Kindeswohl: ein überwältigender Konsens?

Lesezeit: 6 Minuten
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by Peter Bruderer | 31. Aug. 2021 | 3 comments

Im Vor­feld der kom­menden Abstim­mung um die ‘Ehe für Alle inklu­sive Samen­spende für les­bis­che Paare’ ste­ht die The­matik des Kindeswohls im Mit­telpunkt der Debat­te. Es ist auch eine ‚Debat­te der Stu­di­en‘. In diesem Beitrag präsen­tieren wir unser Gespräch mit Paul Sullins, dem Ver­fass­er ein­er der wichtig­sten Stu­di­en zum The­ma. Wir als Bürg­er der Schweiz sind aufge­fordert, den schein­baren Kon­sens … zumin­d­est kri­tisch zu hin­ter­fra­gen, denn es gibt gute Gründe dafür, dies zu tun.

Hintergrund: Die Sendung Club von SRF

Im Club-Gespräch über die Ehe für Alle vom 17. August 2021 auf SRF kom­men die ver­schiede­nen Stu­di­en zu Sprache, welche das Erge­hen von Kindern in gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen analysieren. In der Aufze­ich­nung ab Min 42.20 weist Mod­er­a­torin Bar­bara Lüthi darauf hin, dass man die ver­schiede­nen Stu­di­en gele­sen habe. Es gebe einen ‘wis­senschaftlichen Kon­sens’. Seit über 40 Jahren besagen gemäss Lüthi eine Mehrheit der Stu­di­en, dass Kinder in gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen keine entschei­den­den Nachteile gegenüber Kindern in het­ero­sex­uellen Fam­i­lien haben.

Wie kommt Bar­bara Lüthi zu ihrem Befund?

Eine mögliche Antwort liegt in einem Doku­ment, welch­es 2015 durch den Dachver­band Regen­bo­gen­fam­i­lien als Rep­lik auf eine Studie von Paul Sullins pub­liziert wurde. Die von Bar­bara Lüthi gewählten Worte wiedergeben prak­tisch 1:1 den Befund der dieser Rep­lik: 40 Jahre Forschung, über­wälti­gen­der Kon­sens in akademis­chen Fachkreisen. Ver­mut­lich war die Studie von Paul Sullins ein Dorn im Auge des Dachver­ban­des Regen­bo­gen­fam­i­lien, weil seine umfan­gre­iche Forschungsar­beit neg­a­tive Auswirkun­gen für Kinder in gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen fest­gestellt hat.

Wenn es stimmt, dass Bar­bara Lüthi ihre Schlussfol­gerung mehr oder weniger 1:1 aus diesem Doku­ment genom­men hat, darf man sich die Frage stellen, ob der Befund ein­er Lob­by­gruppe in ein­er Sendung des SRF als neu­trales Urteil gew­ertet wer­den darf. Sie hätte min­destens die Quelle angeben müssen.

Das Gespräch mit Paul Sullins

Es liegt nicht an uns zu beurteilen, ob in der Sendung ‘Club’ die Regeln der Neu­tral­ität und der Quel­lenangabe beachtet wur­den oder nicht. Aber was wir tun kon­nten war, das Gespräch mit dem in der Sendung genan­nten Sozi­olo­gen und Wis­senschaftler Paul Sullins suchen. Dies haben wir nach der Ausstrahlung der Sendung ‘Club’ getan und kon­nten ein äusserst infor­ma­tives und ein­sicht­sre­ich­es Gespräch mit ihm aufzeichnen.

In diesem Gespräch wirk­te Sullins über­haupt nicht als ein­er, dessen weltan­schauliche Hal­tung eine ver­fälschende Wirkung auf seine Forschung hat. Vielmehr begeg­nete uns ein Mann, der sich der Wahrheit verpflichtet hat und seine Forschung mit Seriosität und der nöti­gen Demut betreibt. Man kann eine wis­senschaftliche Arbeit nicht vom Vorn­here­in auf­grund der weltan­schaulichen Prädis­po­si­tion des Ver­fassers für ungültig erk­lären, denn JEDER Wis­senschaftlich­er hat solche Prädis­po­si­tio­nen. Vielmehr muss man zum Beispiel schauen, ob der Forsch­er bere­it ist Ergeb­nisse zu pub­lizieren, die für ihn auch unlieb­same sind, wenn sie der Wahrheit entsprechen. Unser Inter­view mit Sullins zeigt genau solche Punk­te, was unser Ver­trauen in seine Resul­tate gestärkt hat.

Im Inter­view kom­men die heis­sen The­men in der aktuellen LGBT-Debat­te zur Sprache:

 

Paul Sullins über anderen Studien

Stu­di­en wer­den viele geschrieben, und es kom­men laufend neue dazu. Auch Sullins äussert sich zu der sich laufend grössern­den Zahl an Studien.

Doug Allan und die 52 Studien:
In unserem Inter­view fasst Sullins den Befund eines bekan­nten Artikels von Doug Allen zusam­men. Dieser hat­te 52 Stu­di­en zwis­chen den Jahren 1995 bis 2013 ver­glichen, welche besagen, dass es keine neg­a­tiv­en Auswirkun­gen auf die Kinder hat, in Regen­bo­gen Fam­i­lien aufzuwach­sen.[1] Von diesen Stu­di­en haben gemäss Allen nur 4 mit zufäl­li­gen Daten­sätzen gear­beit­et. Zufäl­lige Daten­sätze sind zen­tral wichtig, wenn das Resul­tat aus­sagekräftig sein soll. Lei­der hat­ten aber auch jene 4 Stu­di­en, die mit zufäl­li­gen Daten­sätzen arbeit­en, ein anderes grösseres Prob­lem. Sie benutzen ver­gle­ich­sweise kleine Daten­men­gen, im Durch­schnitt ca. 50 Per­so­n­en, was wiederum deren Aus­sagekraft sig­nifikant schwächt, so Douglas.

Das “What we know Pro­jekt” und die 79 Studien:
In einem eige­nen, späteren Artikel äussert sich Paul Sullins zu mit­tler­weile 79 Stu­di­en, welche im ‘What We Know Project’. doku­men­tiert sind. Darin kom­men 75 Stu­di­en zum Schluss, dass es keine neg­a­tiv­en Auswirkun­gen hat, in ein­er Regen­bo­gen­fam­i­lie aufzuwach­sen während 4 einige neg­a­tive Auswirkun­gen iden­ti­fizierten, darunter die Studie von Sullins.

Sullins kommt zu fol­gen­der Bew­er­tung der 79 Studien:

  • Von den 75 pos­i­tiv­en Stu­di­en arbeit­en 70 mit gezielt akquiri­erten Daten­sätzen, welche vor­wiegend direkt im homo­sex­uellen Mil­lieu beschafft wur­den. Dies ist ein Mil­lieu, welch­es ein Inter­esse an ein­er pos­i­tiv­en Darstel­lung hat. Solche Stu­di­en kön­nen gemäss Sullins nicht als repräsen­ta­tiv eingestuft wer­den, wed­er im Hin­blick auf die Gesamt­bevölkerung, noch im Hin­blick auf die homo­sex­uelle Bevölkerungs­gruppe, da sie mit ein­er geziel­ten Bewer­bung und ein­er spez­i­fis­chen Entschei­dung zur Teil­nahme ver­bun­den waren. So zum Beispiel auch bei der bekan­nten aus­tralis­chen ACHESS-Studie von Simon Crouch. Er sel­ber (Sullins), sei im Besitz von Wer­bein­ser­at­en, welche mit der Botschaft: ‘Hilf mit, gute Dat­en zu sam­meln. Hilf mit, die gle­ichgeschlechtliche Ehe zu unter­stützen’ in Ziel­grup­pen-Mag­a­zi­nen geschal­tet wurden.
  • Die durch­schnit­tliche Teil­nehmerzahl bei diesen 70 pos­i­tiv­en Stu­di­en liegt bei 39 Per­so­n­en, was gemäss Sullins eine viel zu kleine Per­so­nen­zahl ist, um repräsen­ta­tive Ergeb­nisse zu präsen­tieren. Damit liegt gemäss Sullins die fak­tis­che Anzahl an repräsen­ta­tiv­en Stu­di­en bei 9, wovon 5 Stück pos­i­tiv sind, 4 Stück negativ.
  • Von den verbleiben­den 5 pos­i­tiv­en Stu­di­en sind aber 3 Stück vom gle­ichen Autor und bauen auf den gle­ichen Daten­proben auf, müssen also zusam­menge­fasst wer­den zu ein­er Studie.
  • Am Schluss kommt Sullins auf ein Ver­hält­nis von 3 zu 3 bei den tat­säch­lich ver­w­ert­baren Studien.

Sullins kann anschliessend nach­weisen, dass die 3 verbleiben­den pos­i­tiv­en repräsen­ta­tiv­en Stu­di­en auf der Basis von ‘kon­t­a­minierten’ Dat­en arbeit­en, welche unab­sichtlich auch Dat­en von het­ero­sex­uellen Paaren bein­hal­teten. Auch seine eigene Studie von 2015 sei durch diese ‘nicht sauberen’ Daten­sätze der nationalen US Gesund­heits­be­fra­gung betrof­fen gewe­sen. Er selb­st hat nachträglich die berichtigten Dat­en nochmals ver­ar­beit­et und kommt zum Schluss, dass diese seine Befunde nicht schwächen, son­dern stärken. Er fordert die Ver­fass­er der anderen Stu­di­en auch auf, ihre Arbeit­en ein­er entsprechen­den Über­prü­fung zu unterziehen.

Das Gespräch mit Sullins und seine Erläuterun­gen zu den 79 Stu­di­en lassen eigentlich nur eine Schlussfol­gerung zu: Von einem ‘über­wälti­gen­den Kon­sens’ zu sprechen, ist zumin­d­est äusserst fragwürdig. 

Die Bedenken von Paul Sullins sind zudem keineswegs die Fan­tastereien eines religiös vor­ein­genomme­nen Wis­senschaftlers. Sie deck­en sich mit dem Befund der Nationalen Akademie für Medi­zin in Frankre­ich, welche 2019 im Zusam­men­hang mit der dor­ti­gen Debat­te zum neuen franzö­sis­chen Bioethik-Gesetz gewarnt hat­te, “die absichtliche Zeu­gung eines Kindes ohne Vater” sei nicht ohne Risiken für seine “psy­chol­o­gis­che Entwick­lung und sein Auf­blühen”.

Für die Glaub­würdigkeit von Paul Sullins sprechen auch die dur­chaus dif­feren­zierten Antworten, welche er uns im Gespräch gegeben hat. Es gebe keine per­fek­ten Dat­en, stellt er klar. Es gebe auch Fragestel­lun­gen, welche auf­grund geringer Daten­basen nicht, oder noch nicht ein­deutig beant­wortet wer­den kön­nten. Paul Sullins spricht auch von Ent­deck­un­gen, die an sich gegen seine religiöse Überzeu­gung gehen: Unter gewis­sen Umstän­den sei die Einze­ladop­tion durch homo­sex­uelle Per­so­n­en die bessere Lösung als eine Platzierung bei frem­den, het­ero­sex­uellen Per­so­n­en. Dies kann der Fall sein, weil ein Kind meist bess­er inner­halb der Ver­wandtschaft adop­tiert wird anstatt ausser­halb. Dies wären mögliche Aus­nahme­si­t­u­a­tio­nen, wie wir es auch bei uns bei Adop­tio­nen durch Alle­in­ste­hende ken­nen. Entschei­dend sei auch hier das mess­bare Wohl des Kindes, sagt Sullins.

Scheidungsstudien als historische Parallele

Es gibt his­torisch gese­hen eine inter­es­sante Par­al­lele zur der aktuellen Diskus­sion um Kinder in gle­ichgeschlechtlichen Beziehun­gen: Die Schei­dungs-Debat­te, welche in den 60ern und 70ern geführt wurde.

Damals gab es, ana­log zu unser­er heuti­gen Diskus­sion, eine Fülle von Forschungsar­beit­en, welche Schei­dung als die ‘gute’, gar als ‘bessere’ Lösung für Kinder bei elter­lichen Dif­feren­zen oder Stre­it präsen­tierten. Der Schaden für das Kind sei ein ‘Mythos’. Schei­dung sei eine gute Möglichkeit zum per­sön­lichen Wach­s­tum und zur Steigerung der Beziehungsqual­ität. Ein Beispiel für dieses Denken ist das Buch ‘The Courage to Divorce’, ein Best­seller aus dem Jahre 1974. Nun geht es nicht darum, diese Frage im Detail zu erörtern, wichtig ist dieser Fakt: Es war damals kaum möglich, abwe­ichende Posi­tio­nen zu den Wis­senschaftlern einzunehmen, welche damals die Bedenken­losigkeit der Schei­dung anpriesen. Heute scheint es ähn­lich zu sein.

Die Grund­stim­mung nahm erst Jahre später eine Wende, im Jahr 2000, als Judith Waller­stein eine Studie pub­lizierte, welche die teils drama­tis­chen Fol­gen von Schei­dun­gen über 25 Jahre hin­weg doku­men­tierte. Ihr Buch «The Unex­pect­ed Lega­cy of Divorce»: The 25 Year Land­mark Study» wurde zum New York Times Best­seller und zeigte die neg­a­tiv­en Kon­se­quen­zen von Schei­dun­gen auf, ger­ade auch für betrof­fene Kinder. Weit­ere Ein­blicke in die Geschichte der Schei­dung gibt beispiel­sweise dieser inter­es­sante Artikel. Auch Paul Sullins hat sich in ein­er Studie mit den Auswirkun­gen von Schei­dun­gen auf das Kindeswohl befasst.

In dieser his­torischen Par­al­lele wird sicht­bar, wie gross der Ein­fluss des jew­eili­gen Zeit­geistes auf die Wis­senschaft sein kann. Wie schon gesagt: Ide­ol­o­gis­che Vor­e­in­stel­lun­gen sind bei allen Wis­senschaftler vorhan­den und fälschen nicht zwin­gend das Resul­tat ein­er wis­senschaftlichen Arbeit, aber sie kön­nen es.

Vor 40 Jahren lag der grosse Teil der ‘Wis­senschaftler’ in ihrer Beurteilung der Fol­gen der Schei­dung grundle­gend daneben. Wir als Bürg­er der Schweiz sind heute aufge­fordert, den schein­baren Kon­sens in akademis­chen Fachkreisen zum The­ma ‚Kinder für alle‘ zu prüfen. Die Kinder von mor­gen wer­den uns dafür danken.

Das Kinder Schaden nehmen ist ein ‘Mythos’. Pop­uläres Sach­buch über Schei­dung aus dem Jahre 1974

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Weitere Artikel zum Thema:

Offen­er Brief an Bun­desrätin Keller-Sutter
Kinder für alle?
Ehe für alle?

Fussnoten:

[1] Sullins spricht im Inter­view aus dem Gedächt­nis von 49, was er nachträglich per Email korrigiert.

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

3 Comments

  1. Benjamin Stoll

    Ich finde die Bew­er­tung von Paul Sullins zu den 79 Stu­di­en prob­lema­tisch und wenig überzeu­gend. Seine zen­trale Kri­tik, dass viele der pos­i­tiv­en Stu­di­en mit gezielt rekru­tierten Teilnehmer:innen aus dem homo­sex­uellen Milieu arbeit­en und daher nicht repräsen­ta­tiv seien, greift mir zu kurz. Zwar ist richtig, dass Rekru­tierungsmeth­o­d­en die Aus­sagekraft von Stu­di­en bee­in­flussen kön­nen, doch daraus pauschal zu schliessen, dass die Ergeb­nisse „nicht repräsen­ta­tiv“ seien, ist eine unzuläs­sige Vereinfachung…
    In der Sozial­forschung ist es all­ge­mein üblich, ger­ade bei schw­er erre­ich­baren oder spez­i­fis­chen Grup­pen gezielte Stich­proben zu ver­wen­den. Voll­ständig zufäl­lige, repräsen­ta­tive Stich­proben sind sel­ten real­isier­bar – das gilt für het­ero­sex­uelle wie homo­sex­uelle Pop­u­la­tio­nen gle­icher­massen. Statt Stu­di­en pauschal als „nicht repräsen­ta­tiv“ abzu­tun, nutzen Forschende sta­tis­tis­che Ver­fahren wie Gewich­tung und Kon­trol­l­vari­ablen, um Verz­er­run­gen zu min­imieren oder zu kon­trol­lieren. Diese Meth­o­d­en sind in der Fach­lit­er­atur anerkan­nt und steigern die Valid­ität der Ergebnisse.

    Zudem unter­stellt Sullins mit sein­er Kri­tik, dass Men­schen aus dem homo­sex­uellen Milieu ihre Antworten sys­tem­a­tisch verz­er­ren, um ein pos­i­tiveres Bild zu ver­mit­teln. Diese Annahme ist unbelegt und kann als vor­ein­genom­men gel­ten. Stu­di­en zeigen, dass Teil­nehmende grund­sät­zlich ein Inter­esse daran haben, ihre Erfahrun­gen ehrlich darzustellen, ins­beson­dere wenn es um Fam­i­lie und Kindeswohl geht. Eine pauschale Verz­er­rungsan­nahme schwächt die Ver­trauenswürdigkeit der Sozial­forschung ins­ge­samt und läuft Gefahr, Vorurteile zu bestätigen.
    Viele der 79 Stu­di­en kom­binieren quan­ti­ta­tive und qual­i­ta­tive Meth­o­d­en – beispiel­sweise durch die Auswer­tung von Sta­tis­tiken ergänzt um per­sön­liche Inter­views – und nutzen ver­schiedene Datenquellen.

    Sullins’ Kri­tik an der durch­schnit­tlichen Teil­nehmerzahl von 39 Per­so­n­en in den 70 pos­i­tiv­en Stu­di­en ist eben­falls zu ein­seit­ig. Er bew­ertet die Stich­proben­grösse isoliert als alleiniges Kri­teri­um für Repräsen­ta­tiv­ität, ohne die Kom­plex­ität sozial­wis­senschaftlich­er Forschung zu berück­sichti­gen. Ger­ade bei schw­er erre­ich­baren Grup­pen wie gle­ichgeschlechtlichen Eltern sind kleinere Stich­proben üblich und kön­nen valide Erken­nt­nisse liefern, wenn die Stu­di­en method­isch sorgfältig durchge­führt wer­den . Zudem über­sieht Sullins, dass viele dieser kleinen Stu­di­en in Meta­analy­sen zusam­menge­führt wer­den, wodurch die Stich­proben­grösse deut­lich steigt und belast­bare, ver­all­ge­meiner­bare Aus­sagen möglich wer­den. Meta­analy­sen wie die von Fede­wa, Black und Ahn (zeigen, dass das Kindeswohl bei gle­ichgeschlechtlichen Eltern über­wiegend mit dem von Kindern het­ero­sex­ueller Eltern ver­gle­ich­bar ist.

    Indem Sullins nur neun Stu­di­en als „repräsen­ta­tiv“ ein­stuft und die übri­gen ignori­ert, trifft er eine selek­tive Entschei­dung, die wesentliche Erken­nt­nisse und die method­is­che Vielfalt der Forschung auss­er Acht lässt. Seine Fixxierung auf die Quan­tität der Teil­nehmerzahlen ver­nach­läs­sigt auch die Bedeu­tung qual­i­ta­tiv­er Ansätze und den Wert kleiner­er Stu­di­en für ein umfassendes Verständnis.
    Qual­i­ta­tive Stu­di­en bieten tief­ere Ein­blicke in kom­plexe soziale Zusam­men­hänge, Erfahrun­gen und Bedeu­tun­gen, die mit reinen Zahlen nicht erfass­bar sind. Sie ermöglichen das Ver­ste­hen von Nuan­cen, Kon­text und indi­vidu­ellen Per­spek­tiv­en, ger­ade bei The­men wie Fam­i­lie, Iden­tität oder psy­chis­ch­er Gesund­heit beson­ders wichtig.

    Indem Sullins sich haupt­säch­lich auf die Stich­proben­grösse konzen­tri­ert, über­sieht er, dass wis­senschaftliche Erken­nt­nis häu­fig aus der Kom­bi­na­tion ver­schieden­er Meth­o­d­en entste­ht: Quan­ti­ta­tive Stu­di­en liefern bre­ite Dat­en, qual­i­ta­tive Stu­di­en Tiefe und Kon­text. Diese method­is­che Vielfalt trägt zu einem umfassenderen und dif­feren­ziert­eren Bild bei und hil­ft, Verz­er­run­gen bess­er zu erken­nen und auszugleichen.
    Würde in den Stu­di­en sys­tem­a­tisch ein zu pos­i­tives Bild geze­ich­net, wären neg­a­tive Aspek­te kaum The­ma. Tat­säch­lich bericht­en viele Unter­suchun­gen offen über Her­aus­forderun­gen, denen gle­ichgeschlechtliche Eltern und ihre Kinder begeg­nen. Das zeigt, dass die Forschung ein real­is­tis­ches und aus­ge­wo­genes Bild anstrebt – und nicht nur pos­i­tive Aspek­te beton.

    Inter­es­san­ter­weise zeigt sich bei Sullins selb­st eine Ten­denz: Während er anderen Stu­di­en vor­wirft, ein verz­er­rt pos­i­tives Bild zu zeich­nen, wählt er in sein­er eige­nen Analyse häu­fig selek­tiv Dat­en aus, die seine vorge­fasste neg­a­tive Sichtweise bestäti­gen. Damit repro­duziert er genau das Muster, das er kri­tisiert – näm­lich eine ein­seit­ige Infor­ma­tion­sauswahl zur Unter­stützung ein­er bes­timmten Ide­olo­gie statt ein­er aus­ge­wo­ge­nen, method­isch trans­par­enten Betrachtung.

    Sullins’ Argu­men­ta­tion wirkt für mich teil­weise wie ein Ver­such, den wis­senschaftlichen Kon­sens durch selek­tive Meth­o­d­enkri­tik zu unter­graben, anstatt sich dif­feren­ziert mit den Ergeb­nis­sen auseinan­derzuset­zen. Seine Konzen­tra­tion auf Werbin­ser­ate und Rekru­tierungsmeth­o­d­en ähnelt einem Umkehrschluss, der andere method­is­che Schwächen, etwa in het­ero­nor­ma­tiv­en Stu­di­en aus­blendet. Diese Ein­seit­igkeit stellt seine eigene Objek­tiv­ität infrage…

    Kurz gesagt: Indem Sullins Meth­o­d­en kri­tisch bew­ertet, aber seine eigene Auswahl und Inter­pre­ta­tion kaum hin­ter­fragt, repro­duziert er genau jene Verz­er­rung, die er anderen vor­wirft. Seine Argu­men­ta­tion ist daher weniger wis­senschaftlich neu­tral, son­dern eher ide­ol­o­gisch gefärbt. Das erhöht die Wahrschein­lichkeit, dass er selb­st method­is­che Fehler bege­ht oder Dat­en selek­tiv interpretiert.

    Auch das Beispiel der ACHESS-Studie von Simon Crouch, die mit geziel­ten Aufrufen zur Teil­nahme arbeit­et, ist kein Beweis für wis­senschaftliche Unzu­ver­läs­sigkeit. Solche Aufrufe über Mul­ti­p­lika­toren oder the­men­be­zo­gene Medi­en sind in sozial­wis­senschaftlichen Stu­di­en üblich, um aus­re­ichend Teil­nehmer zu gewin­nen. Entschei­dend ist, dass die Date­nauswer­tung trans­par­ent erfol­gt und mögliche Verz­er­run­gen method­isch berück­sichtigt werden

    Reply
  2. Zoe Vee

    So jet­zt habe ich alles gele­sen und das lange Video gehört, obwohl ich doch gar keine Zeit hat­te und es hat sich der­massen gelohnt! Grossar­tig! Danke tuusig für diese erstk­las­si­gen Beiträge, nun füh­le ich mich auch argu­men­ta­tiv ganz neu gewapp­net und ausgerüstet!

    Reply
    • Paul Bruderer

      Her­zlichen Dank Zoe!

      Reply

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