Der zweite Mose (3/3)

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Christliche Mis­sion muss eine exk­lu­sive Pri­or­ität leg­en auf “das Predi­gen, Bekehren und Lehren” (John Stott, Chris­t­ian Mis­sion, 1975). So for­muliert eine Schlüs­selfig­ur der evan­ge­likalen Chris­ten­heit zusam­men­fassend die The­olo­gie, die er in den 1960-er Jahren vertreten hat. “Heute würde ich mich hinge­gen anders aus­drück­en” meint er anschliessend und kor­rigiert seine vor­ma­lige Engführung auf die geistliche Dimen­sion. Was ist inner­halb weniger Jahre passiert? John Stott hat im Neuen Tes­ta­ment die Ganzheitlichkeit des Heil­shan­deln Gottes entdeckt.

Wir haben im let­zten Artikel gese­hen, dass es im Alten Tes­ta­ment eine Beto­nung von vier Dimen­sio­nen gibt, in denen Gott heils­brin­gend wirkt: die geistliche, soziale, poli­tis­che und wirtschaftliche Dimen­sion. Chris­ten haben beim Lesen des Neuen Tes­ta­ments manch­mal so etwas wie eine Engführung auf die geistliche Dimen­sion festzustellen geglaubt. Wir als Chris­ten hät­ten keinen sozialen, poli­tis­chen oder wirtschaftlichen Auf­trag, meinen sie. Diese ange­bliche Reduk­tion wird zum Beispiel begrün­det mit dem wieder­holten Aufruf zu predi­gen, das Wort zu verkün­den (z.B. Markus 16:15; Mt 28:19–20; Römer 10:13–15). Predi­gen und Lehren wird typ­is­cher­weise mit der geistlichen Dimen­sion in Verbindung gebracht.

Auf­grund dieser ange­blichen Engführung des Neuen Tes­ta­ments auf das ‘Geistliche’, haben ins­beson­dere Chris­ten der evan­ge­likalen Prä­gung manch­mal argu­men­tiert, dass Chris­ten keinen sozialen, poli­tis­chen oder wirtschaftlichen Auf­trag haben. “Diese Dinge musst du den Fach­leuten vom Staat über­lassen” meinte kür­zlich ein Fre­und von mir, der eine Gemeinde leit­et “lass die Fin­ger davon und predi­ge das Evan­geli­um!” Nun, predi­gen tue ich auch — aus Lei­den­schaft! Aber wir sollen das eine tun und das andere nicht lassen! Denn die Ganzheitlichkeit des Alten Tes­ta­ments wird im Neuen Tes­ta­ment weit­erge­führt und ausgeweitet.

Ein ein­fach­er Weg, die Ganzheitlichkeit im Neuen Tes­ta­ment zu erken­nen, ist zu sehen, dass Jesu Botschaft des Reich­es Gottes klare geistliche, poli­tis­che, soziale, wirtschaftliche sowie ökol­o­gis­che Kom­po­nen­ten und Auswirkun­gen hat. Wir schauen uns jede Dimen­sio­nen einzeln an.

Gathering of the Manna, Antonio Tempesta, 1555-1630
Gath­er­ing of the Man­na, Anto­nio Tem­pes­ta, 1555–1630

Die soziale Dimension

Jesus bringt Gottes Heil in die sozialen Struk­turen sein­er Zeit und über­schre­it­et dazu sozial gut geregelte Gren­zen. So isst er öffentlich mit ‘Sün­dern’ wie Zöll­nern (z.B. Lukas 19:1–10). Er spricht in der Öffentlichkeit mit Frauen (Joh 3:1–27). Er erlaubt ein­er Pros­ti­tu­ierten, ihn an einem öffentlichen Anlass zu berühren (Lukas 7:36–50). Er macht sich auch wirtschaftlich von Frauen abhängig (Lukas 8:1–3). Jesus scheut sich auch nicht, vom gesellschaftlichen Leben aus­geschlossene Aussätzige zu berühren (Markus 1:40–42).

Jesus zer­tram­pelt in diesen Sit­u­a­tio­nen nicht rück­sicht­s­los die sozialen Gren­zen, son­dern über­schre­it­et sie, um Ver­söh­nung zu schaf­fen zwis­chen unter­schiedlichen Grup­pen. Seine Nach­fol­ger brin­gen es gut auf den Punkt:

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid alle­samt ein­er in Chris­tus Jesus. (Galater 3:28)

Im Zeital­ter der Gen­der Ide­olo­gie muss man präzisieren, dass Jesus und die Bibel hier nicht eine Auflö­sung dieser Kat­e­gorien im Blick hat, son­dern die Ver­söh­nung der damit repräsen­tierten Men­schen. Später bringt das Chris­ten­tum die Auflö­sung der Sklaverei, da diese mit ein­er innewohnen­den Ungerechtigkeit zu tun hat, was bei den anderen Kat­e­gorien-Paaren nicht der Fall ist. Wichtig ist gemäss dieser Galater Stelle, dass Men­schen ver­söh­nte Gle­ich­w­er­tigkeit leben, unab­hängig von ihrem Geschlecht (Mann/Frau), ihrer eth­nis­chen Herkun­ft (Jude/Grieche) und ihrem gesellschaftlichen Rang (Sklave/Freier). Die Grund­lage dafür bildet das ‘in Chris­tus sein’ (Galater 3:28), was die geistliche Dimen­sion anspricht.

Diese Botschaft kam für die dama­lige Zeit nichts weniger als ein­er gesellschaftlichen Rev­o­lu­tion gle­ich. Dies sieht man beispiel­sweise in der Lehre des Neuen Tes­ta­ments über Sex­u­al­ität. Paulus ver­langt, dass die Män­ner sich an die gle­ichen Regeln hal­ten, wie die Frauen (z.B. 1Kor 7:3–4). So etwas zu sagen war damals eine mas­sive gesellschaft­skri­tis­che Äusserung. Sex­u­alethik lehren war damals (wie übri­gens auch heute) nicht nur ein indi­vid­u­al­is­tis­ch­er Dienst an einzel­nen Men­schen, son­dern ein gesellschaft­poli­tis­ch­er Auf­trag. Sex ist Gesellschaft­spoli­tik (was Pharao schon in der Antike sehr wohl wusste, und diverse heutige Diskus­sio­nen zeigen).

Es ist gut belegt, dass die ersten Chris­ten in radikaler Weise den sozialen Bedürfnis­sen der Men­schen in ihrem Umfeld gedi­ent haben. Dieser radikale soziale Dienst führt im Ver­lauf der ersten Jahrhun­derte dazu, dass z.B. Chris­ten in Rom ca. 150 Per­so­n­en anstell­ten, um sich ca. 1500 Witwen, Kranken, Betagten und am Fluss Tiber zum Tod aus­ge­set­zten Men­schen anzunehmen. Dies alles hat­te direkt mit der Lehre Jesu zu tun. Die Chris­ten sahen ihr soziales Engage­ment let­ztlich als Dienst an Chris­tus selb­st (z.B. auf­grund von Mt 25:35–40).

Haben das Neue Tes­ta­ment und die ersten Chris­ten eine ganzheitliche Sicht des Heils? Im Bezug auf die soziale Dimen­sion ganz sicher!

Die wirtschaftliche Dimension

Es wird häu­fig gesagt, dass Jesus mehr über Geld und damit über ökonomis­che Gerechtigkeit zu sagen hat­te als über Sex­u­al­ität. Diese Behaup­tung stimmt höch­stens, was die Häu­figkeit der Bibel­texte ange­ht. Sex­u­al­ität war für Jesus genau­so wichtig wie Geld. Doch der Punkt zeigt, dass Jesus viel über Geld, Wirtschaft, Ökonomie zu sagen hat­te. So hielt er zu Beginn seines öffentlichen Dien­stes eine Predigt, in welch­er er die beson­dere Beto­nung sein­er Arbeit aufführt:

»Der Geist des Her­rn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündi­gen das Evan­geli­um den Armen, zu predi­gen den Gefan­genen, dass sie frei sein sollen, und den Blind­en, dass sie sehen sollen, und die Zer­schla­ge­nen zu ent­lassen in die Frei­heit und zu verkündi­gen das Gnaden­jahr des Her­rn.« (Lukas 4:18–19)

Mit ‘Armen’ meinte Jesus nicht nur ‘geistlich’ arme Men­schen — das auch. Son­dern für die Juden, welche diese Worte hörten, war darin ein klar­er Bezug zu armen Men­schen im realen Leben. Der Ver­weis auf das ‘Gnaden­jahr’ hat unüberse­hbare ganzheitliche Bedeu­tung, weil es mit dem Erlass von finanziellen Schulden und Wieder­her­stel­lung von wirtschaftlich­er Pro­duk­tiv­ität für jede Fam­i­lie zu tun hat­te (siehe z.B. 3Mo 25:1–55).

So hat­te Jesus viel über den ‘Mam­mon’ zu sagen — dem Geld (z.B. Mt 6:24) oder dem Umgang mit dem eige­nen Wohl­stand im Dienst an Armen (z.B. Mt 19:16–22). Es ist kein Zufall, dass die geistliche Bekehrung des reichen Zollein­nehmers Zachäus darin endet, dass er die Hälfte seines Ver­mö­gens den Armen gibt:

Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jeman­den bet­ro­gen habe, so gebe ich es vier­fach zurück. (Lukas 19:8)

Man bemerke jet­zt die Inter­pre­ta­tion Jesu von dem, was Zachäus sagt und tut. Jesus bringt damit aus­drück­lich Heil in Verbindung:

Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil wider­fahren, denn auch er ist ein Sohn Abra­hams. Denn der Men­schen­sohn ist gekom­men, zu suchen und selig zu machen, was ver­loren ist. (Lukas 19:9)

Die ersten Chris­ten haben im wirtschaftlichen Bere­ich ähn­lich radikal gelebt, wie im sozialen Bere­ich. Sie teil­ten all ihren Besitz miteinan­der (Apg 2:44–45). Die christliche Lehre ist hier gut zusammengefasst:

Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, son­dern arbeite und schaffe mit eige­nen Hän­den das nötige Gut, damit er dem Bedürfti­gen abgeben kann. (Eph 4:28)

Geld ist kein Selb­stzweck, son­dern ste­ht im Dienst, die Bedürftigkeit im eige­nen Leben und im Leben ander­er zu reduzieren. Damit wird die Verbindung  zwis­chen der sozialen und wirtschaftlichen Dimen­sion sicht­bar. Bei­de haben miteinan­der zu tun. Let­ztlich kann man die Dimen­sio­nen nicht voneinan­der getren­nt ver­ste­hen, denn sie gehören untrennbar zusam­men. Dies wird auch im oben genan­nten Beispiel aus Rom sicht­bar. Die Chris­ten sam­melten jeden Son­ntag in den Gottes­di­en­sten Geld, um die sozialen Dien­ste zu finanzieren. Wir sprechen von (auf heute über­tra­gen) umgerech­net mehreren Mil­lio­nen Euro jährlich, die nötig waren, um die Fachkräfte anzustellen und die Infra­struk­tur zu betreiben.

Haben das Neue Tes­ta­ment und die ersten Chris­ten eine ganzheitliche Sicht des Heils? Im Bezug auf die wirtschaftliche Dimen­sion ganz sicher!

Die politische Dimension

Hat sich Jesus aus poli­tis­chen Fra­gen her­aus­ge­hal­ten? Einige glauben, dass er das getan hat. Sie führen seine Aus­sage, dass man dem Kaiser geben soll was ihm gebührt und Gott, was Gott gebührt (Mt 22:21) als Beispiel an. Hier — sagen sie — zieht sich Jesus aus poli­tis­ch­er Polemik zurück. Reli­gion darf Pri­vat­sache bleiben. Oder führen eine Aus­sage Jesu ins Feld, die er im Angesicht von Pila­tus macht, welch­er die grösste damals vorhan­dene poli­tis­che Macht repräsentiert:

Mein Kön­i­gre­ich gehört nicht zu dieser Welt. Wäre ich ein weltlich­er Herrsch­er, dann hät­ten meine Leute für mich gekämpft, damit ich nicht in die Hände der Juden falle. Aber mein Reich ist von ganz ander­er Art. (Johannes 18:36)

Zieht sich Jesus hier nicht aus der Poli­tik zurück? Keineswegs! Was Jesus hier klärt, ist die Art, wie sein Kön­i­gre­ich kommt. Sie kommt nicht mit­tels poli­tisch-mil­itärisch­er Macht, son­dern durch selb­stau­fopfer­nde Hingabe.

Ganz all­ge­mein wurde Jesu Dienst und sein Selb­stanspruch als eine poli­tis­che Bedro­hung emp­fun­den (Joh 11:47–49). An dieser Aussen­wahrnehmung sehen wir, dass seine Lehre tat­säch­lich eine poli­tis­che Dimen­sion hat­te. Wenn Jesus in Mt 22:21 neben dem Kaiser auch Gott etwas zugeste­ht, dann zieht er den Glauben nicht in eine Pri­vat­sphäre zurück — eine Sicht, die sowieso erst in der Mod­erne ent­standen ist. Vielmehr macht Jesus damit eine gewichtige poli­tis­che Aus­sage: Der Kaiser ist nicht Gott, und dem Kaiser gehört nicht alles. Das ist eine zutief­st poli­tis­che Aussage.

Jesus wird offiziell als ‘König der Juden’ hin­gerichtet. Poli­tis­ch­er geht es kaum. Chris­ten nen­nen ihn den HERRN Jesus — Kyrios Jesus (z.B. Röm 10:9–13 und mehrere 100 Male im Neuen Tes­ta­ment). Dieser Titel gehörte u.a. den höch­sten poli­tis­chen Machthabern, den Kaisern. Jesus Kyrios zu nen­nen war u.a. ein poli­tis­ches State­ment.

Wir sehen in den ersten Jahrhun­derten span­nende Entwick­lun­gen in christlichem poli­tis­chen Denken. Ter­tul­lian schreibt an den römis­chen Prokon­sul Afri­ka’ ca. 211–213 fol­gende Worte:

Die Chris­ten sind nie­man­des Feinde, am wenig­sten des Kaisers. Da sie wis­sen, daß der­selbe von ihrem Gott einge­set­zt wor­den ist, so müssen sie ihn notwendig lieben, fürcht­en, ehren und seine Erhal­tung wün­schen mit der des gesamten römis­chen Reich­es, solange die Welt ste­ht. Denn so lange wird let­ztere auch beste­hen. Wir verehren daher den Kaiser, aber auf eine Weise, wie es uns erlaubt ist und ihm selb­st nützt, als einen Men­schen, der nach Gott der zweite ist; der, was er ist, von Gott erhal­ten hat und nur Gott nach­ste­ht. (Über­set­zt von Dr. K. A. Hein­rich Kell­ner)

Man beachtete, dass dem Kaiser hier aus­drück­lich eine Gott unter­ge­ord­nete Rolle zugewiesen wird. Diese unter­ge­ord­nete Rolle ist aber aus Sicht von Ter­tul­lian nicht etwas, das neg­a­tiv ist für den Kaiser und dessen Reich — im Gegen­teil. Wir haben hier möglicher­weise die erste Schrift der Men­schheit, welche die Ausübung von religiös­er Frei­heit in einem Staat zu etablieren sucht.

Waren Jesus und die ersten Chris­ten poli­tisch? Die Antwort erübrigt sich.

Die ökologische Dimension

Um unser Bild voll­ständig zu machen müssen wir sehen, dass wir in der Bibel auch eine  begrün­dete Recht­fer­ti­gung für ein Engage­ment in der Ökolo­gie haben. Dies lässt sich aus drei Rich­tun­gen begründen.

Von der ersten Schöp­fung her ist dem Men­schen eine Ver­ant­wor­tung gegeben, im Sinne Gottes über die Erde zu herrschen, sie zu bebauen und bewahren (1Mose 1:28 und 1Mose 2:15). Die genaue Bedeu­tung dieser Wörter fol­gt in einem späteren Artikel. Es reicht zu sagen, dass mit ‘Herrschen’ nicht ein ‘Beherrschen’ zum Eigen­nutz des Men­schen gemeint ist .

Der ökol­o­gis­che Auf­trag ist nicht zu tren­nen von der speziellen Rolle, welche Gott dem Men­sch in der Schöp­fung zugedacht hat. Gott schafft den Men­schen nach seinem Bild und set­zt ihn damit über den Rest der Schöp­fung. Nur von diesem Platz aus ist der Men­sch in der Lage, die Natur im Sinne Gottes zu bebauen und bewahren. Es wird auch in kirch­lichen Kreisen manch­mal argu­men­tiert, dass der Men­sch der Schöp­fung gle­ichge­set­zt sein muss, um ihr dienen zu kön­nen. Dazu wird ein Welt­bild zu Hil­fe gezo­gen, welche der Bibel fremd ist: ein Pan­the­is­mus oder Panen­the­is­mus. Diese Weltan­schau­un­gen set­zen den Men­schen voll­ständig auf die Ebene der restlichen Schöp­fung. Aus bib­lis­ch­er Sicht ist das eine Gle­ich­macherei des Men­schen und der restlichen Schöp­fung, was dazu führt, dass dieser seinen wahren ökol­o­gis­chen Auf­trag nicht aus­führen kann.

Von der zweit­en, neuen Schöp­fung her gese­hen erken­nen wir, dass Gott nicht nur Men­schen, son­dern auch die nicht-men­schliche Schöp­fung wieder­her­stellt. Dies wird z.B. in Römer 8:20–21 sicht­bar. Jesus ist der zweite Mose, der eigentliche Mose, welch­er die ganze Welt in einen Exo­dus aus der Sklaverei der Sünde der alten Schöp­fung hinein in die Frei­heit der Kinder Gottes in der zweit­en Schöp­fung führt. Dieser Punkt zeigt uns, dass das Neue Tes­ta­ment die altes­ta­mentliche Ganzheitlichkeit nicht nur weit­er­führt, son­dern ausweit­et. Nicht nur ein Volk (Israel) wird als poli­tis­che Grösse in den Fokus genom­men. Das Neue Tes­ta­ment weit­et den Fokus auf nichts weniger als die ganze Schöp­fung aus!

Von der Inkar­na­tion Jesu her sehen wir Gottes umfassendes JA zur materiellen Welt. Der Gott der Bibel wertet schon am Anfang die materielle Schöp­fung als etwas Gutes (7 Mal in 1Mose 1:3–31). Als Gott selb­st in Jesus Chris­tus Men­sch wird (Joh 1:1–14) gibt Gott in unmissver­ständlich­er Weise nochmals seine vol­lkom­men pos­i­tive Wer­tung gegenüber allem Materiellen. Es waren die gnos­tis­chen Häretik­er, welche wenige Jahrzehnte nach Chris­tus die Materie als etwas zweitrangiges oder gar Bös­es degradierten. Ein­er bib­lis­chen Weltan­schau­ung ist die Ger­ingschätzung der materiellen Schöp­fung, ein­fach weil sie materiell ist, etwas völ­lig Fremdes. Dies bedeutet, dass Berge, Tiere, Pflanzen, Fis­che, etc., Teil der als pos­i­tiv zu wer­tenden Welt sind. Damit gehört die Sorge an der nicht-men­schlichen Schöp­fung zum Auf­trag der Christenheit.

Wenn man diese drei bib­lis­chen Argu­mente zusam­men­nimmt, haben wir eine gute Begrün­dung, dass Chris­ten auch einen klaren ökol­o­gis­chen Auf­trag haben. Ich habe nicht unter­sucht, in welchem Mass dieser Auf­trag von den ersten Chris­ten wahrgenom­men wurde. Vielle­icht kann mich jemand auf entsprechende Quellen verweisen.

Die geistliche Dimension

Die geistliche Dimen­sion darf auf keinen Fall vergessen gehen. Sie ist u.a. deshalb wichtig, weil die geistliche Dimen­sion unser Engage­ment in Gesellschaft, Poli­tik, Wirtschaft und Ökolo­gie in der jüdisch-christlichen Weltan­schau­ung ver­ankert. Alle möglichen Expo­nen­ten dieser Welt engagieren sich sozialpoli­tisch, aber ihr Vorge­hen unter­schei­det sich mitunter mas­siv von dem, wie Chris­ten sich ein­brin­gen soll­ten. Wir kön­nen Jesus mit Fug und Recht einen Rev­o­lu­tionären nen­nen. Aber war Jesus eine Art pro­to-marx­is­tis­ch­er Che Gue­vara, der mit physisch-poli­tis­ch­er Macht und sog­ar Gewalt die äusseren Umstände der Men­schen zu ändern suchte?

Es fällt auf, dass Jesus nicht proak­tiv eine gesellschaft­spoli­tis­che Verän­derung der Sit­u­a­tion von Sklaven oder Frauen auszulösen suchte. Trotz­dem sehen wir, dass die ersten Chris­ten von der Lehre Jesu aus­ge­hend eine für die dama­lige Gesellschaft völ­lig untyp­is­che, und deshalb rev­o­lu­tionäre Gle­ich­w­er­tigkeit von Mann und Frau lebten. Andere Chris­ten arbeit­eten später proak­tiv für die Abschaf­fung der Sklaverei. Anders als bei den Rev­o­lu­tionären unser­er Tage set­zt der rev­o­lu­tionäre Plan von Jesus nicht zuerst bei den Struk­turen und Machtver­hält­nis­sen dieser Welt an, son­dern in der geistlichen Dimen­sion. Das rev­o­lu­tionäre Kom­men des Reich­es Gottes ist untrennbar mit dem Ruf an den Men­schen zur Umkehr und inner­er Erneuerung verbunden:

Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe her­beigekom­men. Tut Buße und glaubt an das Evan­geli­um! (Markus 1:15)

Wenn jemand nicht aus Wass­er und Geist geboren wird, so kann er nicht in das Reich Gottes einge­hen! (Joh 3:5)

Warum startet Jesus keine neue poli­tis­che Partei oder Sozial­fir­ma? Nicht, weil er kein Inter­esse an sozialer Gerechtigkeit hat, son­dern ger­ade weil er soziale Gerechtigkeit will, set­zt er an der Wurzel des Prob­lems an. Die Prob­leme dieser Welt fan­gen an, als der Men­sch, welch­er die Schöp­fung bebauen und bewahren soll, Gottes Herrschaft ablehnt (Siehe 1Mose 1:28, 1Mose 2:15 im Zusam­men­hang mit 1Mose 3:1–24). Die gesellschaftlichen, poli­tis­chen, wirtschaftlichen und ökol­o­gis­chen Prob­leme dieser Welt haben ihren Ursprung in der Rebel­lion des Men­schen gegen Gottes Herrschaft (Vgl. Mt 5:19). Damit Heil in diese Welt kom­men kann, müssen deshalb die Men­schen wieder unter die Herrschaft Gottes kom­men. Der Men­sch braucht erst­mal ein grun­derneuertes Herz. Deshalb begin­nt bei Jesus die Ein­führung von Gottes ganzheitlichem Heil mit dem Ruf an die Men­schen zur Umkehr von einem Leben in Ablehnung der Herrschaft Gottes zu einem Leben in der Herrschaft Gottes.

Wenn wir von Ganzheitlichkeit reden, dür­fen wir niemals diese geistliche Vorbe­din­gung vergessen. Dort wo sich Men­schen in diese Herrschaft Gottes schick­en, fliesst Gottes Heil in alle Dimen­sio­nen der Welt und der men­schlichen Exis­tenz. Da fängt eine Jesus-gemässe Umgestal­tung von Gesellschaft, Poli­tik, Wirtschaft und Ökolo­gie an. Rev­o­lu­tion Jesus-Style fängt beim Men­schen an und nicht bei den äusseren Struk­turen der Welt. Sie unter­schei­det sich damit radikal von Rev­o­lu­tionären sein­er Zeit und auch unser­er Tage.

Hat das Neue Tes­ta­ment eine ganzheitliche Sicht des Heils? Im Bezug auf die geistliche Dimen­sion ganz sich­er! Jesu Ruf zur per­sön­lichen Umkehr ist die radikalste und ganzheitlich­ste Sache, die es über­haupt gibt. Er ruft alle Men­schen zurück in ein Leben im Reich und unter der Herrschaft Gottes.

Der Umfang unseres Auftrags

Wenn die Darstel­lung dieses Artikels stimmt, kön­nen wir eine wichtige Schlussfol­gerung ziehen: Die Ganzheitlichkeit des Heil­shan­delns Gottes, die im Alten Tes­ta­ment sicht­bar wird, find­et eine Fort­set­zung und Ausweitung im Neuen Tes­ta­ment und definiert den Umfang des Auf­trags, das die ersten Chris­ten aus­gelebt haben. Wie im ersten Artikel dieser Serie erk­lärt: Chris­ten sin­gen das alttes­ta­mentliche Lied des Mose UND das neutes­ta­mentliche Lied des Lammes. Sie lassen keines dieser Lieder aus!

Es waren unter anderem die in diesem Artikel aufge­führten Ein­sicht­en, welche den ein­gangs erwäh­n­ten John Stott dazu führten, umzu­denken. Für ihn wurde klar, dass wir als Chris­ten nicht nur den geistlichen Auf­trag haben, son­dern auch den sozialen, wirtschaftlichen, poli­tis­chen und ökol­o­gis­chen Auftrag:

Die wichtig­ste For­mulierung, in welch­er der grosse Mis­sions­be­fehl uns weit­ergegeben ist, ist jene im Johannes Evan­geli­um. Diese For­mulierung ist wohl deshalb ver­nach­läs­sigt wor­den, weil sie uns am Meis­ten kostet…: Wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe auch ich sie in die Welt gesandt (Joh 17:18). (John Stott, Chris­t­ian Mis­sion in the mod­ern World, 1975, Kin­dle Posi­tion 237)

Stott erk­lärt darauf hin, dass der Umfang des Auf­trags Jesu hier auf die Gemeinde über­tra­gen wird: In der­sel­ben Weise, wie der Sohn gesandt und beauf­tragt ist, ist auch seine Nach­fol­ger gesandt und beauf­tragt. Ist uns bewusst, dass wir als Chris­ten sozial-poli­tisch-wirtschaftlich-geistlich-ökol­o­gisch aktiv sein sollen? ‘Als Chris­ten’ heisst: Wir als Men­schen, die uns unsere per­sön­liche Rebel­lion gegen Gott abgelegt und uns der Herrschaft des Gottes der Bibel unterord­net haben. In den Zeit­en vom ange­blichen Bankrott des evan­ge­likalen Engage­ments in der Trump Poli­tik, kön­nte eine solche Aus­sage kon­tro­vers sein. Im näch­sten Blog gehen wir auf die aktuelle Lage in der evan­ge­likalen Chris­ten­heit ein.

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Titel­bild: Gath­er­ing of the Man­na, Anto­nio Tem­pes­ta, 1555–1630

8 Comments
    • Paul Bruderer 3 Jahren ago
      Reply

      super — danke!

  1. Andreas Wieland 3 Jahren ago
    Reply

    Hal­lo Paul, danke für diese wichti­gen Beiträge zur Diskus­sion. Ich möchte ergänzen, dass meines Wis­sens nie­mand diese Dimen­sio­nen, die Du hier anreisst deut­lich­er auf den Punkt gebracht hat als mein Fre­und Vishal Man­gal­wa­di in seinem Buch “Wahrheit und Wand­lung”. Das ist ein Must-read für jemand, der bess­er ver­ste­hen möchte, was der bib­lis­che ganzheitliche Auf­trag der Gemeinde und des neutes­ta­mentlichen Chris­ten ist.

  2. Daniel Dörig 3 Jahren ago
    Reply

    I’m lov­ing it!

    Der Text hat mich an zwei Resourcen erinnert.

    Tim Kellers Predigt “Argu­ing about pol­i­tics” zu Mk 12,13–17. https://www.youtube.com/watch?v=U79Eef6U9nw 16.40–24.40 lohnen sich mein­er Mei­n­ung nach anzuhören.

    Tom Harpers “Lead­ing from the lion’s den”. Ich hat­te da glaub’ mal eine Gratis-PDF-Zusam­men­fas­sung bezo­gen. Zu jedem Buch im AT wird ein Text genom­men, um ein Leit­er­schaft­sprinzip zu lehren. Der Titel zu Kap 15 zu Esr 5.11 ist mir gelieben: “Con­struct a tem­ple first, build cul­ture second”.

    • Paul Bruderer 3 Jahren ago
      Reply

      Super Tipp! Danke Daniel — hast du einen Link zum PDF von Harper?

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