Der Glaube hat mir noch nie gepasst.

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Mit seinem aktuellen Buch «Wenn der Glaube nicht mehr passt» hat Mar­tin Benz eine ver­ständliche und attrak­tiv geschriebene Dar­legung seines Glaubensweges geschrieben. Viele Leser wer­den das Buch als weg­weisend für ihre eigene geistliche Entwick­lung sehen. Bei mir hat die Lek­türe viele Fra­gen aufge­wor­fen und mich zu ein­er ver­tieften und auch kri­tis­chen Auseinan­der­set­zung motiviert.

Mar­tin Benz möchte mit seinem Glauben lei­den­schaftlich alt wer­den. Doch was tun, wenn Glaubens- und Leben­sre­al­ität immer weit­er auseinan­derk­laf­fen? Dann muss sich gemäss Mar­tin Benz der Glaube weit­er­en­twick­eln – muss ‘pro­gres­siv’ wer­den. Dann braucht es einen Umzug des Glaubens in eine neue Woh­nung, welche bess­er zu den aktuellen Bedürfnis­sen passt. Bei diesem Umzug gilt es mitzunehmen, was sich bewährt hat und zu entsor­gen, was sich als unnötig, untauglich, abgenutzt oder belas­tend erwiesen hat. Dann gilt es auch, Neuan­schaf­fun­gen zu täti­gen, welche neue Möglichkeit­en und Frei­heit­en mit sich bringen.

Mar­tin Benz hat selb­st einen solchen Prozess hin­ter sich. In einem katholis­chen Umfeld aufgewach­sen erlebt er in jun­gen Jahren eine Bekehrung und find­et ein Zuhause in der charis­ma­tis­chen Bewe­gung. Prä­gend wird für ihn die «Wort-des-Glaubens-Bewe­gung», welche den Segen Gottes stark mit materiellem Wohl­stand und per­sön­lichem Erfolg verbindet. Doch die schöne Fas­sade der «Wort-des-Glaubens-Bewe­gung» bekommt Risse, als erhoffte Wun­der nicht ein­treten und promi­nente Expo­nen­ten dieser Bewe­gung sich als Schar­la­tane ent­pup­pen. Das Glaubenssys­tem greift endgültig nicht mehr, als seine Frau ihn 2006 ver­lässt, um mit einem anderen Mann zusam­men­zuziehen. In den darauf­fol­gen­den Jahren richtet Mar­tin Benz seinen Glauben neu aus. Heute stellt er fest (S.45):

«Ich per­sön­lich habe meine Kof­fer gepackt aus den kon­ser­v­a­tiv-evan­ge­likalen oder fun­da­men­tal­is­tis­chen Denkmustern, in denen ich viele Jahre zu Hause war. Es wurde mir zu eng in der Altstadt.»

Wenn ich über das Buch von Mar­tin Benz schreibe, gehe ich von einem anderen Ansatz des Glaubens aus, als er es tut. Wie ich im Titel meines Artikels klar mache: Der Glaube hat mir noch nie gepasst und wird es wohl auch nie tun.

Ich glaube an einen unver­füg­baren (heili­gen) Schöpfer, dessen Denken und Han­deln ich bish­er nur teil­weise begreife, und an einen ungezähmten Jesus Chris­tus, dessen Worte und Tat­en mich immer wieder irri­tieren. So auch die Aus­sage, dass er mich nach wie vor liebt und an mein­er Beru­fung festhält.

Ich ver­traue den ural­ten, heili­gen Schriften der Bibel, aus der sich ver­lässliche Lehraus­sagen (Dog­men) über Gott und die Welt und mich selb­st for­mulieren lassen, die mich dann zu ein­er entsprechen­den Lebensweise (Ethik) her­aus­fordern – ja über­fordern. Aber diesel­ben Schriften ver­heis­sen uns auch die Kraft des Heili­gen Geistes!

Der his­torische Glaube, wie er beispiel­sweise auch im altkirch­lichen Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis for­muliert wird, hat mir noch nie «gepasst» und er wird mir auch nie zu eng wer­den kön­nen. Denn er ist viel gröss­er, als ich und meine Leben­sre­al­ität es je sein wer­den. Solch­er Glaube ist auch gröss­er, schön­er und sta­bil­er als alle gesellschaftlichen Trends der let­zten zweitausend Jahre.

Wenn Mar­tin Benz also ein Buch vor­legt mit dem Titel «Wenn der Glaube nicht mehr passt», dann ver­mute ich schon da ein grundle­gen­des Missver­ständ­nis, dem auch andere Gläu­bige erliegen: Der Glaube ist nicht dazu gedacht, dass er uns passt, son­dern dass wir lebenslang mehr und mehr in ihn hineinwach­sen. Nicht der Glaube muss sich weit­er­en­twick­eln, son­dern wir müssen es. Wer einen Glauben sucht, der ihm passt, hat nicht begrif­f­en, dass der bib­lisch-tra­di­tionelle christliche Glaube keine «Woh­nung» ist, son­dern ein Universum.

Ich werde in meinen Erörterun­gen um der Ver­ständlichkeit willen primär mit dem Bild agieren, das Mar­tin gewählt hat: Das Bild der Woh­nung und des Umzugs. Dabei will ich schon zu Beginn meine Schlussfol­gerung nen­nen, damit dies beim Lesen meines Textes mitbe­dacht wer­den kann: Ich werde den Umzug nicht mit­machen, den mir Mar­tin nahelegt. Die Woh­nung, die er mir schmack­haft macht, ist aus mein­er Sicht wed­er so neu, wie sie den Anschein macht, noch hat sie die nötige Bausub­stanz, die ich für meine Woh­nung wün­sche. Sie ist mir viel zu klein.

Lieber Leser: Vielle­icht bist du an einem anderen Punkt als ich. Vielle­icht über­legst du es dir, mit Mar­tin einen (wie auch immer geart­eten) Umzug des Glaubens in ein anderes Haus mitzu­machen. In diesem Fall habe ich einen Wun­sch. Ich hoffe, dass du trotz der Tat­sache, dass ich den Umzug nicht mit­mache, meine Gedanken, Argu­mente und Rück­fra­gen an Mar­tin ern­sthaft in Betra­cht ziehst. Wer weiss, vielle­icht ent­deckst du in den Antworten, die du find­est, Hin­weise auf das Uni­ver­sum, das Gott vor unseren Augen aufspannt.

Meine Rezen­sion hat zwei Teile. In einem ersten Teil fasse ich die Inhalte und Gedankengänge des Buch­es zusam­men. In einem zweit­en Teil erfol­gt meine aus­führliche Reflex­ion. Zur Ori­en­tierung in diesem sehr umfan­gre­ichen Artikel (Lesezeit ca. 60min) dient ein Inhaltsverze­ich­nis. Da ich Mar­tin Benz auch schon per­sön­lich begeg­nen durfte, erlaube ich mir zwis­chen­durch die Ver­wen­dung des Vornamens.

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Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Buchinhalt
Ein neues Bibelverständnis
Neue Ethik und Moral
Geist-geleit­ete Neuordnungen
Teil 2: Buchreflexion
1. Wohin will Mar­tin Benz uns führen?
2. Der Strohmann
3. Die Bibel als Steinbruch
4. Wenn das Nar­ra­tiv regiert
5. Falsche Dilemmas
6. Chro­nol­o­gis­che Fehlschlüsse
7. Poet­is­che oder fak­tis­che Wahrheit?
8. Der post­mod­ern gezähmte Jesus
9. Von der Notord­nung zur Neuordnung
10. Wenn der Geist neue Offen­barung schenkt
11. Dog­matik oder Ethik?
12. Wort-des-Glaubens-Bewe­gung
Faz­it
Ressourcen

Teil 1: Buchinhalt

Nach dem biografis­chen Ein­stieg in das Buch, welchen ich in der Ein­leitung kurz beschrieben habe, doku­men­tiert Mar­tin, wo und wie sich aus sein­er Sicht Glauben­süberzeu­gun­gen weit­er­en­twick­eln soll­ten. Es geht dabei um Bibelver­ständ­nis, Ethik und deren konkrete Anwen­dung beim The­ma Homosexualität.

Ein neues Bibelverständnis

Grundle­gend im Prozess der Glaubensverän­derung ist für Mar­tin Benz ein neues Bibelver­ständ­nis. Mar­tin geht hart ins Gericht mit Chris­ten, welche sich als ‘bibel­treu’ beze­ich­nen und damit meinen, sich «schlicht und ein­fach an die Bibel zu hal­ten und sie wörtlich zu nehmen» (S.54). Für Mar­tin ist klar: Man nimmt die Bibel eben ger­ade nicht ernst, wenn man ver­sucht, alles in ihr wörtlich zu nehmen. Vielmehr sei die Bibel in die Ver­ant­wor­tung des Men­schen gegeben, welch­er diese mit Gottes Hil­fe und dem eige­nen Gewis­sen inter­pretieren soll.

Mar­tin Benz möchte, wie er selb­st sagt, nicht die Inspi­ra­tion der Bibel in Zweifel ziehen. Doch wer davon aus­ge­he, dass die Bibel fak­tis­che Wahrheit enthalte, müsse sie dauernd gegenüber kri­tis­chen Anfra­gen aus Natur­wis­senschaft und his­torisch­er Wis­senschaft vertei­di­gen. Dabei sei es ein Phänomen der Neuzeit, natur­wis­senschaftlich an einen Text her­anzuge­hen. Die Bibel jedoch sei voller Geschicht­en, deren Anspruch es gar nicht sei, his­torisch bewiesen wer­den zu müssen. Die Bibel sei weniger ein Text der Fak­ten und his­torischen Tat­sachen als vielmehr ein Buch von «poet­is­ch­er Wahrheit» (S.70). Wer die Bibel so ver­ste­he, der könne darin «tiefe Weisheit­en und Prinzip­i­en in ein­er Form zum Aus­druck brin­gen, wie das fak­tis­che Wahrheit nie kön­nte» (S.70).

Mar­tin Benz geht von ein­er fortschre­i­t­en­den Offen­barung Gottes in der Bibel aus. Auch moralis­che Ein­sicht­en wür­den sich verän­dern und das Gottes­bild sei in Bewe­gung. In gewis­sen alttes­ta­mentlichen Tex­ten macht Benz einen «anderen Geist» (S.85) aus, der im Kon­trast ste­he zu neutes­ta­mentlichen Tex­ten und dem Gott der sich uns in Jesus zeige. Der Grund dafür liege in den «antiken Gottesvorstel­lun­gen» (S.96) des Alten Tes­ta­mentes, deren Autoren men­schliche Eigen­schaften auf die Göt­ter­welt über­tra­gen hät­ten. Die per­sön­liche Sicht von Mar­tin hin­sichtlich der Bibel lautet heute: «Alles in der Bibel ist Absicht Gottes, aber nicht alles in der Bibel ist Ansicht Gottes.» (S.88)

Das tief­ste Wesen Gottes offen­bare sich glasklar in Jesus Chris­tus: «Es braucht keine weit­ere Offen­barung Gottes neben Jesus» (S.99). Ja, die «einzig objek­tive Darstel­lung Gottes» (S.102) finde sich in Jesus Chris­tus, während Gott es im Rest der Bibel den Men­schen ges­tat­tet habe, dass sie ihre sub­jek­tiv­en Gottes­bilder und ihr religiös­es Empfind­en zum Aus­druck brin­gen. Wer nun die ganze Bibel durch den «Fil­ter Jesu» (S.102) lese, der bekomme ein umfassendes Bild des Charak­ters Gottes, welch­er die Liebe ist (S98-103).

Die Per­son Jesus ist Mar­tin wichtig. Der Grund: «Gott ist nie anders, als er sich in Jesus Chris­tus gezeigt hat» (S.101). Während uns in diversen alttes­ta­mentlichen Geschicht­en ein «sadis­tis­ch­er Gott» (S.93) begeg­ne, der kein Mitleid mit Sün­dern hat, son­dern diese «erbar­mungs­los ver­fol­gt» (S.93) zeige sich uns in Jesus Chris­tus ein Gott von bedin­gungslos­er Liebe und grossem Erbar­men.

Neue Ethik und Moral

Auf der Grund­lage seines Bibelver­ständ­niss­es wen­det sich Mar­tin Benz der Frage von Ethik und Moral zu. Es brauche drin­gend zeit­lose ethis­che Prinzip­i­en, welche uns helfen, auch «mutig neue Moral abzuleit­en» (S.118). Mar­tin möchte nicht die moralis­chen Fragestel­lun­gen unser­er Zeit in «mehr als 2000 Jahre alte Gebote und Regeln hineinzwän­gen» und mit «völ­lig ver­al­teten und wenig durch­dacht­en Moralvorstel­lun­gen» (S.118) beant­worten. Viele Gemein­den und Chris­ten wür­den sich hän­derin­gend danach sehnen, dass «jemand den Mut hat, diese Prinzip­i­en zu for­mulieren» (S.121). Mar­tin Benz glaubt, dass er den Mut hat und präsen­tiert in der Folge 5 Fragestel­lun­gen, welche uns im Prozess moralis­ch­er Urteils­find­ung leit­en sollen.

  1. Entspricht dieses Tun oder Ver­hal­ten der Grun­didee der 10 Gebote? Gemäss Mar­tin gehen die zehn Gebote allen weit­eren alttes­ta­mentlichen Geboten voraus, welche dann jew­eils Konkretisierun­gen dieser Grund­prinzip­i­en darstellen wür­den. Doch dieses erste Prinzip der 10 Gebote brauche selb­st auch unbe­d­ingt weit­ere Ergänzung. Mit ein Grund für die Ergänzungs­bedürftigkeit der 10 Gebote ist wohl, dass diese auch Gedanken enthal­ten, welche ein­fach «das Empfind­en der antiken Gesellschaft zu dieser Zeit» (S.78) abbilden würden.
  2. Was wäre das Barmherzigere? Jesus habe die Men­schen nicht verurteilt, auch wenn diese eines der zehn Gebote mis­sachtet hät­ten. So zum Beispiel bei der Ehe­brecherin, welche zu ihm gebracht wurde (Joh 8). Die Geschichte der Ehe­brecherin sei ein Plä­doy­er für Men­schlichkeit. Jesus habe neben dem Verge­hen der Frau auch die Umstände im Auge gehabt. Deshalb habe er seine Barmherzigkeit erwiesen und diese nicht auf dem «Altar juris­tis­ch­er Kor­rek­theit» (S.132) geopfert. Dieselbe Grund­hal­tung von Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Demut finde sich auch in gewis­sen Tex­ten des Alten Tes­ta­ments, so zum Beispiel beim Propheten Micha (Mi 6:8).
  3. Bringt meine Entschei­dung oder mein Ver­hal­ten meinem Mit­men­schen gegenüber tiefe Liebe zum Aus­druck? Die Liebe sei Quelle und Grun­didee aller Gebote der Tho­ra. In ihr sei, wie Paulus es sagt, «das ganze Gesetz erfüllt» (Rö 13:9). Ein Leben in Liebe sei «Aus­druck der Ver­bun­den­heit mit Gott und damit alles, worauf es am Ende ankommt» (S.134). Deshalb müsse bei unserem Ver­hal­ten immer die Frage gestellt wer­den, ob unser Ver­hal­ten ein Aus­druck echter Liebe sei. Nochmals anders aus­ge­drückt könne gefragt wer­den: «Behan­dle ich meinen Mit­men­schen so, wie er selb­st behan­delt wer­den möchte?» (vgl. Mt 7:12)
  4. Ist mein Ver­hal­ten oder Tun hil­fre­ich und erbauend? Dieses Leit­prinzip erörtert Mar­tin Benz anhand des Stre­ites um den Kon­sum von Götzenopfer­fleisch in der christlichen Gemeinde in Rom (Rö 14). Entschei­dend sei ein­er­seits, mit welch­er Moti­va­tion und Hal­tung man eine Tätigkeit mache, ander­er­seits gelte das Prinzip der Rück­sicht­nahme. Eine bib­lis­che Ethik habe das Wohl des Anderen im Blick. So dürfe der Glaube des Anderen nicht in Gefahr gebracht wer­den durch das eigene Ver­hal­ten, selb­st wenn man ein Gebot find­en würde, welch­es ein bes­timmtes Ver­hal­ten erlauben würde. Es gelte jedoch dabei eine «Tyran­nei der Schwachen zu ver­mei­den» (S.140).
  5. Wirkt mein Ver­hal­ten der Entwürdi­gung von Men­schen ent­ge­gen und stellt es Würde und Wertschätzung her? Dieses ethis­che Prinzip leit­et Mar­tin Benz aus den vie­len Begeg­nun­gen ab, welche Jesus mit Men­schen hat­te. Durch seine Heilun­gen, seinen Begeg­nun­gen und Worten habe Jesus Würde bei den Men­schen hergestellt und sich jed­er Form von Entwürdi­gung, Demü­ti­gung oder Her­ab­set­zung ander­er Men­schen entgegengesetzt.

Geist-geleitete Neuordnungen

In der Folge wer­den diese 5 über­ge­ord­neten Prinzip­i­en mit weit­eren wichti­gen Ele­menten ergänzt, welche für die Wegfind­ung der christlichen Gemeinde in den heis­sen moralis­chen Fra­gen unser­er Zeit dien­lich sein sollen. Denn Mar­tin Benz möchte seine ethis­chen Prinzip­i­en an den brisan­ten The­men der Sex­ual­moral und Homo­sex­u­al­ität durchex­erzieren. Dafür braucht es gemäss ihm das Bewusst­sein, dass sich die Bibel «nicht für eine christliche Sex­ual­moral eignet» (S.154), ins­beson­dere weil «seit Jahrhun­derten» eine «aus ver­schiede­nen Geboten und Bibel­versen zusam­mengestück­elte Sex­ual­moral» (S.154) gepflegt werde, welche kon­ser­v­a­tiv aber wenig kon­se­quent sei. Nach Mar­tin Benz braucht es dafür auch das Wis­sen, dass Gott manch­mal «tut, was er nicht will» (S.159), näm­lich dass er manch­mal bere­it ist, «seinen ewigen Willen und seine Ord­nun­gen zeitweise durch irdis­che Neuord­nun­gen zu erset­zen» (S.160). Dazu braucht es nicht zulet­zt den Heili­gen Geist, der uns in hil­ft, die «Werte des Him­mels und den Herz­schlag Gottes» (S.148) zu vernehmen.

Die Bedeu­tung des Heili­gen Geistes erläutert Mar­tin Benz anhand der Hei­den, welche in Korinth, Thes­sa­loni­ki oder Gala­tien zum Glauben gekom­men waren. Diese hät­ten noch keine Bibeln gehabt. Ihnen habe sowohl das Alte Tes­ta­ment gefehlt, dessen Sprache sie nicht lesen kon­nten, als auch das Neue Tes­ta­ment, welch­es noch nicht ver­fasst war (S.146). Das sei aber in den Augen der Apos­tel keine Tragödie gewe­sen, weil der Geist Gottes diesen neuen Chris­ten half, Gottes Willen zu tun. Der neue Bund in Jesus Chris­tus sei ein Bund des Geistes, in dem die Chris­ten aus einem «inneren Kom­pass»  (S.147) her­aus leben kön­nten. Dies bedinge aber, sich inten­siv mit Gott auseinan­der zu set­zen und sich sein­er Gegen­wart inten­siv auszusetzen.

In den moralis­chen Prob­lem­stel­lun­gen unser­er Tage seien Entschei­dun­gen nötig, die «über die Bibel hin­aus­ge­hen» (S.151). Dabei sei eine mutige Ver­ant­wor­tungsüber­nahme der christlichen Gemein­schaft nötig. Dies könne natür­lich auch aus­genutzt wer­den. Aber das sei alle­mal bess­er als «alle Ver­ant­wor­tung abzuschieben» und ständig auf «3000 Jahre alte Gebote zu ver­weisen, deren Rel­e­vanz so kraft­los ist, dass sie kaum noch das Leben heutiger Men­schen prä­gen» (S.151).

Wichtig ist für Mar­tin Benz die «Idee der Neuord­nun­gen». Solche Neuord­nun­gen find­et Mar­tin Benz an diversen Stellen in der Bibel. So habe Gott eine Neuord­nung der men­schlichen Ernährung vol­l­zo­gen, vom Veg­e­tari­er zum Fleis­chess­er (1Mo 9:1ff). Eben­so sei die Möglichkeit zur Eheschei­dung eine solche Neuord­nung auf­grund der men­schlichen Hartherzigkeit (Mar 10:4–5). Als weit­eres Beispiel ein­er Neuord­nung wird die Ein­führung des König­tums beim Volk Israel aufge­führt. Das König­tum habe zwar nicht dem Willen Gottes entsprochen, sei aber trotz­dem «von Gott erlaubt und sog­ar geseg­net» (S.163) wor­den (1Sam 10:25). Als let­ztes Beispiel führt Mar­tin Benz die Ehelosigkeit an. Obwohl es die klare und von der jüdis­chen Tra­di­tion über Jahrhun­derte bestätigte Ord­nung der Ehe gab, habe Paulus das uner­hörte getan und zur Ehelosigkeit ger­at­en als ein­er von ihm emp­fohle­nen zeitbe­d­ingten Neuord­nung (1Kor 7:8+26–27). Gemäss Mar­tin Benz «weicht Paulus in seinem Rat von der göt­tlichen Ehe­o­rd­nung ab» (S.164).

Mar­tin Benz schliesst aus diesen Beispie­len, dass es Zeit­en oder Umstände gibt, welche uns dazu her­aus­fordern, «mit grossem Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein bes­timmte Neuord­nun­gen zu for­mulieren» (S.165). Als Mod­ell dient Mar­tin Benz dabei auch das Apos­telkonzil in Jerusalem, bei dem unter der Leitung des Heili­gen Geistes die «gravierende ethis­che Entschei­dung» getrof­fen wurde, dass «Hei­den die Tra­di­tio­nen und Gebote des Alten Tes­ta­mentes und der Tho­ra nicht in ihren Glauben und All­t­ag inte­gri­eren mussten» (S.150)

Mar­tin Benz hat die Idee der Neuord­nun­gen entwick­elt, nach­dem er im Rah­men eines Kirchen­t­ages eine berührende Begeg­nung mit einem langjähri­gen homo­sex­uellen Paar hat­te. War bis anhin für ihn die Bibel bei diesem The­ma «klar und jede Diskus­sion unnötig» (S.166), so vol­lzieht er auf­grund dieser Begeg­nung einen Sinneswan­del. Er möchte gar nicht den Ver­such starten, die ein­schlägi­gen Bibel­stellen gegen Homo­sex­u­al­ität so zu deuten, als wür­den sie gar nicht von Homo­sex­u­al­ität sprechen, denn, wie er fes­thält, «wahrschein­lich tun sie es» (S.169). Doch das sei nicht das Ende der Debat­te. Denn gle­ichgeschlechtliche Anziehung sei eine Real­ität und man werde dem The­ma nicht gerecht, wenn man ein­fach «die weni­gen Bibel­stellen, die sich dage­gen aussprechen, zitiert» (S.169). Es sei ihm bewusst, dass eine Neuord­nung für Homo­sex­u­al­ität «nir­gends in der Bibel» (S.170) zu find­en sei. Doch das von ihm in der Bibel ent­deck­te Neuord­nungs-Prinzip biete Hand, dies den­noch zu tun.

Kro­nzeuge für dieses Vorge­hen ist für Benz die Geschichte von Petrus, welch­er in das Haus des Hei­den Kor­nelius geht (Apg 10). Für Juden sei dieser Schritt zur Zeit der Apos­tel mit genau­so viel Unwohl­sein, Wider­willen oder gar Abscheu ver­bun­den gewe­sen, wie es Mar­tin Benz heute gegenüber Homo­sex­uellen begeg­net. Doch Petrus sei «gehor­sam» gewe­sen und habe das getan, «was sich in seinem Empfind­en bish­er immer als Unge­hor­sam und verun­reini­gend ange­fühlt habe» (S.170). Petrus habe dabei noch nicht gewusst, wie das mit den Hei­den the­ol­o­gisch und ekkle­si­ol­o­gisch genau weit­erge­hen werde, son­dern sich ein­fach auf die Men­schen eingelassen.

Erst später im Apos­telkonzil hät­ten sich dann die inhaltlichen und dog­ma­tis­chen Fra­gen von Petrus gek­lärt. Und «über­raschen­der­weise» wurde dort dann von den Hei­den «nicht ver­langt, jüdisch zu wer­den, sich beschnei­den zu lassen oder sich an die jüdis­chen Gepflo­gen­heit­en zu hal­ten» (S.171). Petrus habe sich also «als erster auf diese Men­schen und den Prozess» (S.171) ein­ge­lassen. Was das The­ma Homo­sex­u­al­ität anbe­langt möchte auch Mar­tin Benz zu denen gehören, die den Mut haben, «in das Haus des Kor­nelius zu gehen» (S.171) und damit einen Prozess voranzutreiben, der uns lehrt, «wie eine Neuord­nung mit Homo­sex­u­al­ität ausse­hen kön­nte» (S.171).

Heute plädiert Mar­tin Benz dafür, an homo­sex­uellen Beziehun­gen ein­fach die gle­ichen Massstäbe wie an het­ero­sex­uelle Beziehun­gen anzuwen­den, näm­lich in ihnen «die bib­lis­chen Werte von Part­ner­schaft zu ver­wirk­lichen»:

«Eine homo­sex­uelle Beziehung ist wie eine het­ero­sex­uelle Beziehung ange­hal­ten zu Treue, Hingabe, Verbindlichkeit, Liebe, Ver­ant­wor­tung und zu ein­er lebenslang angelegten monoga­men Part­ner­schaft» (S.156)

Damit ist Mar­tin Benz am Ende des Buch­es ange­langt. Abgerun­det wird dieses im let­zten Kapi­tel mit eini­gen prak­tis­chen Ratschlä­gen. Er gibt Hil­festel­lun­gen gegen Alltags‑, Glaubens- und Gemein­demüdigkeit und die Auf­forderung, sich Reser­ven ins Leben einzu­pla­nen. Ein Prozess der per­sön­lichen Verän­derung löse zudem auch immer Äng­ste in anderen Men­schen aus, welche diesen Verän­derung­sprozess von aussen miter­leben. Diese Per­so­n­en wür­den vielle­icht die Befürch­tung äussern, man habe den Glauben ver­loren. Diese wür­den einen vielle­icht sog­ar als Gefahr für andere ein­stufen. Er selb­st habe oft «aufs Maul Sitzen» (S.191) müssen, um nicht unnötiger­weise sein Umfeld zu verun­sich­ern oder zu provozieren. Ger­ade als Pas­tor brauche es Weisheit in der Kom­mu­nika­tion dessen, was man ger­ade an Dekon­struk­tions-Erfahrun­gen mache.

Wichtig sei im ganzen Prozess des geistlichen ‘Umzugs’, gute ‘Umzugshelfer’ zu find­en. Es brauche dabei vor allem neue Fre­und­schaften, und nicht neue Feind­schaften. Eine Liste von emp­fohle­nen ‘Umzugshelfern’ (Autoren, Blogs, Pod­casts) run­det das Buch ab. Darunter find­en sich Namen wie Thorsten Dietz, Michael Diener, Rob Bell, Bri­an McLaren, Gre­go­ry Boyd oder Bri­an Zahnd.

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Teil 2: Buchreflexion

Mit seinem Buch möchte Mar­tin einen «pro­gres­siv­en Zyk­lus» der Glaubensen­twick­lung entwer­fen, welch­er dem Gläu­bi­gen hil­ft, nicht frus­tri­ert in dumpfen Zynis­mus Gott und dem Glauben gegenüber zu ver­fall­en, oder den Glauben möglicher­weise ganz verlieren.

Dieses Grun­dan­liegen, Men­schen zu helfen, welche sich in ein­er geistlichen Sack­gasse wäh­nen, ist erst­mal zu begrüssen. Diverse Leser­stim­men lassen ver­muten, dass viele sich ange­sprochen fühlen und das Buch als eine gewisse Befreiung empfind­en. Auch Pas­toren und Mitar­beit­er von christlichen Werken lesen das Buch und fra­gen sich, ob der von Mar­tin vorgeschla­gene Weg des ‘pro­gres­siv-geis­ter­füll­ten’ Glaubens etwas für sie, ihre Kirchen und Organ­i­sa­tio­nen sein könnte.

Eben­falls spür­bar ist die langjährige Erfahrung als Pas­tor und als Dozent für Homiletik (Predigt-Lehre). Mar­tin kom­mu­niziert ver­ständlich und gekon­nt — auch für Men­schen an der Basis von Kirchen und Gemein­den. Es wird sowohl Kopf als auch Herz angesprochen.

Ein weit­er­er Punkt, den ich würdi­gen möchte, ist, dass Mar­tin sich Zeit gelassen hat mit der Pub­lika­tion des Buch­es. Seit ger­aumer pub­liziert er einen eige­nen Pod­cast, in dem er seine Ideen eines «geis­ter­füll­ten Pro­gres­siv­en» bespricht. Mar­tin hat der Ver­suchung wider­standen, die Welt mit unaus­ge­gore­nen Ideen in Buch­form zu beglück­en. Das Buch präsen­tiert das Ergeb­nis eines län­geren Wand­lung­sprozess­es und nicht nur die näch­ste Idee.

Wertvoll am Buch von Mar­tin finde ich auch die Fra­gen, die er im Grunde genom­men stellt, unter anderem:

  • Wie wen­det man einen Text, der vor Jahrtausenden in ein­er anderen Kul­tur geschrieben wurde auf heute an?
  • Wie gehen wir um mit den Zweifeln und Fra­gen, die in unserem Glauben entste­hen können?
  • Wie sollen wir als Chris­ten reagieren, wenn es zu einem sub­stantiellen Unwohl­sein kommt mit der Art, wie der Glaube ver­standen und gelebt wird im Kreis unser­er Herkun­ft und Gemeinschaft?
  • Wie denkt sich Gott Sex­u­al­ität heute?

Diese pos­i­tiv­en Aspek­te ausgenom­men ste­he ich dem Buch aber kri­tisch gegenüber. Ich möchte einige Gründe dafür erläutern, in der Hoff­nung, dass meine per­sön­liche Auseinan­der­set­zung mit den Inhal­ten des Buch­es auch für andere hil­fre­ich ist. Dabei beziehe ich mich auss­chliesslich auf die Buch­in­halte von Mar­tin, nicht auf die umfan­gre­ichen Pod­casts und Predigten, welche er in den ver­gan­genen Jahren pub­liziert hat. Der pro­gram­ma­tis­che Charak­ter des Buch­es lässt diese Ein­gren­zung meines Eracht­ens zu.

Die The­men, die Mar­tin auf­greift, sind alle­samt wichtig und bren­nen vie­len Chris­ten aktuell unter den Nägeln. Lei­der kann ich in dieser Reflex­ion über sein Buch manch­mal nur andeuten, in welche Rich­tung ich die Lösun­gen sehe. Weit­er­führende Artikel kön­nen in Zukun­ft diesen Artikel ergänzen.

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1.   Wohin will Martin Benz uns führen?

«Sei einen Schritt voraus und du wirst zum Vor­bild, sei drei Schritte voraus und du wirst zum Mär­tyr­er» (S.191)

Mar­tin möchte so viele wie möglich mit auf die Reise nehmen. Er weiss auch, dass der Men­sch sel­ten in krassen Umbrüchen lebt. Ansicht­en und Werte entwick­eln sich meist in kleinen Schrit­ten, man kön­nte auch sagen: organ­isch. Deshalb arbeit­et Mar­tin stets nach sein­er langjähri­gen Maxime, wonach der pro­gres­sive Leit­er nicht zu weit vorau­seilen darf, weil dieser son­st zum Mär­tyr­er wird.

Was auf den ersten Blick ein gutes Leitung­sprinzip scheint, weckt jedoch auch Fra­gen. Dieses Prinzip lässt mich als Leser mit der Frage zurück, ob der Autor wirk­lich offen kom­mu­niziert oder Dinge vor mir ver­birgt, die noch zu ‘gefährlich’ für mich sind. Kommt dieses Leit­er­schafts-Prinzip nicht ein­er Ent­mündi­gung der Leser nahe? Bei allem Ver­ständ­nis für die Son­der­stel­lung, welche Pas­toren in ihren Gemein­den haben mögen: Warum sollte man der Welt die Überzeu­gun­gen nicht offen kom­mu­nizieren kön­nen, die man inner­lich hat? Ist es nicht zumut­bar, ein­er Leser­schaft das Ziel ein­er Reise zu kommunizieren?

Genau diese Frage habe ich Mar­tin schon vor 3 Jahren gestellt in meinem ersten Artikel für Daniel Option. Ein Blog­a­r­tikel, den er sel­ber zwei Jahre später veröf­fentlichte, kann wohl als Antwort darauf gele­sen wer­den: das Ziel muss immer ‘Lei­den­schaft für Jesus’ sein. Die Rück­fra­gen, die wir (mein Brud­er Paul in Absprache mit mir) zu seinem Artikel gestellt haben, hat Mar­tin Benz lei­der nie beantwortet.

Mit der erwäh­n­ten Maxime bleibt ein­fach unweiger­lich die Frage zurück, ob man nun ein­fach eine vor­läu­fige Kom­mu­nika­tion des Leit­ers vor sich hat, oder was dieser wirk­lich denkt und anstrebt.

Ich per­sön­lich sehe es heute so: Es gehört wohl zum Wesen des Pro­gres­sivis­mus, dass es eigentlich höch­stens Etap­pen­ziele geben kann. Ein pro­gres­siv­er Glaube, welch­er ‘angekom­men’ ist, ist de fac­to kein pro­gres­siv­er Glaube mehr.

Trotz dieser grund­sät­zlichen Unsicher­heit möchte ich darauf ver­trauen, dass Mar­tin im Buch eine offene Dar­legung sein­er aktuellen Sicht der Dinge wiedergibt.

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2.   Der Strohmann

«…dass auch die bibel­treusten Fun­da­men­tal­is­ten nicht wirk­lich glauben, was sie von sich selb­st behaupten.» (S.56)

Wenn es darum geht, der ver­pön­ten ‘bibel­treuen’ The­olo­gie den Garaus zu machen, greift Mar­tin Benz lei­der zum Strohmann Argu­ment. Er zeich­net das Bild ein­er Gilde von Heuch­lern. Wenn diese ihre Prinzip­i­en ernst nehmen wür­den, müssten sie noch an ein geozen­trisches Welt­bild und eine auf Säulen ruhende Erde glauben (S.56–57).

Es ist schade, dass Mar­tin seine Argu­mente schein­bar nur for­mulieren kann, indem er sie mit einem verz­er­rten und schlimm­st­möglichen Bild sein­er ehe­ma­li­gen Glaubenswelt ver­gle­icht. Dabei weiss Mar­tin Benz als ehe­ma­liger Absol­vent der STH in Basel sehr wohl um den Reich­tum und die Tiefe kon­ser­v­a­tiv­er The­olo­gie. Natür­lich ken­nt er einen John Stott, einen J.I. Pack­er, einen Tim Keller – nur um ein paar Expo­nen­ten von ges­tande­nen und ein­flussre­ichen kon­ser­v­a­tiv­en The­olo­gen der ver­gan­genen Jahrzehnte zu nen­nen. Diese treten sehr dif­feren­ziert und mit wis­senschaftlich­er Gründlichkeit an die Texte der Bibel her­an. Deren akademis­che Kom­pe­ten­zen übertr­e­f­fen meine auf jeden Fall bei weit­em, möglicher­weise auch diejeni­gen von Mar­tin Benz.

Warum misst Mar­tin Benz seine The­olo­gie nicht an solchen Expo­nen­ten? Warum ver­gle­icht er nicht seine besten Argu­mente mit deren besten Argu­menten? Es ist ein­fach, Zer­rbilder zu zeich­nen, nur um sie wieder niederzureis­sen. Es ist ein­fach zu gewin­nen, wenn man das Schlecht­este der einen Welt mit dem ide­al­isierten Bild ein­er anderen ver­gle­icht. Selb­stver­ständlich bin auch ich verpflichtet, Autoren und Gesprächspart­ner genau genug zu ver­ste­hen und sie nicht falsch zu karikieren. Dies ist in den aktuell mitunter hitzig geführten Diskus­sio­nen im Chris­ten­tum nicht immer einfach.

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3.   Die Bibel als Steinbruch

«Als Chris­ten wollen wir Gott von Herzen gehor­sam sein. Wir wollen nicht ein­fach eine Bibel­stelle um die Ohren gek­nallt bekom­men» (S.119)

«Aber das ist alle­mal bess­er, als alle Ver­ant­wor­tung von sich zu schieben und ständig auf 3000 Jahre alte Gebote zu ver­weisen, deren Rel­e­vanz so kraft­los ist, dass sie kaum noch das Leben heutiger Men­schen prä­gen» (S.151).

Mar­tin Benz schreibt, dass er nicht die Inspi­ra­tion der Bibel in Zweifel ziehen möchte. Für ihn sei die Bibel nach wie vor inspiri­ertes Wort Gottes (S.70). Doch in der Prax­is scheint er der Bibel doch nicht wirk­lich zu ver­trauen, wenn es um die Gestal­tung des Lebens in unseren Tagen geht.

Mar­tin liest die Bibel vor allem als ein Buch, in dem Men­schen in der Ver­gan­gen­heit ihre sub­jek­tiv­en Gottes­bilder und ihr religiös­es Empfind­en zum Aus­druck gebracht haben. Damit ist auch der Umgang mit der Bibel vorgeze­ich­net. Für Benz gilt nicht, die innere Ein­heit der Bibel als eines Buch­es mit vie­len Autoren, aber einem Urhe­ber, einem inspiri­eren­den Geist zu suchen. Er sieht in der Bibel vielmehr zeitbe­d­ingte Gottes­bilder und Ideen.

Im Schreiben von Mar­tin müssen die Inhalte und Ideen der Bibel immer wieder zum ‘Kampf’ gegeneinan­der antreten. Das Alte und das Neue Tes­ta­ment oder Jesus und der Rest der Bibel wer­den gegeneinan­der aus­ge­spielt. Die Bibel wird als Buch voller schein­bar unüber­brück­bar­er, inner­er Kon­flik­te geze­ich­net, in dem es immer wieder gilt, das Gute vom Schlecht­en und das Brauch­bare vom Unbrauch­baren zu tren­nen. Hier wird ein «sadis­tis­ch­er Gott» aus­gemacht, dort die «völ­lig ver­al­teten und wenig durch­dacht­en Moralvorstel­lun­gen».

Ich empfinde deshalb bei Mar­tin eine Ten­denz, die Bibel zu einem ‘Stein­bruch’ zu machen. In diesem lässt sich der eine oder andere wertvolle Dia­mant für unsere Zeit ent­deck­en, die eine oder andere zeit­lose Weisheit zu Tage fördern. Anderes aber ist unbrauch­bar, einiges sog­ar schädlich, toxisch.

Lei­der säht ein solch­es Vorge­hen Mis­strauen gegenüber der Bibel. Nicht mehr die Frage «Herr, was möcht­est du mir sagen» ste­ht dann beim Studi­um im Vorder­grund, son­dern das Sortieren in brauch­bar und unbrauchbar.

Als «einzig objek­tive Darstel­lung Gottes» hat Mar­tin die Per­son Jesus aus­gemacht. Dass er diesen Jesus aber nur durch die Bibel ken­nen­ler­nen kann, welche er oft kri­tisiert und rel­a­tiviert, scheint ihn dabei nicht zu stören. Wäre Mar­tin kon­se­quent, so müsste er die Berichter­stat­tung über Jesus gle­icher­massen kri­tisieren und rel­a­tivieren. Wie kann sich denn Mar­tin der objek­tiv richti­gen Darstel­lung Gottes in der Berichter­stat­tung über Jesus sich­er sein, wenn diese aus einem Buch stammt, in dem er selb­st immer wieder sub­jek­tive, zeitbe­d­ingte Gottes­bilder ausmacht?

Wenn Mar­tin Benz anfängt, in alttes­ta­mentlichen Tex­ten einen «anderen Geist» auszu­machen, dann impliziert er eigentlich damit, dass die Bibel nicht eine Inspi­ra­tionsquelle hat, son­dern ver­schiedene. Ein solch­es Vorge­hen finde ich in hohem Grade als prob­lema­tisch. Müssen wir jet­zt noch anfan­gen, inner­halb der Bibel Geis­terun­ter­schei­dung zu betreiben?

Eine inhaltliche Kri­tik an den Aus­sagen der Bibel, wie wir sie bei Mar­tin Benz vorfind­en, ist den Autoren der Bibel und auch Jesus Chris­tus fremd. Sowohl Petrus als auch Paulus wider­sprechen Mar­tin, wenn er in gewis­sen Bibel­pas­sagen einen ‘anderen Geist’ ausmacht:

«Denn es ist noch nie eine Weis­sa­gung aus men­schlichem Willen her­vorge­bracht wor­den, son­dern getrieben vom Heili­gen Geist haben Men­schen in Gottes Auf­trag gere­det.» (2Pet 1:21)

«Denn alles, was in der Schrift ste­ht, ist von Gottes Geist eingegeben, und dementsprechend groß ist auch der Nutzen der Schrift: Sie unter­richtet in der Wahrheit, deckt Schuld auf, bringt auf den richti­gen Weg und erzieht zu einem Leben nach Gottes Willen.» (2 Tim 3:16 NGÜ)

Hat Mar­tin aus der Bibel erst­mal seine all­ge­meinen ethis­chen Prinzip­i­en her­aus­des­til­liert, scheint die Bibel für ihn an Rel­e­vanz zu ver­lieren – auss­er, natür­lich, sie lässt sich gut für eine bes­timmte Argu­men­ta­tion ver­w­erten. Dies zumin­d­est ist mein Empfind­en. Damit wird eine deut­liche Abw­er­tung der Bibel vol­l­zo­gen. Sie ist dann nicht mehr das lebendi­ge Wort Gottes an uns, son­dern eher Weisheit­slit­er­atur mit ‘guten ethis­chen Prinzip­i­en’. Nun – gute Weisheit­slit­er­atur haben auch andere Men­schen ver­fasst. So wird aus der Bibel ein gutes Buch unter vie­len anderen gemacht.

Beispiel­haft zeigt sich Mar­tins Arbeitsweise in sein­er Argu­men­ta­tion über Homo­sex­u­al­ität. Mar­tin gibt offen zu das die Bibel homo­sex­uelle Prax­is wohl run­dum ablehnt. Die klaren Vorstel­lun­gen Jesu über Ehe (vgl. Mt 19:4–6 und Mk 10:6–8) scheint er nicht zu beacht­en. Nein, Mar­tin Benz ist einem fre­undlichen gle­ichgeschlechtlichen Paar begeg­net, der ‘Geist’ hat zu ihm gesprochen, eine ‘Neuord­nung’ ist beschlossen. De fac­to macht Mar­tin bei diesem The­ma eine ‘anek­do­tis­che Bewe­is­führung’, welche ein isoliertes Beispiel anstelle von stich­halti­gen (bib­lis­chen) Argu­menten zur Begrün­dung nutzt. Den weit­erge­hen­den Imp­lika­tio­nen dieser von ihm angeregten Neuord­nung scheint er keine Rel­e­vanz beizumessen.

Was haben wir hier vor uns? Wir haben mit Marin Benz einen Autoren, der sich auf der einen Seite zur Bibel als «inspiri­ertes Wort Gottes» beken­nt, der offen zugibt, dass die Bibel homo­sex­uelle Prak­tiken eigentlich ablehnt, und der auf der anderen Seite den­noch dafür plädiert, die Ori­en­tierung an diesem bib­lisch klaren Verdikt über Bord zu wer­fen. Das geht für mich nicht auf.

Petrus und Kornelius

Der Glaube an die Bibel als «inspiri­ertes Wort Gottes» und die gle­ichzeit­ige Ablehnung ein­er ihrer klaren und durchgängi­gen Weisun­gen ist eigentlich ein Wider­spruch in sich selb­st. Doch Mar­tin hat in der Bibel einen Präze­den­z­fall gefun­den, auf den er sich beruft.

Es ist die Geschichte von Petrus und Kor­nelius (Apg 10). Hat nicht auch Petrus – so Mar­tin – das  Unvorstell­bare getan, als er als Jude «in das Haus» des Hei­den Kor­nelius gegan­gen ist? Und hat Petrus nicht auch ein­fach gehan­delt, ohne zu wis­sen, wie das dann mit den Hei­den the­ol­o­gisch und ekkle­si­ol­o­gisch weit­erge­hen würde?

Die Geschichte mit Petrus und Kor­nelius als Argu­men­ta­tion für einen lib­eralen Kur­swech­sel der Kirche in der Frage aus­gelebter Homo­sex­u­al­ität her­beizuziehen, ist nicht neu. Ich kenne diese Argu­men­ta­tion aus der Biografie der bekan­nten ehe­ma­li­gen Wor­ship-Sän­gerin Wicky Beech­ing («Undi­vid­ed», ab S. 173). Doch die Geschichte von Petrus und Kor­nelius gibt uns wed­er eine Legit­i­ma­tion für eine spon­tane Neuord­nung von Homo­sex­u­al­ität, noch einen Freipass, uns nicht um weit­erge­hende Imp­lika­tio­nen zu kümmern.

Mar­tin ver­gle­icht hier ‘Äpfel mit Bir­nen’. Der Grund ist: Es geht in der Geschichte von Petrus und Kor­nelius um etwas, was in den bib­lis­chen Schriften einen lan­gen prophetis­chen Vorschat­ten hat bis zurück zum ersten Buch der Bibel. Bere­its im abra­hami­tis­chen Segen wird ein Segen für «alle Geschlechter auf Erden» angekündigt (vgl. 1Mo 12:1–3). Der Mis­sions­be­fehl von Jesus erweit­ert den Auf­trag der Jünger aus­drück­lich auf alle Völk­er (Mt 28:19–20). Die Ereignisse in der Geschichte von Petrus bedeuten also die Erfül­lung ein­er langjähri­gen Ver­heis­sung, und das Umset­zen des bere­its von Jesus erteil­ten Mis­sion­sauf­trags. Es ist ein vorherge­sagter heils­geschichtlich­er Durch­bruch und ein Gehor­samss­chritt Jesus Chris­tus gegenüber. Auch beim Traum von Petrus mit den unreinen Tieren haben wir keine neue Offen­barung vor uns. Jesus hat­te seinen Jüngern bere­its klargemacht, dass die Rein­heits­ge­bote aufge­hoben sind (Mk 7).

Die Geschichte von Petrus und Cor­nelius scheint mir daher in kein­er Weise brauch­bar für die Behand­lung des The­mas Homo­sex­u­al­ität, welch­es – im Unter­schied zum ver­heis­se­nen Segen an alle Natio­nen – keinen in der Bibel angekündigten ‘Vorschat­ten’ hat, der irgend­wann zur Gutheis­sung aus­gelebter Homo­sex­u­al­ität führen würde. Nüt­zlich ist für Mar­tin Benz in der Geschichte lediglich der Akt der Gren­züber­schre­itung, den er für seine Zwecke instru­men­tal­isiert. Doch in der Geschichte von Petrus und Kor­nelius geht es um eine angekündigte und von Jesus ange­ord­nete Gren­züber­schre­itung, nicht eine unangekündigte.

Eben­so empfinde es als untauglich, wie das Unwis­sen von Petrus über zukün­ftige the­ol­o­gis­che und ekkle­si­ol­o­gis­che Fragestel­lun­gen als Aufhänger ver­wen­det wird, um der Leser­schaft schmack­haft zu machen, dass auch in der Frage der Homo­sex­u­al­ität ein­fach ein mutiger Schritt ohne weit­ere Gedanken über poten­tielle Kon­se­quen­zen und weit­er­führende Fragestel­lun­gen ange­sagt sei. Mar­tin möchte uns hier mith­il­fe eines ‘isolierten Argu­mentes’ für seine Hal­tung gewin­nen. Doch Ideen haben logis­che Imp­lika­tio­nen und ste­hen nicht alleine da. Wer ein Argu­ment gewin­nen will, sollte den Zusam­men­hang zu möglichen neg­a­tiv­en Fol­gen oder anderen Kon­se­quen­zen nicht von vorn­here­in ablehnen, son­dern diese mitbedenken.

Jedem, der sich auch nur ein wenig mit den Fragestel­lun­gen rund um die Ehe für alle befasst, wird schnell auf äusserst weitre­ichende Fragestel­lun­gen stossen. Zum Beispiel bildet die Polar­ität von Mann und Frau die Basis dafür, dass die Ehe als Verbindung von zwei Men­schen gese­hen wird. Mit der Preis­gabe dieser Polar­ität wird auch die Zahl 2 als Grund­lage für verbindliche sex­uelle Beziehun­gen in Frage gestellt. Polyamor­ie ist die logis­che näch­ste Diskus­sion, und genau diese wird (fol­gerichtig) bere­its in unser­er Gesellschaft geführt. Genau­so befeuert die Ein­führung der Ehe für alle auch die Forderung nach ein­er Legal­isierung von Leih­mut­ter­schaft. Dass gle­ichgeschlechtliche Paare auf natür­lichem Wege keine Kinder zeu­gen kön­nen, wird zum neuen ‘Unrecht’. Die einzige Lösung ist dabei die Entkop­pelung der Fortpflanzung von der Sex­u­al­ität, unter anderem durch die unsägliche Prax­is der Leihmutterschaft.

Doch — da gibt es gewichtige Fra­gen und Forderun­gen. Diese liegen längst auf dem Tisch und wer­den von den entsprechen­den Kreisen als gesellschaftliche Real­itäten etabliert. Nur möchte Mar­tin diese vielle­icht nicht disku­tieren. Also präsen­tiert er uns Petrus als grossar­tiges bib­lis­ches Beispiel dafür, dass wir uns doch keine Gedanken über Zukün­ftiges machen sollen, wenn uns der Impuls des ‘Geistes’ erre­icht hat. Dabei gäbe es genü­gend Hin­weise in der Bibel, welche uns auf die Wichtigkeit eines vorauss­chauen­den Han­delns und auf die Gefahren von Gedanken­losigkeit hin­weisen (z.B. Spr 22:3; Spr 27:12).

Die Geschichte von Petrus und Kor­nelius dient Mar­tin meines Eracht­ens dazu, um ein­er möglicher­weise bere­its von ihm beschlosse­nen Mei­n­ung eine schein­bar bib­lis­che Legit­i­ma­tion zu ver­lei­hen. Ich habe dur­chaus Ver­ständ­nis für Martin’s pas­torales Anliegen für (homo­sex­uelle) Men­schen. Doch dieses berechtigte Anliegen sollte ihn nicht dazu ver­leit­en, die Bibel zu instrumentalisieren.

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4.   Wenn das Narrativ regiert

«Auf­grund dieser beson­deren Sit­u­a­tion weicht Paulus in seinem Rat von der göt­tlichen Ehe­o­rd­nung ab…» (S.164)

Beim Lesen des Buch­es von Mar­tin Benz werde ich den Ein­druck nicht los, dass an Schlüs­sel­stellen sein­er Argu­mente das gewün­schte Resul­tat am Anfang der Argu­men­ta­tion ste­ht. Dadurch entste­hen mein­er Ansicht nach sach­liche Fehler. Wir ste­hen wohl alle in der Gefahr, nicht den Argu­menten zu fol­gen, son­dern diese (vielle­icht auch unbe­wusst) so zurechtzule­gen, dass sie unsere These stützen. Doch für einen The­olo­gen, der von sich behauptet, die Bibel im Gegen­satz zu den von ihm ver­achteten ‘Bibel­treuen’ ernst zu nehmen (S.55), geschieht dies im Buch von Benz mein­er Mei­n­ung nach zu oft.

Ich möchte zur Illus­tra­tion zwei Beispiele erwähnen.

Paulus und das Zölibat

Das erste Beispiel bet­rifft die Präsen­ta­tion von Paulus als Urhe­ber des Zöli­bats (S.164). Diese Aus­sage stimmt sach­lich nicht – die Stärkung des Zöli­bats geht auf Jesus sel­ber zurück, welch­er bere­its für eine Aufw­er­tung des Zöli­bats gesorgt hat. Die Juden glaubten, dass es zwei Gründe gibt für einen Men­schen, berechtigter­weise zöli­batär zu leben: Wenn man zur Ehe unfähig geboren wird oder von Men­schen zur Ehe unfähig gemacht wird. Jesus nen­nt in Mt 19:12 bei­de Gründe und erweit­ert diese um einen entschei­den­den drit­ten Grund: Von sich aus, um des Reich­es Gottes willen zöli­batär leben.

Mit dieser Kri­tik am Juden­tum bezüglich dessen Hand­habung des Zöli­bats liefert Jesus das nötige Pen­dant zu sein­er Forderung, dass Ehe zwis­chen einem Mann und ein­er Frau sein soll (Mat 19,1–11). Jesus erk­lärt u.a. damit, dass die im Alten Tes­ta­ment tolerierte Polyg­a­mie aufgegeben wer­den muss. Dies kann er aber nicht tun, ohne gle­ichzeit­ig das Zöli­bat neu als berechtigten Lebensen­twurf zu etablieren. Das Juden­tum hat­te eine zu eng gefasste Idee vom Zöli­bat entwick­elt und ‘drängte’ damit viele in die Ehe und zum Teil in die Polyg­a­mie. Wenn Jesus möchte, dass die het­ero­sex­uelle Monogamie gelebt wird, muss er gle­ichzeit­ig die Tür weit auf­machen für das Zöli­bat als frei­willig gewählten Lebensen­twurf, der gle­ich­w­er­tig ist zur Ehe. Genau dies tut Jesus in Vers 12 von Matthäus 19.

Abge­se­hen davon: Ledig sein – und Folge dessen keinen Sex zu haben – wird nir­gends in Bibel als Sünde beze­ich­net.  Nir­gends ist meines Wis­sens ein Gebot an den Men­schen gegeben, Sex haben zu müssen. Jesus vol­lzieht mit seinen Aus­sagen also vor allem eine gesellschaftliche Neuord­nung, welche aber eigentlich schon angelegt war in der The­olo­gie des Alten Testaments.

Wir sehen, dass Jesus kein Prob­lem hat­te, die jüdis­che Gesellschaft im sex­u­alethis­chen Bere­ich dort zu kon­fron­tieren, wo er es für nötig sah. Span­nen­der­weise kon­fron­tiert Jesus das Juden­tum an einem Punkt nicht: in der Hal­tung des Juden­tums zur Homo­sex­u­al­ität. Jesu Schweigen zur Homo­sex­u­al­ität im jüdis­chen Kon­text spricht eine laute Sprache.

Klar ist hier jeden­falls: Paulus ist nicht der Urhe­ber des Zöli­bats, son­dern baut weit­er auf dem Fun­da­ment, welch­es Jesus bere­its gelegt hat.

Kein Altes Testament vorhanden?

Das zweite Beispiel bet­rifft eine Aus­sage, die für Mar­tins Argu­ment von zen­traler Bedeu­tung ist. Es geht um die Behaup­tung, dass den Hei­denchris­ten zur Zeit von Paulus nicht nur das Neue Tes­ta­ment fehlte, son­dern auch das Alte Tes­ta­ment. Dies, weil sie dessen Sprache (Hebräisch) nicht lesen kon­nten (S.135).

Mar­tin gibt uns am Beispiel der neuen Chris­ten in Eph­esus zu ver­ste­hen, dass dies auch kein Prob­lem war. Der Fokus von Paulus bei diesen jun­gen Chris­ten sei auf dem Emp­fang des Heili­gen Geistes gewe­sen, nicht auf dem Emp­fang von «Lis­ten mit Geboten». Entschei­dend sei der innere Kom­pass des Geistes. Dieser ver­mit­tle uns die Werte des Him­mels und damit Ethik. Der Bund des Mose hinge­gen sei ein Bund der Moral gewe­sen (S.136).

Mar­tin baut so an ein­er Argu­men­ta­tion für ein rein geist­geleit­etes Leben, welch­es der bib­lis­chen Schriften nicht (mehr) bedarf.

Doch es stimmt gar nicht, wie von Mar­tin behauptet, dass es den Hei­denchris­ten auf­grund ein­er Sprach­bar­riere nicht möglich war, das Alte Tes­ta­ment zu lesen. Die Real­ität ist, dass zu jen­er Zeit die Sep­tu­ag­in­ta – die griechis­che Über­set­zung des Alten Tes­ta­ments – weit ver­bre­it­et war unter den Juden und den gottes­fürchti­gen Hei­den im Römis­chen Reich. Die Sep­tu­ag­in­ta bildete auch die Basis für die alttes­ta­mentlichen Zitate in den entste­hen­den Schriften des Neuen Tes­ta­ments. Die Hei­denchris­ten hat­ten also dur­chaus Zugang zum Alten Testament.

Wir alle leben mit Lück­en in unserem Wis­sen. Die Geschichte der Sep­tu­ag­in­ta war mir selb­st bis vor kurzem auch nicht bewusst. Das Neue Tes­ta­ment würde uns aber auch son­st klar machen, wie wichtig die beste­hen­den bib­lis­chen Schriften für die Chris­ten der ersten Gen­er­a­tion waren, und es auch für uns sein sollten.

Sich­er sehen wir in der Evan­ge­li­sa­tion immer wieder unter­schiedliche Strate­gien. Zum Beispiel knüpft Paulus in sein­er Rede auf dem Are­opag in Athen sehr stark an die Lebenswelt der Athen­er an und knallt diesen nicht grad Bibel­stellen um die Ohren. Das heisst aber nicht, dass sich die bib­lis­chen Schriften für Paulus erübrigt hät­ten. Im Gegen­teil. Es war ihm ele­men­tar wichtig, dass die Verkündi­gung und das Zeug­nis der Chris­ten «nach der Schrift» — also im Ein­klang mit ihr war (1Kor 15: 3–4).

Paulus reiste zudem durch Gemein­den, schrieb Briefe und ermah­nte die Chris­ten sein­er Zeit immer wieder, an seinem Vor­bild und an der Lehre festzuhal­ten. Das Evan­geli­um durfte auf keinen Fall verän­dert oder ver­fälscht wer­den. Wäre nur der Geist wichtig, wären solche Auf­forderun­gen und Ermah­nun­gen unnötig gewesen.

Wir kön­nen daraus schliessen: die Chris­ten hat­ten nicht nur das Alte Tes­ta­ment ver­füg­bar, son­dern mündlich und ein Stück­weit auch schriftlich das Neue Tes­ta­ment in der Lehre der Apos­tel, welche unter ihnen wirkten.

Natür­lich ist für das richtige Ver­ste­hen der bib­lis­chen Schriften die Hil­fe des Heili­gen Geistes unverzicht­bar. Doch der «innere Kom­pass» des Geistes, den Mar­tin betont, erset­zt nicht die Ori­en­tierung an der Schrift. Das Eine darf nicht gegen das Andere aus­ge­spielt werden.

Dies zeigt sich ger­ade auch am Beispiel der Eph­eser, welche Mar­tin ja zur Begrün­dung sein­er These braucht. Natür­lich war es für Paulus grundle­gend wichtig, dass diese Eph­eser den Heili­gen Geist emp­fan­gen (Apg 19,1–6). Doch dies hat die Heilige Schrift nicht abgew­ertet. Im Gegen­teil. Wer den Geist empfängt muss auch das Wort Gottes ergreifen! Genau dies legt Paulus den Eph­esern in seinem Brief an sie ein­dringlich nahe:

«Ergreift das Schw­ert des Geistes, welch­es ist das Wort Gottes.» (Eph­eser 6,17)

Auch ein Blick in die Mis­sion­s­geschichte würde zeigen, dass die Vision von Mar­tin Benz eines rein geist­geleit­eten christlichen Lebens, welch­es der Schrift nicht wirk­lich bedarf, nicht halt­bar ist. Es lässt sich his­torisch bele­gen, dass dort, wo die Bibel nicht über­set­zt wurde, wie zum Beispiel in Nordafri­ka unter den Berber Völk­ern, die Kirche vom Islam aus­radiert wurde, obwohl emi­nente Kirchen­väter zu jen­er Kirche gehörten, wie zum Beispiel Augusti­nus. Demge­genüber kon­nte sich das Chris­ten­tum in Kul­turen und Regio­nen hal­ten, wo entsprechende Über­set­zun­gen der Heili­gen Schrift vorhan­den waren.

Die her­aus­ra­gende Bedeu­tung der Bibel für Chris­ten in den ersten Jahrhun­derten war so auf­fal­l­end, dass diese Chris­ten im Koran sehr oft als ‘Peo­ple of the Book’ – als ‘Men­schen des Buch­es’ beze­ich­net wer­den. Welch eine tre­f­fliche Beze­ich­nung! Unsere Liebe zur Bibel bedeutet nicht, dass wir zur Bibel beten, son­dern wir beten den einzig wahren, dreieini­gen Gott an, der sich uns durch die Bibel offen­bart, und dessen Wort die Bibel ist. Wer die Bibel für ent­behrbar erk­lärt hat ihre grundle­gende Bedeu­tung für uns Chris­ten nicht ver­standen. Wer dies tut, wird auch ganz bes­timmt keinen Auf­bruch des christlichen Glaubens erfahren, son­dern vielmehr ihren langfristi­gen Fortbe­stand gefährden.

Ich stelle zusam­men­fassend fest: Die Argu­mente von Mar­tin sind an wichti­gen Punk­ten so gelegt, dass sie in ein schon vorhan­denes Nar­ra­tiv passen. Mein Empfind­en ist, dass Benz uns einen Paulus zeigt, der ange­blich eine kreative Revi­sion der Sex­ual­moral macht, damit wir dies in unseren Tagen auch tun kön­nen. Er möchte uns eine Geis­tesleitung vor Augen führen, welche der Rück­bindung an die Schrift nicht mehr bedarf, damit wir dies in unseren Tagen auch tun kön­nen. In bei­den Beispie­len bege­ht Mar­tin meines Eracht­ens sach­liche Fehler.

Was kann uns helfen, diese Art von Fehler zu mei­den oder zu reduzieren?

Es hil­ft zu wis­sen, dass nie­mand rein objek­tiv an eine Fragestel­lung herange­ht – auch ich nicht. Oft denken wir in ‘Par­a­dig­men’ – also aus­ge­hend von bes­timmten Denkvo­raus­set­zun­gen. Wenn meine Denkvo­raus­set­zun­gen ganz anders liegen, als jene meines Gesprächspart­ners, kann es anspruchsvoll wer­den. Noch schwieriger kann es sein, wenn er noch vor kurzem diesel­ben Denkvo­raus­set­zun­gen teilte, wie ich, sich nun aber sig­nifikant weit­er­en­twick­elt hat. Je bewusster sich bei­de Gesprächspart­ner ihrer Denkvo­raus­set­zun­gen sind, desto bess­er wer­den sie einan­der ver­ste­hen kön­nen, auch wenn sie nicht ein­er Mei­n­ung sein wer­den. Wenn ich diese Grun­de­in­stel­lung habe, werde ich mit offe­nen Ohren den besten Argu­menten meines Diskus­sion­spart­ners zuzuhören und werde deren Valid­ität abschätzen. Dies will auch ich immer wieder üben. Bezüglich der Bibel ist fern­er wichtig, genug des Textes ‘rund­herum’ zu lesen. Das deckt immer wieder Ele­mente auf, die man aus vielle­icht ide­ol­o­gis­chen Grün­den nicht wahrn­immt, und die klärend wirken können.

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5.   Falsche Dilemmas

Die Bibel ernst oder wörtlich nehmen? (S.44)

Im Buch von Mar­tin Benz begeg­nen mir falsche Dilem­mas. Falsche Dilem­mas kon­fron­tieren den Leser mit ein­er lim­i­tierten Anzahl Optio­nen, welche sich gegen­seit­ig auss­chliessen. Meis­tens geht es um die Wahl zwis­chen 2 Optio­nen, aus denen nur eine aus­gewählt wer­den kann. Zur Etablierung dieser schein­bar klaren Wahlsi­t­u­a­tion müssen aber oft weit­ere mögliche Optio­nen oder Lösungsan­sätze unter­schla­gen wer­den, oder es muss durch irreführende Vere­in­fachung und Zus­pitzung ein schein­bar unüber­windlich­er Kon­trast hergestellt werden.

Falsche Dilem­mas sind ein mächtiges rhetorisches Instru­ment. Durch die Etablierung von falschen oder undif­feren­zierten Gegen­sätzen schaf­fen sie eine Schwarz-Weiss-Sit­u­a­tion. Der Leser, welch­er dies nicht durch­schaut, wird fak­tisch gezwun­gen, die als gut präsen­tierte Wahlmöglichkeit anzunehmen und die als schlecht präsen­tierte abzulehnen.

Sadistischer Gott oder liebevoller Vater?

Ein oft bemüht­es falsches Dilem­ma im Schreiben von Mar­tin ist das­jenige des ‘sadis­tis­chen’ Gottes der alttes­ta­mentlichen Vorstel­lungswelt gegenüber dem liebevollen und barmherzi­gen Gott, der sich im Neuen Tes­ta­ment in Jesus Chris­tus offen­bart. Dieses falsche Dilem­ma lebt davon, die unglaublich liebevollen und wer­ben­den Aspek­te des alttes­ta­mentlichen Gottes­bildes auszublenden. Es lebt auch davon, im Neuen Tes­ta­ment die Ern­sthaftigkeit men­schlich­er Sünde im Angesicht eines heili­gen Gottes auszublenden, welch­es nur durch das Süh­neopfer Jesu am Kreuz behoben wer­den kon­nte (vgl. 1Joh 2:2). Der ‘alttes­ta­mentliche’ Gott, der sein Volk gle­ichzeit­ig mit «ewiger Liebe» geliebt hat (Jer 31:3), ist in diesem Dilem­ma eben­so abwe­send wie der ‘neutes­ta­mentliche’ Gott, der beispiel­sweise König Herodes durch seinen Engel von Würmern zer­fressen lässt (Apg 12:23).

Für eine einge­hende Besprechung dieser umfan­gre­ichen The­matik fehlt hier der Platz. Mir scheint aber, dass hin­ter diesem falschen Dilem­ma immer wieder die Idee steckt, dass ein lieben­der Gott doch nicht strafen oder zornig wer­den darf. Komisch! Liebe, die echt liebt, wird doch über Ungerechtigkeit zornig, son­st ist es keine echte Liebe. Gottes Zorn, auch im Alten Tes­ta­ment, ist immer wieder auch Aus­druck sein­er Liebe. Es gibt auch Strafe, die gerecht ist, hil­fre­ich, reini­gend. Das unter­schlägt Mar­tin Benz. Auch wenn es uns vielle­icht Mühe macht: Liebe und Zorn Gottes sind in der Bibel keine sich auss­chliessenden Wider­sprüche.  Sie sind auch selb­stver­ständliche The­men im neuen Testament:

«Sieh nun die Güte und die Strenge Gottes» (Röm 11:22).

Wörtlich die Bibel lesen, oder sie ernst nehmen?

Sollen wir «die Bibel ernst nehmen oder wörtlich?» (S.44), fragt Mar­tin den Leser. Auch diese Gegenüber­stel­lung stellt ein falsches Dilem­ma dar, welch­es zudem eine sub­tile Ver­ach­tung ein­er bes­timmten Kat­e­gorie von Men­schen zum Aus­druck bringt, näm­lich den­jeni­gen, welche die Bibel ‘wörtlich’ nehmen.

Wer die Bibel ‘wörtlich’ nehmen möchte, gehört dem­nach eben auch in die Kat­e­gorie der­jeni­gen, welche die Bibel ‘nicht ernst’ nehmen. Wer die Bibel ‘wörtlich’ nimmt, ist dem­nach irgend­wie dumm, unre­flek­tiert, gedanken­los, undif­feren­ziert. Im Gegen­satz dazu ste­hen diejeni­gen, welche es bess­er wis­sen und tief­ere Erken­nt­nis haben. Dieses falsche Dilem­ma macht damit eine pauschale Kat­e­gorisierung von Men­schen und nimmt sich ger­ade nicht die Mühe zu differenzieren.

Immer­hin scheint Mar­tin nach dem Aufw­er­fen des Dilem­mas etwas zu dif­feren­zieren, indem er das kleine Wort ‘alles’ ein­fügt: «Man nimmt die Bibel ger­ade nicht ernst, wenn man ver­sucht, alles in ihr wörtlich zu nehmen» (S. 48, Kindle)

Die Wirkung der Aus­sage bleibt meines Eracht­ens in abgeschwächter Form trotz­dem erhal­ten. Weshalb wir darüber reden müssen. Mir ist diese Aus­sage wohlbekan­nt, denn sie ist fes­ter Bestandteil der grundle­gen­den Überzeu­gun­gen der bekan­nten Online Mediathek Worthaus: »Wer die Bibel wörtlich nimmt, nimmt sie nicht ernst.«

Wer dieser Aus­sage auf die Spur geht, wird auch auf die Per­son stossen, welche dieses falsche Dilem­ma in unser­er Zeit wohl pop­u­lar­isiert hat. Es ist der bekan­nte lib­erale The­ologe und Bischof der Episkopalen Kirche John Shel­by Spong (1931–2021). In seinem Buch «Res­cu­ing the Bible from Fun­da­men­tal­ism» arbeit­et Spong kon­se­quent mit dem Kon­trast zwis­chen dem ‘wörtlich’ und dem ‘ernst’ nehmen der Bibel. So schreibt er zum Beispiel:

«Das Wörtlich-Nehmen der Bibel stirbt über­all, wo die Bibel ern­sthaft studiert wird» (Res­cu­ing the Bible, S214, Kin­dle, eigene Übersetzung)

Wer sich mit Spong befasst wird bald merken, dass ‘die Bibel ernst nehmen’ in seinem Fall bedeutete, die Aus­sagen der Bibel grundle­gend abzulehnen. Spong lehnte den christlichen The­is­mus ab, also die Lehre das Gott die Welt erschaf­fen hat. Er lehnte Jesus Chris­tus als Inkar­na­tion Gottes ab. Er lehnte Wun­der­berichte oder über­natür­liche Ereignisse ab, also auch Dinge wie die Jungfrauenge­burt oder leib­lichen Aufer­ste­hung. Er lehnte die bib­lis­che Lehre der Sünde ab. Die Idee, dass Jesus am Kreuz für die Sünde der Men­schheit gestor­ben ist, beze­ich­nete er als bar­barische Idee auf der Basis prim­i­tiv­er Ideen über Gott. Und natür­lich lehnte er auch die Verbindlichkeit der Bibel in ethis­chen Fra­gen­stel­lun­gen ab.

Eigentlich wollte Spong das Chris­ten­tum ‘ret­ten’, indem er es von allem befre­ite, was poten­tiell zu kri­tis­chen Anfra­gen aus Natur­wis­senschaft und his­torisch­er Wis­senschaft hätte führen kön­nen. Die Real­ität war aber, dass seine Diözese Newark (USA) während sein­er 21-jähri­gen Amt­szeit mehr als 43 Prozent sein­er Mit­glieder ver­lor – ein Wert fast dop­pelt so hoch wie der durch­schnit­tliche Mit­glieder­schwund im Rest seines Kirchen­ver­ban­des im sel­ben Zeitraum.

Ich per­sön­lich finde, das sind dur­chaus dubiose Hin­ter­gründe. Doch der Satz ist nun mal hier und hat sich zum fes­ten Bestandteil des poste­van­ge­likalen Selb­stver­ständ­niss­es gemausert. Er taucht auch immer wieder mal in den sozialen Medi­en auf. Dort habe ich mal pro­vokant in einem Kom­men­tar nachgefragt:

«“Du sollst nicht töten.” Ern­st­nehmen, aber bitte nicht wortwörtlich? “Du sollst nicht ehe­brechen.” Ern­st­nehmen, aber bitte nicht wortwörtlich? “Du sollst nicht stehlen.” Ern­st­nehmen, aber bitte nicht wortwörtlich?»

Damit wollte ich darauf hin­weisen, wie wenig hil­fre­ich die Aus­sage ist, weil sie einen Schein­wider­spruch, ein falsches Dilem­ma kon­stru­iert. Denn: gewisse Dinge nimmt man eben ger­ade dann ernst, wenn man sie wörtlich nimmt. Die Entrüs­tung über meinen Kom­men­tar war gross 😊. Ein wert­er The­ologe stellte umge­hend meine Intel­li­genz in Frage. Kommt uns diese her­ab­set­zende Kat­e­gorisierung bekan­nt vor? Nun – der The­ologe hat­te zu einem späteren Zeit­punkt wenig­stens die Grösse, seinen her­ablassenden Kom­men­tar zu löschen und sich bei mir zu entschuldigen. Das halte ich ihm zugute.

Tat­sache ist: Jed­er liest die Bibel erst­mal ‘wortwörtlich’. Der lib­er­al­ste Christ und der grösste Fun­da­men­tal­ist. Eben­so ver­sucht jed­er ser­iöse Ansatz der Bibelausle­gung, den ich kenne, eine Bibel­stelle vom Kon­text her zu ver­ste­hen und in der vorhan­de­nen Textgat­tung, um damit die vom jew­eili­gen Autoren beab­sichtigte Aus­sage her­auszuschälen. Wer die Bibel ernst nehmen will, der kommt nicht darum herum, sie erst­mal beim Wort zu nehmen – ihr also ihr ihre beab­sichtigten Aus­sagen zuzugestehen.

Vorfahrensschuld oder Freiheit des Individuums?

Ich möchte noch an einem drit­ten und let­zten Beispiel die The­matik des falschen Dilem­mas auf­greifen, und zwar am Beispiel der Vor­fahrenss­chuld, welche Mar­tin Benz im Buch the­ma­tisiert (S.75 ff). Das Dilem­ma, welch­es Mar­tin hier auf­baut, ist zwis­chen den 10 Geboten und dem Reden des Propheten Hes­ekiel.

Die eine Option des Dilem­mas präsen­tiert uns Mar­tin im ersten der Zehn Gebote (keine anderen Götter):

«Wirf dich niemals vor ihnen nieder und verehre sie auf keinen Fall! Denn ich, Jah­we, ich, dein Gott, bin ein eifer­süchtiger Gott. Wer mich ver­achtet und bei­seitestellt, bei dem ver­folge ich die Schuld der Väter noch bis zur drit­ten und vierten Gen­er­a­tion.» (2Mo 20:5 NeÜ)

Diese For­mulierung sieht Mar­tin im «krassen Gegen­satz» (S.77) zu einem Text im Propheten Hes­ekiel, aus dem er fol­gen­den Vers als Zusam­men­fas­sung festhält:

«Nur wer sündigt, muss ster­ben. Der Sohn soll nicht die Schuld des Vaters tra­gen und der Vater nicht die des Sohnes. Die Gerechtigkeit kommt nur dem zugute, der recht vor Gott lebt, und die Schuld lastet nur auf dem Schuldigen.» (Hes 18:20 NeÜ)

Tat­säch­lich wirkt diese Gegenüber­stel­lung als klar­er Wider­spruch. Gibt es denn nun so etwas wie eine Über­tra­gung von Schuld über die Gren­zen der Gen­er­a­tio­nen hin­weg oder nicht? Für Mar­tin ist klar: in den 10 Geboten wird das «Empfind­en der antiken Gesellschaft zu dieser Zeit» abge­bildet (S70). Man denke immer noch in Fam­i­lien­ver­bän­den, Sip­pen und Stäm­men, wo die indi­vidu­elle Schuld hin­ter der kollek­tiv­en Schuld zurück­ste­hen musste. Bei Hes­ekiel verän­dere sich nun etwas Gravieren­des, näm­lich dass der Glaube indi­vidu­eller werde und damit auch Schuld und Ver­ant­wor­tung nun beim Einzel­nen liege. Die Idee der Sip­pen­haf­tung würde damit ein «jäh­es Ende» find­en. Für Mar­tin ist klar, dass hier «eine unge­heure Weit­er­en­twick­lung» stat­tfind­et, die «ihres­gle­ichen zur dama­li­gen Zeit sucht». Sein Faz­it (S. 72, Kindle):

«Man ist ger­ade nicht bibel­treu, wenn man weit­er­hin die Aus­sage in den Zehn Geboten ernst nimmt, dass Kinder oder Enkel die Schuld, die okkul­ten Sün­den oder die Flüche der Eltern tra­gen oder ver­ant­worten müssten.»

Das Dilem­ma, welch­es Mar­tin dem Leser präsen­tiert, lautet fol­gen­der­massen: Möchte er an der ‘prim­i­tiv­en’ Ver­sion der Vor­fahrenss­chuld fes­thal­ten, wie er es in den 10 Geboten ent­deckt? Oder möchte er sich an der fortschrit­tlichen Weit­er­en­twick­lung von Hes­ekiel ori­en­tieren? Für Mar­tin ste­ht fest: Bibel­treue bedeutet den betr­e­f­fend­en Teil der 10 Gebote zu ver­w­er­fen zugun­sten der fortschrit­tlichen späteren Version.

Nun kann es an dieser Stelle nicht darum gehen, das The­ma der Vor­fahrenss­chuld in der nöti­gen Tiefe zu ergrün­den. Ich möchte lediglich aufzeigen, dass der «krasse Gegen­satz» den uns Mar­tin präsen­tiert, eben auch ein kon­stru­iert­er Gegen­satz ist, welch­er dem Text mein­er Mei­n­ung nach fremd ist. Um das zu sehen reicht es, das Buch Mose aufzuschla­gen und da weit­erzule­sen, wo Mar­tin aufhört zu zitieren:

«Wirf dich niemals vor ihnen nieder und verehre sie auf keinen Fall! Denn ich, Jah­we, ich, dein Gott, bin ein eifer­süchtiger Gott. Wer mich ver­achtet und bei­seitestellt, bei dem ver­folge ich die Schuld der Väter noch bis zur drit­ten und vierten Gen­er­a­tion. Doch wer mich liebt und meine Gebote hält, dem schenke ich meine Gun­st auf tausend Gen­er­a­tio­nen hin.» (2Mo 20:5–6 NeÜ)

Das Bibelz­i­tat von Mar­tin hat dem Leser einen entschei­den­den Bestandteil des Textes über die Vor­fahrenss­chuld voren­thal­ten. Dieser im Buch nicht erwäh­nte Teil macht u.a. deutlich:

  1. Gottes Segen hat wesentlich mehr Gewicht und Trag­weite als die Vor­fahrenss­chuld. Während die Vor­fahrenss­chuld nur wenige Gen­er­a­tio­nen greift, wirkt sich der Segen über eine unvorstell­bar län­gere Zeit aus. Gott scheint dem­nach viel mehr am Segen gele­gen zu sein als am Fluch.
  2. Ob in den 10 Geboten oder bei Hes­ekiel: der entschei­dende Punkt ist das Ein­hal­ten der Gebote. Wer Gottes Gebote hält der bewegt sich im Segen­strom Gottes. Umgekehrt ist mit dem Nichtein­hal­ten der Gebote eine zer­störerische Wirkung auf das Leben der betr­e­f­fend­en Per­son ver­bun­den. Hier beste­ht Einigkeit zwis­chen den Texten.
  3. Auch der Text der 10 Gebote macht deut­lich, dass es möglich ist, sich durch das Ein­hal­ten der Gebote von den Kon­se­quen­zen der Schuld der Väter zu lösen. Schon zur Zeit der 10 Gebote ist klar: Wenn ein Indi­vidu­um Gott liebt und seine Gebote hält, beg­ibt sich diese Per­son in den Segensstrom Gottes hinein – und set­zt damit seine Fam­i­lie und Nachkom­men in diesen Bere­ich des Segens. Dies gilt auch für Men­schen, welche von ein­er Schuld der Väter betrof­fen sind. Es gibt also auch hier eine Wahlmöglichkeit zwis­chen Segen oder Fluch.

Diese ein­fachen Fest­stel­lun­gen wer­fen ein anderes Bild auf den aus Sicht von Mar­tin schein­bar unüber­brück­baren Gegen­satz. Min­destens zeigen sie, dass man hier dif­feren­ziert­er disku­tieren sollte. Das heisst nicht, dass keine offe­nen Fra­gen bleiben. Doch diese verbleibende Span­nung kön­nte uns zu weit­erem Nach­denken ein­er gründlichen Ausle­ge­ord­nung motivieren.

Es scheint mir zum Beispiel eine Tat­sache zu sein, dass gewisse Sün­den wie zum Beispiel Miss­brauch, Alko­holis­mus und der­gle­ichen sehr wohl eine gen­er­a­tio­nenüber­greifende Wirkung haben kön­nen. Kinder lei­den nur zu oft an den Kon­se­quen­zen des Han­delns ihrer Eltern. Und immer wieder muss man fest­stellen, wie Opfer wiederum zu Tätern wer­den. Das ist aber nicht die ganze Real­ität. Die Möglichkeit zur Durch­brechung solch­er Muster ist genau­so real. Dies wird aber bere­its im mosais­chen Gebot klar. Gott ist kein «sadis­tis­ch­er Gott», son­dern seine Gnade und sein Segen gilt allen, welche sich nach ihm ausstreck­en und sich nach seinen Ord­nun­gen richt­en wollen. Dies über­strahlt auch in den 10 Geboten die neg­a­tive Wirkung der Sünde.

Ich befürchte, dass die durch Mar­tin vol­l­zo­gene Zus­pitzung auf zwei sich schein­bar wider­sprechende Optio­nen bei den Lesern einen Ver­lust des Ver­trauens in das erste Gebot bewirken und damit auch die Ver­trauenswürdigkeit der 10 Gebote als Ganzes in Frage stellen. Diese wer­den uns nun als irgend­wie unter­en­twick­eltes Regel­w­erk eines eher prim­i­tiv­en Volk dargelegt, welch­es seine archais­chen Gottesvorstel­lun­gen in ihren moralis­chen Code hinein pro­jiziert hat.

Man muss dabei bedenken, was für eine her­aus­ra­gende Stel­lung die 10 Gebote im Alten Tes­ta­ment haben. Es ist der Anspruch des bib­lis­chen Bericht­es, dass die 10 Gebote von Gott selb­st dem Volk Israel anver­traut wur­den in Form von ein­gravierten Tafeln (vgl. 2Mo 32:16; 2Mo 34:28). Die Gebot­stafeln wur­den am heilig­sten Ort auf­be­wahrt, den das Volk Israel kan­nte: in der Bun­deslade (2Mo 25:10–22). Mar­tin aber säht Zweifel, ob denn die Gebote wirk­lich von Gott gekom­men sind, ob sie wirk­lich kost­bar sind, ob wir dem Reden Gottes durch sie wirk­lich ver­trauen kön­nen. Mar­tin sagt es eigentlich deut­lich: gewisse Aus­sagen in den zehn Geboten sind min­der­w­er­tig und soll­ten nicht mehr ernst genom­men wer­den. Doch die Grund­lage für Mar­tins Empfehlung ist eine durch Weglas­sung wesentlich­er Infor­ma­tio­nen verz­er­rte Ver­sion des ersten Gebotes.

Ich empfehle dem Leser mit ein­er guten Por­tion an kri­tis­chem Denken die diversen als unüber­brück­bar dargestell­ten Gegen­sätze zu studieren, welche uns im Buch präsen­tiert wer­den. Oft reicht es, zitierte Bibel­stellen im Zusam­men­hang zu lesen, um ein umfan­gre­icheres und damit auch nuanciertes Bild zu bekom­men, als die zwei Optio­nen, die einem vorge­set­zt wor­den sind.

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6.   Chronologische Fehlschlüsse

«Das ist eine unge­heure Weit­er­en­twick­lung, die ihres­gle­ichen zur dama­li­gen Zeit sucht!» (S.76)

Der Umgang von Mar­tin Benz mit der Vor­fahrenss­chuld illus­tri­ert einen wichti­gen Grundw­ert der pro­gres­siv­en The­olo­gie, näm­lich dass etwas bess­er sein muss, wenn es neu oder neuer ist. Man geht davon aus, dass eine zeit­gemässe Idee eher der Wahrheit entspricht als eine vorherge­hende. Auch in geistlichen und moralis­chen Belan­gen wird von ein­er evo­lu­tionären Höher­en­twick­lung des Men­schen aus­ge­gan­gen. Mar­tin Benz spricht beispiel­sweise von den «völ­lig ver­al­teten und wenig durch­dacht­en Moralvorstel­lun­gen», die wir in der Bibel vorfind­en. Das Alte ist nicht durch­dacht und deshalb nicht wirk­lich brauch­bar. Es braucht schein­bar was Neues, Durchdachtes!

Das­selbe Phänomen zeigt sich, wenn Mar­tin zwis­chen den Tex­ten der Tora über Vor­fahrenss­chuld und den Ein­sicht­en von Hes­ekiel «eine unge­heure Weit­er­en­twick­lung» beobachtet. Doch ist dem wirk­lich so?

Inter­es­sant ist, dass der Prophet Jere­mia, welch­er zur gle­ichen Zeit wie Hes­ekiel lebte, genau die Stelle über die Vor­fahrenss­chuld aus den Zehn Geboten in einem Gebet zitiert und daraufhin von Gott umge­hend die Bestä­ti­gung erhält, dass die kom­mende Ein­nahme der Stadt Jerusalem durch die Baby­lonier dur­chaus im Zusam­men­hang mit ein­er Schuld über Gen­er­a­tio­nen hin­weg stand (vgl. Jer 32:18,31). Ganz spez­i­fisch spricht Gott auch darüber, dass sich das Volk Gottes immer wieder des Götzen­di­en­stes und damit eines Bruch­es des ersten Gebotes schuldig gemacht hat:

«Sie haben sog­ar im Tem­pel ihre abscheulichen Götzen­bilder aufgestellt und dadurch das Haus geschän­det, das mein Eigen­tum ist.» (Jer 32:34, GNB)

War Jere­mia also ein­fach ein rück­ständi­ger und Hes­ekiel der pro­gres­sive Zeitgenosse? War das Reden Gottes zu Jere­mia nur eine Pro­jek­tion sein­er eige­nen Gedanken? Oder war Gott selb­st damals noch etwas ‘alte Schule’ und nicht so fortschrit­tlich wie Hes­ekiel? Ich denke nicht. Wom­öglich ist Mar­tin einem chro­nol­o­gis­chen Fehlschluss erlegen. Die Erzäh­lung im Buch Jere­mia macht sehr klar, dass das Gericht Gottes über sein Volk auch eine Folge der wieder­holten Mis­sach­tung von Geboten war. Und diese Gebote waren in Gottes Augen eben nicht über­holt, son­dern weit­er­hin gültig, wahr und gut.

Wenn eine Idee zeit­gemäss ist, heisst das noch lange nicht, dass sie eher der Wahrheit entspricht als eine frühere Idee. Die bekan­nten christlichen Denker G.K. Chester­ton und C.S. Lewis prägten in diesem Zusam­men­hang den Begriff der ‘chro­nol­o­gis­chen Arro­ganz’. Chronolo­gie hat keinen Ein­fluss darauf, ob eine Weltan­schau­ung oder ein Gottes­bild oder eine moralis­che Vorstel­lung wahr ist oder falsch.

Es gibt wohl auch eine ‘umgekehrte’ chro­nol­o­gis­che Arro­ganz. Eine, welche die Ver­gan­gen­heit verk­lärt und unkri­tisch glo­ri­fiziert. Auch dies sollte ver­mieden wer­den. Natür­lich ist tech­nol­o­gis­che Inno­va­tion eine Real­ität. Natür­lich kann es auch in ein­er Gesellschaft ethis­che Entwick­lun­gen geben, die zu begrüssen sind, die ein echter Fortschritt sind. Ger­ade Chris­ten haben in den ver­gan­genen Jahrhun­derten oft zu solchen Entwick­lun­gen beige­tra­gen (Bsp.: Abschaf­fung der Sklaverei). Und natür­lich sehen wir in der Heili­gen Schrift auch eine fortschre­i­t­ende Offen­barung Gottes, welche im Kom­men Jesus ihren Höhep­unkt hat. Daran hat­ten aber selb­st die the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­en Ver­fass­er der Chica­go Erk­lärung keinen Zweifel (vgl. Chica­go Erk­lärung, Kapi­tel V).

Doch es gilt im Bere­ich der Philoso­phie und Moral eben auch immer wieder, dass es ‘nichts Neues unter der Sonne’ gibt. Oder wie es der Predi­ger tre­f­fend formuliert:

»Sieh her«, sagen sie, »da ist etwas Neues!« Unsinn! Es ist schon ein­mal da gewe­sen, lange bevor wir geboren wur­den.» (Pred 1:10, GNB).

Wir kämen nach mein­er Ansicht weit­er, wenn wir ver­sucht­en, die Hes­ekiel-Stelle als erhel­lende Exegese des ersten Gebotes zu ver­ste­hen, und nicht als Ablö­sung desselben.

Ein für mich hil­fre­ich­es Bild, um Entwick­lun­gen inner­halb der Bibel zu ver­ste­hen, ist das Bild der Foto-Entwick­lung im Labor. In meinen Jugend­jahren hat­te ich über einige Jahre hin­weg freien Zugang zu einem Foto-Labor. Etwas vom Faszinierend­sten war dabei, bei Rotlicht das langsame Erscheinen des Bildes auf dem belichteten Fotopa­pi­er zu beobacht­en. Im Belich­tungs­bad nah­men die Bilder erst nur schemen­haft Gestalt an, nur um immer konkreter und detail­re­ich­er sicht­bar zu wer­den. War das schemen­hafte Bild am Anfang falsch? Auf keinen Fall! Es war ein wesentlich­er Bestandteil des zunehmend klar wer­den­den, und sich entwick­el­nden Gesamt­bildes. Irgend­wie so kann ich mir auch die Bibel und ihre Her­aus­bil­dung über viele Jahrhun­derte hin­weg vorstellen. Die Dinge wer­den konkreter, das Gesamt­bild und die Details treten zunehmend zutage. Dabei sind die ersten, etwas unklaren Kon­turen nicht unnütze oder abzulehnen, son­dern wesentliche und uner­set­zliche Grund­la­gen für das fer­tige Bild.

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7.   Poetische oder faktische Wahrheit?

«Wer davon aus­ge­ht, dass die Bibel vor allem fak­tis­che Wahrheit enthält, muss sie dauernd gegenüber kri­tis­chen Anfra­gen aus Natur­wis­senschaft und his­torisch­er Wis­senschaft vertei­di­gen. Poet­is­che Wahrheit dage­gen kann tiefe Weisheit­en und Prinzip­i­en in ein­er Form zum Aus­druck brin­gen, wie das fak­tis­che Wahrheit nie kön­nte.» (S.74)

«Es kommt nicht so drauf an», scheint die Botschaft von Mar­tin Benz zu sein, wenn es um die His­tor­iz­ität von Ereignis­sen in der Bibel geht. Geschichte kön­nen wir dem­nach auch als ‘Geschicht­en’ ver­ste­hen. Wichtig sind die geistlichen Ein­sicht­en, welche wir diesen Geschicht­en ent­nehmen und weniger, ob diese tat­säch­lich wie in der Bibel beschrieben stattge­fun­den haben. Damit kann poten­tiellen Kon­flik­ten mit der Natur­wis­senschaft ele­gant aus dem Weg gegan­gen wer­den. Doch mit sein­er Rede von «poet­is­ch­er Wahrheit» fördert Mar­tin Benz meines Eracht­ens eine Entwick­lung, welche den christlichen Glauben sein­er geschichtlichen Grund­lage beraubt.

Er sug­geriert uns ger­ade in Bezug auf das Alte Tes­ta­ment, dass darin wiedergegebene Geschicht­en möglicher­weise gar nie stattge­fun­den haben. Gle­ichzeit­ig sieht er aber in der Per­son Jesus, über die das Neue Tes­ta­ment berichtet, das tief­ste Wesen Gottes «glasklar» offen­bart.

Da möchte ich fra­gen: Wie geht Mar­tin Benz damit um, wenn das Neue Tes­ta­ment mit dem fol­gen­den Satz ein­geläutet wird (Mt 1:1): «Dies ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abra­hams.»? Ist es nun glasklare Offen­barung über Jesus, wenn hier Namen wie David oder Abra­ham auf­tauchen? Oder baut die Geschichte von Jesus auf fik­tiv­en, ‘poet­is­chen’ Per­so­n­en? Wenn ja – müsste das nicht einen Schat­ten auf die ganze Berichter­stat­tung über Jesus wer­den? Oder sog­ar Chris­tus selb­st irgend­wie zu ein­er fik­tiv­en Per­son wer­den lassen, weil seine Vor­fahren nur ‘poet­isch’ existiert haben?

Wo hört Poe­sie auf, und wo fängt his­torische Wahrheit an? Die Antwort auf diese Frage bleibt Mar­tin uns schuldig. Doch nur schon der erste Vers des Neuen Tes­ta­ments zeigt, dass Altes und Neues Tes­ta­ment grundle­gend ineinan­der greifen, so dass sie nicht ein­fach mit unter­schiedlichen Massstäben beurteilt wer­den kön­nen. Die Geschichte von Jesus kann nicht ‘glasklare’ Offen­barung Gottes sein, wenn sie auf his­torisch nicht halt­baren Geschicht­en baut.

An dieser Stelle muss ein näch­ster Punkt ange­sprochen wer­den: Im Zen­trum des christlichen Glaubens ste­ht mit dem Kreuzes­geschehen ein his­torisches Ereig­nis und nicht eine poet­is­che Wahrheit.

Es geht beim christlichen Glauben eben erst­mal nicht ein­fach um «tiefe Weisheit­en und Prinzip­i­en», son­dern ganz zen­tral darum, dass Gott in die men­schliche Geschichte einge­grif­f­en hat – nicht poet­isch, son­dern ganz real. 

Doch wie ste­ht es nun um die Poe­sie? Natür­lich find­en wir in der Bibel Poe­sie als Textgat­tung. Und diese soll­ten wir auf alle Fälle als solche lesen und nicht als Geschichtss­chrei­bung. Wir find­en auch viele andere Textgat­tun­gen: Geset­ztes­texte, Weisheit­slit­er­atur, prophetis­che Rede, Lieder, Gle­ich­nisse, Apoka­lyp­tik und mehr. Es gibt auch Texte, wo die entsprechende Zuord­nung der Gat­tung umstrit­ten ist und disku­tiert wer­den kann.

Aber wir find­en eben auch geschichtliche Erzäh­lung in der Bibel, und zwar viel davon. Natür­lich kön­nen wir in diesen Erzäh­lun­gen auch andere Deu­tungsebe­nen ent­deck­en als nur die reine Geschichtss­chrei­bung. Und natür­lich gab es zu Zeit­en des Alten Tes­ta­mentes noch keine ‘wis­senschaftliche’ Diszi­plin der Geschichtss­chrei­bung, wie wir sie heute ken­nen. Da fand man noch keine Anführungs- und Schlussze­ichen bei Zitat­en, und keine Fuss­noten in den Tex­ten 😊. Das heisst aber nicht, dass die Men­schen von damals in ein­er geschicht­slosen Welt aus Fabeln und Mythen gelebt haben. Ger­ade dass wir bere­its im Alten Tes­ta­ment eine so bre­it gefächerte Palette an Textgat­tun­gen und stilis­tis­chen Mit­teln vorfind­en, ist ein Beleg dafür, dass sehr wohl dif­feren­ziert schriftlich kom­mu­niziert wurde.

Es gilt also, die Texte erst­mal möglichst so ver­ste­hen zu ler­nen, wie sie in ihrem his­torischen Kon­text ver­standen wur­den. Und eine geschichtliche Erzäh­lung wollte auch in alter Zeit primär als solche ver­standen wer­den: Als Wieder­gabe von geschehenen Ereignis­sen, als Erzäh­lung von real durch­lebten Biografien, Geschehnis­sen usw. Selb­st in oralen Gesellschaften gab es gemäss Ken­neth E. Bay­ley eine hohe und bewusst kul­tivierte Fähigkeit, Geschicht­en an den entschei­den­den Punk­ten inhaltlich ver­lässlich weit­erzuerzählen und dabei gle­ichzeit­ig eine Anwen­dung der Geschichte auf aktuelle Sit­u­a­tio­nen zu vol­lziehen. Die Men­schen wussten, dass man his­torisch auch Falsches weit­ergeben kann und entwick­el­ten Mech­a­nis­men, um dieser Gefahr ent­ge­gen­zuwirken. Im Fall der bib­lis­chen Geschichtss­chrei­bung will der Text als Wieder­gabe der his­torisch stattge­fun­de­nen Geschichte Gottes mit den Men­schen ver­standen werden.

Klar ist auch, dass Jesus und die Apos­tel die his­torischen Berichte des Alten Tes­ta­ments nicht als ‘virtuelle’ Ereignisse ver­standen, als Märchen denen man gewisse Weisheit­en ent­lock­en kon­nte. Vielmehr haben sie diese Geschicht­en immer wieder auf der Grund­lage dessen gedeutet, dass diese auch stattge­fun­den haben.

Wenn es das Anliegen von Mar­tin ist, dass wir von ein­er ‘mech­a­nis­chen’ oder ‘flachen’ Lesart der Bibel dazu kom­men, auch ihre schöne, affek­tive Wahrheit schätzen zu ler­nen, dann kann ich dem auf jeden Fall etwas abgewin­nen. Nur schon die Gat­tun­gen zeigen, dass die Bibel alles andere als ‘flach’ ist, son­dern sie ist mul­ti-dimen­sion­al. Zudem möchte sie den Weg vom Kopf ins Herz find­en. Sie darf, ja sie soll uns auch auf der Ebene unser­er Gefüh­le und Sinne ansprechen.

Nur eben: Es sind dann die fak­tis­chen Geschicht­en, die uns berühren und nicht irgendwelche ‘mythol­o­gis­chen All­ge­mein­wahrheit­en’. Und hier empfinde ich, dass Mar­tin mit der ein­seit­i­gen Aus­niv­el­lierung der Schrift als ‘poet­is­che Wahrheit’ eigentlich genau das macht, was er Kon­ser­v­a­tiv­en vor­wirft: er liest die Bibel eindi­men­sion­al. Dabei riskiert er auch, dass zen­tral­ste Ereignisse in der bib­lis­chen Erzäh­lung in ihrem his­torischen Wahrheits­ge­halt in Frage gestellt wer­den und damit auch die Botschaft des Evangeliums.

Wie geht denn Mar­tin damit um, dass im Herzen der christlichen Botschaft ein his­torisches Ereig­nis samt Wun­dergeschehen ste­ht? Gibt es da für ihn auch Prob­leme mit der «fak­tis­chen Wahrheit», wenn die Bibel davon berichtet, wie Jesus Chris­tus gekreuzigt wurde, wie er gestor­ben ist, begraben wurde, und am drit­ten Tage wieder aufer­weckt wurde von den Toten?

Was haben wir von dieser Geschichte des Kreuzes zu hal­ten, wenn die Bibel zwar ein inspiri­ertes Buch ist, aber fak­tis­che Wahrheit­en schein­bar keine wesentliche Rolle spie­len? Was denkt denn Mar­tin Benz über die Bibel, wenn sie ihm berichtet, wie Jesus am einen Tag als Leich­nam in ein Grab gelegt wurde und am andern Tag betast­bar und ansprech­bar seinen Nach­fol­gern wieder begeg­nete, während den Besuch­ern des Grabes nur gäh­nende Leere ent­ge­genkam? Ist Jesus denn nur ‘poet­isch’ aufer­standen? War das Grab nur ‘poet­isch’ leer?

Nun, ich möchte natür­lich davon aus­ge­hen, dass Mar­tin mit den Chris­ten aller Zeit­en an die leib­liche Auser­ste­hung glaubt. Denn im Kern unseres Glaubens ste­hen nun mal – im Gegen­satz zu vie­len anderen Reli­gio­nen — ein his­torisches Ereig­nis und dessen geistliche Bedeu­tung. Paulus macht dies überdeutlich:

«Ist Chris­tus aber nicht aufer­standen, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden.»(1Kor 15:17)

Dass Jesus nicht ein­fach ‘poet­isch’ aufer­standen ist, wird auch aus den früh­esten christlichen Beken­nt­nis­tex­ten klar, deren For­mulierung auf die Zeit unmit­tel­bar nach Chris­tus datiert wer­den. Paulus gibt ein solch­es Beken­nt­nis im Korinther­brief wieder:

«Denn als Erstes habe ich euch weit­ergegeben, was ich auch emp­fan­gen habe: Dass Chris­tus gestor­ben ist für unsre Sün­den nach der Schrift; und dass er begraben wor­den ist; und dass er aufer­weckt wor­den ist am drit­ten Tage nach der Schrift; und dass er gese­hen wor­den ist von Kephas, danach von den Zwölfen.» (1Kor 15: 3–5)

Für die ersten Chris­ten war die His­tor­iz­ität der Ereignisse rund um Tod und Aufer­ste­hung der­art wichtig, dass sie ihren Weg sehr expliz­it ins Apos­tolis­che Beken­nt­nis gefun­den hat. «Gelit­ten unter Pon­tius Pila­tus» — beken­nen Chris­ten aller Zeit­en und Kon­fes­sio­nen im Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis. Die ersten Chris­ten set­zten das zen­trale Ereig­nis für die Beschrei­bung ihres Glaubens sehr bewusst ein­er his­torischen Über­prüf­barkeit aus. Ganz anders als Mar­tin Benz, welch­er «kri­tis­chen Anfra­gen aus Natur­wis­senschaft und his­torisch­er Wis­senschaft» lieber aus dem Wege gehen will.

Fak­ten spie­len eine fun­da­men­tale Rolle im Glauben eines Chris­ten. Denn wir glauben an einen Gott, der sich dem Men­schen in Raum und Zeit offen­bart hat. Gott ist ein Gott der Geschichte und damit auch ein Gott der his­torischen Fak­ten. Der christliche Glaube ist ein begrün­de­ter Glaube (1Pe 3:15–16). Damit set­zt sich der christliche Glaube der Gefahr aus, durch Beweise dis­qual­i­fiziert zu wer­den. Aber nur durch dieses Risiko hat der christliche Glaube auch die Stärke, einen begrün­de­ten Glauben zu sein. Sich den kri­tis­chen und wis­senschaftlichen Fra­gen zu entziehen ist nicht etwas, das die Bibel als erstrebenswert sieht.

Der kür­zlich ver­stor­bene emer­i­tierte Papst Benedikt XVI bringt dieses christliche Selb­stver­ständ­nis gut auf den Punkt (vgl.: «Skan­dalös­er Real­is­mus? Gott han­delt in der Geschichte», S.10, S.44):

«Dem bib­lis­chen Glauben ist es aber wesentlich, dass er sich auf ein Han­deln Gottes in der Geschichte bezieht; ein der Geschichte beraubter Glaube wäre sein­er Grund­la­gen beraubt

«Geschicht­en sind in der christlichen Predigt nicht bloss Orna­ment für eine ungeschichtliche Lehre, son­dern der Kern sel­ber ist Geschichte»

Mar­tin Benz sät mit sein­er Abnei­gung gegenüber ‘fak­tis­ch­er Wahrheit’ meines Eracht­ens ein Mis­strauen gegenüber Gottes Han­deln in der Geschichte und entzieht damit dem Glauben auch die Möglichkeit, ein begrün­de­ter Glaube zu sein. Mit sein­er Rel­a­tivierung his­torisch­er Berichte fördert er die Ver­legung des Glaubens in den Bere­ich der Sub­jek­tiv­ität und der Gefüh­le. Nochmals der ver­stor­bene Benedikt dazu (vgl. «Jesus von Nazareth», S.64)

«Heute wird die Bibel wei­thin dem Massstab des soge­nan­nten mod­er­nen Welt­bildes unter­wor­fen, dessen Grund­dog­ma es ist, dass Gott in der Geschichte gar nicht han­deln kann – dass also alles, was Gott bet­rifft, in den Bere­ich des Sub­jek­tiv­en zu ver­legen sei

Die Aus­sage von Benedikt XVI verdeut­licht auch, was der frühchristliche Beken­nt­nis­text in 1. Korinther 15 bere­its an den Tag legt: Zwis­chen der Bewahrung des Evan­geli­ums und dem Schriftver­ständ­nis beste­ht ein unmit­tel­bar­er Zusam­men­hang. Die Heilige Schrift schützt und stützt das Evan­geli­um, sowohl was dessen his­torische Wahrheit als auch was dessen the­ol­o­gis­chen Gehalt bet­rifft. Wer den Schrift­massstab in Frage stellt, wird in irgen­dein­er Form auch den Kern des Evan­geli­ums in Frage stellen oder relativieren.

Was sollen wir also von der Bevorzu­gung von ‘poet­is­ch­er’ gegenüber ‘fak­tis­ch­er’ Wahrheit hal­ten, welche uns Mar­tin nahelegt? Ich finde sie ist eine Bedro­hung für den Kern des Evan­geli­ums.

Nichts Neues unter der Sonne.

Was Mar­tin uns hier vorschlägt ist im Grunde nichts Neues. Es ist vor allem ein wieder Aufkochen von grundle­gen­den Ele­menten der ‘guten alten’, lib­eralen The­olo­gie. Sicher­lich kommt diese in unser­er Zeit unter eini­gen neuen Vorze­ichen daher. Doch nach mein­er Wahrnehmung scheint sich der Zugang zur Bibel von Mar­tin Benz gar nicht so wesentlich zu unter­schei­den von dem eines — gut auf seine teils auch kon­ser­v­a­tive Hör­erschaft eingestell­ten — lib­eralen Pas­toren vor 100 Jahren.

Ich habe mich beispiel­sweise in die Schriften von Har­ry Emer­son Fos­dick (1878–1969) ein­ge­le­sen. Der lib­erale Pub­likum­sliebling in den USA argu­men­tiert vor 100 Jahren in seinem Buch «The Mod­ern Use of The Bible» (1926) mit einem Vok­ab­u­lar, welch­es man grad so gut im Jahre 2022 in einem pro­gres­siv­en Buch wie dem­jeni­gen von Mar­tin lesen kön­nte: Wichtig sei die «spir­ituelle Hoff­nung und zeit­lose Inspi­ra­tion», welche das «alte Buch» (die Bibel) ver­mit­tle, erörterte Fos­dick. Alles andere sei der Verän­derung und Neube­w­er­tung unter­wor­fen durch «sich ablösende Weltan­schau­un­gen». Wun­dergeschicht­en der Bibel soll­ten «umdefiniert» und «rein­ter­pretiert» wer­den und die Aufer­ste­hung in den «sym­bol­is­chen Kat­e­gorien des Ori­ents» ver­standen werden.

Der the­ol­o­gis­che Lib­er­al­is­mus, welch­er vor 100 Jahren den Glauben vor dro­hen­den Kon­flik­ten mit den neuen Wis­senschaften in Sicher­heit brin­gen wollte, indem bib­lis­che Berichte und Wun­dergeschicht­en auf eine geistlich-spir­ituelle Deu­tung ohne his­torische Grund­lage reduziert wur­den, zeigt sich uns auch im Jahr 2022 im Buch von Mar­tin Benz. Benz darf die Bibel so lesen, wenn er das möchte. Aus mein­er Sicht ist dies nicht ein geistlich­er Fortschritt, son­dern ein Rückschritt.

Die Hal­tung der mod­er­nen The­olo­gie, etwas könne ‘his­torisch falsch aber religiös wahr sein’, ver­glich der bekan­nte Apolo­get Fran­cis Scha­ef­fer (1912–1984) im Jahre 1950 mit dem Aufhän­gen von Wäscheklam­mern in der Luft:

«Das ist es, was wir meinen, wenn wir davon reden, dass sie eine Wäscheklam­mer in die Luft hän­gen. Sie ver­w­er­fen die His­tor­iz­ität der Heili­gen Schrift und ver­suchen den­noch, an den religiösen Wahrheit­en festzuhal­ten, die die Bibel lehrt.» (An Exam­i­na­tion of the New Mod­ernism, Fran­cis Scha­ef­fer, 1950)

Scha­ef­fers Prog­nose war:  Diese Art von The­olo­gie würde sich vom Lib­er­al­is­mus hin zum Agnos­tizis­mus bewe­gen. Die the­ol­o­gis­chen Entwick­lun­gen der darauf fol­gen­den 20 Jahre wür­den ihm recht geben. Meines Eracht­ens sehen wir in  aktuellen Entwick­lun­gen in der evan­ge­likalen Welt so etwas wie eine Wieder­hol­ung, wen­ngle­ich unter verän­derten Vorze­ichen. Wo beschlossen wird, man könne Wäsche auch ohne eine Wäscheleine in die Luft hän­gen, da ist auch bald keine Wäsche mehr vorhanden.

So manch­er Leser mag den Ansatz von Benz als neue und aufre­gende Gedanken­welt empfind­en. Da ist aber wenig grundle­gend Neues daran. Neu sind diese Ideen höch­stens für eine evan­ge­likal geprägte Leser­schaft, welche bish­er einiger­massen abgeschirmt gelebt hat von diesen Konzepten der lib­eralen The­olo­gie und deren zer­set­zen­den Auswirkun­gen auf viele Kirchen der west­lichen Welt.

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8.   Der postmodern gezähmte Jesus

«Wenn die Geschichte vom barmherzi­gen Samarit­er ein Plä­doy­er für Mit­men­schlichkeit ist, dann ist die Geschichte der Ehe­brecherin ein Plä­doy­er für Men­schlichkeit» (S.131)

Für Mar­tin Benz braucht es «keine weit­ere Offen­barung Gottes neben Jesus» (S.99). Denn in ihm zeige sich das tief­ste Wesen Gottes «glasklar». Was hier gut tönt wirft bei mir den­noch Fra­gen auf.

Ich frage mich zum Beispiel, was Mar­tins Bevorzu­gung von ‘poet­is­ch­er Wahrheit’ gegenüber ‘fak­tis­ch­er Wahrheit’ für sein Por­trait von Jesus bedeutet, denn wir ken­nen Jesus allem voran durch die Berichte in der Bibel.

Wen­det man Mar­tins Skep­sis gegenüber «fak­tis­ch­er Wahrheit» auf die Per­son Jesu an, so wird kon­se­quenter­weise auch Jesus als his­torische Fig­ur rel­a­tiviert. Wenn Mar­tin die alttes­ta­mentlichen Beschrei­bun­gen von Gott immer wieder als sub­jek­tive und zeit­be­zo­gene Gottes­bilder der dama­li­gen Men­schen sieht – wie kann er dann wis­sen, ob die neutes­ta­mentliche Darstel­lung von Jesus uns nicht genau­so ein verz­er­rtes Por­trait des Mes­sias präsentiert?

Wer den Wahrheits­ge­halt der Bibel in Frage stellt, kann nicht ohne weit­eres bei Jesus von ein­er ‘glasklaren’ Offen­barung reden. Wer die alttes­ta­mentlichen Geschicht­en einem Prozess selek­tiv­er Kri­tik unterzieht, müsste kon­se­quenter­weise bei der neutes­ta­mentlichen Berichter­stat­tung über Jesus die gle­ichen Instru­mente einsetzen.

Das hat die Gilde der lib­eralen The­olo­gen getan – zum Beispiel das soge­nan­nte Jesus Sem­i­nar. Diese gegenüber der Zuver­läs­sigkeit der bib­lis­chen Schriften kri­tisch eingestellte Gruppe von ‘Fel­lows’ (Kol­le­gen) wollte ab 1985 über die His­tor­iz­ität der Wun­der und der Reden Jesu befind­en. Per Abstim­mung befan­den sie über den Grad der Ver­lässlichkeit von Jesu Tat­en und Aus­sagen. Am Schluss blieben nach ihnen ger­ade mal 18 Prozent der Aus­sagen Jesu und 16 Prozent sein­er Tat­en übrig.

Von einem solchen Vorge­hen sehen wir bei Mar­tin Benz nichts. Aber wir sehen anderes. Denn der Jesus, den uns Mar­tin Benz präsen­tiert, erscheint mir eige­nar­tig gezähmt.

Jesus und die Ehebrecherin

So kann Mar­tin beispiel­sweise über viele Buch­seit­en hin­weg die Geschichte von Jesus und der Ehe­brecherin ausle­gen (Joh 8), ohne den für die Geschichte ele­men­tar wichti­gen Schlusssatz «Sündi­ge nicht mehr» zu reflek­tieren. Die Gnade wird ganz betont, obwohl Jesus in dieser Geschichte gle­ichzeit­ig Gnade UND Gebot zur Gel­tung bringt.

Abwe­send scheint mir im Buch von Mar­tin auch Jesus als der Ret­ter und Erlös­er. Das fun­da­men­tale Geschehen des Kreuzes wird im Buch nir­gends wirk­lich besprochen. In den ein­lei­t­en­den Seit­en bekun­det Mar­tin Sym­pa­thie für Leute, die mit einem «bes­timmten Ver­ständ­nis von Kreuz, Erlö­sung und Ver­damm­nis» und der Idee des Kreuzes­geschehens als «Genug­tu­ung für einen zorni­gen Gott» Mühe haben (S.37). An einem anderen Ort erwäh­nt er das Kreuz neben­bei als Ort des Vol­lzugs von Fein­desliebe (S.93). Das war’s dann aber schon mit dem Kreuz.

Der Kern unseres Glaubens scheint zu fehlen, näm­lich dass Jesus der Ret­ter ist, der uns von unseren Sün­den erlöst (vgl. Mt 1:22). Stattdessen wird uns Jesus als gross­es Vor­bild vor Augen gemalt.

Natür­lich ist Jesus unser gross­es Vor­bild. Aber er ist weit mehr als das! Jesus TUT auch etwas, das kein­er von uns tun kann und nie jemals wird tun kön­nen: Er erlöst uns von unseren Sün­den (1Kor 15:3, 1Pet 2:24, Mar 10:45). Jesus ist auch jemand, den nie­mand von uns sein kann: Er ist unser Herr (Joh 20:28).

Nur schon die Geschichte von der Ehe­brecherin würde uns diese Aspek­te aufzeigen, denn sie ist eben nicht ein­fach nur ein Aufruf zur Barmherzigkeit, son­dern sie zeigt uns auch Jesus als Per­son mit göt­tlich­er Autorität als einem, der über die Sünde eines Men­schen befind­en kann. Davon hört man bei Mar­tin Benz nichts.

Über­haupt: Es bleibt beim Schreiben von Mar­tin unklar, ob nach ihm der Men­sch über­haupt eines Ret­ters bedarf. Der Ein­druck, der bei mir zurück­ge­blieben ist, dass dem Men­schen lediglich eine Inspi­ra­tion zu einem guten Leben fehlt und da kein echt­es Sün­den­prob­lem vorhan­den ist, dessen Lösung ein gerechter Gott in sein­er Liebe nur selb­st bew­erk­stel­li­gen kon­nte, indem er sich in seinem Sohn für die Men­schen hingab (Joh 3:16; Rö 5:8).

Ich ver­misse immer wieder entschei­dende Aspek­te im Por­trait, welch­es Mar­tin von Jesus zeichnet.

Von den umfan­gre­ichen Gericht­sre­den und ‘harten’ Worten Jesu liest man im Buch auch nicht wirk­lich etwas. Wie ste­ht es bei Mar­tin um den Jesus, der zu Gewalt­mit­teln greift in der Tem­pel­reini­gung (Joh 2:15)? Wie ste­ht es um den Jesus, der Bäume und Städte ver­flucht (Mk 11:21; Mt 11,20:24)? Wie ste­ht es um den Jesus, der von Him­mel und Hölle spricht, von ein­er grossen Schei­dung am Ende der Zeit, von ‘Heulen und Zäh­neklap­pern’ (Mt 13:49–50)? Wie ste­ht es um den Jesus, der das schreck­liche Gericht über die Stadt Sodom zum Mod­ell macht für kom­mende Gerichte Gottes (Mt 11:20,24)? Wie ste­ht Mar­tin zur bib­lis­chen Trinität­slehre, welche Chris­tus von Anbe­ginn der Zeit ins göt­tliche Han­deln in dieser Welt ein­bindet – ihn also auch zum Mitwirk­enden am göt­tlichen Gericht­shan­deln im Alten Tes­ta­ment macht (z.B. Jud 1:4–5; 1Kor 10:9)? Wie ste­ht Mar­tin zur bib­lis­chen Lehre von Jesus Chris­tus als zukün­ftigem Richter über die Leben­den und die Toten (Apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis, vgl. 1Pet 4:5). Wie ste­ht Mar­tin zu dem Chris­tus, der im Buch der Offen­barung die falsche Prophetin Isebel mit dem Tod richtet, weil sie die Gläu­bi­gen zur Unzucht – also zu sex­uellen Sün­den – ver­führt hat (Offb 2:18–23?

Wenn Mar­tin mit den Jesus­bericht­en gle­ich umge­hen würde, wie er mit dem Alten Tes­ta­ment umge­ht, dann würde Mar­tin sich angesichts solch­er Bibel­stellen mit fol­gen­den Fra­gen aktiv und kri­tisch beschäfti­gen: Ist dieser Jesus der his­torisch reale Jesus oder vielle­icht doch nicht? Was mache ich nur mit den ‘schwieri­gen’ Bibel­stellen? Gehören sie zu einem antiken Denken, das heute ungültig ist? War Jesus vielle­icht vom mitunter falschen Denken sein­er Zeit bee­in­flusst? Fand dieses falsche Denken möglicher­weise Ein­gang ins Neue Testament?

Doch eine Auseinan­der­set­zung mit diesen Fra­gen find­en wir im Buch nicht.

Die Ursache für diese vie­len Leer­stellen im Por­trait von Jesus liegt möglicher­weise darin: Während Mar­tin bere­it ist, vieles im Alten Tes­ta­ment aktiv zu kri­tisieren, in Frage zu stellen oder zu rel­a­tivieren, zeigt sich in seinem Por­trait von Jesus eine andere Art der Kri­tik, näm­lich eine Kri­tik durch stille Zen­sur. Über gewisse Dinge wird nicht mehr gesprochen. Pas­sagen, Geschicht­en oder The­men wer­den hier ‘ver­wor­fen’, indem man sie aus­blendet. Es wird ein ‘ghost­ing’ von bes­timmten The­men, Fragestel­lun­gen und Tex­ten vol­l­zo­gen, welche aber eigentlich wesentlich wären, um ein ganzheitlich­es Bild von Jesus zu erhalten.

Wir alle ste­hen in der Gefahr, uns unseren eige­nen ‘Jesus’ zu basteln. Und ich denke, dass dies auch oft unbe­wusst geschieht. Der Men­sch sucht sich gerne das, was seine Sicht der Dinge bestätigt und nicht, was diese her­aus­fordert oder in Frage stellt. Da bin ich selb­st auf alle Fälle mit­be­trof­fen. Nicht­destotrotz bleibt das Faz­it: Mar­tin präsen­tiert uns einen gezähmten Jesus. Er erlaubt diesem nur noch, in der Rolle als Verkün­der und Verkör­per­er von Barmherzigkeit, Fein­desliebe und Mit­men­schlichkeit aufzutreten – mehr aber nicht.

Mar­tin Benz stellt ins Zen­trum sein­er The­olo­gie also einen Jesus der ‘guten Werte’. Mar­tin hat diese Werte ent­deckt, und möchte sie uns näher brin­gen. Aber die konkreten Weisun­gen Jesu, welche sich manch­mal an gesellschaftlichen Selb­stver­ständlichkeit­en unser­er Zeit reiben, scheinen uns nur noch bed­ingt etwas zu sagen haben.

Sicht­bar wird dies in der Unter­las­sung, der Ehe-Lehre von Jesus gebührende Beach­tung zu geben, wenn er über das The­ma Homo­sex­u­al­ität nach­denkt. Mit den Lip­pen wird Jesus zwar als die endgültige und klare Offen­barung Gottes bekan­nt. In der Prax­is wird selek­tiert und Jesus als ein Lehrer behan­delt, der abge­se­hen von seinen guten Werten und seinem vor­bildlichen Ver­hal­ten irgend­wie auch nur ein Kind sein­er Zeit war, auf den wir nur noch bed­ingt hören möchten.

In der Gedanken­welt von Mar­tin Benz scheinen wir selb­st den ‘Kinder­schuhen’ Jesu entwach­sen zu sein. Wir sind jet­zt diejeni­gen, welche die Dinge ord­nen – neu ordnen.

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9.   Von der Notordnung zur Neuordnung

«Auch wenn es in der Bibel kri­tis­che Stellen zu Homo­sex­u­al­ität gibt, eröffnet das Prinzip der Neuord­nun­gen die Möglichkeit, mit einem verän­derten Willen Gottes zu rech­nen…» (S.171)

Ein wichtiges The­ma von Mar­tin sind die von ihm in der Bibel ent­deck­ten ‘Neuord­nun­gen’ (S. 159). Dieses Konzept ist nicht wirk­lich seine Idee, wie das Buch möglicher­weise den Ein­druck erweckt. Vielmehr ist das Konzept in der Welt der The­olo­gie seit vie­len Jahren bekan­nt unter dem Begriff der ‘Notord­nung’ respek­tive ‘Notverord­nung’.

Der deutsche The­ologe Hel­mut Thielicke (1928–1986) hat diese Begrif­flichkeit bere­its vor Jahrzehn­ten in sein­er Ethik ver­wen­det, als er über das Alter­skonku­bi­nat schrieb. In der Mis­sion­s­the­olo­gie wurde mit dieser Begrif­flichkeit über Polyg­a­mie disku­tiert, welche in gewis­sen Wel­tre­gio­nen gesellschaftlich ver­ankert ist. Und im Jahre 2002 plädierte Vale­ria Hinck in ihrem Buch ‘Stre­it­fall Liebe’ auf ganz ähn­liche Weise für eine «ausseror­dentliche» Lösung im Falle der Homosexualität.

Tat­säch­lich hat Mar­tin Benz noch bis vor kurzem selb­st mit dem Begriff der ‘Notord­nung’ gear­beit­et. Doch in seinem Buch wird nun ‘Notord­nung’ kon­se­quent durch das völ­lig anders kon­notierte Wort ‘Neuord­nung’ erset­zt. Es stellt sich natür­lich die Frage: Warum? Mar­tin gibt uns im Buch keine Antwort darauf.

Im Begriff der ‘Notord­nung’ steckt stets ein Bezug zu ein­er vorhan­de­nen schwieri­gen Real­ität drin. Wir reden nicht von einem Ide­al­fall, son­dern von ein­er Reg­ulierung, welche wir eigentlich gerne wieder aufheben möcht­en. Den Begriff der ‘Neuord­nung’ hinge­gen verbinden wir mit bleiben­der Verbesserung und Fortschritt. Der Gedanke ein­er tem­porären, sub­op­ti­malen Notlö­sung ist da gän­zlich verschwunden.

Zwar spricht Mar­tin Benz in seinem Buch davon, dass diese ‘Neuor­dun­gen’ «etwas Vor­läu­figes» seien (S.160). Doch diese For­mulierung kann genau­so auch pro­gres­siv gedeutet wer­den. Mit dem stillen Wortwech­sel von der ‘Notord­nung’ hin zur ‘Neuord­nung’ erweist sich Mar­tin Benz jeden­falls als ein wahrhaftig Pro­gres­siv­er, der um die Kraft von Worten weiss, und diese ein­set­zt, um die Gedanken sein­er Leser in die gewün­scht­en Bah­nen zu lenken.

Die Gedanken der Leser lenken – dies tut er auch in den Beispie­len von bib­lis­chen Notord­nun­gen, welche er auf­führt. Bei seinem Beispiel über die Ein­führung des König­tums in Israel ist es Mar­tin wichtig zu beto­nen, dass dieses König­tum nicht nur erlaubt, son­dern gar von Gott geseg­net wird. Dies lässt natür­lich das König­tum eher als segen­sre­iche Neuord­nung erscheinen, denn als eine mit neg­a­tiv­en Neben­wirkun­gen behaftete Notord­nung für den Men­schen. Doch in der von ihm ref­eren­zierten Bibel­stelle (1Sam 10:25), lese ich rein gar nichts von einem Segen Gottes. Vielle­icht wurde hier aus Verse­hen eine falsche Bibel­stelle zitiert? Ich frage mich zudem: Warum erwäh­nt Mar­tin in diesem Zusam­men­hang nicht das äusserst rel­e­vante achte Kapi­tel im ersten Samuel-Buch? Hier fordert Gott den Propheten aus­drück­lich auf, das Volk vor den vie­len neg­a­tiv­en Fol­gen ein­er Königsh­errschaft zu war­nen und macht auch klar, dass der Wun­sch nach einem König nichts anderes als eine Rück­weisung von Gott selb­st darstellt. Notord­nun­gen in der Bibel sind eben nicht glo­r­re­iche Neuord­nun­gen. Sie sind auch nicht der näch­ste Schritt in der Höher­en­twick­lung der Men­schheit. Sie sind — so meine Wahrnehmung – immer Ord­nun­gen, welche vom göt­tlichen Ide­al abrück­en und deshalb auch nicht als Fortschritt präsen­tiert wer­den soll­ten. Sie sind Ord­nun­gen, die unter Umstän­den wieder abgeschafft wer­den sollen – wie zum Beispiel Jesus die Polyg­a­mie abschafft in Mat 19.

Ein unberechenbarer Gott

Eines der grössten Prob­leme in der Idee von Neuord­nun­gen liegt meines Eracht­ens in den Auswirkun­gen aufs Gottes­bild. Mar­tin schreibt von einem Gott, der in sein­er Beziehung zu den Men­schen immer wieder bere­it ist, «Seinen Willen zu ändern oder anzu­passen» (S.171).

In der Anwen­dung auf das von Mar­tin gewählte Beispiel der Homo­sex­u­al­ität zeigt sich die drama­tis­che Wirkung seines Vorschlages auf das Gottesbild.

Mar­tin begin­nt mit dem Eingeständ­nis, dass es «in der Bibel kri­tis­che Stellen zu Homo­sex­u­al­ität» gibt (S. 159). Diese For­mulierung ist aber irreführend. Denn der eigentliche Punkt ist ja, dass es ist der Bibel auss­chliesslich kri­tis­che Stellen zur Homo­sex­u­al­ität gibt und Het­ero­sex­u­al­ität die einzige von Gott in der Bibel geseg­nete Form sex­ueller Gemein­schaft ist. Dies zieht sich durch vom Alten Tes­ta­ment bis ins Neue hinein. Selb­st namhafte lib­erale The­olo­gen sehen das so. So erk­lärt William Loader, der auf­grund seines lib­eralen Bibelver­ständ­niss­es für die Seg­nung und Trau­ung homo­sex­ueller Paare ist, über Paulus:

«Es ist unvorstell­bar, dass Paulus mit auch nur ein­er homo­sex­ueller Hand­lung ein­ver­standen gewe­sen wäre, wenn er – und davon müssen wir aus­ge­hen — die levi­tis­chen Ver­bote von 18,22 und 20,13 ver­stand wie die Juden sein­er Zeit es tat­en.» (William Loader, The New Tes­ta­ment on Sex­u­al­i­ty, 2012, Seite 322)

Das Ori­en­tierungspa­pi­er der EKD (Evan­ge­lis­che Kirche in Deutsch­land) über Homo­sex­u­al­ität aus dem Jahr 1996 sagt:

«…dass es keine bib­lis­chen Aus­sagen gibt, die Homo­sex­u­al­ität in eine pos­i­tive Beziehung zum Willen Gottes set­zen… kon­sta­tieren, dass nach diesen Aus­sagen homo­sex­uelle Prax­is dem Willen Gottes wider­spricht.» (EKD Ori­en­tierungspa­pi­er ‘Mit Span­nun­gen leben’)

Man kann es sog­ar noch zus­pitzen: Wo in den Lehren Jesu und der Apos­tel im Neuen Tes­ta­ment alttes­ta­mentliche Rein­heitsvorschriften beispiel­sweise aufgelöst wer­den (Mk 7, vgl. Hebräer­brief) sehen wir im Neuen Tes­ta­ment in der Sex­u­allehre eher eine Ver­schär­fung (vgl. Mt 5:27) und im Falle der Homo­sex­u­al­ität auf jeden Fall eine klare Bestä­ti­gung der alttes­ta­mentlichen Haltung.

Mar­tin spricht also von einem Mei­n­ung­sum­schwung Gottes, welch­er im Wider­spruch zum klaren, ein­deuti­gen und durchgängi­gen Zeug­nis der Heili­gen Schrift ste­ht, wo Gott immer wieder Wege sucht, die Men­schen zurück auf die Wege zu brin­gen, die er mit ihnen schon immer haben wollte.

Dabei ist Mar­tin Benz eigentliche der­jenige der betont, es dürfe Gott nicht «in mehreren Ver­sio­nen» geben (S.87,92). Denn eine solche Unberechen­barkeit zer­störe das Vertrauen.

Aber was ist denn das, was uns Mar­tin hier präsen­tiert, anderes als ein unberechen­bar­er Gott, der seine beständi­gen und klaren Anweisun­gen an den Men­schen schein­bar ein­fach ändern kann? Was wird dieser Gott uns mor­gen sagen? Wehe dem, der sich heute auf die Worte eines solchen ‘Gottes’ ver­lässt und sein Leben an ihnen aus­richtet. Er wird Mor­gen bere­its wieder auf der falschen Seite der Geschichte ste­hen, wenn diesem Gott etwas Neues einfällt.

Wenn Gott früher aus­gelebte Homo­sex­u­al­ität ablehnte, diese aber heute auf­grund ein­er Mei­n­ungsän­derung nun unter­stützt und seg­net: Wie ‘fair’ ist das gegenüber den vie­len gle­ichgeschlechtlich empfind­en­den Men­schen aus der Zeit der Bibel? Ein solch ‚pro­gres­siv­er Gott‘ würde Fra­gen betr­e­f­fend sein Gerechtigkeit wecken.

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10. Wenn der Geist neue Offenbarung schenkt

«Dazu sind Entschei­dun­gen nötig, die über die Bibel hin­aus­ge­hen – aus dem ein­fachen Grund, weil jed­er Text zwis­chen zwei Buchdeck­eln beschränkt ist» (S. 151)

Es ist eine Tat­sache, dass wir heute Fragestel­lun­gen begeg­nen, welche die Men­schen in der Ver­gan­gen­heit nicht hat­ten. Es ist auch eine Tat­sache, dass wir zu diesen Fragestel­lun­gen dann auch keine direk­ten Antworten in der Bibel find­en. Das heisst aber nicht, dass uns die Bibel nicht gute Grund­la­gen auch für die Beurteilung neuer Fragestel­lun­gen geben würde.

Hier ist es auf alle Fälle richtig, mit ethis­chen Prinzip­i­en zu arbeit­en, wie Mar­tin es anregt.

Manch­mal gibt es in der Bibel eine Band­bre­ite an Aus­sagen, die schein­bar in unter­schiedliche Rich­tun­gen gehen. Dann gibt es Gesprächsstoff. Beim The­ma der Homo­sex­u­al­ität ist es aber so, dass sich die Bibel ein­heitlich und deshalb klar äussert. Doch selb­st bei diesem The­ma, wo der bib­lis­che Befund klar ist, möchte Mar­tin ‘über die Bibel hin­aus­ge­hen’. Der von Mar­tin Benz geprägte Glauben­sty­pus des «geis­ter­füll­ten Pro­gres­siv­en» ver­mag es schein­bar, mith­il­fe weniger aus der Bibel her­aus­ge­filtert­er Werte und dem Bewusst­sein der ‘Geis­tesleitung’, sich von einem klaren Zeug­nis der Schrift und den konkreten Lehren Jesu zu verabschieden.

Grundle­gend für den Pro­gres­sivis­mus ist die Idee, dass neue Zeit­en auch neue Her­aus­forderun­gen mit sich brin­gen, bei deren Lösung uns die bib­lis­chen Ord­nun­gen nicht mehr weit­er­helfen kön­nen. Anstelle der bib­lis­chen Ord­nun­gen braucht es dann neuen Geistes-Input.

Nun – ich per­sön­lich sehe in der Bibel eine präzise Analyse der Men­schheit auch für unsere Zeit. Ich finde, dass zum Beispiel Römer 1 immer noch top aktuell ist und es bleiben wird. Pro­gres­sive wer­den das möglicher­weise anders sehen. Sie nehmen einen von ihnen ent­deck­ten ‘Jesus-gemässen Geist’ oder eine von ihnen ent­deck­te ‘Jesus-gemässe Gesin­nung’ zum Anlass, den Boden der Ord­nun­gen zu ver­lassen, welche Jesus und die bib­lis­chen Schriften uns vermitteln.

Ich möchte zu bedenken geben, dass dieser vorgeschla­gene Weg der ver­trauensvollen Art wieder­spricht, mit der Jesus und auch die Apos­tel auf die bib­lis­chen Schriften Bezug genom­men haben. Es ist meines Eracht­ens eine Frage des Ver­trauens. Ver­trauen wir Jesus wirk­lich, dass seine Ord­nun­gen und Anweisun­gen gut sind? Wenn Ja, dann lasst uns auch die ‘Ver­trauensfrage’ beacht­en, welche dieser Jesus seinen Zeitgenossen in Bezug auf die alttes­ta­mentlichen Schriften gestellt hat:

«Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?» Joh 5:46–47

Wer Jesus ver­traut, der wird auch Mose und «seinen Schriften» ver­trauen. Dieses ‘Ver­trauen­sprinzip’ sollte für uns als Nach­fol­ger Jesu lei­t­end sein, sowohl was die alttes­ta­mentlichen Offen­barun­gen, als auch was die Lehren Jesu und der Apos­tel bet­rifft (vgl. Eph 2:20).

Wer diesem ‘Ver­trauen­sprinzip’ fol­gt, der wird nicht in Wider­spruch zur bere­its vorhan­de­nen Offen­barung gehen wollen, weil er um deren heil­same und lebens­fördernde Wirkung weiss. Weil er dem Urhe­ber dieser Offen­barung ver­traut. Dies gilt auch im Bere­ich der Sexualität.

Das biblische Vertrauensprinzip

Ich glaube, dass fol­gende Hal­tung uns als Chris­ten kennze­ich­nen sollte: Gott spricht zu uns durch sein Wort. Dieses Wort ist lebendig und kräftig, auch für unsere Zeit (Heb 4:12). Wenn Gott zu uns spricht, dann kann nur ver­trauensvoller Gehor­sam unsere Antwort sein.

Natür­lich müssen wir die Bibel mit Gottes Hil­fe ausle­gen. Und das bedeutet, auch für das Reden seines Geistes in ver­schiedene Sit­u­a­tio­nen hinein offen zu sein. Aber der Geist Gottes wird nicht dem von ihm selb­st inspiri­erten Wort wider­sprechen. Und die Liebe wird das auch nicht tun, ist sie doch in der Bibel untrennbar mit dem Wan­del nach Gottes Geboten verbunden:

«Und das ist die Liebe, dass wir wan­deln nach seinen Geboten.» (2Joh 1:6a)

Selb­st David, der ja ger­ade im Bere­ich der Sex­u­al­ität seine Her­aus­forderun­gen und Fehltritte hat­te, betonte die Ori­en­tierung und Hil­fe, welche er in den Ord­nun­gen Gottes fand:

«Das Gesetz des HERRN ist vol­lkom­men und erquickt die Seele. Das Zeug­nis des HERRN ist gewiss und macht die Unver­ständi­gen weise.» (Ps 19:8)

Der Psalmist betont die bleibende Aktu­al­ität und Rel­e­vanz der Ord­nun­gen Gottes:

«Ich habe mehr Ein­sicht als alle meine Lehrer; denn über deine Zeug­nisse sinne ich nach. Ich bin klüger als die Alten; denn ich halte deine Befehle.» (Ps 119:99–100)

Eine Per­son wie David hat in alttes­ta­mentlichen Geboten göt­tliche Kor­rek­tur gefun­den, auch in Fra­gen der Sex­u­al­ität (vgl. 2Sam 12:9; Ps 51). Mar­tin Benz aber hält die Bibel für ungeeignet, wenn es um die For­mulierung ein­er christlichen Sex­ual­moral geht (S. 154). Schade – finde ich. Denn: Worauf sollte denn der Christ seine «christliche Sex­ual­moral» bauen, wenn nicht auf dem Buch der Chris­ten — dem inspiri­erten Wort Gottes? Lässt uns Gott denn in seinem Wort im Dunkeln, wenn es um solch ele­men­tarte Angele­gen­heit­en des men­schlichen Daseins, wie beispiel­sweise der Sex­u­al­ität, geht? Bes­timmt nicht! Er spricht deut­lich genug, dass wir ihn ver­ste­hen kön­nen. Die Frage ist vielle­icht eher, ob wir hören wollen.

Von ungültigen Ordnungen und Gesetzen

Als Grund für seine grund­sät­zliche Ablehnung der Bibel in Fra­gen christlich­er Sex­ual­moral führt Mar­tin ein Sam­mel­suri­um von gesellschaftlichen Codes und Reg­ulierun­gen zum The­ma Sex­u­al­ität aus dem Alten Tes­ta­ment auf, die für uns heute wie selb­stver­ständlich keine Gültigkeit mehr haben, weil sie «nicht Sex­u­al­ität im Sinn» hat­ten, son­dern andere gesellschaftliche The­men wie «materielle Ver­sorgung, Schutz, Sicher­heit, Fam­i­lienehre oder Sip­pen­er­halt.» (S. 147) Das ist für ihn der Anlass, ganz grund­sät­zlich der Bibel eine Weisungs­berech­ti­gung in Fra­gen der Sex­ual­moral abzus­prechen. Es muss was Neues her!

Dazu drei Hinweise:

Erstens empfinde ich, dass es Mar­tin immer wieder ver­passt, Unter­schei­dun­gen und Dif­feren­zierun­gen anzuwen­den, welche uns die Bibel selb­st gibt. Das neutes­ta­mentliche Ver­ständ­nis besagt zum Beispiel, dass die Zer­e­monienge­set­ze von Mose rund um das Opfer­sys­tem und um die rit­uelle Rein­heit aufgelöst sind, da sie sich in Jesus Chris­tus erfüllt haben und somit nicht länger bindend sind. Auch das volk­spez­i­fis­che Judizialge­setz der Juden hat für uns keine bindende Kraft mehr. Das heisst natür­lich nicht, dass wir in diesen nicht-binden­den Regeln nicht auch wertvolle Erken­nt­nisse für Glauben und Leben ent­deck­en kön­nen (Mar­tin tut dies auch sehr schön in sein­er Über­tra­gung eines Geset­zes aus 3Mo 23:22 in unsere Zeit). Was aber das moralis­che Gesetz des Alten Tes­ta­ments bet­rifft: Hier macht das Neue Tes­ta­ment deut­lich, dass dieses immer noch in Kraft ist. So heisst es zum Beispiel im Hebräer 10:16, dass der Heilige Geist «Gottes Gesetz» in die Herzen der Chris­ten schreibt (somit sind die Geset­ze offen­sichtlich noch in Kraft), obwohl das­selbe bib­lis­che Buch uns mit­teilt, dass einige dieser mosais­chen Geset­ze, näm­lich das Zer­e­monienge­setz, nicht länger bindend für uns sind. Hier gibt uns die Bibel selb­st wichtige Unter­schei­dun­gen vor, welche gemäss dem The­olo­gen Tim Keller seit neutes­ta­mentlich­er Zeit von allen Zweigen der Kirche vertreten werden.

Zweit­ens soll­ten wir fest­stellen, dass sowohl Jesus als auch Paulus ihre Ehe- und Sex­u­allehre nicht nur an den mosais­chen Geboten und den Reg­ulierun­gen für das Volk der Juden fest­machen, son­dern zurück­binden in die Schöp­fungserzäh­lung. Ihre Sex­u­alethik ist also nicht ein­fach Recht­sor­d­nung für ein bes­timmtes Volk, son­dern sie baut auf der Schöp­fung­sor­d­nung auf, wom­it sie einen Zeit- und Volk­süber­greifend­en Charak­ter bekommt. So baut Paulus seine Argu­men­ta­tion gegen Unzucht und für vore­he­liche Enthalt­samkeit auf dem Schöp­fungs­bericht auf (1Mo 2:24 in 1Kor 6:12–20, vgl. 1Kor 7:1–2 und 1Kor 7:8–9). Auch die Erläuterun­gen zur Ehe bei Jesus und Paulus basieren auf dem Schöp­fungs­bericht (1Mo 2:24 in Mt 19:3–9, vgl. 1Kor 7:10–16). In sein­er Ablehnung von homo­sex­ueller Prax­is nimmt Paulus nicht nur Bezug auf die entsprechen­den Gebote Mose (1Kor 6:9 nimmt in sein­er Wort­wahl Bezug auf 3Mo 18:22), son­dern auch auf Schöp­fungs­gegeben­heit­en (Rö 1:26 bezieht sich auf die Naturordnung).

Drit­tens möchte ich darauf hin­weisen, dass das von Mar­tin zurecht geschätzte ‘höch­ste Gebot’ der Gottes- und Näch­sten­liebe kein neutes­ta­mentlich­es Gebot ist, son­dern alttes­ta­mentlichen Ursprung hat (5Mo 6:5; 3Mo 19:18). Wenn Mar­tin diese Gebote der Gottes- und Näch­sten­liebe so her­ausstre­icht, welche Jesus und Paulus unter anderem deshalb so wichtig sind, weil sie im Alten Tes­ta­ment etabliert wer­den, warum kann er das nicht auch im Bere­ich der Sex­u­alethik tun, wo Jesus und Paulus genau­so auf das Alte Tes­ta­ment zurück­greifen? Etwas pro­vokan­ter for­muliert: Wenn Mar­tin eine sex­u­alethis­che Bibel­stelle wie 3Mo 18:22 (über Homo­sex­u­al­ität) für uns als ungültig erk­lären will, obwohl ihre Gültigkeit im Neuen Tes­ta­ment bestätigt wird, warum erk­lärt er dann nicht auch das Liebesge­bot ziem­lich unmit­tel­bar danach (3Mo 19:18) für ungültig? Es gibt hier ein­fach eine logis­che Inkonsistenz.

Inter­es­san­ter­weise ist der Vers unmit­tel­bar vor dem alttes­ta­mentlichen Liebesge­bot (3Mo 19:18) ein Aufruf, die Geschwis­ter im Glauben zu lieben (wörtlich: nicht zu Has­sen im Herzen), indem wir sie zurechtweisen, wenn sie sündi­gen (3Mo 19:17). Das Gebot der Näch­sten­liebe ist also unmit­tel­bar ver­bun­den mit dem Gebot zur Zurechtweisung aus Liebe. Das ist möglicher­weise der Hin­ter­grund für Jesus gewe­sen, die Frau die den Ehe­bruch began­gen hat, am Schluss aufzu­rufen, nicht mehr zu sündi­gen. Es ist nicht Liebe, Gottes gute Ord­nun­gen über Bord zu wer­fen oder zu ignori­eren. Es ist Liebe, wenn wir einan­der auf diese hin­weisen, weil sie zu unserem Besten dienen.

Die ‘klas­sis­che’ christliche Sicht auf diese Fra­gen von Ord­nun­gen und Geset­zen ist fol­gende:  Ja, es gibt Dinge in der Bibel, die Chris­ten nicht mehr länger ein­hal­ten müssen. Wenn aber die Bibel für uns die let­zte Autorität hat, dann ist es nur die Bibel selb­st, welche uns sagen kann, welche Dinge das sind. Das Ver­bot homo­sex­ueller Prax­is ist im Neuen Tes­ta­ment bestätigt (Röm 1, 1Kor 6, 1Tim 1). Die Reini­gungs­ge­set­ze und Zer­e­monien­vorschriften sind aber nicht länger in Kraft (Mar 7, Hebräerbrief).

Ich möchte an dieser Stelle zusam­men­fassend ein­fach zur Vor­sicht mah­nen. Die Fähigkeit guter Kom­mu­nika­tion ist eine grossar­tige Gabe. Aber es beste­ht immer auch die Gefahr, dass wir uns von gewin­nen­der Rhetorik zu schnell überzeu­gen lassen. Mar­tin Benz hat die geniale Gabe der Kom­mu­nika­tion. In seinem Buch berichtet er sehr offen von per­sön­lich­er Desil­lu­sion­ierung, ern­sthafter Suche und let­z­tendlich von einem neuen Reden des Geistes. Als Leser gehen wir inner­lich mit. Doch nur weil uns auf gekon­nte und gewin­nende Art etwas Neues präsen­tiert wird, heisst noch nicht, dass wir das unkri­tisch annehmen soll­ten. Die Beru­fung auf eine Offen­barung des Geistes ist eigentlich ger­ade in der von Mar­tin kri­tisierten «Wort-des-Glaubens-Bewe­gung» ein oft miss­bräuch­lich einge­set­ztes Instru­ment. Deshalb: Nur weil sich jemand auf das Reden und das Zeug­nis des Heili­gen Geistes beruft, heisst das noch nicht, dass wir automa­tisch damit ein­ver­standen sein sollten!

Die Bibel fordert uns her­aus, neue Offen­barun­gen daraufhin zu prüfen, ob ihre Botschaft mit den Inhal­ten und Lehren der Schrift übere­in­stim­men (1. Kor 4:6), welche vom heili­gen Geist inspiri­ert ist. Diese Übere­in­stim­mung ist meines Eracht­ens bei der von Mar­tin angeregten ‘Neuord­nung’ nicht vorhan­den. Die Offen­barung, welche Mar­tin uns nahelegt, geht nicht nur über die Schrift hin­aus, son­dern wider­spricht ihr auch ganz grundsätzlich.

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11. Dogmatik oder Ethik?

«Viele Gemein­den und Chris­ten sehnen sich hän­derin­gend danach, dass jemand den Mut hat, diese ethis­chen Prinzip­i­en zu for­mulieren…» (S121)

Der Pio­nier, der den Mut hat, diese ethis­chen Prinzip­i­en für diese Gemein­den und Chris­ten zu for­mulieren, heisst natür­lich Mar­tin Benz.

Ich finde, man sollte die von Mar­tin Benz for­mulierten Para­me­ter zur Beurteilung von ethis­chen Fragestel­lun­gen zunächst mal dank­end zur Ken­nt­nis nehmen als Basis für eine Diskus­sion. Ich sel­ber sehe mich nicht als Ethik-Spezial­is­ten. Meine Fra­gen möchte ich trotz­dem formulieren.

Nichts Neues

Erstens ist das Unter­fan­gen von Mar­tin Benz, ethis­che Prinzip­i­en zu for­mulieren, nichts Neues. Das Fach Ethik ist auch an evan­ge­likalen und pietis­tisch geprägten Bibelschulen seit vie­len Jahrzehn­ten etabliert. Teils umfan­gre­iche Werke wur­den geschrieben. Im deutschsprachi­gen Raum heis­sen die Autoren Bock­mühl, Schirrma­ch­er, Burkhardt, Hunte­mann, usw.

Ich für mich muss auch sagen: Ich empfinde die Arbeit­en dieser Autoren als gründlich­er und aus­gereifter als das, was uns Mar­tin Benz in den weni­gen ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Seit­en präsen­tiert. Ich weiss ehrlich nicht, wie ich die Selb­stin­sze­nierung Mar­tins als mutiger Pio­nier der Ethik ver­ste­hen soll. Vielle­icht passen die Inhalte der oben genan­nten Autoren für Mar­tin nicht? Dann sollte man das aber auch sagen und konkret begrün­den, weshalb man zu anderen Schlüssen kommt.

Eine christliche Ethik?

Zweit­ens wird nie wirk­lich klar, ob Mar­tin uns eine Ethik für die christliche Gemeinde oder eine all­ge­meine Ethik präsen­tiert, welche für die gesamte Gesellschaft umset­zbar sein soll. Mar­tin spricht zwar von ein­er «christlichen Ethik», von ein­er «christlichen Moral» und von «Werten des Him­mels». Er spricht von Gemein­den und Chris­ten, welche sich nach guten ethis­chen Prinzip­i­en sehnen.

Aber die ethis­chen Prinzip­i­en, welche er aus der Bibel her­aus­des­til­liert, sind doch sehr all­ge­mein for­mulierte Grund­sätze, welche ohne Rück­halt in der Heili­gen Schrift zu ein­er grossen Band­bre­ite an Ergeb­nis­sen führen kön­nen – genau­so wie ein all­ge­meines ‘Liebe­sprinzip’ das vom konkreten Ver­ständ­nis der Bibel von Liebe abgelöst wird zu ein­er grossen Band­bre­ite an Ergeb­nis­sen führen kann. Solche Ergeb­nisse kön­nen dur­chaus den in der Schrift fest­ge­hal­te­nen klaren Anweisun­gen bezüglich per­sön­lich­er Lebens­führung wider­sprechen. Beispiel: Neuord­nung betr­e­f­fend Homosexualität.

Kann sich denn eine christliche Ethik so stark vom Buch der Chris­ten, der Bibel, ablösen? Warum führt die Ethik von Mar­tin Benz in gewis­sen Fällen zu Ergeb­nis­sen, welche dem durchgängi­gen Zeug­nis der Bibel wider­sprechen? Müsste sich der Christ auf der Grund­lage sein­er Erlö­sung und in der Kraft des Heili­gen Geistes nicht an ein­er höheren Ethik ori­en­tieren, als man es einem Nichtchris­ten, der ohne diese göt­tliche Kraftquelle lebt, zumuten kann?

Die Geschichte des reichen Jünglings (Mk 10, 17ff) beispiel­sweise zeigt, dass der Men­sch sehr wohl moralis­che Massstäbe aus eigen­er Kraft erfüllen kann, zumin­d­est bis zu einem gewis­sen Grad. Aber ohne die Hil­fe Gottes wird er den­noch in entschei­den­den Punk­ten versagen.

Wie weit kann dem Men­schen ohne Gott die Ein­hal­tung ein­er wahrhaft christlichen Ethik zuge­mutet wer­den? Oder ist es möglicher­weise ander­sherum: dass wir dem Chris­ten unser­er Tage eine wahrhaft christliche Ethik nicht mehr zumuten und ihm lieber eine ‘Light-Ver­sion’ präsentieren?

Hier ver­misse ich nötige Dif­feren­zierun­gen und Klärung.

Wie ist das Zusammenspiel?

Drit­tens wün­schte ich in den Erörterun­gen von Mar­tin mehr Infor­ma­tio­nen darüber, wie seine ethis­chen Leit­sätze denn nun zusam­men­spie­len sollen.

Es wird zum Beispiel wenig darüber gesagt, ob und wie die Leit­sätze ein­er inneren Hier­ar­chie unter­wor­fen sind oder nicht. Ein ten­den­ziell hier­ar­chielos­es Sys­tem kommt dann an seine Gren­zen, wenn es zum Kon­flik­t­fall kommt. Wenn man dann die Bibel mit ihren klaren Aus­sagen eher nicht als Autorität anerken­nen möchte, bleiben einem immer noch ein paar andere Möglichkeit­en. Man kann einen formellen oder informellen ‘Papst’ haben, der entschei­det. Man kann irgen­deine Form von Kon­sen­spoli­tik betreiben, ‘diplo­ma­tis­che’ Lösun­gen suchen. Man kann auch in ein indi­vid­u­al­isiertes Laiss­er-Faire verfallen.

Mein Punkt: auch hier beste­ht Klärungsbedarf.

Ethik oder Dogmatik?

Viertens äussert Mar­tin im Zusam­men­hang mit sein­er Ethik an ver­schiede­nen Stellen eine gewisse Abnei­gung für Dog­matik. Das empfinde ich als prob­lema­tisch. Unter anderem äussert sich Mar­tin unzufrieden, dass sich das Chris­ten­tum von den Anfän­gen über die Ref­or­ma­tion hin­weg und bis vor kurzem «kaum mit Ethik befasst» habe. Ich halte diese Aus­sage für über­trieben, auch wenn sie möglicher­weise eine gewisse Berech­ti­gung hat.

Ethik – also wie wir han­deln sollen — scheint Mar­tin wichtiger zu sein als Dog­matik – was wir Glauben sollen.

Ich stimme Mar­tin zu, dass Ethik wichtig ist. Aber ich empfinde es als falsch, Dog­matik und Ethik als sich konkur­ren­zierende Diszi­plinen zu sehen, welche einan­der qua­si im Wege ste­hen. Das ist aber der Ein­druck, der zumin­d­est mir beim Lesen der Ethik-Kapi­tel im Buch ent­standen ist.

In ein­er Grafik im Buch (S.114) wer­den die bei­den Diszi­plinen bezugs­los nebeneinan­der dargestellt:

Dieser Darstel­lung fehlt meines Eracht­ens etwas Entschei­den­des, näm­lich eine Verbindung zwis­chen den bei­den Bere­ichen. Wir soll­ten Dog­matik und Ethik als einan­der zuge­ord­net sehen.

Schon das Studi­um der Bibel müsste uns klar­ma­chen, dass Dog­matik und Ethik untrennbar miteinan­der ver­bun­den sind. Fol­gende Bibel­stellen zeigen beispiel­haft, dass die Bibel ethis­che Anweisun­gen gibt auf­grund ein­er dog­ma­tis­chen Aus­sage über Gott: Eph 5:1, 1Pe 1:15–16, Kol 3:3–10, Rom 15:7, Eph 4:20–32. Die Gebote des Dekalogs wurzeln in der Selb­stof­fen­barung Gottes (2Mo 20:2). Die ethis­chen Anweisun­gen im Römer­brief (Kap 12–15) bauen auf der dog­ma­tis­chen Grund­lage der Kapi­tel 1–11 auf. Auch in diversen weit­eren Briefen des neuen Tes­ta­ments find­en wir die gle­iche Struk­tur. Ethik ste­ht nicht neben der Dog­matik, son­dern ist in ihr gegrün­det. Deshalb kön­nen grosse ethis­che Verän­derun­gen ein Indika­tor dafür sein, dass sich im Hin­ter­grund auch eine andere The­olo­gie ein­genis­tet hat. Es ist nicht gut, dass wir das eine gegen das andere ausspie­len. Es ist auch nicht gut, dass wir bei­de gle­ich­sam voneinan­der entkop­pelt präsen­tieren, wie die Graphik von Benz es tut.

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12. Wort-des-Glaubens-Bewegung

«Aber als ich nach zehn Jahren Bilanz zog, musste ich ernüchtert fest­stellen, dass ich per­sön­lich noch nie eine nach­weis­bare Heilung oder ein Wun­der erlebt habe.» (S.24)

Es lässt sich nicht bestre­it­en, dass es im weit­en Feld der evan­ge­likal geprägten Chris­ten­heit in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten auch prob­lema­tis­che Entwick­lun­gen gegeben hat. Mar­tin Benz nen­nt eine davon: die «Wort-des-Glaubens-Bewe­gung».

Vor Jahren durfte ich per­sön­lich nach Gebet am eige­nen Leib eine echte, spon­tane Heilung erleben. Doch ich finde die Vorstel­lung der Wort-des-Glaubens-Bewe­gung prob­lema­tisch, dass Geset­ze, welche ange­blich die Kraft des Glaubens regieren, unab­hängig von Gottes über­ge­ord­neten Willen funk­tion­ieren. Der Glaube dro­ht damit zu ein­er Kraft der Selb­stver­wirk­lichung zu wer­den. Der Men­sch wird Gott, und Gott wird Mit­tel zum Zweck.

Ich kann mir vorstellen, dass ich da und dort dur­chaus mit den Diag­nosen von Mar­tin Benz über diverse Strö­mungen und Missstände in der evan­ge­likalen Welt einig wäre, wenn wir diese miteinan­der besprechen wür­den. Nur bin ich bezüglich der von ihm vorgeschla­ge­nen ‘Ther­a­pi­en’ skeptisch.

Für Mar­tin scheint die Desil­lu­sion­ierung und Ent­täuschung in der Wort-des-Glaubens-Bewe­gung mit ein Grund gewe­sen zu sein, dass er einen Glaubensweg gewählt hat, der meines Eracht­ens von ein­er eher pauschalen Ablehnung von ihm emp­fun­den­er «kon­ser­v­a­tiv-evan­ge­likalen oder fun­da­men­tal­is­tis­chen» Denkmuster lebt. Ich finde: Hier hätte für Mar­tin auch einen anderen Weg gegeben. Denn da wären dur­chaus die the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­en Stim­men vorhan­den, welche ihm nüt­zliche Hin­weise für einen kri­tis­chen Umgang mit dieser Bewe­gung hät­ten geben kön­nen. Pfar­rer Jür­gen Nei­d­hart zum Beispiel gibt ein­er solchen Stimme Aus­druck. Er nen­nt in einem Artikel über die Unter­schei­dung der Geis­ter ein wichtiges Kri­teri­um zur Beurteilung von the­ol­o­gis­chen Lehren und geistlichen Strömungen:

«Wird ein­seit­ig ein christlich­es Leben voller Tri­umph, Sieg und Woh­lerge­hen abge­bildet – oder wird der christliche Weg durch Lei­den zur Her­rlichkeit aufgeze­ich­net (The­olo­gie des Kreuzes)?»

Dieses Kri­teri­um hätte zu Frageze­ichen gegenüber der ‘Wort des Glaubens’ Bewe­gung führen müssen. Ein dur­chaus the­ol­o­gisch ‘kon­ser­v­a­tives’ Kri­teri­um. Hier wäre guter Rat gewesen!

Mar­tin mag die Lehre der Wort-des-Glaubens-Bewe­gung richtiger­weise ablehnen, weil sie den Segen Gottes stark mit materiellem Wohl­stand und per­sön­lichem Erfolg verbindet. Gle­ichzeit­ig bleibt bei mir der Ein­druck zurück, dass Mar­tin trotz dieser Ablehnung an einem der wichti­gen Merk­male fest­ge­hal­ten hat. Es geht um die Ange­wohn­heit der «Wort-des-Glaubens-Bewe­gung», dank per­sön­lichen ‘göt­tlichen’ Offen­barun­gen genau zu wis­sen, was der ‘Herr’ will, und diese Offen­barung auch mal höher zu gewicht­en als die Schriftof­fen­barung – oder die Schriftof­fen­barung durch unsachgemässe Ausle­gung passend zu machen.

Vielle­icht sollte sich Mar­tin auch von solchen Ele­menten dieser Bewe­gung noch distanzieren?

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Fazit

Mar­tin Benz präsen­tiert sich in seinem Buch als Umzugshelfer. Er möchte uns helfen, einen für uns passenden Glauben zu find­en. Er möchte die Men­schen in die «Weite», in die «Frei­heit» begleiten. 

Ich begrüsse das grund­sät­zliche Anliegen von Mar­tin, Men­schen auf ihrem Weg zu begleit­en. Auch ich wün­sche mir einen Glauben, der keine Angst vor der Zukun­ft hat, Gott ent­deck­en möchte und zu einem auf­blühen­den Leben führt (vgl. Ein­leitung­s­text zum Buch), auch in verän­derten Lebenswel­ten der mod­er­nen Zeit.

Ich möchte am Schluss dieser lan­gen Reflex­ion seines Buch­es darauf hin­weisen, dass Mar­tin weit mehr als ein geistlich­er Umzugshelfer ist. Er möchte uns auch eine ganz bes­timmte neue Woh­nung ver­mi­eten. Er weiss genau, welche Woh­nun­gen aus sein­er Sicht untauglich sind, und in was für eine Woh­nung wir einziehen sollten.

Die Reise­be­gleit­er, welche Mar­tin zum Schluss seines Buch­es den Lesern emp­fiehlt, sind alle­samt in der Nis­che des Poste­van­ge­likalis­mus zu find­en. Rob Bell? Thorsten Dietz? Bri­an McLaren? Bri­an Zah­nd? Diese Fig­uren mögen ihre inhaltlichen Nuan­cen haben. Aber let­z­tendlich führen sie alle ins gle­iche geistliche Quarti­er. Das Buch von Mar­tin Benz liest sich an vie­len Stellen denn auch wie ein Sam­mel­suri­um der Gedanken dieser Autoren.

Dabei gäbe es dur­chaus andere mögliche Routen und Des­ti­na­tio­nen für einen geistlichen Umzug. Diese Optio­nen gibt es in der Welt von Mar­tin aber schein­bar nicht.

Da gibt es zum Beispiel die geistliche Reise des jun­gen The­olo­gi­es­tu­den­ten Ian Har­ber, welch­er auf sein­er Reise ins pro­gres­sive Chris­ten­tum nur «mehr von der gle­ichen, ober­fläch­lichen Art» fand, welche ihn in sein­er bish­eri­gen Gemeinde abgestossen hat­te. Hier geht es zu sein­er Geschichte.

Oder da gibt es die Geschichte des bekan­nten The­olo­gen Thomas C. Oden (1931–2016), der seinen Platz in der the­ol­o­gis­chen Avant­garde der 50er und 60er Jahre geräumt hat, weil er im his­torischen, klas­sis­chen Chris­ten­tum so viel mehr fand als in der lib­eralen The­olo­gie sein­er Tage. Hier geht es zu sein­er bewe­gen­den Biografie.

Es gibt auch meine Geschichte. Denn auch mein Glaube ist in Bewe­gung. Und das Buch von Mar­tin Benz war für mich eine willkommene Möglichkeit, mich mit meinen eige­nen Glauben­süberzeu­gun­gen auseinan­der zu setzen.

Ich hoffe sehr, dass mein umfan­gre­ich­er Text eine Ressource sein kann für Leser, welche sich ver­tieft auseinan­der­set­zen möcht­en mit dem Inhalt des Buch­es von Mar­tin. Auch ich bin keineswegs vor Irrtümern gefeit. Es ist deshalb gut, wenn auch mein Schreiben geprüft wird. Mir ist auch bewusst, dass ich in mein­er Reflex­ion einen kri­tis­chen Ton angeschla­gen habe. Das mag man wiederum kri­tisieren.  Ich hoffe trotz­dem, der Leser kon­nte meinem Schreiben ent­nehmen, dass es mir um die Sache geht. Denn Mar­tin und auch sein­er Fam­i­lie wün­sche ich von Herzen alles Gute.

Wohin führt die pro­gres­sive christliche Reise? Vor rund 4 Jahren habe ich Mar­tin diese Frage gestellt, erst im pri­vat­en Rah­men, dann in meinem viel­ge­le­se­nen Artikel über den Kün­stler Michael Gun­gor. Ich respek­tiere den Wun­sch von Mar­tin, Men­schen mit­tels ‘pro­gres­siv­er Glauben­sreise’ in die «Weite», in die «Frei­heit» zu führen. Mir ist in den ver­gan­genen Jahren in der pro­gres­siv­en Welt, wie sie sich mir erschlossen hat, aber kein erhöht­es Mass an «Weite» und «Frei­heit» begeg­net. Eher bin ich ein­er Bewe­gung von Men­schen begeg­net, welche doch auch sehr stark von Abgren­zung lebt und genau­so ihre moralis­chen Codes pflegt, welche sie oft in geset­zlich­er Weise ver­tritt. Darauf einzuge­hen, wäre aber nochmals ein weit­er­er Artikel.

Ich stelle fest: Ich werde nicht in die Woh­nung einziehen, die mir in diesem Buch schmack­haft gemacht wird. Sie ist wed­er so neu wie sie den Anschein macht, noch weist sie die Bausub­stanz auf, welche ich mir für eine langfristige Wohn­lö­sung wün­sche. Mit frisch­er Farbe lässt sich so manch­er Man­gel überdeck­en, mit gutem Mar­ket­ing manch ein Inter­essent überzeu­gen, eine Miete anzutreten, welche er später bereuen wird.

Ich stelle auch fest: Ich bin ganz neu froh und dankbar in einem zeit­losen ‘Klas­sik­er’ wohnen zu dür­fen. Dieser ist für die Ewigkeit gebaut und hat so machen Sturm schon über­standen. Kein Wun­der, hat er doch als Fun­da­ment die Apos­tel (NT) und die Propheten (AT) und als Eck­stein Jesus Chris­tus (Eph 2:20). Zugegeben: Ihre Schön­heit ent­deckt man vielle­icht erst auf den zweit­en Blick. So manch­er wollte an diesem Haus schon die Abriss­birne anle­gen. Doch dieser Klas­sik­er wird noch ste­hen, wenn mor­gen die Trends von heute abgelöst wor­den sind. Die Erschüt­terun­gen der Zeit kön­nen diesem Klas­sik­er nichts anhab­en. Er ist ein Uni­ver­sum für sich. Ich bin mir gar nicht sich­er, ob ich dieses Haus gefun­den habe, oder dieses Haus mich. Ich bin mir gar nicht sich­er, ob ich dieses Haus gestalte, oder dieses Haus mich. Es ist das Haus des Glaubens, welch­es «ein für alle Mal den Heili­gen anver­traut ist» (Jud 3). Das Schöne: Ich muss hier nicht Mieter sein, son­dern ich darf Miterbe sein. Das Haus gehört meinem Vater. Es gibt hier noch so viele Räume zu ent­deck­en. Es hat Platz. Es hat Aus­sicht. Auf keinen Fall möchte ich hier ausziehen. Dies ist mein Zuhause.

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Ressourcen

Hier noch einige inter­es­sante Ressourcen zu diversen in meinem Text behan­del­ten Themen:

Kri­tisiert Jesus das Alte Testament?
Artikel von Ben­jamin Kilchör, Pro­fes­sor für Altes Tes­ta­ment an der STH Basel. Kilchör geht der Frage nach vor dem Hin­ter­grund der Argu­men­ta­tion von Mar­tin Benz in seinem Buch «Wenn der Glaube nicht mehr passt».

Wahre Geschichte? — Zur Schick­sals­frage der Theologie.
Video mit Dr. Fabi­an Graßl

Wie unter­schei­det sich der his­torische Wahrheit­sanspruch der Bibel von unserem Wahrheitsverständnis?
Video mit Prof. Dr. Armin Baum

Wahrer Gott? — Jesu Selbstverständnis als ulti­ma­tive Herausforderung.
Video mit Dr. Fabi­an Graßl

Der werfe den ersten Stein — Ethik zwis­chen Gesetz und Gnade.
Video mit Prof. Dr. Dr. Roland Werner

Kön­nen wir den Evan­gelien vertrauen?
Video mit Dr. Peter J. Williams:

Sex­uelle Ori­en­tierung in der Antike und im Neuen Testament.
Video mit Prof. Dr. Armin Baum:

Vom bib­lis­chen Text zum ethis­chen Urteil.
Video mit Prof. Dr. Christoph Raedel:

Die Bibel wörtlich nehmen?
Video mit Dr. Gui­do Baltes

Artikel auf “Mind of Matt”:
Mar­tin Benz und die Bibel #1: Wider die Bibeltreuen
Mar­tin Benz und die Bibel #2: Was ist Wahrheit?
Benz und Bibel 3#a: Trend­set­ter pro­gres­sive Hermeneu­tik. Die Bibel pro­gres­siv lesen
Benz und Bibel 3#b: Trend­set­ter pro­gres­sive Hermeneu­tik. Die Bibel pro­gres­siv anwenden

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Buch von Alisa Childers.

Zeit des Umbruchs — Wenn Chris­ten ihre evan­ge­likale Heimat verlassen.
Buch von Markus Till

Bilder: iStock, Mon­tage Titel­bild: Peter Bruderer

36 Comments
  1. Marc ten Busch 9 Monaten ago
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    Mich würde inter­essieren, ob M. Benz inzwis­chen eine Rep­lik geschrieben hat, der obige Thread ist ja inzwis­chen schon vier Monate alt?
    Mir scheint im übri­gen, dass Benz von der Exis­tenz ein­er “homo­sex­uellen Iden­tität” aus­ge­gan­gen ist, Brud­er­er, nehme ich an, eher nicht, er spricht von von “homo­sex­uellem Ver­hal­ten”. Die Frage der Iden­tität ist wahrschein­lich nicht unwichtig und wurde, wenn ich das richtig gese­hen habe, wed­er von Benz, noch von Brud­er­er the­ol­o­gisch beleuchtet. Kaldewey spricht oben von “homo­sex­uellen Men­schen”, damit also indi­rekt von homo­sex­ueller Identität.
    Ich würde mich freuen, wenn dieser aus mein­er Sicht zen­trale Punkt auch mit in die Diskus­sion ein­fliessen kann. Schön wäre auch, wenn Brud­er­er hier öffentlich auf Kaldewey antworten würde (aber wahrschein­lich gibt dafür gute Gründe).
    Kann es sein, dass wir der Ten­denz begeg­nen müssen, Gnade gegen Wahrheit auszus­pie­len? Ich denke dabei an eine Pub­lika­tion von Randy Alcorn (“voller Gnade und Wahrheit”). Die Antwort für einen the­ol­o­gis­chen Laien wie mich ist demzu­folge Johannes 1,14 (neue Genfer):
    “Er, der das Wort ist, wurde ein Men­sch von Fleisch und Blut und lebte unter uns. Wir sahen seine Her­rlichkeit, eine Her­rlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie nur er als der einzige Sohn sie besitzt, er, der vom Vater kommt”.
    Ist es über­zo­gen, zu sagen, dass wenn der Gläu­bige von diesem Geist erfüllt wird, er eben­falls von Gnade und Wahrheit gle­ichzeit­ig erfüllt wird? Dem­nach ist auch der geis­ter­füllte Gläu­bige in der Lage, in der Sache klar zu sein, also die Schärfe des Wortes (“Schw­ert des Wortes”. Eph. 6,17) nicht abzus­tumpfen (auch wenn man sich daran schnei­den kann, Herr Kaldewey). Und doch gle­ichzeit­ig voller Gnade zu han­deln und zu argu­men­tieren. Nach mein­er Mei­n­ung ist Peter Brud­er­er das gelungen.
    Ich hoffe jet­zt natür­lich, dass die Diskus­sion noch rea­n­imiert wer­den kann.

    • Peter Bruderer 9 Monaten ago
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      Hal­lo Marc
      Ich weiss von fol­gen­den Reak­tio­nen von Martin:
      Auf seinem Blog: https://movecast.de/der-strohmann/
      Auf Livenet: https://www.youtube.com/watch?v=tp2Uv2Ktf24
      Lei­der ist da aus mein­er Sicht wenig Konkretes und Spez­i­fis­ches dabei. Die Sach­fra­gen wer­den nicht beant­wortet, welche ich aufge­wor­fen habe.
      Zur Diskus­sion mit Jens Kaldewey… Ich habe es unter­lassen, schriftlich Jens Kaldewey zu antworten, weil wir zusam­men ein mündlich­es Gespräch mit offen­em Aus­gang hatten.
      Jens war vor 20 Jahren mein Lieblingslehrer am IGW in Zürich und ist deshalb für mich immer eine Respek­tsper­son gewe­sen. Ich habe eine Reak­tion von ihm auf meinen Artikel erwartet, weil er selb­st auf Ama­zon ein glühen­des Endorse­ment des Buch­es von Mar­tin Benz geschrieben hat: https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R3HG6NE6L5XHRY/ref=cm_cr_getr_d_rvw_ttl?ie=UTF8&ASIN=B0B3NDZC8Y
      Insofern war das Schreiben dieser Rezi für mich auch ein Schreiben im Bewusst­sein, dass ich nicht nur Mar­tin Benz kri­tisiere, son­dern mich auch von Jens ablöse. An diesem Sta­tus Quo hat sich seit unserem Gespräch auch nichts geän­dert. Mit 2 Leser­briefen in Idea Schweiz (einen gegen Johannes Röskamp gerichtet, einen gegen Roland Hard­meier) hat Jens die Welt wis­sen lassen, dass Leute wie ich schein­bar auf dem Holzweg sind und seine ‘Ver­mit­tlungs­the­olo­gie’ der bessere Ansatz. Wobei Ver­mit­tlung bei ihm daraus zu beste­hen scheint, Stand­punk­te wie meine zu kri­tisieren und Stand­punk­te wie diejenige von Mar­tin Benz kon­se­quent in Schutz zu nehmen. Jens posi­tion­iert sich damit let­ztlich auf der Poste­van­ge­likalen Seite der Diskus­sion. Als Men­sch achte ich ihn weit­er­hin sehr. Aber inhaltlich muss ich fest­stellen, dass wir unter­schiedliche Wege gehen. Offen gesagt: Eigentlich hätte er als erfahren­er Bibellehrer die Rezi schreiben müssen, welche ich in aufwendi­ger Arbeit zusam­menge­tra­gen habe. Stattdessen hat er die inkon­sis­tente und aus mein­er sich in die Irre führen­den Gedankengänge von Mar­tin mit seinem vollen Lob verse­hen. Diesen Fehler sollte er aus mein­er Sicht korrigieren.

    • Paul Bruderer 9 Monaten ago
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      Span­nende und wichtige Aus­sagen und Fra­gen von Ihnen Herr ten Busch. Danke. Ich lasse die Expo­nen­ten mal darauf einge­hen. Nur soviel von mein­er Seite ein paar Punkte:
      — Ich ver­mute, dass mein Brud­er mit ‘homo­sex­uellem Ver­hal­ten’ sich primär auf das bezieht, worüber die Bibel primär spricht in den Stellen, die Homo­sex­u­al­ität the­ma­tisieren. Der Fokus ist dort das Ver­hal­ten, nicht, ob jemand sich über die eigene sex­uelle Ori­en­tierung eine Iden­tität aufbaut.
      — Ich ver­mute weit­er, dass die ganze Frage der Homo­sex­u­al­ität sowohl bei Benz, wie auch bei Peter, nicht im Vorder­grund. Es ging eher darum, anhand dieses Thema’s bes­timmte andere the­ol­o­gisch-seel­sorg­er­liche Punk­te zu illus­tri­eren oder thematisieren.
      — Ja wir müssen — wie sie sagen — der Ten­denz begeg­nen, Wahrheit und Gnade gegeneinan­der auszus­pie­len. Sie haben eine der wichti­gen Stellen genan­nt. Mir per­sön­lich dünkt, dass das Wort ‘Gnade’ schon die Wahrheit in sich inte­gri­ert. Denn: Gnade muss es nur geben über etwas, das nicht in Ord­nung war (was automa­tisch mit der Frage der Wahrheit zu tun hat). Wahrheit ohne Gnade zer­stört. Gnade ohne Wahrheit ist keine Gnade mehr (per Def­i­n­i­tion). Mein per­sön­lich­es Anliegen ist, Gemein­den als Räume der Gnade zu ver­ste­hen — übri­gens ein Begriff, den ich von Jens Kaldewey habe, den er aber bish­er nicht aus­ge­führt hat. Ich habe ein wenig daran gear­beit­et und finde es span­nend, z.B. 1. Korinther 5–7 unter diesem Blick­winkel zu lesen.

  2. Hans-Peter Glahs 9 Monaten ago
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    Feuer frei aus allen Rohren
    Hal­lo Peter und Paul, auch auf die Gefahr hin, dass meine Zeilen ähn­lich akribisch auseinan­dergenom­men wer­den wie das Buch von Mar­tin Benz: da es Euer erk­lärtes Ziel ist, sog. Pro­gres­siv Glauben­den oder Post-Evan­ge­likalen the­ol­o­gisch offen­siv ent­ge­gen­zutreten, fällt mir doch in erster Lin­ie auf, dass es um die Deu­tung­shoheit der bib­lis­chen Über­liefer­ung geht, die Ihr für Euch reklamiert. Wer eine “Rezen­sion” pub­liziert, die vom Umfang her schon selb­st fast ein eigenes Büch­lein hergibt, muss sich die Frage gefall­en lassen, ob möglicher­weise andere Inter­essen hand­lungslei­t­end (gewe­sen) sind. Spon­tan wür­den mir hierzu liebge­wonnene Posi­tio­nen (Anerken­nung, was die zahlre­ichen zus­tim­menden Posts bestäti­gen) inner­halb der evan­ge­likalen Com­mu­ni­ty ein­fall­en, aber auch konkrete beru­fliche Anstel­lun­gen bis hin zu Ver­la­gen und deren Autoren, die kräftig am “Bash­ing” der o.g. Grup­pierun­gen ver­di­enen. Deshalb über­rascht mich der enorme Aufwand nicht, mit dem auf Eurem zugegeben­er­maßen gut gemacht­en Blog strit­tige oder missliebige Posi­tio­nen akribisch auseinan­der genom­men wer­den, wenn auch nicht immer mit der gebote­nen Sorgfalt .
    Bleiben wir zunächst bei der Meta­pher von der Woh­nung: Ihr befind­et Euch in ein­er WG mit sehr illus­tren Mit­be­wohn­ern, mit denen ich aus ver­schiede­nen Grün­den meine Schwierigkeit­en habe. Nur eine Auswahl aktuell promi­nen­ter Mitbewohner:
    * Peter Hahne, der mit seinen pop­ulis­tis­chen Ressen­ti­ments gegen “alles” links von der CDU gefährlich Stim­mung macht, u.a. mit seinen Aus­fällen zur Maskenpflicht (“Stoff­fet­zen”), obgle­ich nach­weis­lich durch das Tra­gen von Masken die Spanis­che Grippe entschei­dend eingedämmt wurde.
    * Der “Laut­sprech­er der “Bibel­treuen” aus Bre­men (Latzel), der mit seinem aggres­siv-polemis­chen Vor­tragsstil und voller Häme Kol­le­gen verunglimpft, die es (aktuelles Beispiel!!) wagen, über ein Lied von Paul Ger­hard zu predi­gen anstatt über “Gottes Heiliges Wort”.
    * R. Liebi, der “Anführer der Apoka­lypse-Prozes­sion”, der in seinen unglaublich zahlre­ichen Auftrit­ten davon spricht, welche Hin­weise es auf Rus­s­land und dessen poli­tis­che Pläne in bib­lis­chen Tex­ten gibt.
    * L. Gassmann, der mit seinen State­ments zu kul­turellen Fra­gen (Mode, Klei­dung, Musik) eine sehr eigen­willige Vorstel­lung der “Schöp­fung­sor­d­nung” pos­tuliert. Übri­gens ein Begriff, den ich in kein­er Bibelüber­set­zung find­en konnte.
    * W. Nestvo­gel, der mit einem “hal­ben Zent­ner” wis­senschaftlich­er Lit­er­atur in sein­er Predigt über Noah “beweisen” wollte, dass Noah & Co 900 Jahre und älter gewor­den sein konnten.
    * Der Arbeit­skreis Christliche Coro­na-Hil­fe, der während der Lock­downs z.T. hoch prob­lema­tis­che poli­tis­che State­ments veröf­fentlicht hat bis hin zum Vor­wurf der Chris­ten­ver­fol­gung (ERB Frank­furt) und dessen Pro­tag­o­nis­ten laut­stark die Ver­hin­derung ein­er Impflicht als Sieg ihrer Gebete im “geisti­gen Kampf” gefeiert haben.
    * Die Videos von Michael Kotsch über bzw. gegen Johannes Hartl, ( bei denen ein evan­ge­likaler (!) Autor eine Rei­he unwahrer Behaup­tun­gen und Unter­stel­lun­gen nach­weisen konnte).
    * Eric Metaxas mit seinen Stel­lung­nah­men pro Trump.
    Und was Peter über den “passenden Glauben” schreibt, ist schon sehr speziell: Glaube ist einem Entwick­lung­sprozess unter­wor­fen, lässt sich auch bei Paulus nach­le­sen. Und er hat eine Beziehungsebene, aber auch eine intellek­tuelle oder geistige Dimen­sion, die sich im Laufe ein­er Biogra­phie wan­deln kann und darf. Insofern ist es dur­chaus angemessen, von einem nicht mehr passenden Glauben im Sinne eines als über­holt gel­tenden Kon­struk­tes zu sprechen. In seinem sehr respek­tvollen und dial­o­gori­en­tierten State­ment zu Michael Kotsch spricht Johannes Hartl von der “Hermeneu­tik des Ver­dachts” ihm gegenüber. Dieses State­ment ( auf you tube) hat mich sehr beein­druckt, zumal ich kein “Fan” von Hartl bin. Aber an dieser Hal­tung kön­nen sich auch evan­ge­likale Chris­ten ein Beispiel nehmen! Kann es sein, dass im Falle der Rezen­sion eine ähn­liche Hermeneu­tik im Ein­satz war? Ein paar let­zte Gedanken: wie kann es sein, dass in den ver­gan­genen Jahren eine Rei­he promi­nen­ter Autoren unab­hängig voneinan­der auf Dis­tanz zum “bibel­treuen” Schriftver­ständ­nis gegan­gen sind (M. Diener, J. Mette, T. Dietz, T. Faix ) ? Müssen sie deshalb ex-kom­mu­niziert werden?
    So ver­lock­end Euer Ange­bot zu Bier und Kaf­fee ist: ich fürchte, es han­delt sich um eine Mogel­pack­ung, wenn es sich nicht um die Ein­ladung zu einem ergeb­nisof­fe­nen gemein­samen Rin­gen um Wahrheit han­delt, son­dern das the­ol­o­gisch wohl begrün­dete Nieder­rin­gen abzulehnen­der Posi­tio­nen intendiert ist. Mir fehlt noch der Index aller in Ver­dacht der Häre­sie ste­hen­den Autoren,
    meint Hans-Peter Glahs, seit 100 Semes­tern Stu­dent der The­olo­gie, die nach­wievor span­nend bleibt und viele Ent­deck­un­gen bere­i­thält. Nach 50 Jahren, in denen ich Jesus hin­ter­her stol­pre, bleibt das mein Faz­it: Jesus­treu reicht, “bibel­treu” oder “beken­nistreu” sind men­schengemachte Konstrukte.

    • Paul Bruderer 9 Monaten ago
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      Lieber Hans-Peter, ich finde es wirk­lich schade, dass du defak­to von Anfang an gegen den Mann gehst anstatt inhaltlich zu inter­agieren. Wir sind also ‘guilty by asso­ci­a­tion’ — und zwar dein­er asso­ci­a­tion. Ich werde — wie auch hier durch dich — sich­er ein­mal im Monat mit ’schlimm­sten’ Kon­ser­v­a­tiv­en in einen Topf gelegt nur um bald darauf von anderen in die lib­erale Ecke gestellt zu wer­den. Genau darum soll­ten wir inhaltlich disku­tieren, und nicht gegen die Per­son gehen.

      Ja es stimmt: Wir hal­ten the­ol­o­gisch gegen das Pro­gres­sive. Aber nicht, weil wir die Deu­tung­shoheit haben wollen (wie kommst du darauf?), son­dern weil wir wichtige Ele­mente darin als the­ol­o­gisch nicht nur irreführend, son­dern auch als gefährlich sehen. Übri­gens: die Pro­gres­siv­en machen das zu Hauf, ein­fach mit anderen Vorze­ichen. Mein Vorschlag: inhaltlich interagieren.

      Es stimmt: Wenn wir uns tre­f­fen wür­den, würde ich meine Mei­n­ung wohl nicht ändern. Du deine auch nicht. Man muss nicht ergeb­nis­sof­fen sein, um einan­der ver­ste­hen zu wollen, oder? Ich tre­ffe regelmäs­sig Pro­gres­sive in diesem Sinn und es ist gut, es zu tun!

      • Hans-Peter Glahs 9 Monaten ago
        Reply

        Seit 5:45 Uhr wird jet­zt zurückgeschossen
        Hal­lo miteinan­der, warum so empfind­lich? Wer einen solch enor­men apolo­getis­chen Aufwand betreibt , muss sich die Frage nach dem Zusam­men­hang von Erken­nt­nis und Inter­esse gefall­en lassen. So etwas lernt ein Sozi­olo­gie-Stu­dent im 1.Semester. Das hat nichts damit zu tun, „an den Mann zu gehen“. Nicht genug damit, dass Peter Mar­tin Benz‘ Buch nach allen Regeln der „intellek­tuellen Spitzfind­igkeit“ auseinan­derpflückt, es wird auch noch ein Alttes­ta­mentler aus Mit­tel­erde (Ben­jamin Kilchör klingt nach Kleinem Hob­bit) an die Front geschickt, um Benz handw­erk­liche the­ol­o­gis­che Fehler nachzuweisen.
        Und ganz ern­sthaft: muss ich noch den Unter­schied zwis­chen „impliz­it“ und „expliz­it“ erk­lären? Beim sorgfälti­gen Lesen divers­er Texte aus Eurem Block wird die Grund­ten­denz ein­deutig, wenn ich vom „Anspruch der Deu­tung­shoheit“ spreche. Das ist auch in Ord­nung, sollte dann aber auch so benan­nt wer­den dür­fen. Oder bekommt Ihr Beifall von der falschen Seite, wenn Ihr Euch artig bei den vie­len Kom­men­tar­toren bedankt, die ihre Zus­tim­mung äußern oder die – wie im Fall von Ron (Kub­sch ?) dort ein Forum nutzen, um ihre steile Dog­matik in aller Aus­führlichkeit auszubre­it­en ? Zugegeben, mein State­ment fällt jet­zt auch etwas aus­führlich­er aus. Bin ger­ade „in Fahrt“. Inhaltlich habe ich mich mit Peters‘ „unpassen­dem“ Glaubens­be­griff auseinan­derge­set­zt. Wenn ich davon aus­ge­he, dass Euer Schriftver­ständ­nis auf der Chica­go­er Erk­lärung zur Irrtum­slosigkeit der Bibel basiert (oder irre ich hier ?), dann han­delt es sich bei der „Parade des evan­ge­likalen Grauens“ um Mit­be­wohn­er „Eur­er“ WG, die Euch ja so wertvoll ist.
        Empfind­lich reagiere ich, wenn — wie in der Serie über das Bibelver­ständ­nis (Roland Hard­meier) ‑ent­ge­gen dem selb­st­for­mulierten Anspruch, die ganze Wahrheit darzustellen, bewusst Zitate ( in meinem Bsp. von S. Zim­mer zum Bibelver­ständ­nis) verkürzt wiedergegeben wer­den, um die eigene Lesart zu unter­mauern. Eine „objek­tive“ Hermeneu­tik ist nicht vorstell­bar, weil immer bes­timmte Voran­nah­men existieren, über die sich jed­er Rechen­schaft geben sollte. „Pos­i­tivis­musstre­it“ nur als Stich­wort aus der Debat­te um Erkenntnistheorie.
        Noch ein Missver­ständ­nis: nach mein­er Lesart geht es wed­er bei Benz, Diener, Mette oder Dietz um Bibelkri­tik, son­dern um Kri­tik an einem bes­timmten Bibelverständnis.
        Auch bei der Auseinan­der­set­zung über das The­ma „Abtrei­bung“ wird vom Autor in Eurem Block eben nicht die ganze Wahrheit berichtet. Zwar wird Fraen­cis Scha­ef­fer aus­führlich gewürdigt ( ja, er hat seine Ver­di­en­ste im Blick auf Apolo­getik und kul­turelle Anschlussfähigkeit), aber nicht hingewiesen auf das bit­tere State­ment seines Sohnes Frankie im Rah­men der Arte Doku­men­ta­tion „Die Macht der Evan­ge­likalen, 3 Teile, 2023).Frankie war sein­erzeit als Regis­seur ver­ant­wortlich für den Anti-Abtrei­bungs­film, der von der christlichen Recht­en in den USA für poli­tis­che Zwecke instru­men­tal­isiert wor­den ist und der eine ver­häng­nisvolle Rolle im derzeit­i­gen US-Kul­turkampf spielt. Ich bin kein Befür­worter von Abtrei­bun­gen, trete aber auch hier für eine dif­feren­zierte Sicht ein und wun­dere mich darüber, dass fast auss­chließlich (alte) weiße Män­ner diese Debat­te (in christlichen Kreisen) führen.
        Übri­gens bin ich kein „Pro­gres­siv­er“, son­dern würde mich als aufgek­lärten Pietis­ten verorten (wir brauchen ja unsere Kat­e­gorien, um uns ori­en­tieren zu kön­nen), der sich über ein unre­flek­tiertes oder anmaßen­des Bibelver­ständ­nis ärg­ert, in welchem kein Platz bleibt für alter­na­tive Sichtweisen. Alle Erken­nt­nis, auch meine, bleibt Stück­w­erk, und wenn uns die Liebe fehlt (wir aber immer um die „Wahrheit“ rin­gen), wer­den auch nicht viele Früchte des Geistes zu find­en sein.
        Bevor ich es vergesse: Mar­tin Benz empfind­et es genau­so, wie ich es for­muliert habe: niedergerun­gen zu wer­den. „ Evan­ge­likale lieben es, die Ver­let­zten zu erschießen“ (Zitat von Mar­tin Bühlmann).

        • Paul Bruderer 9 Monaten ago
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          Danke Hans-Peter, ich finde da sind doch gute The­men drin, über die wir disku­tieren kön­nten — am besten bei einem Kafi 😉

          Ich bin ein­ver­standen, dass man die Frage nach dem Inter­esse stellen soll. Man sollte aber nicht NUR diese stellen. Und man sollte sie in umgekehrter Rich­tung gefall­en lassen. Ich meine diese Frage von dir direkt und offen beant­wortet zu haben in mein­er let­zten Antwort. Ich scheue mich da nicht. Ob die Antwort dir passt, ist eine andere Frage. Wo ich dir wider­sprechen will ist wenn du sug­gerierst, es gehe um UNSERE Deu­tung­shoheit. Das sug­geriert — so kommt es bei mir an — es gehe uns um die Vor­ma­cht­stel­lung. Beweise kann ich es dir nicht, aber ich möchte ein­fach sagen: Es geht mir darum, dass mein­er Mei­n­ung im pro­gres­siv-lib­eralen Ansicht­en vertreten wer­den, welche den Glauben wie Jesus ihn dachte unter­graben statt zu fördern. Ich empfinde es als unsere Ver­ant­wor­tung als Hirten und Pas­toren, dem zu wider­sprechen um Gottes Willen und der Herde willen. Glaube mir: ich wün­schte, ich müsste das nicht tun. Die aktuelle Sit­u­a­tion erfordert es.

          Danke auch für die Klärun­gen dein­er Leseart von Benz, etc. Ich denke das hat — mit Dif­feren­zierun­gen — tat­säch­lich etwas: Sie kri­tisieren ein bes­timmtes Bibelver­ständ­nis. Was mich zu ein­er Rück­frage an dich führt. Du schreib­st “Eine „objek­tive“ Hermeneu­tik ist nicht vorstell­bar, weil immer bes­timmte Voran­nah­men existieren, über die sich jed­er Rechen­schaft geben sollte.” und “würde mich als aufgek­lärten Pietis­ten verorten (wir brauchen ja unsere Kat­e­gorien, um uns ori­en­tieren zu kön­nen), der sich über ein unre­flek­tiertes oder anmaßen­des Bibelver­ständ­nis ärg­ert, in welchem kein Platz bleibt für alter­na­tive Sichtweisen.” Für Dietz und Co. gibt es ’no-go’ Bere­iche im Bibelver­ständ­nis. Also Dinge, die man über das Wesen Bibel nicht glauben sollte. Es gibt für sie Gren­zen im Bibelver­ständ­nis. Sehe ich das richtig? Als aufgek­lärter Pietist möcht­est du keine Anmas­sung im Bibelver­ständ­nis. Es muss Platz geben für alter­na­tive Sichtweisen. Trotz­dem gibt es für jedes Bibelver­ständ­nis Gren­zen, Dinge, die nicht gehen. Und damit wird es immer auch Leute geben, es ein der­art anderes Par­a­dig­ma der Bibel vertreten, dass man sagen muss: geht nicht! Meine Frage wäre nun: wo sind die Gren­zen aus dein­er Sicht? Du glaub­st ja wohl auch nicht, dass ALLE alter­na­tiv­en Sichtweisen okay sind? Angenom­men es gibt Bibelver­ständ­nisse (jawohl viele bei uns sind wohl bei irgen­dein­er From von Chica­go-naher Erk­lärung), die aus dein­er Sicht nicht gehen, warum ärg­erst du dich, wenn wir uns das gle­iche Recht her­aus­be­din­gen? Ich darf doch sagen, dass mein­er Mei­n­ung nach dein Bibelver­ständ­nis nicht geht. Mir sagen das viele die ganze Zeit. Langer Rede kurz­er Sinn: Mich inter­essiert, wo du die Gren­ze ziehst. Vielle­icht magst du dazu etwas schreiben?

          • Hans-Peter Glahs 9 Monaten ago

            Hal­lo Paul,
            das war aber “ne schnelle Num­mer”. Gerne kann ich meine Über­legun­gen zum Bibelver­ständ­nis teilen, würde das allerd­ings gerne als Anhang zu ein­er Mail senden, weil ich meinen Text aktuell nicht ein­er größeren Öffentlichkeit präsen­tieren möchte. An welche Adresse?

          • Paul Bruderer 9 Monaten ago

            Ich finde es darf gerne öffentlich sein. Aber wenn du das lieber nicht hast, dann auch gerne an paul.bruderer@gmail.com

        • Peter Bruderer 9 Monaten ago
          Reply

          Grüezi Herr Glahs. Mein Brud­er ist mir mit seinen Antworten fre­undlicher­weise zuvorgekom­men. Ich unter­lasse es nochmals lang­wierige Antworten zu for­mulieren, da ich meine Argu­mente ja schon aus­führlich und spez­i­fisch genug dargelegt habe:-). Bezüglich Scha­ef­fer: stellen sie ihre Rück­mel­dung doch am besten beim jew­eili­gen Artikel als Kom­men­tar. Dann ist sie dort am richti­gen Ort. Im Rah­men mein­er Zeitres­sourcen (ich hab Day-Jobs und Fam­i­lie…) antworte ich ihnen gerne.

  3. Peter Bruderer 10 Monaten ago
    Reply

    3 Monate nach Pub­lika­tion mein­er Buchbe­sprechung hat Mar­tin Benz in einem Livenet-Talk sich zur Diskus­sion um sein Buch geäussert: https://www.youtube.com/watch?v=tp2Uv2Ktf24&t=34s

    Zum Gespräch gebe ich gerne fol­gende Rückmeldung: 

    Nach­dem ich vor 3 Monat­en mit mein­er umfan­gre­ichen Buchbe­sprechung die Diskus­sion rund um das aktuelle Buch von Mar­tin Benz angestossen habe, habe ich mir das Livenet-Gespräch mit Inter­esse angeschaut. Im Inter­view ist mein Name gefall­en und es wurde über meine Buchbe­sprechung gesprochen. Deshalb erlaube ich mir ein Feedback.

    Wie ich schon in meinem Artikel betont habe, wün­sche ich Mar­tin und auch sein­er Fam­i­lie von Herzen alles Gute. Es ging mir stets nur um die Sach­fra­gen und um meinen per­sön­lichen Ver­such, die The­olo­gie, welche Mar­tin in seinem Buch entwick­elt, bess­er zu verstehen.

    Ich habe mich gefreut, dass Mar­tin nun im Livenet-Gespräch zumin­d­est in Ansätzen auf einige der Anfra­gen an sein Buch einge­gan­gen ist. Der Fokus bleibt den­noch bei sein­er zugegeben­er­massen gewin­nen­den Rhetorik und dem Beschwören ein­er lei­den­schaftlichen Begeis­terung für Jesus, welche er nach seinen eige­nen Worten ent­fachen will. Viele Sach­fra­gen bleiben unbeantwortet.

    Ich finde es schade, dass Mar­tin seine rhetorischen Fähigkeit­en auch dazu ein­set­zt, Men­schen wie mich, die konkrete Anfra­gen an seine The­olo­gie äussern, Hal­tun­gen und Glauben­süberzeu­gun­gen zuzuschreiben, welche wir (oder wenig­stens ich) gar nicht haben. Ehe man sich’s ver­sieht, ist man plöt­zlich irgend­wie der­jenige gewor­den, der schein­bar unbarmherzig ist oder jemand, der respek­t­los die authen­tis­chen Glaubenser­fahrun­gen ander­er Chris­ten und möglicher­weise gar ihr Heil in Frage stellt. In mein­er Buchbe­sprechung habe ich in kein­er Weise solche Dinge geäussert.

    Es wäre schön, wenn Benz zeigen würde, wie aus meinem Text solche Aus­sagen begrün­det abgeleit­et wer­den kön­nten. Der Bezug zu per­sön­lichen Gesprächen oder einem Ein­druck, wie es all­ge­mein um die christliche Szene ste­ht, ist heikel in einem solchen Inter­view. Man sollte sich auf öffentlich zugängliche Unter­la­gen beziehen, wie z.B. der Text meines Artikel’s. Es ist zu leicht, andere zu fra­men, wenn man auf sich nicht auf konkrete Aus­sagen bezieht, son­dern mit All­ge­mein­plätzen arbeit­et. Ich kann die Hör­er dieses Video nur ermuti­gen, meinen Text auf Daniel Option zu lesen und selb­st zu prüfen, was meine Hal­tung und meine Argu­mente sind:

    Mar­tin hat ver­schiedentlich angetönt, dass er seine Lehr- und Beratungstätigkeit­en gerne aus­bauen möchte. Da ist es nur richtig, wenn Leit­er, (Frei-) Kirchen, Ver­bände und Organ­i­sa­tio­nen, welche mit der pro­gres­siv­en The­olo­gie von Mar­tin beglückt wer­den sollen, etwas genauer hin­schauen, was er ihnen lehren will. Das Gespräch und die Auseinan­der­set­zung auf der inhaltlichen Ebene zu behal­ten wäre wichtig und dur­chaus prob­lem­los möglich.

    Ich möchte nicht die Authen­tiz­ität der Glaubenser­fahrung von Mar­tin oder seine guten Absicht­en anzweifeln. Ich möchte nicht in Frage stellen, dass Mar­tin im Glauben resig­nierten oder ent­täuscht­en Men­schen helfen will. Dem ist bes­timmt so. Es ist aber auch möglich, dass man sehr authen­tisch und mit guten Absicht­en in die Irre geht. Das zeigt ein Blick in die Geschichte nur zu gut. Darum möchte ich für mich genauer hinschauen.

    Die The­olo­gie, welche uns Mar­tin schmack­haft macht, ist von der Stoss­rich­tung her im End­ef­fekt ein Neuauf­guss lib­eraler The­olo­gie unter neuen Vorze­ichen. Das sehe nicht nur ich so, son­dern das wird auch aus der Rezen­sion von Prof. Ben­jamin Kilchör auf Livenet klar. Diese The­olo­gie mag attrak­tiv und vielver­sprechend daherkom­men (das tat sie auch damals bei ihrer Entste­hung). Doch neu sind diese Ideen aller­höch­stens für eine evan­ge­likal geprägte Leser­schaft, welche bish­er einiger­massen abgeschirmt gelebt hat von diesen Konzepten der lib­eralen The­olo­gie. Diese The­olo­gie kann auf eine Wirkungs­geschichte von über 200 Jahre zurück­blick­en – es ist lei­der eine Geschichte von sich leeren­den Kirchen und sich in Luft auflösen­dem Glauben. Da muss man sich schon über­legen, ob man sich auf diesen Weg begeben will. Marin Benz möchte mit sein­er pro­gres­siv­en The­olo­gie die Kirchen wieder füllen will. Da habe ich meine begrün­de­ten Zweifel. 

    In der Schweiz hat die lib­erale The­olo­gie im 19. Jahrhun­derts im Rah­men des „Apos­to­likumsstre­its“ zur Grün­dung viel­er Freikirchen geführt durch beken­nt­nistreue Pfar­rer und Gläu­bige, welche den Irrweg der lib­eralen The­olo­gie erkan­nten. Nun klopft diese The­olo­gie erneut laut an den Türen genau dieser Kirchen und Gemein­schaften, welche damals in Treue zu Gott und seinem Wort ent­standen sind. 

    Mar­tin beteuert nun, dass er nach wie vor jeden Satz aus dem apos­tolis­chen Glaubens­beken­nt­nis unter­schreiben kann. Das ist grund­sät­zlich erfreulich. Die Frage ist natür­lich, was er damit meint. Viele lib­erale The­olo­gen unser­er Tage sprechen das Apos­to­likum gerne mit und glauben den­noch nur die Hälfte, was darin ste­ht. Oder sie sprechen es als Akt eines litur­gis­chen Ereigniss­es. Sie sehen das Sprechen des Apostolikum’s als bedeu­tungsvoll nicht in Bezug auf die darin trans­portierten Inhalte, son­dern als litur­gis­ch­er Akt der Gemeinde. Diese Dinge möchte ich Mar­tin nicht unterstellen.

    Ich sehe aber eine Prob­lematik im Wahrheitsver­ständ­nis, welch­es er im Gespräch wieder­holt betont. Benz sagt mehrfach, dass er lediglich seine per­sön­liche (beschei­dene) Mei­n­ung sagt, und dass diese Stück­w­erk sei. Deshalb sei er demütig in Sachen der Erken­nt­nis. Damit gewin­nt er bes­timmt die Zus­tim­mung viel­er Zuhör­er. Doch im gle­ichen Atemzug macht er eine umfassende und abso­lut daherk­om­mende Wahrheits­be­haup­tung die schein­bar für alle im Diskurs gilt und mein­er Mei­n­ung nach sein­er soeben getrof­fene Aus­sage wider­spricht (Zeit­mark­er 42:00):

    «wenn jemand den Wahrheit­sanspruch für sich reklamiert, dann kommt das Gift rein. Weil man dann automa­tisch wertet, abw­ertet und ver­schiedene Schubladen auf­macht von ‘richtig’ und ‘falsch’, ‘schwarz’ und ‘weiss’, von ‘bib­lisch’ und ‘unbib­lisch’, von ‘erret­tet’ und ‘ver­loren’».

    Bes­timmt ist das, was Benz hier sagt, manch­mal kor­rekt. Aber ist es automa­tisch (sein Wort) immer so? Und macht Benz mit dieser Aus­sage nicht genau das, was er mit dieser Aus­sage ablehnt? Er reklamiert mit dieser Aus­sage einen all­ge­meinen Wahrheit­sanspruch für sich in dem Sinne, dass er glaubt, etwas Wahres aus­ge­sagt zu haben, das ange­blich für alle gilt. Ist diese Aus­sage von Benz über­haupt in der Bibel begrün­det? Vielle­icht in der Bibel­stelle, die von ‘Stück­w­erk’ spricht in Bezug auf Erken­nt­nis? Doch meint die Bibel dort und ins­ge­samt das, was uns Benz hier über Wahrheit sagt? Wie ste­ht es dann um die Stellen, wo die Bibel dur­chaus auss­chliessend redet in Bezug auf the­ol­o­gis­che Aus­sagen, die nicht stim­men? Ich habe hier bei der Erken­nt­nislehre von Benz einige grössere Fra­gen, die inhaltlich disku­tiert wer­den sollten.

    Mar­tin wirft die Frage auf, ob das Apos­to­likum denn wirk­lich unsere gemein­same Basis sein kann oder ob es nicht eine schein­heilige Diskus­sion sei, bei der man sich hin­ter dem Glaubens­beken­nt­nis ver­stecke, während man gle­ichzeit­ig tren­nende The­men ins Feld zu führe, die im Glaubens­beken­nt­nis nicht ein­mal erwäh­nt sind. Ich muss ehrlich sagen, dass dies eine gute und berechtigte Frage ist. In anderen his­torischen Beken­nt­nis­sen – nicht zulet­zt in solchen, die im NT zu find­en sind – sind aber Aus­sagen enthal­ten, die Benz im Apos­to­likum ver­misst, auch sex­u­alethis­che Aus­sagen (z.B. im Resul­tat des ersten apos­tolis­chen Konzil in Apos­telgeschichte 15,20, im zweit­en Hel­vetis­chen Beken­nt­nis, West­min­ster Beken­nt­nis, Schmalka­dis­chen Artikel). Eben­falls find­en wir im ver­mut­lich ältesten frühchristlichen Beken­nt­nis (1Kor 15:3–5) eine klare Ansage zum Schriftverständnis.

    In diesem Zusam­men­hang tritt im Inter­view ein­mal mehr eine eige­nar­tige Beziehungslosigkeit zwis­chen Dog­matik und Ethik zutage, welche ich im Buch von Mar­tin fest­gestellt habe und in mein­er Buchbe­sprechung erwähne. Dabei wäre genau die enge Verzah­nung des Glaubens­beken­nt­niss­es mit den gelebten Werten der ersten Chris­ten eine wichtige Beobach­tung. Denn das Apos­tolis­che Beken­nt­nis span­nt sozusagen den the­ol­o­gis­chen Hin­ter­grund auf, vor dem sich die ethis­che DNA der ersten Chris­ten entwick­elt hat. Die Überzeu­gung bezüglich Gott als Vater und Schöpfer von Him­mel und Erde, zusam­men mit dem Glauben an die Aufer­ste­hung des Leibes, bilden den Hin­ter­grund für das pos­i­tive Men­schen­bild und Kör­per­ver­ständ­nis der ersten Chris­ten. Das Ver­ständ­nis der kul­tur- und Geschlechter-über­greifend­en gle­ichen Wertes aller Men­schen, der lei­den­schaftliche Ein­satz für den Schutz des Lebens, die soziale Zuwen­dung zu den Armen und Kranken und auch die rev­o­lu­tionäre Sex­u­alethik der ersten Chris­ten bauen auf den Überzeu­gun­gen, die das Apos­to­likum uns mit möglichst weni­gen Worten vor Augen malt: dass der Men­sch als von Gott geschaf­fenes Wesen wertvoll ist und sich dieser Wert angesichts der leib­lichen Aufer­ste­hung auch auf den Kör­p­er bezieht. In ihrem Erlös­er Jesus, der unter Pon­tius Pila­tus gelit­ten hat, find­en sie die Kraft für ihre eigene gewalt­lose Fein­desliebe. Wem solche Werte ein Anliegen sind, der tut gut daran, dem Nährbo­den Sorge zu tra­gen, auf denen sie gewach­sen sind. Es sind Glaubenssätze, wie sie uns im Apos­to­likum wiedergegeben sind und welche untrennbar mit ein­er rev­o­lu­tionären Ethik ver­bun­den sind, die auch für unsere Zeit von zen­traler Bedeu­tung ist. Wer die Glaubenssätze als unwichtig weglegt, der wird über kurz oder lang sich auch die Sinnhaftigkeit bes­timmter ethis­ch­er Prinzip­i­en nicht mehr sehen. Genau dies geschieht bei Mar­tin Benz im Bere­ich der Sex­u­alethik. Da gäbe es noch mehr zu diesem The­ma zu sagen. Ich belasse es mal dabei.

    Eben­falls erstaunt haben mich die Aus­sagen Mar­tins über das Kreuzes­geschehen. Mar­tin Benz ereifert sich, dass man ihm unter­stelle, er glaube nicht mehr ans Kreuz. Das sei eine infame Unter­stel­lung. Nun – von mir stammt diese Aus­sage nicht. Vielle­icht kann Mar­tin uns aufk­lären, wer diese Aus­sage gemacht hat… Was ich in meinem Text aber sehr wohl fest­gestellt habe ist, dass Jesus als Ret­ter und Erlös­er im Buch von Mar­tin abwe­send scheint, dass das fun­da­men­tale Geschehen des Kreuzes im Buch nir­gends wirk­lich besprochen wird. Dieser Kern des Glaubens scheint in seinem Buch zu fehlen.

    Nun, Mar­tin stellt im Inter­view klar, dass er an das Kreuz glaubt, und zwar «viel bre­it­er als viele Evan­ge­likale, weil das Neue Tes­ta­ment ver­schiedene Deu­tungsmöglichkeit­en liefert.» Trotz­dem scheint er sichtlich darum bemüht zu sein, den Hör­ern klarzu­machen, wie unwichtig das Kreuz doch in der Verkündi­gung der Apos­tel war. Die Art wie er das macht, ist zu zählen, wie oft das Wort ‘Kreuz’ vorkommt. Ich habe in der the­ol­o­gis­chen Aus­bil­dung noch gel­ernt, dass Worte alleine nicht ein zuver­läs­siger Indika­tor sind für das Vorhan­den­sein ein­er the­ol­o­gis­chen Wahrheit. Man muss auch schauen, worauf sich ein Wort (hier das Wort ‘Kreuz’) bezieht und dann schauen, wo im Text dies zu find­en ist, ohne dass das Wort selb­st als Ref­erenz dafür benutzt wird. Benz erwäh­nt im Inter­view zurecht, dass es nicht nur um das Kreuz geht, son­dern um den Gekreuzigten. Der Gekreuzigte kommt aber in der Apos­telgeschichte häu­fig vor in (ich meine in allen oder nahezu allen Predigten der Apos­tel z.B Pfin­gst­predigt Apg 2:23; 2:36; 2:38 / Tem­pelrede: Apg 4:10 / Cor­nelius: Apg 10:39 usw.).

    Benz wirft Men­schen im evan­ge­likalen Umfeld vor, ein ‘magis­ches Kreuzesver­ständ­nis’ zu haben in dem nicht der Gekreuzigte, son­dern das Kreuz die Erlö­sung bewirke. Das ist meines Eracht­ens eine halt­lose Unter­stel­lung. Evan­ge­likale haben ein dur­chaus bre­ites Kreuzesver­ständ­nis, denn sie beja­hen im Gegen­satz zu Mar­tin, dass Jesus am Kreuz uns nicht nur etwas ZEIGT, son­dern auch etwas für uns TUT. Mar­tin hinge­gen misst — gemäss sein­er eige­nen Erläuterung zu einem aktuellen Move­cast — dem Geschehen am Kreuz keine erlösende oder ver­söh­nende Wirkung bei, son­dern sieht im Kreuzes­geschehen nur Sicht­bar­ma­chung des Wesens Gottes. Ich lasse mich gerne kor­rigieren, wenn ich das, was er schwarz auf weiss geschrieben hat, hier falsch ver­standen habe. Mir scheint aber, dass er mit dieser Aus­sage gefährlich nahe an die Aus­sage kommt, das Kreuz wäre nicht wirk­lich nötig gewe­sen – es hätte auch anders gehen kön­nen. Damit scheint er tat­säch­lich einen wesentlichen Teil des christlichen Beken­nt­niskerns abzulehnen, näm­lich das Jesus FÜR unsere Sün­den gestor­ben ist (1Kor 15:3, Vgl. Mk 10:45). Damit beraubt er das Kreuzes­geschehen des für den Men­schen entschei­den­den Ele­mentes, näm­lich dass so Erlö­sung GESCHAFFEN wurde für uns, und nicht ein­fach nur FESTGESTELLT (Vgl Heb 9:26–28). Ich glaube, dass es Mar­tin ist, der ein reduk­tion­is­tis­ches Ver­ständ­nis des Kreuzes zu haben scheint, und zwar ein entschei­den­des. Wie gesagt: Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.

    Nun belasse es vor­erst bei diesen Zeilen. Ich finde: Während jed­er Men­sch heute frei seinen Glaubensweg gestal­ten kann, so sind doch Leit­er von Gemein­schaften und Organ­i­sa­tio­nen ange­hal­ten, das, was auf dem ‘Markt der The­olo­gien’ ange­priesen wird, zu prüfen und mit Weit­blick zu entschei­den, wem sie ihre Podi­en und Kanzeln anvertrauen. 

    Die Zeit­en, wo man frisch und fröh­lich in ein­er einiger­massen geschlosse­nen ‘evan­ge­likalen Bub­ble’ abfeiern kon­nte, ohne dass die eige­nen Glauben­süberzeu­gun­gen gross in Frage gestellt wur­den, sind vor­bei. Vielle­icht ist das gar nicht mal so schlecht. Die Frage ist vielmehr, ob unsere freikirch­liche Leit­er ver­standen haben, dass die Zeit spätestens jet­zt ange­brochen ist, ihre Schäfchen in bib­lis­chem Unter­schei­dungsver­mö­gen anzuleit­en. Ich jeden­falls hoffe, dass meine Auseinan­der­set­zung mit der The­olo­gie von Mar­tin ein sach­lich­er Beitrag dazu sein kann. 

    Auch nach diesen Zeilen gilt immer noch, dass ich Mar­tin nur das Beste Wün­sche. Ich freue mich über eine auf die the­ol­o­gis­chen Inhalte gerichtete Diskus­sion und über Beiträge von ver­tiefter Fachkom­pe­tenz, wie dem­jeni­gen von AT-Prof Ben­jamin Kilchör auf Daniel Option. Wer sich weit­er mit der The­matik pro­gres­siv­er The­olo­gie auseinan­der­set­zen möchte, dem Empfehle ich zudem die Lek­türe der Artikelserie «Die 10 Gebote des Pro­gres­siv­en Chris­ten­tums» auf Daniel Option.

    Frauen­feld, 19.05.2023, Peter Bruderer

  4. Daniel Rath 11 Monaten ago
    Reply

    Lieber Peter
    Ich staune immer wieder über deine Energie mit der du dich in das The­ma rein­hängst. Da ist viel Herzblut drin. Mer­ci! Ich bin motiviert das Buch von Benz noch selb­st zu lesen.
    Deine Gedanken lösen auch selb­stkri­tis­che Stim­men in mir aus. Wieso sind so viele Chris­ten an einem Umzug inter­essiert? Was haben wir in unseren Gemein­den ver­säumt? Wo haben wir unsere blind­en Fleck­en? Ich habe das Vor­recht in einen schö­nen Haus zu leben. Jedes Umzugsange­bot lässt mich total kalt, das­selbe gilt für mein geistlich­es Zuhause. Wo kein Bedarf ist, da ver­fan­gen auch Ange­bote nicht. Warum aber fühlen sich so viele Leute von dem Umzugshelfer angesprochen?
    Eins scheint mir da schon deut­lich gewor­den: unge­sunde the­ol­o­gis­che Grund­la­gen (z.B. Word of Faith) führen oft wie in einem Pen­delschlag zu weit­eren unge­sun­den the­ol­o­gis­chen Ver­lagerun­gen. Das lädt ein, die eigene The­olo­gie immer wieder darauf zu prüfen, ob sie wirk­lich den „ganzen Ratschluss Gottes“ umfasst oder allen­falls ein­seit­ig gewor­den ist oder zu wer­den droht.

    • Peter Bruderer 10 Monaten ago
      Reply

      Mer­ci Daniel.

  5. Jürgen Fischer 11 Monaten ago
    Reply

    Vie­len Dank für diese total wertvolle, seel­sorg­er­lich wichtige und faire Betra­ch­tung. Ich bete, dass viele diesen Beitrag lesen, durch­denken und den Mut auf­brin­gen, neu “vor dem Wort zu zit­tern” (Jesa­ja 66,2). Ich wün­sche Ihnen Gottes reichen Segen.

    • Peter Bruderer 11 Monaten ago
      Reply

      Her­zlichen Dank für das Lesen und die Ermu­ti­gung, lieber Jürgen.

  6. Jens Kaldewey 1 Jahr ago
    Reply

    Hal­lo Peter, her­zlichen Dank für deine umfan­gre­iche Arbeit und ihre gute, ver­ständliche Struk­tur. Ich habe das Buch von MB vor einiger Zeit gele­sen und war recht ange­tan. Nun habe ich deinen lan­gen Artikel langsam und betend gele­sen und gebe dir in vielem recht. Ich selb­st sehe mich mit einem Fuß in der evan­ge­likalen Bewe­gung und mit dem anderen in der poste­van­ge­likalen Bewe­gung, mal wird der eine Fuß belastet mal der andere. Umge­zo­gen bin ich noch nicht, aber in Bewe­gung. Dein Artikel und auch deine Links, die ich sorgfältig anschauen werde, zum Teil schon habe, ver­an­lassen mich, langsam und vor­sichtig zu sein. Ich empfinde deinen Artikel als tüchti­gen Schuss vor den Bug. Danke für deinen Mut. Ich empfinde aber doch zwei Schwächen in deinen Aus­führun­gen. Erstens: Du führst, ähn­lich wie Mar­tin Benz auf seine Weise, wie viele “Evan­ge­likale” in ein Dilem­ma, in ein Entwed­er-Oder, ohne irgendwelche Zwis­chen­po­si­tio­nen zuzu­lassen. Und das bet­rifft die his­torische Glaub­würdigkeit der Bibel. Ich ver­ste­he dich so: Entwed­er jede Geschichte oder jed­er Bericht in der ganzen Bibel ist genau­so passiert wie es daste­ht oder alles ist in Frage gestellt, alles ist beliebig. Du erwähnst öfter als für dich wichtiger Zeuge Joseph Ratzinger. Er hat der Evo­lu­tion­lehre nicht grund­sät­zlich wider­sprochen, son­dern nur deren Philoso­phie und Anspruch, die Wel­terk­lärung zu liefern. Für ihn ist die Schöp­fung nicht in sieben Tagen passiert. Und auch die Noahgeschicht ist sich­er nicht genau so passiert für ihn, wie es daste­ht. Diet­rich Bon­ho­ef­fer ein weit­eres Beispiel — er erkan­nte die Heils­geschichte, erkan­nte die wesentlichen Fak­ten, blieb aber in vielem lib­er­al. Du lässt keinen Raum für Zwis­chen­töne. Ich per­sön­lich glaube zum Beispiel an einen his­torischen Kern der Exo­dus­geschichte, einen soli­den his­torischen Kern. Ich glaube, dass Gott fak­tisch sein Volk aus Ägypten befre­it und ins ver­heißene Land geführt hat. Wenn man aber alle Einzel­heit­en der Geschichte wirk­lich wörtlich nimmt — dann wäre Ägypten nicht mehr exis­tent! Das müssen wir ein­fach auch mal ehrlich sein und nicht drüber weg­wis­chen. Oder wenn in Lev­i­tikus Mose die ganze Gemeinde an den Ein­gang der Stift­shütte ver­sam­melt um die Vorschriften Gottes mitzuteilen, obwohl die sich in Lev­itkus selb­st dann zum Teil ändern, zum Teil wieder­holen — dann wäre die Ver­samm­lung bei 9 Per­so­n­en pro Qm2 (max­i­male Dichte) 49 Fußballfelder groß. Und da sind die Frauen und Kinder nicht ein­mal dabei. Und da gibt es viele Beispiele. Ich per­sön­lich möchte mich diesen Entwed­er-Oder von dir nicht anschließen. Wir haben doch auch einen “gesun­den Men­schen­ver­stand”. Und es ist doch ein­fach so, dass die Doku­mente des Neuen Tes­ta­ments in ihrer Dichte und der Art ihrer Schilderung und in ihrer zeitlichen Nähe zu den Geschehnis­sen ein­fach doch viel glaub­würdi­ger sind und ein­heitlich­er. Soll­ten wir da keinen Unter­schied machen dür­fen? Kann es sein, dass ich, wenn ich eine weltweite Flut in Frage stelle, damit genau­so die his­torische Glaub­würdigkeit der Aufer­ste­hung poten­ziell antaste? Diesem Gedanken­gang ver­weigere ich micht. Hier führst du Leute in die Enge, denke ich, in eine unnötige Enge. 

    Zweit­ens: Beim The­ma Homo­sex­u­al­ität kommt bei dir der Betrof­fene let­ztlich nicht vor in sein­er Not. So kommt es mir vor. Ich habe zehn Jahre an dieser Frage gear­beit­et, bib­lisch und in Begeg­nun­gen, unzäh­lige Büch­er und Doku­mente gele­sen, auch Vicky Beech­ing, und bin zu anderen Ergeb­nis­sen gelangt als du. Ich glaube, du hast recht, wenn du den Ersatz des Begriffes “Notord­nung” durch “Neuord­nung” prob­lema­tisierst. Doch “Notord­nung” hat bei mir Platz. Wenn ich nun fest­stelle, wieder­holt, dass des tat­säch­lich homo­sex­uelle, nicht zöli­batäre Men­schen gibt, die tat­säch­lich den Heili­gen Geist emp­fan­gen haben und mit Jesus leben und die zehn Gebote hal­ten und Jesus lieben — dann ist das für mich nicht Schall und Rauch und dann weist das tat­säch­lich in die Rich­tung von Apg 10. Vielle­icht kommt aber die Zeit, dass die Notord­nung aufge­hoben wer­den kann, weil die Kraft Gottes in einem für uns zur Zeit noch nicht bekan­ntem Maß in die Gemeinde zurück­ommt… Soviel mal für heute.

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Lieber Jens. Danke für deine Rück­mel­dung. Ich muss mir etwas Zeit find­en für eine Antwort. Melde mich aber in den kom­menden Tagen. Gruss, Peter

      • Jens Kaldewey 1 Jahr ago
        Reply

        Alles klar, es hat Zeit. Ich denke, ich muss auch noch mal in Ruhe darüber gehen. Deine Rezen­sion hat viel in mir angestellt in ihrer Wucht, in der Geschlossen­heit dein­er Argu­men­ta­tion, in der Uner­bit­tlichkeit. Ich „blute“ immer noch. Das hängt wohl auch mit ein­er Lebens­beru­fung zusam­men: Mit­ten drin zu ste­hen, zu ver­mit­teln, zu ver­ste­hen, Brück­en zu bauen.
        Liebe Grüße Jens

    • Marie-Therese 1 Jahr ago
      Reply

      Lieber Jens,
      Danke für den Kom­men­tar, der mir so aus dem Herzen spricht. — ich lei­de fest an diesem Entwed­er Oder, Schwarz Weiss. Und ich füh­le mich tat­säch­lich in die Enge getrieben. Muss ich mich denn immer entschei­den zwis­chen Mei­n­un­gen gemäss MB ODER solchen gemäss PB? Das macht mich fer­tig (obwohl der Artikel nur an Män­ner gerichtet ist)…. Als wäre es heilsnotwendig.
      Liebe Grüsse Marie-Therese

    • Hans-Peter Glahs 9 Monaten ago
      Reply

      Vie­len Dank, Jens, für Dein sehr dif­feren­ziertes Statement

    • Peter Bruderer 9 Monaten ago
      Reply

      Für alle die hier mitle­sen und sich fra­gen, warum in diesem Thread nie wei­t­er­disku­tiert wurde… Ich habe mich am 09. März per­sön­lich mit Jens Kaldewey getrof­fen für einen Aus­tausch. Das Gespräch lief also vor­erst im pri­vat­en Rah­men weiter.

  7. Michael Kämpf 1 Jahr ago
    Reply

    Ach ich kanns ger­ade nicht lassen das zu schreiben :). Vielle­icht auch um hier einen “kom­men­ta­tiv­en Gegen­pol” zu setzen ;).
    Ich habe Mar­tins Buch gele­sen — mit viel Gewinn und Genuss. Mir gefällt die neue Woh­nung sehr gut. Nein, ich nehme nicht alles für bare Münze (ich kann, darf und soll ja selb­st denken) und ich zügle viele viele Dinge mit in die neue Wohnung.
    Vielle­icht hinkt das Bild auch… Ich habe nicht grund­sät­zlich das Gefühl, dass ich eine Woh­nung ver­lasse und in eine neue Einziehe. So im finalen Sinne von “Woh­nung A ist weg, Woh­nung B ist jet­zt meine”. Viel mehr fühlt es sich so an, dass ich Möbel aus­tausche, neue Bilder aufhänge, ja vielle­icht auch die eine oder andere Wand raus reisse, einen neuen Raum erschliesse, aus­baue, … aber ich ziehe nicht um. Der gle­iche Gott, die gle­iche Bibel, der gle­iche Glaube, der gle­iche Erlös­er Jesus Chris­tus, die gle­iche Hoffnung.

    …aber mehr Freiraum zum Denken, zum Leben, zum Fühlen und schlussendlich zur lei­den­schaftlichen Nach­folge. Das hats bei mir aus­gelöst, und dafür bin ich Mar­tin Benz sehr dankbar.
    Liebe Grüsse
    Michael

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Sali Michael.
      Danke für dein Votum. Wie ich sel­ber geschrieben habe, bin ich mir sich­er, dass viele Leser dieses Buch als weg­weisend für ihre eigene geistliche Entwick­lung empfind­en wer­den. Ich kann die Attrak­tiv­ität des Weges, den Mar­tin beschreibt, ja ein Stück weit nachvol­lziehen. Warum ich ihn nicht gehe — warum ich der Ansicht bin, dass er in die Irre führt — das habe ich in meinem Artikel aus­führlich und sach­lich dargelegt. Deshalb verzichte an dieser Stelle darauf, mich zu wieder­holen :-). Alles Gute, Peti

  8. Erwin Schärz 1 Jahr ago
    Reply

    Lieber Paul
    Vie­len Dank für diese sehr gut for­mulierte Rezession.
    Mir fällt immer mehr auf, dass in unser­er christlichen Kul­tur die Gabe der „Unter­schei­dung“ fehlt. Dies im ganzen Spek­trum zwis­chen pro­gres­sivem Glauben bis „word of faith“ The­olo­gie. Das gibt mir zu denken.
    Kann es sein, dass wir unser heiliges Buch nicht mehr ken­nen und ernst nehmen? Kann es sein, dass einst solide Gemein­den anstelle von fundiert exegetisch geprägten Predigten zu ich­segetis­chen Meth­o­d­en gegrif­f­en haben? Kann es sein, dass viele unser­er Gottes­di­en­ste nicht mehr viel mit Gott dafür mehr mit uns zu tun haben und wie ich es lei­der sel­ber erfahren habe zu „sozial-ther­a­peutis­chen Wohlfühl-Sitzun­gen“ verkom­men sind?
    Kann es sein, dass wir in unseren Freikirchen einen Man­gel an intellek­tuell gut aus­ge­bilde­ten Lehrer haben?

    Dies sind einige selb­stkri­tis­che Fra­gen die ich in das Lager der klas­sisch Evan­ge­likalen ein­brin­gen möchte. Es scheint mir wichtiger denn je, dass unsere Gemein­den zurück zu ein­er gesun­den Lehre find­en damit ein Buch wie das­jenige von Mar­tin Benz kein­er so genauen Rezes­sion bedarf, son­dern schon vom „Laien“ als fataler Trugschluss erkan­nt wird.
    (Ich stelle tragis­cher­weise fest, dass diese Ein­sicht z.T. sog­ar gebilde­ten Pas­toren von guten Gemein­den fehlt)
    Ich habe es wie du — ich werde nicht in diese Woh­nung einziehen. Ich freue mich täglich durch Gottes Wort Dimen­sio­nen eines Schöpfers zu ent­deck­en, die meinen Glauben stärken und mich nicht mit mehr Fra­gen als Antworten zurücklassen.
    Nochmals, her­zlichen Dank für deine Bemühungen.
    Erwin

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Lieber Erwin.

      Peter hier — der Autor des Artikels, und nicht mein Brud­er Paul (der mich natür­lich beim Fein­schliff unter­stützt hat).
      Her­zlichen Dank für deine Rück­mel­dung. Ich teile lei­der deine Diag­nose bezüglich man­gel­nder Unter­schei­dungs­fähigkeit in unseren Kirchen und auch Kirchen­leitun­gen. Die diag­nos­tis­chen Fra­gen, welche du stellst, sind die Fra­gen, welche auch ich mir seit einiger Zeit stelle. Ich selb­st habe in den ver­gan­genen 2–3 Jahren ver­sucht umzuler­nen. Ich bin ja, anders als mein Brud­er, kein Beruf­s­pas­tor. Aber in den spo­radis­chen Predigten die ich hal­ten darf, ver­suche ich mich heute viel stärk­er diszi­plin­iert an einen Predigt­text zu hal­ten, diesen Sprechen zu lassen. Es ist ein Gebot der Stunde finde ich, in unseren Gemein­den nicht ein­fach die Gefüh­le der Glieder ‘aufzupolieren’, auch nicht ein­fach ‘Wis­sen’ zu ver­mit­teln, son­dern zum eigen­ständi­gen bib­lis­chen Denken anzuleit­en. Das muss ich erst mal sel­ber üben.

      Ein Stück­weit ist dies auch mein Punkt in einem mein­er let­zten Artikel:
      https://danieloption.ch/featured/die-suende-ueber-suende-zu-reden/

      Her­zlich
      Peter Bruderer

      • Erwin Schärz 1 Jahr ago
        Reply

        Lieber Peter
        Entschuldige meine falsche Anschrift — ich merk­te es erst nach­dem ich den Kom­men­tar schon abgeschickt hatte 🙈
        Den Artikel über Sünde finde ich auch sehr passend.
        Es freut mich, dass ich hin und wieder Ressourcen wie diese finde, wo sich Denker anspruchsvollen The­men annehmen.
        Ich werde danielop­tion nicht das let­zte mal besucht haben 🙂 und wün­sche euch viel Weisheit und Kraft für diesen wertvollen Dienst. Lei­der wohne ich viel zu weit von Frauen­feld ent­fer­nt — son­st würde ich eure Gemeinde gerne mal Besuchen.
        Sei geseg­net — Erwin

  9. Stefan von Rüti 1 Jahr ago
    Reply

    Lieber Peti, danke für deine Klarstel­lun­gen! Wirk­lich grossar­tig gemacht! Da hast du dich unglaublich ins Zeug gelegt. Ich hat­te das Buch von Mar­tin Benz auch gele­sen — mit vie­len Frageze­ichen…! Deine Rezen­sion spricht mir aus dem Herzen.

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Her­zlichen Dank Ste­fan. Ich freue mich das der Text für viele hil­fre­ich ist.

  10. Stefan Pohl 1 Jahr ago
    Reply

    Mit Inter­esse hat­te ich das Buch von M. Benz gele­sen. Am Ende war ich nicht überzeugt von den darge­bote­nen “Umzugshil­fen”. Danke für eine fundierte Erwiderung der ich gut fol­gen kon­nte. Ich freue mich an der Schön­heit mein­er “Alt­bau­woh­nung” 🙂

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Grüezi Herr Pohl. Her­zlichen Dank für die Rück­mel­dung und das sie sich die Zeit genom­men haben, den lan­gen Artikel zu lesen.

  11. Wolfgang Ackerknecht 1 Jahr ago
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    Kom­pli­ment, da hast du dich aber hineingekni­et. Wow, welch­es Wis­sen du da zusam­men­bringst. Ja, mit Plu­ral­is­mus (und auch Beliebigkeit) öffnet man die Türen, um Gott und die Welt zu erk­lären… Am Schluss find­et man sich nicht mehr zurecht. Du hast mE sorgfältig deine ‘Liebe zur Sache’ dargelegt. — Der Glaube ist eine Ent­deck­ungsreise, wo wir Gott und uns sel­ber immer tiefer ken­nen und lieben ler­nen. Um frei zu wer­den von Zwän­gen und um offene Augen für die Schön­heit des Lebens zu erhal­ten. Und das Leben ist im Wort — in Jesus, wie wir es in der Bibel lesen.

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
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      Hal­lo Wolf­gang. Vie­len Dank fürs lesen und die Rück­mel­dung. Ich hat­te am Schluss noch 2–3 Sou­fleure, die mir über die Ziellinie geholfen haben. Diesen sei damit auch gedankt.
      Eine geseg­nete Woche dir.

  12. Heinz Wilhelm 1 Jahr ago
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    Lieber Peter
    Wau! Ich war länger dran als die voraus­sichtlichen 60 Minuten. Aber es hat sich für mich gelohnt.
    Zu Beginn dachte ich an ein­er Stelle, dass es aber schon noch weit­ere The­men gibt neben den Stand­punk­ten zur Homo­sex­u­al­ität. Das wurde ja dann auch aus­ge­führt. Ein­drück­lich, aus­führlich, verständlich.
    Ja — es ist weit mehr als eine Buchbe­sprechung. Es ist eine klare Gegen­sprache. Pro­fan würde man wohl von einem weit­ge­hen­den „Ver­riss“ reden.
    Eine Ent­geg­nung von Mar­tin Benz würde ich in jedem Fall auch lesen.

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Lieber Heinz. Vie­len Dank für deine Rück­mel­dung und das du dir die Zeit genom­men hast, das lange Doku­ment zu lesen. Mar­tin hat den Entwurf vor Pub­lika­tion erhal­ten. Wir wer­den sehen, ob er darauf reagieren möchte. E gueti Wuche.

  13. Manuel Leiser 1 Jahr ago
    Reply

    Danke Peter für deine Worte, du sprichst mir aus dem Herzen! “Nicht mein Glaube, son­dern ich muss mich verän­dern!” — I love it. Freu mich schon auf die Woh­nung mit Sicht auf die neue Erde:-)!

    • Peter Bruderer 1 Jahr ago
      Reply

      Hoi Manuel. Vie­len Dank für deine Rück­mel­dung und das du dir die Zeit genom­men hast, das lange Teil durchzule­sen. Her­zlich, Peti

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