Abtreibung (1/5) – ein heiliges Werk?

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by Peter Bruderer | 04. Dez. 2021 | 4 comments

Der Kampf um die Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA hat­te unter anderem drei wichtige Motoren: die Ver­fechter der sex­uellen Rev­o­lu­tion, die fem­i­nis­tis­che Bewe­gung und eine Gilde lib­eraler The­olo­gen, welche der Abtrei­bung­sprax­is eine moralis­che Legit­i­ma­tion gab. Wie es zur Zusam­me­nar­beit aller drei Inter­es­sen­grup­pen und damit zur Bil­dung ein­er ein­flussre­ichen poli­tis­chen Koali­tion kam, davon han­delt dieser Artikel.

Die Kri­tik an Don­ald Trump war beis­send, als er 2020 unbe­holfen vor der Kirche neben dem Weis­sen Haus eine Bibel hochhielt. Die Lage der Nation war anges­pan­nt. Es ging wohl darum, an seine ten­den­ziell kon­ser­v­a­tive Wäh­ler­ba­sis ein Zeichen von Moral und Stand­haftigkeit zu geben. Tat­säch­lich kon­nte man sich des Ein­drucks nicht erwehren, dass hier The­ater gespielt und die Bibel als poli­tis­che Waffe miss­braucht wurde. Kirch­liche Leit­fig­uren waren schnell zur Stelle mit berechtigter Kri­tik.

PR-Stunt von Trump, Juni 2020

Als Joe Biden im Jan­u­ar 2021 als Präsi­dent verei­digt wird, ist bei vie­len die Erle­ichterung gross. Doch auch Biden hat es mit der Bibel. Seinen Amt­seid legt er ab auf der wohl grössten Fam­i­lien­bibel die man sich vorstellen kann. Eine der ersten Amt­shand­lun­gen von Biden ist es, durch seinen Vorgänger Don­ald Trump einge­führte Restrik­tio­nen der Finanzierung von Abtrei­bung per Dekret auss­er Kraft zu set­zen. Die welt­grösste Abtrei­bung­sor­gan­i­sa­tion Planned Par­ent­hood war ein Spon­sor sein­er Kan­di­datur, Biden liefert wonach diese ver­langt: mehr Geld für Abtrei­bung­spro­gramme. In diesem Fall bleibt der medi­ale Auf­schrei – mal abge­se­hen von Stim­men der Pro-Life Bewe­gung und der Katholis­chen Kirche — weit­ge­hend aus. Die kirch­lichen Leit­fig­uren jeden­falls, welche wenige Monate zuvor Trump an den Pranger gestellt hat­ten, schweigen.

Der Hin­ter­grund für diesen Artikel ist der fol­gende: Die Evan­ge­likalen in den USA sehen sich in den ver­gan­genen Jahren inten­siv­er Kri­tik aus­ge­set­zt wegen ihrer Poli­tisierung. Die in den USA äusserst ein­flussre­iche und the­ol­o­gisch eher kon­ser­v­a­tive Bewe­gung ste­ht ein­er lib­eralen Abtrei­bung­sprax­is ablehnend gegenüber. Sie hat sich, so eine These, im Nach­gang zur Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA im Jahr 1973 auf­grund der Abtrei­bungs­the­matik auch als poli­tis­che Kraft zusam­menge­fun­den – eine poli­tis­che Kraft welche kon­ser­v­a­tiv tickt und repub­likanisch wählt: Trump zum Beispiel. Ich per­sön­lich halte die zu starke Ver­schmelzung von Chris­ten­tum mit poli­tis­chen Pro­gram­men oder den Far­ben ein­er Nation­alflagge auch für problematisch.

Doch wer vorschnell kon­ser­v­a­tive Chris­ten wegen poli­tis­ch­er Ver­flech­tun­gen an den Pranger stellt, sollte auch einen Blick in die Geschichte wer­fen – zum Beispiel einen genaueren Blick in die Geschichte der Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA. Ein solch­er Blick zeigt eine weit­ere Real­ität, welche kaum Platz hat in den Nar­ra­tiv­en der Medi­en, näm­lich dass die Frage der Abtrei­bung lib­erale Pas­toren bere­its in den 60er Jahren in den poli­tis­chen Aktivis­mus getrieben hat, weit früher als das für Evan­ge­likale ein The­ma wurde. Ihr Ziel war klar: die Lib­er­al­isierung der restrik­tiv­en Abtreibungsgesetze.

Die These, dass lib­erale Chris­ten wom­öglich weit mehr poli­tisiert sind als kon­ser­v­a­tive, bestätigt auch eine aktuelle Forschungsar­beit aus dem USA: es sind weniger die viel­gerügten the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­en Chris­ten, welche ihre Iden­tität mass­ge­blich über Poli­tik definieren, son­dern in wesentlich stärk­erem Masse the­ol­o­gisch lib­erale Kreise. Am Beispiel der Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA lässt sich diese Poli­tisierung nachvollziehen.

Lawrence Lader und die vollendete sexuelle Revolution

Selb­st his­torisch inter­essierten Men­schen ist diese Schlüs­selper­son im Kampf um die Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA meist gän­zlich unbekan­nt: Lawrence Lad­er (1919–2006). Diese Per­son war es, welche in den 60er Jahren des 20. Jahrhun­derts die entschei­den­den Kräfte zusam­men­brachte für eine der grössten gesellschaftlichen Rev­o­lu­tio­nen der ver­gan­genen 50 Jahre.

Lawrence ‘Lar­ry’ Lad­er, Mas­ter­mind der Kam­pagne zur Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA

Aus wohlhaben­dem Eltern­haus stam­mend kommt Lad­er im Rah­men seines Har­vard Studi­ums mit marx­is­tis­chen Ideen in Kon­takt. Zum glühen­den Ver­fechter von Abtrei­bung entwick­elt er sich im Rah­men sein­er Recherchen zu ein­er Biografie[1] über Mar­garet Sanger (1879–1966). Lad­er ste­ht dabei in inten­sivem per­sön­lichen Kon­takt mit dieser kon­tro­ver­sen Vorkämpferin für Frauen­rechte und Ver­hü­tung, welche neben­bei eine lei­den­schaftliche Ver­fech­terin von Eugenik und Rassen­hy­giene war[2]. Der Leit­spruch von Sanger[3]:

«Keine Frau kann sich frei nen­nen, welche nicht über ihren Kör­p­er bes­tim­men und diesen kon­trol­lieren kann. Keine Frau kann sich frei nen­nen, solange sie nicht selb­st wählen kann, ob sie eine Mut­ter sein wird oder nicht.»

Sanger selb­st hat­te ihre Bemühun­gen auf den Kampf um die Legal­isierung von Ver­hü­tungsmit­teln fokussiert. Der Kampf um Abtrei­bungsrechte stand nicht im Vorder­grund. Abtrei­bung emp­fand sie als Entwürdi­gung und Gesund­heits­ge­fährdung der Mut­ter, aber nichts­destotrotz als mögliche Form der Geburtenkon­trolle[4]. Das Wohl unge­boren­er oder geboren­er Kinder inter­essierte sie wenig. Unter anderem ver­nach­läs­sigte sie ihre eige­nen Kinder oder hat sie gar samt Ehe­mann ver­lassen[5], um unge­hin­dert ihrem poli­tis­chen Aktivis­mus und diversen aussere­he­lichen Affären[6] nachge­hen zu kön­nen. Sanger sprach sich nach dem zweit­en Weltkrieg für ein europaweites, zehn­jähriges Mora­to­ri­um bei der Kinderzeu­gung aus. Das sei die ‘prak­tis­che und humane’ Lösung für das vom Krieg zer­rüt­tete Europa.

Mar­garet Sanger war eine Vorkämf­perin für Geburtenkon­trolle und eine Ver­fech­terin von Eugenik und Rassenhygiene.

Für Lad­er kann das Sanger-Mantra der selb­st­bes­timmten, autonomen Frau nichts anderes bedeuten, als ein Recht auf Abtrei­bung. Nur die Frau, welche auch ein Recht auf Abtrei­bung hat, ver­fügt ganz über ihren Kör­p­er. Doch die eigentliche Moti­va­tion von Lad­er dürfte weniger im Kampf um Frauen­rechte gele­gen sein, als in der Ver­wirk­lichung der sex­uellen Rev­o­lu­tion. Durch die Ein­führung der Pille in den USA (1960) und die bald darauf fol­gende endgültige Legal­isierung von Ver­hü­tungsmit­teln (1965) war Sex von Repro­duk­tion entkop­pelt wor­den. Damit war auch für die Sex­u­al­rev­o­lu­tionäre jen­er Zeit die Grund­lage geschaf­fen, per­sön­liche Sex­u­al­ität risiko­los auch ausser­halb ehe­lich­er Bande ausleben zu kön­nen, ohne lästige ‘Neben­pro­duk­te’ wie Kinder. Doch ein Restrisiko war noch vorhan­den. Erst das Recht auf Abtrei­bung würde dieses ‘let­zte Risiko’ eli­m­inieren. In seinem späteren Werk Abor­tion II (1973) beschreibt Lad­er die von ihm gewün­schte Wirkung in seinem Kampf um Abtrei­bungsrechte fol­gen­der­massen[7]:

«Sich für das Recht auf Abtrei­bung einzuset­zen bedeutete, das entschei­dende Boll­w­erk gegen die Unmoral niederzureis­sen. Ob für das Sin­gle-Mäd­chen oder die ver­heiratete Frau: es bedeutete die Zer­störung der ulti­ma­tiv­en Bestra­fung für Sex und erlaubte das Vergnü­gen von Sex um sein­er selb­st willen, ohne die beglei­t­ende Pflicht ein Kind zu gebären.»

Um sein Ziel zu erre­ichen, dieses Restrisiko zu eli­m­inieren, set­zt Lad­er auf das, was er am besten kann: er schreibt.

«Abortion» – ein Buch für die Geschichtsbücher 

In seinem Buch ‘Abor­tion’ aus dem Jahre 1966 legt Lawrence Lad­er seine Begrün­dung für die Legal­isierung von Abtrei­bung dar[8]. Bere­its auf dem Cov­er des Buch­es wird der Anspruch deut­lich gemacht[9]:

«Der erste autori­ta­tive und doku­men­tierte Bericht über die Geset­ze und Prak­tiken welche in den USA und weltweit über Abtrei­bung bes­tim­men und wie – um der Frauen willen – diese reformiert wer­den kön­nen und müssen»

Nur sieben Jahre später, 1973, wird der ober­ste Gericht­shof der USA in seinem Entscheid Roe vs. Wade Abtrei­bung legal­isieren. Der Blick in die Urteils­be­grün­dung des Ober­sten Gericht­shofeser USA zeigt Erstaunlich­es. Min­destens sieben Mal, gemäss gewis­sen Quellen sog­ar acht Mal wird in der Begrün­dung aus dem Buch von Lawrence Lad­er zitiert. Das Buch und sein Autor sind ein Schlüs­sel, um die Entwick­lun­gen jen­er Jahre zu verstehen.

Lad­er knüpfte mit seinem Ein­satz für Abtrei­bung an das Werk von Mar­garet Sanger an. Die vom ihm ver­fasste Sanger-Biografie ent­stand in enger Zusam­me­nar­beit. Sanger sig­nierte die Büch­er teils per­sön­lich (siehe Bild).

Die Wahrheit über das Buch von Lad­er ist diese: Was als Sach­buch daherkam war vor allem ein gut getrimmtes Stück Pro­pa­gan­da. So wur­den Sta­tis­tiken verz­er­rt[10], das geschichtliche Nar­ra­tiv mit bewussten Falschin­for­ma­tio­nen und ein­seit­iger Selek­tion in die gewün­schte Rich­tung getrieben[11] und so ein ver­meintlich schlüs­siger Fall aufgebaut.

Als ein Beispiel unter vie­len für die manip­u­la­tive Art und Weise der Infor­ma­tionsver­w­er­tung kann Lader’s Erwäh­nung des ersten US-Gynäkolo­gen Hor­a­tio Robin­son Stor­er (1830–1922) erwäh­nt wer­den. Diese für die Geschichte der Abtrei­bung entschei­dende Per­sön­lichkeit wird von Lad­er zitiert um aufzuzeigen, das Abtrei­bun­gen Mitte des 19. Jahrhun­dert eine gesellschaftliche Real­ität sind. Lad­er nutzt diese Infor­ma­tion als Baustein für seine Logik: die Mitte des 20. Jahrhun­derts gel­tenden Abtrei­bungsver­bote waren nur zeit­geistige Erschei­n­un­gen ohne lange Tra­di­tion, die man ruhig wieder abschaf­fen kann. Doch Lad­er instru­men­tal­isiert Stor­er für seine Zwecke. Völ­lig unge­nan­nt bleibt, dass dieser Abtrei­bung als abscheulich und unmen­schlich emp­fand und sich mit all sein­er Macht dage­gen ein­set­zte. Ein Zitat aus der bekan­ntesten Schrift von Stor­er fasst seine Sicht der Dinge zusam­men[12]:

«Abtrei­bung ist in Real­ität ein Ver­brechen gegen das Kind, seine Mut­ter, seine Fam­i­lie und die Gesellschaft.»

Hor­a­tio Robin­son Stor­er, Pio­nier der Gynäkologie.

Der ober­ste Gericht­shof würde 1973 den his­torischen Nar­ra­tiv­en von Lad­er und einem sein­er Mit­stre­it­er, dem Ver­fas­sungsrechtler Cyril Means, fol­gen. Means war wie Lad­er Athe­ist und Mit­glied im Beirat von NARAL, ein­er von Lad­er gegrün­de­ten Lob­by-Organ­i­sa­tion zu Lib­er­al­isierung der beste­hen­den Abtrei­bungs­ge­set­ze. Das von ihm ver­fein­erte Nar­ra­tiv wurde struk­turell und inhaltlich in die Urteils­be­grün­dung des Ober­sten Gericht­shofes aufgenom­men und zeich­nete fol­gen­des Bild über die Zeit der ver­fas­sungs­geben­den Grün­derväter der USA[13]:

  1. Vor der Ein­führung von entsprechen­den Abtrei­bungs­ge­set­zen im 19. Jahrhun­dert wurde Abtrei­bung nicht als Ver­brechen tax­iert und bestraft.
  2. Vor der Ein­führung von entsprechen­den Abtrei­bungs­ge­set­zen im 19. Jahrhun­dert war Abtrei­bung ver­bre­it­et und rel­a­tiv sich­er.
  3. Die Abtrei­bungs­ge­set­ze des 19. Jahrhun­derts wur­den nicht einge­führt, um das Leben des unge­bore­nen Kindes zu schützen, son­dern Leben und Gesund­heit der Mut­ter.
  4. Die treibende Kraft hin­ter Abtrei­bungs­ge­set­ze des 19. Jahrhun­derts waren Män­ner, welche die Konkur­renz durch Alter­na­tivmedi­zin prak­tizierende Frauen unter­drück­en wollten.

Die Logik der his­torischen Argu­men­ta­tion war klar: wenn zum Zeit­punkt der Erstel­lung der US-Ver­fas­sung Abtrei­bung in der Frei­heit des Bürg­ers lag, dann müsste es dies auch heute sein. Doch gemäss dem Recht­spro­fes­sor Joseph Del­lapen­na, welch­er den Wahrheits­ge­halt dieser neuen  ‘his­torischen Ortho­dox­ie’ 2006 unter­suchte, waren alle vier ins Feld geführten his­torischen Argu­mente nicht kor­rekt. Unter dem Vor­wand der unpartei­is­chen Gelehrsamkeit waren ide­ol­o­gis­che Ziele ver­fol­gt wor­den. Del­lapen­na – selb­st kein Geg­n­er von Abtrei­bung — entza­ubert das Nar­ra­tiv in seinem akribisch recher­chierten, 1300 Seit­en umfassenden Werk «Dis­pelling the Myths of Abor­tion His­to­ry».[14] Aber Lügen, welche sich ein­mal fest­ge­set­zt haben, lassen sich nicht so schnell vertreiben. Bis heute wer­den sie wieder­holt — oft in gutem Glauben[15].

Mit dem Erscheinen des Buch­es «Abor­tion» jeden­falls lässt sich die Presse bere­itwillig auf die Nar­ra­tive von Lad­er ein. Dieser lässt Geld und Beziehun­gen spie­len. Im Mai 1966 – unmit­tel­bar nach dem Erscheinen des Buch­es – kann er bei Read­ers Digest einen ganz grossen Tre­f­fer lan­den. Das Mag­a­zin, welch­es als Inbe­griff von Gut­bürg­er­tum und Seriosität mit ein­er Auflage von über 26 Mil­lio­nen den Weg in so ziem­lich jeden US-Haushalt find­et, druckt eine Zusam­men­fas­sung des Buch­es ab, welch­es die wesentlichen Argu­mente und Emo­tio­nen an den Mann respek­tive die Frau bringt[16]: Die herzzer­rreis­sende Geschichte von der verge­waltigten Frau die schwanger wird. Die ‘heuch­lerische’ Geset­zge­bung welche nicht mehr die sozialen Real­itäten abbilde. Die drama­tis­chen Gefahren bei ille­galen Abtrei­bun­gen. Die früheren Hochkul­turen, bei denen Abtrei­bung eine Selb­stver­ständlichkeit gewe­sen sei. Ja, Abtrei­bun­gen seien zuallererst vor allem ein Bedürf­nis ver­heirateter Frauen und nur am Rande von Bedeu­tung für sex­uell freizügige Sin­gles. Das unge­borene Kind sei eigentlich nur ‘poten­tielles Leben’, kein wirk­lich­es Leben. Ja, das aller­schlimm­ste für ein Kind sei es, wenn es real­isiere, dass es unge­wollt ist. Das seien die Kinder mit denen die sozialen Insti­tu­tio­nen des Lan­des über­flutet wür­den. Der ‘Kon­sens’ unter ‘aufgek­lärten Medi­zin­ern und Rechts­gelehrten’ sei ein­deutig: Die Zeit für Refor­men sei gekom­men. Das allerbeste sei es, zitiert Lad­er zum krö­nen­den Abschluss eine Sozialar­bei­t­erin, das Prob­lem ‘bei der Wurzel zu pack­en’: es sei gesellschaftliche Pflicht, das kein Kind ‘unge­wollt, ungeliebt und ohne Umsorgung’ auf die Welt komme.

Schützen­hil­fe find­et Lad­er auch bei Planned Par­ent­hood. Die von Mar­garet Sanger geprägte Organ­i­sa­tion hat­te unter der Leitung ihres neuen Präsi­den­ten Alan Guttmach­er die Vor­be­halte gegenüber Abtrei­bung über Bord gewor­fen und würde zum welt­grössten Anbi­eter von Abtrei­bun­gen mutieren – ein Geschäft, welch­es bis heute einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes ausmacht.

Organ­i­sa­tio­nen wie Planned Par­ent­hood oder das Kin­sey Insti­tut arbeit­eten in den 60er Jahren aktiv auf eine Lib­er­al­isierung der Abtrei­bungs­ge­set­ze hin.

Natür­lich war die Vorstel­lung eines unge­hin­derten Zugangs zu Abtrei­bung auch für die wach­senden Indus­triezweige rund um die sex­uelle Rev­o­lu­tion eine grossar­tige Vorstel­lung. Die Män­nerzeitzeitschrift Play­boy, welche in den späten 60ern und frühen 70ern mit Aufla­gen­spitzen von über 7 Mil­lio­nen Exem­plaren eine bedeu­tende pub­lizis­tis­che Wirkung hat­te, fordert im Gle­ich­schritt mit Lad­er in umfan­gre­ichen redak­tionellen Beiträ­gen das Abtrei­bungsrecht für Frauen ein[17]. Das spielt zufäl­liger­weise auch den Wün­schen in die Hände der eige­nen, lust­getriebe­nen männlichen Leserschaft.

Gele­gen kommt Lad­er auch die Angst vor ein­er weltweit­en Bevölkerung­sex­plo­sion, welche in den 60er Jahren auf einen Höhep­unkt zus­teuert und die er selb­st aktiv mitschürt. Für die Inter­essens­grup­pen, welche vor Über­bevölkerung war­nen, sind Kinder kein Geschenk son­dern ein Prob­lem für die Welt. Abtrei­bung als Ele­ment ein­er ver­stärk­ten Fam­i­lien­pla­nung könne einen Beitrag zur Lösung des Prob­lems sein, sug­geriert Paul Ehrlich im Jahr 1968 in seinem alarmistis­chen Weltbestseller«The Pop­u­la­tion Bomb»[18] . Auf der Liste sein­er Lese-Empfehlun­gen: das Buch «Abor­tion» von Lad­er. Dieser wiederum bedankt sich mit seinem 1971er Buch «Breed­ing Our­selves to Death», einem weit­eren alarmistis­chen Buch zum The­ma. Gemäss dem His­torik­er Dr. Allan Carl­son ist die von reichen und ein­flussre­ichen Fam­i­lien (Rock­e­feller, Ford…) bewusst mit­geschürte Angst als wesentlich­er Fak­tor für die steigende Aktzep­tanz von Geburtenkon­trolle und Abtrei­bung in den 60er Jahren zu werten.

Der Weltbest­seller “The Pop­u­la­tion Bomb” von Paul Ehrlich ging auf ein gle­ich­nah­miges Trak­tat der Hugh Moore Foun­da­tion zurück. Diese Stiftung engagierte sich unter anderem mit ganz­seit­i­gen Inser­at­en in der New York Times für ver­stärk­te Geburtenkon­trolle. Kinder wur­den als Bedro­hung für Welt­frieden und Ernährungssicher­heit präsentiert.

Die Hys­terie rund um das Bevölkerungswach­s­tum mag grosse Bedeu­tung gehabt haben in der ganzen Dynamik der öffentlichen Mei­n­ungs­bil­dung zum The­ma Abtrei­bung. Am aller­wichtig­sten für Lawrence Lad­er war aber das Endorse­ment durch seine gute Bekan­nte[19] Bet­ty Friedan (1921–2006). Die neue fem­i­nis­tis­che Leucht­fig­ur hat­te erst ger­ade mit ihrem Buch ‘The Fem­i­nine Mys­tique’ (1963) die 2. Welle des Fem­i­nis­mus los­ge­treten und rei­hte sich auf dem Buchrück­en von «Abor­tion» ein in die Gilde von Ärzten und Aktivis­ten, welche sich hin­ter das Anliegen ein­er lib­er­al­isierten Abtrei­bung­prax­is stell­ten. Gemäss Friedan war das Buch eine ‘mutige Blau­pause’ dessen, was Frauen tun müssten, um ‘den staatlichen Zwang’ zu brechen, dass Frauen Kinder gegen den eige­nen Willen gebären müssten. Friedan würde auch diejenige sein, welche 1968 das Recht auf freie Abtrei­bung gegen erhe­blichen inter­nen Wider­stand in den Forderungskat­a­log der von ihr gegrün­de­ten Nation­al Orga­ni­za­tion for Women (NOW) hinzufü­gen liess[20]. In der ein­flussre­ichen Frauen­rechts­be­we­gung, welche 1970 mit dem nationalen Frauen­streik in den USA seinen ersten grossen Höhep­unkt hat­te, würde neben vie­len berechtigten Anliegen auch legal­isierte Abtrei­bung laut­stark gefordert wer­den. Abtrei­bung bekam dank der Portierung durch die Frauen­rechts­be­we­gung den Anstrich eines ein­forder­baren Menschenrechts.

Abtrei­bung als Men­schen­recht: Bet­ty Friedan 1969

Zusam­men mit Bet­ty Friedan und dem Arzt Bernard Nathanson grün­dete Lad­er im Jahr 1968 die Nation­al Asso­ci­a­tion for the Repeal of Abor­tion Laws (NARAL), die erste Organ­i­sa­tion welche sich auss­chliesslich dem Kampf um die Legal­isierung von Abtrei­bung wid­mete und mass­ge­blich mit­beteiligt war an der erfol­gre­ichen Beschre­itung des gerichtlichen Weg, welch­es im Entscheid Roe vs. Wade vom 22. Jan­u­ar 1973 Abtrei­bung in den USA als pri­vate Angele­gen­heit zwis­chen der Schwan­geren und ihrem Arzt deklar­i­eren würde.

Das Buch ‘The Fem­i­nine Mys­tique’ wurde ein Best­seller und machte Bet­ty Friedan zur neuen Leucht­fig­ur des Feminismus.

Der Pastor, dein Freund und Helfer

Doch um sein Ziel zu erre­ichen hat­te Lad­er noch eine weit­ere Ziel­gruppe fest im Visi­er: diejenige der Pas­toren und The­olo­gen. Diese sind neben der Frauen­be­we­gung der zweite Schlüs­sel, den er braucht, um in der bre­it­en Masse Glaub­würdigkeit für seine Anliegen zu finden.

Lad­er selb­st hat­te an Reli­gion wenig Inter­esse. Er war überzeugter Athe­ist und würde zusam­men mit Friedan und weit­eren Expo­nen­ten­er Abtrei­bungs­be­we­gung[21] Unterze­ich­n­er des human­is­tis­chen Man­i­fests von 1973 sein. Dass aber Pas­toren Schlüs­selper­so­n­en sind, um im hochre­ligiösen Ameri­ka zu Punk­ten, das war ihm wohl spätestens seit seinen Gesprächen mit Mar­garet Sanger klar. In sein­er Kam­pagne für lib­er­al­isierte Abtrei­bung spielt er das Spiel, welch­es schon Sanger in ihrem Kampf um das Recht auf Geburtenkon­trolle meis­ter­haft ver­standen hat­te: Das urprotes­tantis­che Feind­bild gegenüber den Katho­liken wird genährt, kon­ser­v­a­tive protes­tantis­che Stim­men wer­den ignori­ert, lib­erale Pas­toren umwor­ben und ihre Stim­men dann als ‘christlich­er Kon­sens’ präsen­tiert[22].

In seinem Buch wen­det Lad­er ein ganzes Kapi­tel auf um die kirch­liche Posi­tion in der Frage der Abtrei­bung zu erläutern. Dabei liegt sein Haup­tau­gen­merk darauf, Ambivalenz zu schaf­fen. Die äusserst klaren Aus­sagen der Kirchen­väter, welche Abtrei­bung kat­e­gorisch ablehn­ten, wer­den als Einzel­po­si­tio­nen von ‘eini­gen Extrem­is­ten’ präsen­tiert[23]. Als extrem­istisch zeich­net er auch die ‘weni­gen fun­da­men­tal­is­tis­chen Sek­ten’ und die Katholis­che Moral im 20. Jahrhun­dert[24]. Der kirch­liche Kon­sens in der Ver­gan­gen­heit habe sich an den Lehren von Aris­tote­les ori­en­tiert, welch­er eine 3‑stufige Entwick­lung der men­schlichen Seele lehrte[25]. Tat­säch­lich wurde die Lehre von Aris­tote­les von der katholis­chen Kirche aufge­grif­f­en und war über weite Teile des Mit­te­lal­ters und bis ins 19. Jahrhun­dert bes­tim­mend für die Beurteilung der Schwere eines Abtrei­bungs-Verge­hens. Was Lad­er unter­schlägt, ist das Abtrei­bung von der Katholis­chen Kirche zu jed­er Zeit und in jed­er Entwick­lungsphase als eine Sünde tax­iert wurde — es ging einzig um die Beurteilung der ‘Schwere’ der Sünde[26]. Jeden­falls ist das Faz­it von Lad­er klar: Die rigi­den Abtrei­bungs­ge­set­ze des 20. Jahrhun­derts seien Pro­duk­te ein­er moral­is­tis­chen Chris­ten­heit des 19. Jahrhun­derts[27] und kirch­liche Vor­be­halte gegenüber Abtrei­bung seien lediglich in ihrem Wun­sch begrün­det, das Sex­u­alver­hal­ten der Men­schen zu kon­trol­lieren, was ja in keinem Fall eine Auf­gabe des Staates sein könne.

Sowohl unter jüdis­chen als auch unter protes­tantis­chen The­olo­gen find­et Lad­er in den 60er Jahren bere­its die Stim­men die er braucht, um das Bild ein­er ambiva­len­ten oder gegenüber Abtrei­bung gar offe­nen Hal­tung dieser Reli­gion­s­ge­mein­schaften zu malen. Dabei sind die von ihm zitierten Geistlichen oft bere­its Ver­bün­dete von ihm und keineswegs repräsen­ta­tive oder autori­ta­tive Stim­men. Den his­torischen jüdis­chen Kon­sens, welch­er Abtrei­bung nur bei Lebens­ge­fahr für die Mut­ter als vertret­bar sah[28] und ganz grund­sät­zlich Kinder als grossen Segen erachtete, sah Lad­er durch neue Posi­tio­nen über­holt[29] — und zitiert als Beweis dafür aus­giebig seinen guten Fre­und, den lib­eralen Rab­bi Israel Mar­golies.

«His­torisch betra­chtet braucht jede Rev­o­lu­tion einen Bösewicht», würde später Bernard Nathanson seinen Wegge­fährten Lad­er zitieren. Laders Strate­gie auf der Suche nach dem Bösewicht sei sehr klar gewe­sen: Sie soll­ten nicht die Katho­liken als ganze Gemein­schaft ins Visi­er nehmen. Das sei eine zu grosse und zu wenig grif­fige Per­so­n­en­gruppe. Es gelte, lib­erale Katho­liken zu gewin­nen, welche wertvolle ‘Prunk­stücke’ ihrer Kam­pagne für Abtrei­bung sein kön­nten. Hinge­gen sei die ‘katholis­che Hier­ar­chie’ eine Ziel­gruppe, klein genug für ein gut erkennbares Feind­bild und anonym genug dass man sie ohne Namen zu nen­nen ins Visi­er nehmen könne[30].

Stim­mungs­mache gegen katholis­che Bis­chöfe, welche Grund für den ‘dro­hen­den Hunger­tod von Mil­lio­nen’ seien. Inser­at in der New York Times 1970, abge­bildet im Buch “Breed­ing our­selves to Death” von Lar­ry Lader.

Die abschliessenden Erläuterun­gen über kirch­liche Posi­tio­nen zeigen gut auf, wie Lad­er die Protes­tanten gegen die Katho­liken auszus­pie­len suchte[31]:

«Wenn der Protes­tantismus nicht seine unaus­ge­sproch­ene aber inhärente Unter­wür­figkeit unter die katholis­che Lehre fort­set­zen will, ist es höch­ste Zeit, dass die protes­tantis­chen Leit­er bekan­nt­machen: Ein Stück Zell­gewebe kann nicht als men­schlich­es Leben heiligge­sprochen wer­den. Das Leben der Mut­ter hat viel mehr Wert für das, was es ist, als das embry­onale Gewebe für das, was es vielle­icht ein­mal wer­den könnte.»

Auch unter den Katho­liken würde Lad­er wertvolle Ver­bün­dete find­en. Doch die weitaus grösste Zahl an religiösen Mit­stre­it­ern fand er unter lib­eralen protes­tantis­chen Pas­toren. Der wichtig­ste unter diesen würde Howard Moody (1921–2012) sein, Pas­tor der Jud­son Memo­r­i­al Church in New York.

Reli­gion war Lad­er unwichtig. Aber die religiöse Ziel­gruppe war entschei­dend. Es ist kein Zufall, dass er die let­zten Sätze seines Buch­es in der Form eines religiösen Plä­doy­ers gestal­tet. Noch ein­mal lässt er seinen Fre­und Rab­bi Israel Mar­golies zu Wort kom­men[32]:

«Mein­er beschei­de­nen Mei­n­ung nach ruft Reli­gion in ihrer höch­sten Form jeden von uns auf, die alten Vorurteile über Bord zu wer­fen, die sug­gerieren, Abtrei­bung und Fam­i­lien­pla­nung seien Sünde. Lass uns ehrlich und stolz den Stand­punkt ein­nehmen, dass – als kreative Part­ner Gottes – wir das Recht beanspruchen, ziel­gerichtet und freudig Fam­i­lien zu schaf­fen, nicht nur wider­willig oder zufäl­lig. Lass uns mithelfen eine Welt zu bauen, in der kein men­schlich­es Wesen unge­wollt und ungeliebt ein­treten muss.»

Howard Moody und das heilige Werk der Abtreibung

Das heilige Werk – das war die Ver­mit­tlung von ille­galen Abtrei­bun­gen durch gross­mehrheitlich protes­tantis­che Pas­toren ab 1967 und bis zur Legal­isierung von Abtrei­bung 1973.

Grün­der­fig­ur des Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion (Deutsch: ‘Pas­toraler Beratungs­di­enst bezüglich Abtrei­bung’) war Howard Moody. Die Idee für dieses pas­torale Net­zw­erk hat­te Lad­er zusam­men mit Moody und 2 weit­eren Pas­toren bei einem Tre­f­fen am 06. Sep­tem­ber 1966 entwick­elt[33]. Der 06. Sep­tem­ber 1966 – das war auch der Todestag von Mar­garet Sanger. Es muss von Moody und seine Kol­le­gen als eine göt­tliche Fügung gew­ertet wor­den sein: Sie wür­den die Chance erhal­ten, die Mis­sion der ver­stor­be­nen Vorkämpferin im Kampf um Repro­duk­tion­srechte weiterzutragen.

Rev. Howard Moody, Grün­der des Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion, vor sein­er Kirche.

Im May 1967 erfol­gte der Startschuss unter kräftiger Bei­hil­fe der New York Times, welche das Beratung­spro­gramm inklu­sive ein­er voll­ständi­gen Liste der beteiligten Geistlichen pub­lizierte: 20 protes­tantis­che Pas­toren und ein uns bere­its bekan­nter Rab­bi: Israel Mar­golies. Unter dem Deck­man­tel der per­sön­lichen Beratung wur­den Frauen an Ärzte im In- und Aus­land weit­er­ver­wiesen, welche bere­it waren, die ille­galen Abtrei­bun­gen durchzuführen. Der Kreis der bera­ten­den Pas­toren wuchs in den kom­menden Jahren auf bis zu 3000 Per­so­n­en an. Bis zur lan­desweit­en Legal­isierung von Abtrei­bung in den USA wür­den hun­dert­tausende Abtrei­bun­gen[34] am Gesetz vor­bei durch das Net­zw­erk einge­fädelt wer­den. Man muss sich keine Illu­sio­nen machen: was als ‘Beratungs­di­enst’ ver­mark­tet wurde war nicht mehr und nicht weniger ein inte­gri­ert­er Bestandteil der dama­li­gen Abtrei­bungslo­gis­tik. So liess sich das Net­zw­erk bedenken­los vom Porno-Imperi­um Play­boy mit­fi­nanzieren[35]. Gemäss Lawrence Lad­er ende­ten rund 95% der Beratung mit dem ver­mit­teln ein­er Abtrei­bung[36]. Diese Quote spricht für sich. Es ist eine trau­rige his­torische Real­ität: das möglicher­weise grösste koor­dinierte ille­gale Abtrei­bungsnet­zw­erk der Geschichte war ein Net­zw­erk von über­wiegend protes­tantis­chen Pastoren.

Dammbruch

1970 kommt es im Bun­desstaat New York zu einem ersten Damm­bruch. 3 Jahre vor dem Entscheid des Ober­sten Gericht­shofes wird Abtrei­bung über den leg­isla­tiv­en Weg in der US-Metro­pole legal­isiert[37]. Die ersten, die zur Stelle sind, um die indus­trielle Abtrei­bungs­maschiner­ie in New York anzuw­er­fen, sind die Pas­toren des ‘Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion’. Unmit­tel­bar nach Inkraft­treten des Geset­zes grün­den sie in New York die erste legale Abtrei­bungsklinik der USA.

Mit der Legal­isierung von Abtrei­bung in New York startet die Indus­trie durch: Abtrei­bun­gen meis­tens unter $250

Die Legal­isierung führte in New York zu einem wahren Ansturm. Gemäss ein­er Newsweek Reportage aus dem Jahre 1973 wur­den in innert 30 Monat­en unge­heure 540’245 Abtrei­bun­gen durchge­führt[38]. Das heisst rund alle zwei Minuten eine Abtrei­bung. Eine wahre Abschlach­tung men­schlichen Lebens. Im Newsweek Artikel beschreibt Autor Nick Thimmesch sichtlich schock­iert die explo­sion­sar­tig gewach­sene Abtrei­bungsin­dus­trie mit ein­er drastis­chen Reportage aus den Spitälern und Kliniken der Stadt. Es ist notwendig, sich einen Auszug aus dem Artikel zuzu­muten, weil es ein Bild der dama­li­gen Abtrei­bungsre­al­ität gibt jen­seits der ratio­nal­isierten, ide­al­isierten und poli­tisierten Argumente:

«Die Kul­tur der Abtrei­bung ist über uns gekom­men. In einem Oper­a­tionssaal kämpfen die Chirur­gen darum, das Leben eines 21 Wochen alten Babies zu ret­ten. Im Saal nebe­nan zer­stören die Chirur­gen durch Abtrei­bung ein 21 Wochen altes Baby… Pho­tos zeigen wie dieses men­schliche Leben abgetrieben, auf medi­zinis­che Gaze oder in Plas­tik-Abfall­säcke gewor­fen wird. Nimm dieses Leben durch Absaug-Tech­nik, und der Kör­p­er wird in Stücke geris­sen, ein Gemenge von Armen und Beinen. In ein­er D und C Abtrei­bung schnei­det ein Instru­ment den Kör­p­er in Stücke. Salz-Vergif­tung nach 19 Wochen? Die saline Lösung bren­nt die äusseren Schicht­en der Baby­haut hin­weg. Das ulti­ma­tive ist die Hys­tero­tomie (Kaiser­schnitt). Als Oper­a­tion kann es das Leben von Mut­ter und Kind ret­ten. Als Abtrei­bung tötet es das Kind. Oft kämpft dieses Baby um sein Leben, atmet, bewegt sich, schre­it sog­ar. Dies zu sehen, oder auch die Bilder von mit toten Babys gefüll­ten Abfall­säck­en zu sehen, nun, es pro­duziert Men­schen, welche an das Recht auf Leben glauben.»

In ihrem Buch «Sacred Work» beze­ich­net Autor Tom Davis – selb­st ordiniert­er Pfar­rer – die Tätigkeit der Abtrei­bung­sor­gan­i­sa­tion Planned Par­ent­hood und ihrer Helfer im Talar als ‘heilige Arbeit[39] – als zutief­st geistlich­es und moralisch vor­bildlich­es Han­deln. Im Vor­wort des gle­ichen Buch­es rühmt Rev­erend Carl­ton W. Veazey die Geschichte von Planned Par­ent­hood und ihrer kirch­lichen Helfer­shelfer als per­fek­tes Beispiel eines han­del­nden Glaubens und in ein­er Lin­ie mit den grossen Men­schen­rechts-Bewe­gun­gen unser­er Zeit[40]. Die Arbeit des Cler­gy Con­sul­ta­tion Ser­vice on Abor­tion sei ein ‘Akt der Barmherzigkeit’ gewe­sen, schreiben die Autoren eines Buch­es, welch­es die Geschichte der abtreiben­den Pas­toren nachze­ich­net[41].

Lib­erale Autoren präsen­tieren Abtrei­bung in ihren Büch­ern als ‘heilige Arbeit’ und als Erweis von Barmherzigkeit.

Wer sich zu Gemüte führt, wie die Real­ität in den Abtrei­bungskliniken der frühen 70er aus­sah, wird hof­fentlich das Nar­ra­tiv der barmherzi­gen Samarit­er im Talar hin­ter­fra­gen. Für Men­schen, welche wie ich in einem behüteten Umfeld gross­ge­wor­den sind, kön­nen die in diesem Artikel erläuterten Real­itäten erschreck­end sein. Umso wichtiger ist es zu ver­ste­hen, was die Moti­va­tion sowie die the­ol­o­gis­chen und ethis­chen Argu­mente dieser Pas­toren waren. In einem weit­eren Artikel werde ich genau dies versuchen.

Fazit

In den 60er Jahren des ver­gan­genen Jahrhun­derts kam es in den USA zum Schul­ter­schluss, zur fak­tis­chen ‘Heirat’ der Bewe­gung der sex­uellen Rev­o­lu­tion mit der fem­i­nis­tis­chen Bewe­gung und ein­er eher radikalen Aus­prä­gung des lib­eralen Protes­tantismus. Drei der Haupt­pro­tag­o­nis­ten hiessen Lad­er, Friedan und Moody. Ihr erstes gemein­sames ‘Kind’ war die poli­tis­che Durch­set­zung des Recht­es auf Tötung unge­bore­nen Lebens. Die Bewe­gung der sex­uellen Rev­o­lu­tion erhielt damit ihren let­zten fehlen­den Baustein – eine ‘Ver­sicherung’ welche unge­wollte, lebendi­ge Zeug­nisse sex­ueller Liebe bei­seiteschaf­fen kon­nte. Die fem­i­nis­tis­che Bewe­gung erhielt das, wonach sie sich sehnte: volle Kon­trolle über den eige­nen Kör­p­er, Autonomie als höch­stes Gut. Und was schaute für die lib­eralen Pas­toren her­aus? Nun, die kon­nten sich brüsten, an einem ‘Heili­gen Werk’ beteiligt zu sein und beka­men als willkommenes Neben­pro­dukt Anerken­nung und Einfluss.

Seit diesem ersten gemein­samen ‘Erfolg’ marschieren diese 3 Bewe­gun­gen weit­ge­hend im poli­tis­chen Gle­ich­schritt[42]. Wer sich informieren will, wie sich das heute aus­gestal­tet, muss kein poli­tis­ches Parteipro­gramm lesen. Es reicht völ­lig aus, sich einen Ein­druck zu ver­schaf­fen auf dem Web­por­tal von Moody’s Kirche, welche seine geistliche Vision weit­er­führt in Form von linkspoli­tis­chem Aktivis­mus und religiösem Synkretismus. Oder man kann sich informieren, wie sich im Zusam­men­hang mit den aktuell laufend­en Ver­fahren am Ober­sten Gericht­shof der USA wieder neue kirch­liche Net­zw­erke formieren, welche für das Recht auf Abtrei­bung ein­ste­hen möcht­en. Und was ist eigentlich aus Howard Moody gewor­den? Nun, der hat sich nach der gewon­nen Schlacht um die Abtrei­bung gle­ich dem näch­sten gesellschaft­spoli­tis­chen Anliegen gewid­met, der Legal­isierung von Pros­ti­tu­tion.[43]

Amt­seid von Biden, Jan­u­ar 2021

Wenn heute Präsi­dent Biden mit ein­er Hand auf die Bibel schwört und mit der anderen Hand die Geld­schleusen für die Abtrei­bungsin­dus­trie öffnet, dann hat das seine Hin­ter­gründe auch in den Ereignis­sen von damals. Dann han­delt Biden nicht nur unter dem ‘Segen‘ der Abtrei­bungsin­dus­trie, son­dern auch unter Zus­tim­mung ein­er the­ol­o­gis­chen Schule, welche die die Abtrei­bung­sprax­is stillschweigend toleriert, oft aber applaudiert.

Haben diese Her­ren und Damen nicht ihre Bibeln aufgemacht und gelesen?

Siehe, Kinder sind eine Gabe des HERRN, und Leibesfrucht ist ein Geschenk. (Psalm 127:3)

 

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Mein Gespräch zum The­ma mit Dr. Allan Carlson:



Die Serie im Überblick:

Abtrei­bung (1/5) – ein heiliges Werk?
Abtrei­bung (2/5) — eine Theologie
Abtrei­bung (3/5)– Predi­ger der Eugenik
Abtrei­bung 4/5 – Evan­ge­likale am Scheideweg
Abtrei­bung 5/5 – Wenn Umkehr Fortschritt bedeutet

Weit­ere Artikel zum Thema:
DNA (3/10): Lei­den­schaftlich für den Schutz des Lebens
Chester­ton und das Wun­der von England.

 


Fuss­noten:
[1] Vgl sein Buch: «The Mar­garet Sanger Sto­ry», 1955
[2] Geoge Grant, «Killer Angel», S69-75
[3] Zit­tiert aus Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S167, eigene Übersetzung
[4] Made­line Gray, «Mar­garet Sanger», 1979, S280
[5] Made­line Gray, «Mar­garet Sanger», 1979, S63
[6] Made­line Gray doku­men­tiert in ihrer Sanger Biografie unter anderem Affären mit dem Pio­nier der Sex­u­al­forschung Have­lock Ellis, dem bekan­nten Autoren H.G. Wells, oder dem Jour­nal­is­ten Wal­ter Roberts. Vgl, Made­line Gray, «Mar­garet Sanger», 1979
[7] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», x, eigene Übersetzung
[8] Bere­its im April 1965 hat­te sich Lad­er in einem umfan­gre­ichen Artikel in der New York Times ein erstes Mal zum The­ma Abtrei­bung geäussert.
[9] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», Buchum­schlag, eigene Übersetzung
[10] Vgl. Joel Best, «Damned Lies and Sta­tis­tics: Untan­gling Num­bers from the Media, Politi­cians, and Activists»
[11] Vgl. Joseph W. Del­lapen­na, «Dis­pelling the Myths of Abor­tion History»
[12] Hor­a­tio Robin­son Stor­er, «Why Not! A Book for Every Woman», 1865, S79, eigene Übersetzung
[13] Vgl. Joseph W. Del­lapen­na, Dis­pelling the Myths of Abor­tion History»
[14] Ein guter Artikel zur ide­ol­o­gis­chen Moti­va­tion von Cyril Means und sein­er manip­ulierten Geschichtss­chrei­bung kann hier nachge­le­sen wer­den: https://www.nationalreview.com/2012/12/fictional-abortion-history-justin-dyer/
[15] So wird das his­torische Nar­ra­tiv von Lad­er und Means 2008 in einem Buch ver­wen­det, um das Argu­ment von Franzis Schaf­fer zu entkräften, ein Land welch­es auf christlichen Werten gegrün­det sei, könne keine Abtrei­bung befür­worten. Vgl. Bar­ry Han­k­ins, «Fran­cis Scha­ef­fer and the Shap­ing of evan­gel­i­cal Amer­i­ca», S183
[16] Read­ers Digest, Mai 1966, S82-85 und 233–238
[17] Vgl. z.B. Play­boy, Sep­tem­ber 1970 mit dem aus­führlichen Artikel ‘The Abor­tion Revolution’
[18] Paul Ehrlich, «The Pop­u­la­tion Bomb»
[19] Friedan und Lad­er kan­nten sich bere­its seit den frühen 40er Jahren und hat­ten in späteren Jahren bei­de Zugang zum exk­lu­siv­en Autoren-Schreibz­im­mer der New York Pub­lic Library, wo bei­de an ihren jew­eili­gen Büch­ern arbeit­eten. Vgl. Sue Ellen Brow­der, «Sub­vert­ed», S48
[20] Bet­ty Friedan würde sich in späteren Jahren auch kri­tisch über die Dom­i­nanz Äussern, welche das The­ma Abtrei­bung in der Fem­i­nis­tis­chen Bewe­gung bekom­men hat. Vgl. Sue Ellen Brow­der, «Sub­vert­ed», S51
[21] Mit zu den Unterze­ich­n­ern gehörte auch Alan Guttmach­er von Planned Par­ent­hood und der The­ologe Joseph Fletch­er, Begrün­der der Situationsethik.
[22] Vgl. Dazu die Erläuterun­gen von Allan Carl­son zur kirch­lichen Strate­gie von Mar­garet Sanger. Allan Carl­son, «God­ly Seed», S79-112
[23] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S77
[24] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S93
[25] Aris­tole­les Unter­schied gemäss Lad­er in der men­schlichen Entwick­lung zwis­chen ‘veg­e­ta­tiv­er Seele’, ‘tierisch­er Seele’ und ‘ratio­naler Seele’. Vgl. Lawrence Lad­er, «Abor­tion»,  S77
[26] Vgl. Vgl. Joseph W. Del­lapen­na, «Dis­pelling the Myths of Abor­tion His­to­ry», S159
[27] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S80.
[28] Vgl Arthur Hertzberg, «Juden­tum», S????????
[29] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S98
[30] Nathanson/Ostling, «Abort­ing Amer­i­ca», S51
[31] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S102
[32] Lawrence Lad­er, «Abor­tion», S175, eigene Übersetzung
[33] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», S44
[34] Gemäss Wikipedia liegt die Zahl der ver­mit­tel­ten Abtrei­bun­gen bei min­destens 450’000.
[35] https://www.vice.com/en/article/wjjdkn/playboy-campaigned-for-abortion-rights-while-railing-against-women
[36] Lawrence Lad­er, «Abor­tion II», S42
[37] https://www.nytimes.com/2000/04/09/nyregion/70-abortion-law-new-york-said-yes-stunning-the-nation.html
[38] Newsweek mag­a­zine, 9. Juli 1973, «The abor­tion culture»
[39] Tom Davis, «Sacred Work», S6
[40] Tom Davis, «Sacred Work», ix
[41] Doris Andrea Dirks, Patri­cia A. Relf, «To Offer Com­pas­sion», 2019
[42] Natür­lich gibt es gewisse Gegen­be­we­gun­gen, ger­ade auch im Fem­i­nis­mus. So richtet sich beispiel­sweise die #MeToo-Bewe­gung gegen die sex­uelle Beläs­ti­gung von Frauen, und aus fem­i­nis­tis­chen Kreisen kommt auch Wider­stand gegen den Mis­brauch von Frauen durch Porno- und Sexin­dus­trie. Eine Grund­sät­zliche Kri­tik an den Errun­gen­schaften der Sex­uellen Rev­o­lu­tion inklu­sive Abtrei­bung bleibt aber aus.
[43] Ver­gle­iche dazu das Buch von Howard Moody: «Work­ing Women», 1985

Über den Kanal

Peter Bruderer

Peter Bruderer, Jahrgang 1974, als Kind von Missionaren in Afrika aufgewachsen, seit 1986 in der Schweiz. 1998 war Peter Gründungsmitglied der erwecklichen 'Godi'-Jugendarbeit in Frauenfeld, welche er bis 2013 prägte. Heute arbeitet er als Projektleiter im kirchlichen und gemeinnützigen Bereich. Ein zweites Standbein ist die Arbeit als Architekt. Peter lebt mit seiner Familie in Frauenfeld, Schweiz.

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Kommentare zu diesen Beitrag

4 Comments

  1. Viktor Pfister

    “Du sollst nicht töten.” Damit sind wir offen­sichtlich über­fordert. Damit kom­men wir nicht klar. Was wir auch immer für Argu­mente, Gründe, plau­si­ble Erk­lärun­gen und “Legit­i­ma­tio­nen” find­en, machen wir uns schuldig. Töten sollen wir ein­fach nicht.

    Reply
    • Paul Bruderer

      Danke Vik­tor, dass du Worte find­est. Ich weiss noch kaum, wie reagieren auf die Funde meines Brud­ers. Ich bin wie erstar­rt! Und frage mich, wo wir heute vielle­icht auch in kirch­lichen, geistlichen Kreisen, Dinge unter­stützen oder pro-aktiv fördern, die im Nach­hinein als etwas Ähn­lich­es wer­den gese­hen werden.

      Reply
      • Viktor Pfister

        Lieber Paul
        im Moment denke ich, dass wir gar nie unschuldig davonkom­men wer­den. Ich glaube, wir wer­den immer wieder in Sit­u­a­tio­nen kom­men, in denen wir abso­lut über­fordert sind und nur die Wahl zwis­chen “uner­wün­schter” und “uner­wün­schter Lösung” haben. Ich denke zum Beispiel an die noch rel­a­tiv ein­fache Sit­u­a­tion, wenn ein Arzt während der Geburt entschei­den muss, ob er das Leben des Kindes oder der Mut­ter ret­tet, weil son­st bei­de ster­ben wür­den. In erster Lin­ie — glaube ich — zeigt uns das Gebot, dass wir nicht töten sollen, wie abso­lut über­fordert wir Men­schen sind. Wir haben nicht die Macht, mit diesem The­ma umge­hen zu kön­nen. Wir sind auf Gottes Verge­bung und Gnade angewiesen und dür­fen auch auf sie zählen und sie annehmen. Zweit­ens — glaube ich — sollen wir das Töten aber wirk­lich nicht fördern, forcieren, wil­lentlich aus­führen — schon gar nicht noch einen Markt daraus machen (da kommt dann auch noch die Gier nach Macht und Prof­it ins Blickfeld).

        Reply

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