Art Dritte Option ist, jedoch offen­sichtlich ausser­halb des bib­lis­chen Rah­mens. Nicht jede Dritte Option ist gut, son­dern man muss die richtige finden!

Die meis­ten The­olo­gen leit­en die Kennze­ichen christlich­er Kirchen haupt­säch­lich von Apg 2.42–47 und Apg 4.32–37 ab. Die Beschriebe der Urge­meinde wer­den als Beispiel für eine wahre Kirche genom­men. Erstaunlicher­weise wird ein Kennze­ichen der dama­li­gen Kirche jedoch als zeit­ge­bun­den erk­lärt, welch­es ange­blich nicht zu den heute noch gülti­gen Merk­malen ein­er Kirche gehören: Der dort beschriebene Umgang mit Geld und Besitz. Was würde es bedeuten, die urchristlichen ökonomis­chen Werte auf unsere heutige Zeit anzuwenden?

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