Holy Bible? (6/6) — Gibt es eine Lösung des Konflikts?

Lesezeit: 16 Minuten
Lesezeit: 16 Minuten

by Roland Hardmeier | 13. Jun. 2021 | 7 comments

In den ersten 5 Teilen habe ich Geschichte und Grund­la­gen des evan­ge­likalen Schriftver­ständ­niss­es und der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft dargestellt. Wir haben gese­hen, dass es sich um einen lan­gen Kon­flikt han­delt, der bis zur Ref­or­ma­tion zurück­ge­ht. Abschliessend wage ich den Ver­such ein­er Ver­ständi­gung. Gibt es Brück­en des Ver­ständ­niss­es zwis­chen bei­den Ausle­gungstra­di­tio­nen? Schliessen sie sich gegen­seit­ig aus? Welch­es sind die Chan­cen, wo liegen die Gefahren?

Wir haben in Teil 1 gese­hen, dass es bere­its im 19. Jahrhun­dert zu Kon­flik­ten zwis­chen the­ol­o­gisch kon­ser­v­a­tiv­en Kräften und der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft kam. Dabei ent­stand immer wieder der Ein­druck, es han­dle sich um eine Auseinan­der­set­zung zwis­chen Wis­senschaftlichkeit auf der einen und Leicht­gläu­bigkeit auf der anderen Seite. Auch heute noch hält sich diese Betra­ch­tungsweise. Den einen sei die Ver­nun­ft und die Wis­senschaft wichtig (den Vertretern der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft), den anderen ein naiv­er Glaube (den Evan­ge­likalen). Dieses Nar­ra­tiv ist falsch.

Wissenschaft und Glauben

Wis­senschaft und Glauben sollte man nicht undif­feren­ziert miteinan­der ver­gle­ichen. Wenn man das evan­ge­likale Schriftver­ständ­nis mit der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft ver­gle­icht, ste­hen sich nicht Wis­senschaft und Glaube gegenüber. Es geht vielmehr um zwei weltan­schaulich konkur­ri­erende Konzepte, mit je eige­nen Voraus­set­zun­gen und eigen­er Berech­ti­gung. Die mod­erne Bibel­wis­senschaft fordert, dass die Bibel im Ein­vernehmen mit der Ver­nun­ft aus­gelegt wird. Viele überse­hen, dass damit kein rein wis­senschaftlich­er Anspruch erhoben wird. Wenn die Ver­nun­ft Massstab der Ausle­gung sein soll, wird für dieses Vorge­hen eine weltan­schauliche Glauben­saus­sage gel­tend gemacht. Was ist eine «weltan­schauliche Glaubensaussage»?

Wir haben uns in Teil 3 mit dem Auf­satz «Über his­torische und dog­ma­tis­che Meth­ode in der The­olo­gie» von Ernst Troeltsch befasst. In diesem Auf­satz räumte Troeltsch ein, dass die his­torisch-kri­tis­che Meth­ode «aus der meta­ph­ysis­chen Annahme eines Gesamtzusam­men­hangs des Uni­ver­sums» her­vorge­ht.[1] Es lohnt sich, diese anspruchsvolle Aus­sage näher zu prüfen. Troeltsch sagt, dass alles Geschehen in der Welt rein imma­nente (inner­weltliche) Ursachen hat. Es gibt kein göt­tlich­es Ein­greifen von aussen in die men­schliche Geschichte. Nach Troeltsch ist diese Sicht eine «meta­phyis­che Annahme». Eine meta­ph­ysis­che Annahme aber ist nichts anderes als ein Glaube! Es han­delt sich, wie der Aus­druck besagt, um eine Annahme, die über (meta) den physis­chen (mit den Mit­teln der Ver­nun­ft oder der Sinne) wahrnehm­baren Din­gen steht.

Einen Glauben oder eine Annahme kann man nicht wis­senschaftlich beweisen. Es geht deshalb, wenn man das evan­ge­likale Schriftver­ständ­nis mit der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft ver­gle­icht, nicht um Glauben ein­er­seits und Wis­senschaft ander­seits. Vielmehr ste­hen sich Glaube und Glaube im Sinne von zwei Weltan­schau­un­gen gegenüber. Es geht um den Glauben, dass Gott ist und dass er zum Heil der Welt in den Ver­lauf der Geschichte ein­wirkt ein­er­seits (im evan­ge­likalen Schriftver­ständ­nis), und den Glauben, dass dieses Ein­wirken nicht möglich ist ander­seits (in der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft wie sie Troeltsch dar­legte). In bei­den Fällen han­delt es sich um Annah­men, die über den physisch erfass­baren Din­gen liegen und damit um Glaubensdinge.

Es müsste in der Diskus­sion um das rechte Schriftver­ständ­nis klar­er dargelegt wer­den, dass hier zwei Glaubenssys­teme aufeinan­der­prallen. Die mod­erne Bibel­wis­senschaft müsste darauf hin­weisen, dass ihre Ansicht­en vor­läu­fig sind. Stattdessen wer­den viel zu oft Annah­men als Gewis­sheit­en verkauft. Wenn man beispiel­sweise davon aus­ge­ht, dass Jesus nicht von den Toten aufer­standen sein kann, wird eine weltan­schauliche Glauben­saus­sage gemacht (es ist nicht möglich, dass jemand von den Toten aufer­ste­ht). Das ist zwar vernün­ftig nachvol­lziehbar, aber nicht sehr wis­senschaftlich. Denn aus­geschlossen ist es nicht. Wenn man mit solchen Grund­vo­raus­set­zun­gen die Bibel inter­pretiert, schliesst man Gottes Wirken zum Vorn­here­in aus. Die Meth­o­d­en der Ausle­gung sind dann wie ein Zug, der den Ausleger in eine ganz bes­timmte Rich­tung mit­nimmt. Es nützt nichts, wenn man in einen falschen Zug ein­steigt und dann im Gang ent­ge­gen der Fahrtrich­tung läuft, um das berühmte Dik­tum von Diet­rich Bon­ho­ef­fer zu gebrauchen.

Die Span­nung zwis­chen Ver­nun­ft und Offen­barung, die seit der Ref­or­ma­tion The­olo­gen und Denker beschäftigt, bleibt ein ungelöstes Prob­lem. Religiöse Offen­barung und dog­ma­tis­che Glaubenssätze entziehen sich dem vernün­ftig Fass­baren. Erfahrun­gen und Überzeu­gun­gen lassen sich ratio­nal nun mal nicht nach­weisen, weshalb Glauben­sätze mit vernün­fti­gen Mit­teln wed­er beweis­bar noch zu wider­legen sind. Das gilt sowohl für den Glaubenssatz «Jesus ist aufer­standen» als auch den Satz «Es gibt keine Wunder».

Zweifel oder Grundvertrauen

Es gibt keine voraus­set­zungs­freie Wis­senschaft! Der viren­freie Raum, in dem der Bibelausleger mit der Bibel und nichts als der Bibel oder nur mit seinen wis­senschaftlichen Grund­sätzen am Tisch sitzt, gehört in den Bere­ich der Märchen. Das führt dazu, dass sich bei der Schrif­tausle­gung darüber Rechen­schaft zu geben ist, mit welchen Voraus­set­zun­gen man die Bibel liest. Aus­gangspunkt der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft ist der wis­senschaftliche Zweifel am Bibel­text, während es in der evan­ge­likalen Schrif­tausle­gung das Grund­ver­trauen in die Bibel als Gotteswort ist. Die Bibel mit den Augen des Glaubens zu lesen ist in kein­er Weise unwis­senschaftlich­er als sie mit Zweifel zu lesen. Was Hel­muth Egelkraut für das Alte Tes­ta­ment sagt, gilt für die gesamte Bibel:

«Beim Umgang mit dem Alten Tes­ta­ment gehen wir von gewis­sen in der Bibel selb­st ver­ankerten Vor­gaben aus, u.a. der, dass das Alte Tes­ta­ment Gottes Wort ist. Wir begeg­nen ihm deshalb nicht mit Skep­sis, son­dern mit Grund­ver­trauen und in dem Wis­sen, dass uns in ihm Gottes Weg zum Glauben und Leben gewiesen ist.»[2]

Mit seinem ver­trauensvollen Lesen der Bibel schliesst sich das evan­ge­likale Schriftver­ständ­nis an die altkirch­liche und refor­ma­torische Bibelausle­gung an. Vom Kirchen­vater Augusti­nus ist der Satz «Wir glauben, damit wir erken­nen, wir erken­nen nicht, damit wir glauben» über­liefert. Er trägt dem Umstand Rech­nung, dass die Bibel beansprucht, Gottes Wort zu sein und dass man Gott nur im Glauben richtig begeg­nen kann (Hebr 11,6). Wenn die Bibel Anrede Gottes an uns ist, kann es einen frucht­baren Umgang mit der Bibel nur geben, wenn man sie nicht mit kri­tis­ch­er Dis­tanz, son­dern ver­trauensvoll liest. Darauf haben schon die Refor­ma­toren hingewiesen. Nach Luther müssen einem beim Lesen der Heili­gen Schrift «Sinn und Ver­stand stracks verza­gen», weil man sie nur mit «rechter Demut und Ernst zu Gott» und durch die Hil­fe des Heili­gen Geistes recht ver­ste­hen kann:

«Erstlich sollst du wis­sen, dass die Heilige Schrift ein solch­es Buch ist, das aller andern Büch­er Weisheit zu Nar­rheit macht, weil keines vom ewigen Leben lehrt als dies allein. Darum sollst du an deinem Sinn und Ver­stand stracks verza­gen. Denn damit wirst du es nicht erlan­gen, son­dern mit solch­er Ver­messen­heit dich selb­st und andere mit dir stürzen vom Him­mel (wie es Lucifer geschah) in den Abgrund der Hölle. Son­dern kniee nieder in deinem Käm­mer­lein und bitte mit rechter Demut und Ernst zu Gott, dass er dir durch seinen lieben Sohn wolle seinen heili­gen Geist geben, der dich erleuchte, leite und Ver­stand gebe.»[3]

Luther ist das beste Beispiel, dass das ver­trauensvolle Lesen der Bibel nicht im Gegen­satz zum his­torischen Erforschen der Schrift ste­ht. Für Luther war klar, dass der men­schliche Ver­stand nicht in der Lage ist, göt­tliche Dinge zu erfassen. Der Bibelleser braucht den Heili­gen Geist, der den Ver­stand erleuchtet. Entschei­dend für Luther war, dass sich die Schrift selb­st auslegt. Luther griff die Autorität der katholis­chen Kirche frontal an und berief sich dabei auf die Schrift. In sein­er Abhand­lung «Asser­tio omni­um artic­u­lo­rum» von 1520 stellte er sich der Frage, aus welch­er Autorität her­aus er Kirche und Papst anzweifelte. Seine Antwort:

«Sag mir, wenn du kannst, durch welch­es Urteil eine Frage abschliessend beant­wortet wer­den kann, wenn die Aussprüche der Väter einan­der wider­stre­it­en? Man muss näm­lich hier mit der Schrift als Richter ein Urteil fällen, was [aber] nicht geschehen kann, wenn wir nicht der Schrift in allen Din­gen, die den Vätern beigelegt wer­den, den ersten Rang ein­räu­men. Das heisst, dass sie sel­ber durch sich selb­st ganz gewiss ist (ut sit ipsa per sese cer­tis­si­ma), ganz leicht zugänglich (facil­li­ma), ganz leicht ver­ständlich (aper­tis­si­ma), ihr eigen­er Ausleger (sui ipsius inter­pres), alles von allen prüfend, rich­t­end und erleuch­t­end (omni­um omnia probans, iudi­cans et illu­mi­nans).»[4]

Mit der berühmten For­mulierung, dass die Heilige Schrift ihr eigen­er Ausleger ist («sui ipsius inter­pres»), war das protes­tantis­che Schrift­prinzip geboren. Weil die Schrift gewiss und aus sich selb­st klar ist, kann man ihr nach Luther ver­trauen. Das Zeital­ter der Aufk­lärung zer­störte dieses Ver­trauen. Der wis­senschaftliche Zweifel verun­möglichte es, sich die Bibel als Gottes Wort geben zu lassen. Dadurch schuf man eine Dis­tanz zwis­chen Schrift und Leser, so dass das leicht Ver­ständliche und in sich selb­st Gewisse der Schrift ver­loreng­ing. Die Berech­ti­gung des evan­ge­likalen Schriftver­ständ­niss­es liegt wesentlich darin, dass sie sich an das ver­trauensvolle Lesen der Schrift anschliesst, wie die Refor­ma­toren es forderten und praktizierten.

Einzelergebnisse und Gesamtanspruch

Es gibt «die» his­torisch-kri­tis­che Meth­ode nicht. Sie stellt einen Appa­rat zur Ver­fü­gung, dem unter­schiedliche Voraus­set­zun­gen zugrunde liegen. Deshalb muss zwis­chen Einzel­ergeb­nis­sen der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft und ihrem Gesam­tanspruch unter­schieden wer­den. Einzelne Arbeitsmeth­o­d­en der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft sind im Rah­men eines evan­ge­likalen Schriftver­ständ­niss­es anwend­bar und in manchen Fällen gar unab­d­ing­bar. Wenn sie mit Augen­mass angewen­det wer­den, leis­ten sie wertvolle Hil­fen zum Ver­ständ­nis von bib­lis­chen Tex­ten. Geht es um den Gesam­tanspruch der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft ein­er­seits und das evan­ge­likale Schriftver­ständ­nis ander­seits, sind die Dif­feren­zen nach meinem Ver­ständ­nis kaum überbrückbar.

Für die Evan­ge­likalen ist die Bibel Offen­barungszeug­nis des lebendi­gen Gottes, für die mod­erne Bibel­wis­senschaft ist sie das Resul­tat allmäh­lich­er Reli­gion­sen­twick­lung. Der Gesam­tanspruch des kri­tis­chen Arbeit­ens an der Bibel lässt im besten Fall ein deis­tis­ches Welt­bild zu (es gibt einen Gott, aber er greift nicht in die Geschichte ein), so wie es in der Frühaufk­lärung der Fall war, als man einen Aus­gle­ich zwis­chen Ver­nun­ft und Offen­barung suchte. Die Exis­tenz Gottes wird voraus­ge­set­zt oder geduldet, aber Gott schei­det als Kausalur­sache (ursäch­lich­er Grund) aus, weil er nicht in den Ver­lauf der Geschichte eingreift.

In ihrer rein­sten Form ist die mod­erne Bibel­wis­senschaft die Sys­tem­a­tisierung des Unglaubens. Es gibt keine absolute Wahrheit und Gott ist eine Pro­jek­tion men­schlich­er Vorstel­lun­gen und Wün­sche. Die bib­lis­chen Texte sind eine Mis­chung aus Leg­en­den, Fehlein­schätzun­gen und absichtlich­er Geschichtsver­fälschung. Bei­de Spielarten schaf­fen eine Dis­tanz zwis­chen dem Bibel­text und dem Leser, weil die Bibel nicht als Anrede Gottes gele­sen, son­dern wie ein Gegen­stand unter­sucht wird.

Trotz­dem ist die mod­erne Bibel­wis­senschaft nicht grund­sät­zlich abzulehnen. Es gibt Vertreter, die sich die Bibel als Wort Gottes geben lassen. Zu ihnen gehört Peter Stuhlmach­er. Er ist ein­er der weni­gen, der den steini­gen Mit­tel­weg zwis­chen evan­ge­likalem Schriftver­ständ­nis und mod­ern­er Bibel­wis­senschaft beschrit­ten hat und dafür von bei­den Seit­en ange­fein­det (aber auch respek­tiert) wurde. Ich teile nicht alle Ein­sicht­en von Stuhlmach­er, aber ich bin dankbar für seinen Ver­such, die Ver­nun­ft als gute Gabe des Schöpfers in die Ausle­gung einzubrin­gen, und die Bibel gle­ichzeit­ig ver­trauensvoll zu lesen. Es lohnt sich, in einige Aus­sagen von Stuhlmach­er hineinzuhören, auch wenn der Inhalt eher anspruchsvoll ist:

Stuhlmach­er fordert, sich der his­torischen Meth­ode «in allem Ernst und mit aller Nüchtern­heit zu bedi­enen».[5] Er nen­nt aber auch die Voraus­set­zun­gen, unter denen diese Indi­en­st­nahme frucht­bar sein kann: Die bib­lis­chen Texte kön­nen dann angemessen aus­gelegt wer­den, wenn man sich ihnen unbe­fan­gen nähert und sich das Evan­geli­um von der Schrift vorgeben lässt:

«Die Bibel ist mehr als eine his­torische Quel­len­samm­lung; sie ist der Kanon, den sich die Kirche aus Gehor­sam gegenüber dem Evan­geli­um gegeben hat und aus dem her­aus sie bis heute die Stimme Gottes und seines Chris­tus vern­immt. Die gesamtkirch­liche und indi­vidu­elle Glaubenser­fahrung, dass sich Gott in eigen­er Autorität durch das bib­lis­che Zeug­nis vernehmen lässt, gibt der Bibel ihre aller wis­senschaftlichen Exegese voraus­liegende und tran­szendierende kirch­liche Autorität. Bib­lis­che Schrif­tausle­gung hat der Bibel in diesem ihrem Wahrheitsvor­sprung zu dienen … Die Bibel ist ein Buch der Geschichte. Jedes ihrer Einzel­büch­er ist in bes­timmter his­torisch­er Sit­u­a­tion von Men­schen für Men­schen ver­fasst. Darum wird man der Bibel am besten gerecht, wenn die Schrif­tausle­gung diesen his­torischen Charak­ter der Schrift ausar­beit­et und in ihm das alle Zeit­en über­holende Gotteszeug­nis vernehm­bar macht.»[6]

Stuhlmach­er spricht sich dafür aus, dass der Ausleger bere­it ist, auf das zu hören, was die Texte von sich aus sagen wollen:

«Man kann dies nur dann ver­suchen, wenn man wil­lens ist, die Rolle des Kri­tik­ers, der stets das let­zte und entschei­dende Wort behal­ten will, zu ver­tauschen mit dem Part dessen, der zu hören bere­it ist, was die Texte aus sich selb­st her­aus zu sagen haben. Bib­lis­che Hermeneu­tik kann nicht Emanzi­pa­tion von der Schrift, son­dern nur Eröff­nung eines Gesprächs mit der Bibel sein wollen, und zwar eines Gespräch­es, in dem der Ein­satz darin beste­ht, zu vernehmen und ver­ant­wortlich zu erwä­gen, was von den Tex­ten gesagt wird.»[7]

Das Ziel eines solchen Umgangs mit der Bibel geht über die wis­senschaftliche Analyse hin­aus. Es beste­ht let­ztlich in Gehor­sam und Gotteslob:

«Die Texte laden uns ein, in den Lobpreis des einen einzi­gen Gottes einzus­tim­men, der als Schöpfer der Welt der Gott ist, der Israel zu seinem Eigen­tumsvolk erwählt hat, und sie geben uns im Kern das Evan­geli­um von Jesus als dem Chris­tus dieses Gottes vor. Die Ausle­gung der Bibel kommt dort zum Ziel, wo das Evan­geli­um gehor­sam nach-gedacht und die Ein­ladung zum Gottes­lob angenom­men wird, d.h. in der Ver­ständi­gung mit den Tex­ten über den Glauben.»[8]

Stuhlmach­ers Beispiel zeigt, dass es möglich ist, das ver­trauensvolle Lesen der Bibel mit intellek­tueller Redlichkeit und der Anwen­dung his­torisch­er Meth­o­d­en zu verbinden, so dass der Bibel­text sagen kann, was er will. Wenn es gelingt, die bib­lis­chen Texte für sich sprechen zu lassen und ihnen mit Ver­trauen zu begeg­nen, kön­nen einzelne Arbeitss­chritte der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft erhe­blich zum Textver­ständ­nis beitra­gen und die Ausle­gung bereichern.

Inspiration und Offenbarung

Abschliessend müssen wir uns mit den The­men Inspi­ra­tion und Offen­barung befassen. In der Auseinan­der­set­zung zwis­chen evan­ge­likalem Schriftver­ständ­nis und his­torisch-kri­tis­ch­er Ausle­gung fällt die Debat­te immer wieder auf die Frage der Inspi­ra­tion zurück.

Die Inspi­ra­tion wirkt wie eine Wasser­schei­de. Wer sie bejaht, begeg­net der Bibel mit Ver­trauen. Er nimmt sie als Heilige Schrift wahr und hört in ihr Gottes Wort. Wer den Inspi­ra­tions­gedanken ablehnt, erblickt in der Bibel ein religiös­es Buch wie viele andere. Die Bibel ist für ihn nicht Gottes Wort, son­dern Aus­druck der men­schlichen Suche nach dem Heili­gen. Der Unter­schied zwis­chen bei­den Lesarten ist von entschei­den­der Trag­weite. Wir müssen, um die Frage der Inspi­ra­tion zu klären, nach dem Wesenskern der Bibel fra­gen. Ich beschränke mich auf drei wesentliche Fra­gen:

Erstens ist zu fra­gen, welche Punk­te hin­sichtlich der Inspi­ra­tion zwis­chen evan­ge­likalem Schriftver­ständ­nis und mod­ern­er Bibel­wis­senschaft strit­tig sind. Für evan­ge­likale Chris­ten wie mich ist die Bibel inspiri­ertes Gotteswort, das uns als verbindliche Weisung gegeben ist. Nach unserem evan­ge­likalen Ver­ständ­nis bedeutet die Lehre von der Inspi­ra­tion, dass die Bibel Anteil hat am Wesen und an der Wahrhaftigkeit Gottes, weil es das Wort ist, das von ihm aus­ge­ht. Die mod­erne Bibel­wis­senschaft bestre­it­et diese Wesen­sein­heit aus weltan­schaulichen Grün­den. Mod­er­ate Vertreter wie Siegfried Zim­mer sprechen zwar von Inspi­ra­tion, aber nicht von ein­er Wesensverbindung zwis­chen Gott und seinem Wort. Zim­mer erklärt:

«Es ist näm­lich ein ganz bes­timmter Punkt, an dem in der Chris­ten­heit die Wege auseinan­derge­hen. Und diesen Punkt müssen wir genau lokalisieren und genau ver­ste­hen. Die entschei­dende Frage, die ein Teil der Chris­ten­heit mit Ja beant­wortet und der andere Teil der Chris­ten­heit mit Nein, diese Frage lautet: Fol­gt aus der Wirkung­sein­heit zwis­chen Gott und der Bibel, dass die Bibel sel­ber göt­tliche Eigen­schaften hat? Das ist die entschei­dende Frage … Hat die Bibel Anteil an Gottes Abso­lutheit und Vol­lkom­men­heit? Darauf antwortet ein Teil der Chris­ten­heit in allen Kirchen und in allen Kon­fes­sio­nen mit einem ganz klaren Nein … Ein ander­er Teil der Chris­ten­heit in allen Kirchen und Kon­fes­sio­nen antwortet darauf mit einem ganz klaren Ja.»[9]

Zim­mer spricht von ein­er «Wirkung­sein­heit» zwis­chen Gott und der Bibel. Die Bibel sei das haupt­säch­liche Werkzeug, durch das Gott zu uns spreche. Trotz­dem beste­he insofern eine «kat­e­go­ri­ale Unter­schei­dung» zwis­chen Gott und seinem Wort, als die Bibel keinen Anteil an Wesen und Vol­lkom­men­heit Gottes habe. Nach Zim­mer gibt es zwis­chen der Bibel und Gott eine Wirkung­sein­heit, aber keine Wesen­sein­heit. Für den kri­tis­chen Umgang mit der Bibel sei diese Unter­schei­dung wesentlich:

«Die kat­e­go­ri­ale Unter­schei­dung zwis­chen Gott und der Bibel schafft den Raum und die Frei­heit zur wis­senschaftlichen Erforschung der Bibel. Ohne eine solche Unter­schei­dung ist der wis­senschaftliche Umgang mit der Bibel, wie er an den Uni­ver­sitäten prak­tiziert wird, nicht möglich.»[10]

Zim­mers mod­er­at kri­tis­ch­er Zugang lässt in Heils­din­gen Raum für den Gedanken der Inspi­ra­tion. Bei kon­se­quenter Anwen­dung der his­torisch-kri­tis­chen Arbeitsmeth­o­d­en hinge­gen schei­det der Gedanke der Inspi­ra­tion aus. Die bib­lis­chen Texte wer­den der Kri­tik der Ver­nun­ft unter­wor­fen. Was nicht vernün­ftig erk­lär­bar ist, gilt als phan­tasievolle Schöp­fung, Mythos oder Irrtum. Das Geheim­nis des Glaubens wird ratio­nal­is­tisch wegerklärt.

Es han­delt sich beim Stre­it um die Inspi­ra­tion um unter­schiedliche Gewich­tun­gen, hin­ter denen je eine Weltan­schau­ung ste­ht. Die mod­erne Bibel­wis­senschaft betont stärk­er die men­schliche Seite der Bibel und damit ihre Irrtums­fähigkeit. Für Evan­ge­likale über­wiegt die göt­tliche Seite und damit ihre Verlässlichkeit.

Gotteswort oder Menschenwort

Zweit­ens gilt es zu fra­gen, ob die gesamte Bibel Gottes Wort ist oder ob Teile davon als Men­schen­wort kri­tisch rel­a­tiviert wer­den müssen. Es geht um die entschei­dende und seit dem 18. Jahrhun­dert strit­tige Frage, ob «Heilige Schrift» und «Wort Gottes» in eins geset­zt wer­den kön­nen oder nicht. Die entsprechende Diskus­sion kann bis auf Luther und die Ref­or­ma­tion zurück­ge­führt werden.

Für Luther waren die Worte der Bibel vom Heili­gen Geist erzeugte Worte, die Kraft und Klarheit haben. Eine aus­ge­bildete Inspi­ra­tionslehre find­et sich in Luthers umfan­gre­ichem Schriftwerk nicht. Trotz sein­er Hochschätzung der Bibel waren für ihn Bibel­wort und Gotteswort nicht völ­lig iden­tisch. Wie wir in Teil 4 fest­gestellt haben, war für Luther entschei­dend was «Chris­tum trei­bet». Schriften oder Teile der Bibel, die sein­er Auf­fas­sung nach nicht auf Chris­tus und seine freimachende Gnade hin­wiesen, mass Luther gerin­gere Bedeu­tung bei als etwa dem Römer­brief oder dem Johan­ne­se­van­geli­um. Gotteswort war für ihn nicht ein­fach die Bibel an sich, son­dern das Wort, das Chris­tum trei­bet und durch Gottes Geist am Hör­er wirkt.

In Luthers Prinzip von der Mitte der Schrift ist ein kri­tis­ch­er Mech­a­nis­mus angelegt, den die Vertreter der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft unter Beru­fung auf Luther gerne bedi­enen. Bei Luther hat­te er noch keine neg­a­tiv­en Auswirkun­gen auf den Umgang mit der Bibel, weil Luther keinen aufk­lärerischen Zweifel an der Schrift kannte.

Nach der Ref­or­ma­tion wur­den in der Ortho­dox­ie und im Calvin­is­mus das Ver­hält­nis zwis­chen Wort Gottes und Schrift dahinge­hend präzisiert, dass Schrift und Offen­barung gle­ichge­set­zt wur­den. Diese Gle­ich­set­zung wurde mit ein­er voll aus­ge­bilde­ten Ver­balin­spi­ra­tion dog­ma­tisch abgesichert. Heilige Schrift und Wort Gottes wur­den jet­zt als von Gottes Geist gewirk­te Ein­heit begrif­f­en. So lautet der erste Satz des Zweit­en Hel­vetis­chen Glaubens­beken­nt­niss­es von 1566:

«Wir glauben und beken­nen, dass die kanon­is­chen Schriften der heili­gen Propheten und Apos­tel bei­der Tes­ta­mente das wahre Wort Gottes sind, und dass sie aus sich selb­st her­aus Kraft und Grund genug haben, ohne der Bestä­ti­gung durch Men­schen zu bedürfen.»

Die grosse Wende in der Frage nach dem Wesenskern der Bibel wurde im aus­ge­hen­den 18. Jahrhun­dert ein­geleit­et. Mit der aufk­om­menden Bibelkri­tik wurde die Ein­heit von Wort Gottes und Schrift sys­tem­a­tisch bestrit­ten. Johann Salo­mo Sem­ler führte 1771 in sein­er «Abhand­lung von freier Unter­suchung des Canon» die Unter­schei­dung von Wort Gottes und Heiliger Schrift ein und berief sich dabei auf Luther. Sein berühmter Satz «Heilige Schrift und Wort Gottes ist gar sehr zu unter­schei­den» wurde zum kri­tis­chen Pro­gramm, das bis heute nach­wirkt. Nach Sem­lers Auf­fas­sung gehören alttes­ta­mentliche Büch­er wie Rut, Ester oder Hohes­lied zur Heili­gen Schrift, aber nicht zum Wort Gottes, weil sie die Men­schen nicht «weise machen zur Seligkeit» und nicht der moralis­chen Besserung der Men­schen dien­ten.[11] Die mod­erne Bibel­wis­senschaft fol­gt in dieser Hin­sicht ganz Sem­lers Spuren.

Mit Sem­lers kat­e­go­ri­alen Unter­schei­dung ist der Offen­barungs­ge­halt der Bibel in Frage gestellt. Wenn man wie Sem­ler Heilige Schrift und Wort Gottes voneinan­der unter­schei­det, muss man von eingeschränk­ter Offen­barung reden. Man muss dann Luthers Impuls fol­gen und kri­tisch nach der Mitte der Schrift suchen. Was das Offen­barungs­geschehen im Neuen Tes­ta­ment bet­rifft, muss man zwis­chen Jesus ein­er­seits und den neutes­ta­mentlichen Schriften ander­seits unter­schei­den. Der his­torische Jesus ist der Höhep­unkt der Offen­barung Gottes in Per­son. Die neutes­ta­mentlichen Schriften sind dieser Höhep­unkt selb­st nicht, son­dern dienen der Erin­nerung an Jesus. Je nach dem kön­nen einzelne Schriften dieser Erin­nerung bess­er oder weniger gut dienen und entsprechend diesem Kri­teri­um sind sie wie im Falle des Jakobus­briefs für Luther dann «stro­h­erne Epis­teln». Fol­gt man dieser Lin­ie kann von der Heili­gen Schrift nicht uneingeschränkt als «Wort Gottes» die Rede sein.

Die Schwierigkeit­en, die sich aus diesem Stand­punkt für den Glauben ergeben, sind offen­sichtlich. Wir ken­nen Jesus gar nicht anders als durch die neutes­ta­mentlichen Schriften. Der Satz «Ich glaube nicht an die Bibel, ich glaube an Jesus» führt sich selb­st ad absur­dum. Er ist nur in einem sehr eingeschränk­ten Sinn richtig, näm­lich in dem Sinn, dass Chris­ten an Gott glauben, nicht an die Bibel. Man kann «der» Bibel glauben (Joh 2,22; Lk 24,35; Apg 24,4), aber nicht «an» die Bibel, denn der Gegen­stand des Glaubens ist allein Gott. Trotz­dem ist der Satz nicht zielführend, weil wir gar nicht anders als «durch» die Bibel an ihn glauben kön­nen. Wir haben ganz ein­fach keine anderen Quellen (auss­er ein­er hand­voll ausser­bib­lis­chen Tex­ten, die Jesu Exis­tenz als his­torische Per­son bestäti­gen), die uns mit Jesus bekan­nt­machen. Die Evan­ge­likalen haben sich darum stets auf den Stand­punkt gestellt, dass Chris­tus und das Neue Tes­ta­ment eins sind. Ohne diese Ein­heit ist der Grundbe­stand des Glaubens gefährdet und die Rede von der Autorität der Heili­gen Schrift nicht halt­bar, so dass let­ztlich alles rel­a­tiv wird. Nach evan­ge­likalem Ver­ständ­nis ist die gesamte Bibel Gottes Wort. Die mas­siv­en Fehlleis­tun­gen der mod­er­nen Bibel­wis­senschaft (ein Aus­druck, den Stuhlmach­er ver­wen­det) sind der fehler­haften Unter­schei­dung von Heiliger Schrift und Wort Gottes geschuldet.

Wort Gottes und Offenbarung

Drit­tens ist zu fra­gen, was wir genau meinen, wenn wir davon sprechen, dass die Bibel Gottes Offen­barung ist. Die Begriffe «Wort Gottes» und «Offen­barung» sind in Bezug zueinan­der zu set­zen. Aus­gangspunkt ist der Glaube, dass der his­torische Jesus die entschei­dende Offen­barung Gottes ist. Im Kern geht es um die Frage, ob die Schriften des Neuen Tes­ta­ments Gottes Offen­barung in Jesus Chris­tus «bezeu­gen» oder selb­st auch Offen­barung «sind». Dieser kleine Unter­schied ist im Grunde genom­men ein ganz gross­er und entscheidender.

Siegfried Zim­mer (und auch Peter Stuhlmach­er) sprechen von der Bibel als Gottes Wort. Sie möcht­en aber nicht von der Fehler­losigkeit der Bibel sprechen. Zim­mer geht weit­er als Stuhlmach­er, indem er sagt, dass die Bibel hun­derte von Fehlern enthalte. Die Chica­go-Erk­lärung, auf die ich in Teil 4 einge­gan­gen bin, fasst den Offen­barungs­be­griff weit­er als Zim­mer und Stuhlmacher:

Zum einen sind für die Ver­fass­er der Chica­go-Erk­lärung die Offen­barung durch die Schrift und die Offen­barung in Jesus Chris­tus auf ein­er Ebene, so dass die Offen­barungs­gestalt der Schrift nicht kri­tisch rel­a­tiviert wer­den kann:

«Gott, der selb­st die Wahrheit ist und nur die Wahrheit spricht, hat die Heilige Schrift inspiri­ert, um sich damit selb­st der ver­lore­nen Men­schheit durch Jesus Chris­tus als Schöpfer und Herr, Erlöser und Richter zu offen­baren. Die Heilige Schrift ist Gottes Zeug­nis von sein­er eige­nen Person.»

Zum andern dehnt die Chica­go-Erk­lärung den Offen­barungs­be­griff aus­drück­lich auf die Schriften des Neuen Tes­ta­ments aus:

«Als Adam sündigte, über­liess der Schöpfer die Men­schheit nicht dem endgülti­gen Gericht, son­dern ver­hiess das Heil und begann in ein­er Folge von his­torischen Ereignis­sen sich selb­st als Erlös­er zu offen­baren … Diese Lin­ie der prophetis­chen Sprech­er Gottes fand ihren Abschluss in Jesus Chris­tus, der selb­st ein Prophet war … und in den Apos­teln und Propheten der ersten christlichen Gen­er­a­tion. Als Gottes endgültige und auf den Höhep­unkt zulaufende Botschaft, als sein Wort an die Welt in Bezug auf Jesus Chris­tus gesprochen und von den Apos­teln erläutert wor­den war, endete die Abfolge der Offen­barungs­botschaften.»[12]

Nach dieser Auf­fas­sung, die dem klas­sis­chen evan­ge­likalen Schriftver­ständ­nis entspricht, sind die neutes­ta­mentlichen Schriften mehr als Erin­nerungszeug­nis an den his­torischen Jesus und mehr als bezeugtes Wort. Das Neue Tes­ta­ment ist nicht nur Zeug­nis der Offen­barung, son­dern durch den Geist gewirk­te Offen­barung selb­st. Diese Posi­tion entspricht dem Selb­stanspruch der Bibel. Sowohl im Alten als auch im Neuen Tes­ta­ment wer­den göt­tliche Offen­barun­gen so bezeugt und gedeutet, dass sie zu ein­er Ein­heit wer­den. Dabei ist nicht nur das Offen­barung, was bezeugt wird, der Vor­gang der Deu­tung gehört eben­so zum Offen­barungs­geschehen. Von daher ver­ste­hen Evan­ge­likale die Schrift «sowohl als Zeug­nis von geschehen­er Offen­barung, als auch als göt­tlich inspiri­ertes Offen­barungswort».[13] Es ist dieser Glaube, der die weltweite evan­ge­likale Bewe­gung zusam­men­hält und einen dynamis­chen, erweck­lichen Glauben fördert.

Die mod­erne Bibel­wis­senschaft geht diesen Weg nicht mit und tren­nt geschehenes und bezeugtes Wort voneinan­der. Wenn man diese Tren­nung aufrechter­hält, muss man kri­tisch nach der Mitte der Schrift suchen. Diese Mitte ist Jesus, weil in ihm die entschei­dende Selb­stof­fen­barung Gottes geschehen ist. Jesus ist dann so etwas wie ein «Kanon im Kanon» und dient als Mit­tel, um die Aus­sagen der Bibel zu über­prüfen und gegebe­nen­falls zu kri­tisieren. Das ist prob­lema­tisch, wie das fol­gende Beispiel zeigt:

Nach Siegfried Zim­mer wider­spricht die zehnte Plage von der Tötung der ägyp­tis­chen Erst­ge­burt der Lehre Jesu von der Fein­desliebe und kann deshalb nicht auf Gott zurück­ge­führt wer­den. Zim­mer rech­net mit harten Wider­sprüchen zwis­chen einzel­nen Bibel­tex­ten und Jesus. In solchen Fällen gelte:

«Bib­lis­che Texte, die etwas anderes für richtig hal­ten, als Jesus uns gelehrt hat, dür­fen unser Gewis­sen nicht binden. Das Gottesver­ständ­nis Jesu, der Lebensstil Jesu und das Evan­geli­um von Jesus Chris­tus sind für uns der Massstab, an dem wir alles andere in der Bibel messen. Dann kön­nen wir nicht mehr alle Geschehnisse, die in bib­lis­chen Tex­ten auf Gott zurück­ge­führt wer­den … auf Gott zurück­führen …  Im Kon­flik­t­fall argu­men­tieren wir ohne jedes Zögern mit Jesus Chris­tus gegen die Bibel.»[14]

Das Prob­lem mit Zim­mers Auf­fas­sung ist, dass im Fall des Alten Tes­ta­ments eine Kri­tik dieser Art inkon­se­quent ist. Zim­mer will im Kon­flik­t­fall «mit» Jesus «gegen» das Alte Tes­ta­ment argu­men­tieren. Das erweist sich als unbib­lisch. Es gibt nir­gends in der Schrift eine Anleitung, Schrift mit Schrift abzulehnen.[15] Jesus kri­tisiert das Alte Tes­ta­ment nir­gends, son­dern anerken­nt es als das wahre Gotteswort (Mt 5,18; Joh 10,35). Wie will man das Alte Tes­ta­ment mit Jesus kri­tisieren, wenn Jesus selb­st an kein­er Stelle erken­nen lässt, dass solche Kri­tik ange­bracht ist, son­dern im Gegen­teil sein kat­e­gorisches Nein zu jeglich­er Kri­tik am Alten Tes­ta­ment ausspricht?

Schlussfolgerung

Jede neue Gen­er­a­tion von Chris­ten muss sich dem Kon­flikt um die Bibel stellen. Die damit ver­bun­de­nen Grund­satzfra­gen, die ich in dieser Serie behan­delt habe, sind mehr als The­olo­gen­stre­it. Sie berühren zen­trale Fra­gen des Glaubens und der Lebens­führung. Ich bin dankbar, dass die mod­erne Bibel­wis­senschaft in der The­olo­gie das Bewusst­sein geweckt hat, dass die Bibel als his­torisches Buch ernst genom­men wer­den will. Einzelne Arbeitsmeth­o­d­en der kri­tis­chen Forschung haben sich als essen­tiell für die Ausle­gung erwiesen. Aber ich kann den Gesam­tanspruch, den die his­torisch-kri­tis­che Ausle­gung erhebt, nicht mit­tra­gen, weil er dem Selb­stzeug­nis der Schrift wider­spricht. Nach meinem Ver­ständ­nis gibt es eine Wesen­sein­heit zwis­chen Gott und seinem Wort. Weil die Bibel das Wort ist, das von Gott aus­ge­ht, hat sie Kraft und die Zeit­en und Kul­turen über­schre­i­t­ende Autorität. Das evan­ge­likale Schriftver­ständ­nis überzeugt dadurch, dass es dieses Wort ernstnimmt.

Artikel als PDF herunterladen


Bilder:
iStock

Fussnoten:

[1] Troeltsch, Über his­torische und dog­ma­tis­che Meth­ode in der The­olo­gie, 742.
[2] Egelkraut, Das Alte Tes­ta­ment, 13.
[3] WA 50, 659,5ff. Zitiert bei Stuhlmach­er, Vom Ver­ste­hen des Neuen Tes­ta­ments, 17.
[4] WA VII, 97. Zitiert bei Luz, The­ol­o­gis­che Hermeneu­tik des Neuen Tes­ta­ments, 105–106.
[5] Stuhlmach­er, Vom Ver­ste­hen des Neuen Tes­ta­ments, 223.
[6] Ebd., 222–223.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Zim­mer, Warum das fun­da­men­tal­is­tis­che Bibelver­ständ­nis nicht überzeu­gen kann, 7:21ff.
[10] Zim­mer, Schadet die Bibel­wis­senschaft dem Glauben?, 40.
[11] Schnelle, Ein­leitung in das Neue Tes­ta­ment, 19.
[12] Chica­go-Erk­lärung, Kom­men­tar, 12.
[13] Stadel­mann, Evan­ge­likales Schriftver­ständ­nis, 99.
[14] Zim­mer, Schadet die Bibel­wis­senschaft dem Glauben?, 91–93.
[15] Maier, Bib­lis­che Hermeneu­tik, 265.

Über den Kanal

Roland Hardmeier

Dr. theol. Roland Hardmeier wohnt und arbeitet in Riedikon bei Uster. Er war 15 Jahre lang Pastor im Bund der Freien Evangelischen Gemeinden der Schweiz. Heute ist er als selbständiger Dozent, Referent und Autor tätig. Einblicke in seine Tätigkeit gibt seine Website www.roland-hardmeier.ch

Werde Teil der Diskussion

Kommentare zu diesen Beitrag

7 Comments

  1. Manfred Reichelt

    Im Grunde geht es evan­ge­likal Gläu­bi­gen um die Abwehr ein­er “The­olo­gie”, die die Wun­der und ein wortwörtlich­es Ver­ständ­nis der Bibel infrage stellt. Doch selb­st, wenn alle evan­ge­likal denken wür­den, hät­ten wir längst noch nicht eine “der Sache” angemessene Bibelausle­gung. So oder so haben wir n u r Schrift­gelehrsamkeit. “Der natür­liche Men­sch vern­immt nichts vom Geist Gottes…” (1. Kor. 2,14). Das ändert sich auch nicht, wenn man sich auf den Hl. Geist beruft, son­dern nur wenn man selb­st im Prozess der Heili­gung und damit der Frei­w­er­dung von allem Vernebel­n­dem, Vorurteil­shaften sich befind­et. Dann, wenn man wirk­lich Freude am Heil­w­er­den und an der Wahrheit entwick­elt, entste­hen schrit­tweise Erken­nt­nisse der Wahrheit. Dann erst hat man Vollmacht!
    Siehe dazu auch bere­its einige Jahrzehnte alte, immer noch gültige Text: https://www.academia.edu/21127861/Theologisieren_heute_Eine_notwendige_Besinnung (Zum Lesen mit dem cur­sor rechts scrollen).

    Reply
  2. Viktor Pfister

    “Gottes Geist bezeugt unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind” (Röm. 8,16; Joh. 1,12). Gottes Geist, den wir nicht fassen kön­nen, mis­cht sich bei uns ein. Da berührt sich das, was wir wis­senschaftlich nicht erken­nen und erk­lären kön­nen, mit dem, was wir sel­ber mehr oder weniger ver­ste­hen, erk­lären erforschen und disku­tieren kön­nen, unser­er “Real­ität”. Es erin­nert mich an den Bericht, in dem erzählt wird, dass da plöt­zlich etwas war, das den Saulus umhaute (Apg. 9,4). Er kon­nte sich das sel­ber nicht (wis­senschaftlich) erk­lären, was da mit ihm geschieht. Er erlebt, erfährt die wis­senschaftlich unfass­bare Seite an sich sel­ber und erken­nt Jesus, der von den Toten aufer­standen ist. Er erken­nt, dass es diese Real­ität auch gibt, nicht nur diejenige, die er mit seinem eige­nen Ver­stand, seinem eige­nen Wis­sen, sein­er eige­nen Logik, Bil­dung usw. fassen kann. Men­schlich gese­hen kön­nen wir diesen Kon­flikt des unter­schiedlichen Bibelver­ständ­niss­es vielle­icht nicht über­brück­en. Ich habe den Ein­druck, das ist etwas Ver­bor­genes, ein Geheim­nis, das nur Gott sel­ber uns offen­baren kann, uns die Augen dafür öff­nen kann (so z. Bsp. auch dem Bileam und vie­len anderen Men­schen). Wenn Gott Men­schen etwas offen­bart, dann überzeugt das mit oder trotz allen bish­eri­gen (wiss­chen­schaftlichen) Erken­nt­nis­sen. Dann gilt auf ein­mal ohne Wider­spruch die unver­rück­bare Real­ität Gottes, die für die für uns fass­bare als auch für die für uns unfass­bare Welt gilt. Und wir können/sollen vielle­icht nicht anders, als das, was Gott zusam­men­fügt, nicht tren­nen — nicht nur bei Mann und Frau, son­dern auch in Erkenntnissen.

    Reply
  3. Michael Kämpf

    Vielle­icht muss ich damit begin­nen, dass ich Roland Hard­meier (auch wenn ich ihn nicht per­sön­lich kenne) wirk­lich mag :). Ich habe einige sein­er Büch­er und Gedanken mit Genuss und Gewinn gele­sen. Auch die vorherge­hen­den 5 Blogs zum The­ma haben mir von ihrer Analyse und Aus­ge­wogen­heit her gut gefall­en. Diese Nr. 6 bringt mich aber in gewisse Verzwei­flung! Natür­lich ist Hard­meier evan­ge­likaler The­ologe mit evan­ge­likalem Schriftver­ständ­nis, aber der Artikel lässt in meinem Mund den schalen Nachgeschmack (was sicher­lich nicht Hard­meiers Absicht war, das bin ich mir bewusst!!) ein­er selb­st­ge­fäl­li­gen evan­ge­likalthe­ol­o­gis­chen Sicht auf die mod­erne Bibel­wis­senschaft im Sinne von: “jaja… wenn man sie entk­ernt, auseinan­der­friemelt und in ihre Einzel­teile zer­legt, find­et man sog­ar Nüt­zlich­es unter dem ganzen Quatsch — aber unter­jocht unter das richtige Ver­ständ­nis muss sie sein!”

    Span­nend finde ich beispiel­sweise die “Ver­wen­dung” Luthers. Die Aus­sage, dass man die Schrift mit der Schrift ausle­gen kann, ist nach meinem Dafürhal­ten, an die Schrift herange­tra­gen (was sie nicht grund­sät­zlich fal­si­fiziert!), wird dann aber gerne genom­men und kon­so­li­diert. Luthers Idee von der Mitte der Schrift wird akzep­tiert (mit dem Satz, dass sie bei Luther “noch” keinen Schaden angerichtet habe…), wenn jedoch bspw. ein David Gushee über dieses Argu­ment die Ehe für LGBTQI+ fordert, ist schnell wieder Schluss mit damit.

    Dann der Satz: “In ihrer rein­sten Form ist die mod­erne Bibel­wis­senschaft die Sys­tem­a­tisierung des Unglaubens” und der darauf fol­gende kurze Abschnitt sind mich trau­rig stim­mende Polemik. Natür­lich find­et man das, wenn man das find­en will. Genau­so kön­nte ich sagen “kon­tem­poräres evan­ge­likales Schriftver­ständ­nis ist die Sys­tem­a­tisierung von igno­ran­tem Fun­da­men­tal­is­mus” — und auch ich würde belege und Argu­mente dafür find­en. Inwiefern hil­ft diese Aus­sage dem Diskurs weit­er? Ausser­dem ist es nicht ein­fach die Kri­tik der reinen Ver­nun­ft, welche Dis­tanz zwis­chen Men­sch und Bibel­text schafft… genau­so kann evan­ge­likaler Bib­lizis­mus grosse Dis­tanz zwis­chen Men­sch und Bibel (nicht zu sagen zwis­chen Men­sch und Gott) schaf­fen. Man kann bei­de Seit­en mit ähn­lichen Argu­menten kri­tisieren, aber wie gesagt… den Diskurs bringt das nicht weit­er, im Gegenteil…

    Die Aus­sage, dass die Bibel Anteil am Wesen Gottes hat, finde ich faszinierend (meine ich jet­zt ohne iro­nis­chen Unter­ton). Mein Prob­lem mit der Aus­sage ist nicht, dass ich die Bibel nicht für das Wort Gottes halte, auch nicht, dass ich mich ihr nicht über meine Ver­nun­fts­gren­ze hin­aus anver­trauen möchte und auch nicht, weil ich in die lei­di­ge Diskus­sion zwis­chen “Ist sie Wort Gottes, oder enthält sie Wort Gottes” ein­steigen möchte. Mein Prob­lem wurzelt darin, dass wenn sie Teil am Wesen Gottes hat, sie ja irgend­wo in der Wesen­sart Gottes eingegliedert sein muss. Hier komme ich an die Gren­ze ein­er heili­gen Vier­faltigkeit, also zur “bib­li­o­la­trie”. Ich weiss, dass sie von evan­ge­likaler Seite gerne irgend­wo mit Jesus verknüpft wird (lebendi­ges Wort bietet sich natür­lich an…) aber was ist sie dann? Bill John­son nen­nt sie gerne “Jesus in print”… ist sie das? Ist sie Teil des Mes­si­as­ge­heimniss­es? Ist sie ein von der Patris­tik noch undisku­tiert­er Teil Gottes, eine vergessene (oder noch in der Zukun­ft liegende) Hypostase? Wie gehört sie zur sub­stan­tia Gottes? Nur weil sie von ihrem Wesen her von Gott zu unter­schei­den ist, heisst das ja nicht, dass sie deshalb weniger autori­ta­tives, verbindlich­es Wort Gottes ist, durch welch­es Gott alles bewirken kann, was er möchte. Es bedeutet aber, dass wir uns nicht ein­fach hin­ter ein­er absich­ern­den Prämisse ver­steck­en können.

    Ein für mich immer fehlen­der Teil in dieser Bibeld­iskus­sion ist auch, dass Gott nicht Sub­jekt mein­er Ver­ste­hens­be­din­gun­gen ist. Ich kann Gott falsch ver­ste­hen (tue ich ja auch… er ist ein­fach zu gross :)), dadurch verän­dert sich aber Gott selb­st nicht. Der Inhalt Gottes wird nicht ange­tastet durch mein falsch-ver­ste­hen, weil er eben nicht Sub­jekt meines Ver­ste­hens ist — die Bibel aber schon! Sie ist uns gegeben ohne Gebrauch­san­leitung! Natür­lich sind die ganzen Diskus­sio­nen ums Schriftver­ständ­nis nötig, weil wir eben Ver­suchen, unser Annäh­ern an die Bibel zu nor­men, aber genau das zeigt doch, dass sie eben nicht wie Gott ist, denn ihre Aus­sage und Absicht verän­dert sich, je nach­dem mit welch­er Brille wir sie lesen. Gott selb­st ist aber wie er ist. Wenn wir ihn falsch ver­ste­hen, verän­dert er sich und sein Wirken nicht, wenn wir aber die Bibel so oder so ausle­gen, dann verän­dert es defin­i­tiv ihren Ein­fluss auf unser aller Leben. Durch unsere Ver­ste­hens­be­din­gun­gen könne wir uns die Bibel qua­si “Unter­tan” machen — Gott nicht.

    Die Aus­sage “ich glaube nicht an die Bibel, aber ich glaube an Jesus” ist sicher­lich kein Absur­dum, auss­er natür­lich, wenn man sie nur auf die Quel­len­lage beschränkt, dann mag das vielle­icht sein (obwohl ich Geschicht­en von Men­schen kenne, denen ist Jesus ein­fach so begeg­net, ein­fach so an der Bibel vor­bei…). Natür­lich berichtet die Bibel ver­lässlich über Jesus. Aber ich glaube nicht “an” die Bibel im Sinne ein­er Got­theit, son­dern im Sinne ein­er ver­lässlichen Ver­mit­tlung zu eben diesem einen Gott. Da ich aber diesen Gott ken­nen­gel­ernt habe, erfahren habe, wenn man so will “gespürt habe”, dies ist für mich die Bestä­ti­gung der Bibel und nicht umgekehrt (obwohl man natür­lich mein Argu­ment genau auch ins Gegen­teil ver­drehen kann — vielle­icht ist das so ein Paulus/Jakobus Ding — wurde Abra­ham jet­zt wegen Glaube oder Tat erlöst? Glaube ich durch Gott an die Bibel, oder durch die Bibel an Gott?). Wenn ich mir ein Buch kaufe “wie bas­tle ich einen Drachen?” und ich folge diesem Buch und schlussendlich habe ich einen Drachen, den ich steigen lassen kann, dann hat diese Tat­sache den Inhalt des Buch­es bestätigt, aber ich lasse doch nicht das Buch steigen, weil das (abge­se­hen von der Tor­na­do Sai­son) nicht funk­tion­iert und auch nicht Sinn der Sache ist.

    Reply
    • Andreas Hahn

      @Michael Kämpf: Ich stimme dir zu: Den Satz im Schlussab­schnitt über die “Wesen­sein­heit” zwis­chen Gott und der Bibel sehe ich auch als hochgr­a­dig prob­lema­tisch — ist mir beim ersten Lesen nicht mal aufge­fall­en! Der Begriff war zen­tral in der lan­gen Diskus­sion im 4. Jh. über die Got­theit Christi und ist bezüglich der Bibel fehl am Platz. Was man m.E. sagen kann, ist, dass die Bibel einige von Gottes Eigen­schaften teilen kann, so wie wir als Men­schen das auch können.

      Reply
      • Michael Kämpf

        @Andreas Hahn: Finde ich schön aus­ge­drückt :). Für mich ist diese Diskus­sion eben Teil der Suche nach einem gesun­den Ver­hält­nis zur Bibel. Sie ist unverzicht­bar­er, inte­graler Bestandteil dessen, wie Gott mit uns Men­schen unter­wegs sein möchte. Aber ich scheue mich davor und sehe es auch als nicht notwendig, sie durch eine Wesensverbindung mit Gott irgend­wie “absich­ern” zu müssen.

        Reply
  4. Andreas Hahn

    Danke an Roland Hard­meier für die Beiträge. Ich finde die Darstel­lung ins­ge­samt gelun­gen. Ein paar spon­tane Anmerkun­gen hätte ich dazu:
    — Ich frage mich, ob Peter Stuhlmach­er ein passendes Beispiel für einen “steini­gen Mit­tel­weg” zwis­chen einem evan­ge­likalen und einem his­torisch-kri­tis­chen Bibelver­ständ­nis ist. Wie ich seinen Ansatz in Erin­nerung habe, akzep­tiert er die Troeltzschen Kri­te­rien (grund­sät­zliche Kri­tik, Analo­gie, Kor­re­la­tion), möchte sie aber erweit­ern durch eine Grund­hal­tung des Ver­trauens. Ob das möglich ist und dann in der Ausle­gung der Bibel durchzuhal­ten ist, würde ich in Frage stellen.
    — Zur The­matik “Offen­barung in Chris­tus und Offen­barung in der Schrift”: Dazu bietet Kevin Van­hooz­er einige hil­fre­iche Über­legun­gen: Chris­tus und die Schrift sind bei­de Offen­barung Gottes, jedoch nicht im gle­ichen Sinn: Chris­tus ist der gott- men­schliche Hand­lungsträger Gottes (eine Per­son), die Schrift ist der gott-men­schliche Sprechakt Gottes (ein Text). Aus­führlich in ver­schiede­nen Pub­lika­tio­nen, u.a. First The­ol­o­gy: God, Scrip­ture and Hermeneu­tics, 2002.
    — Zum The­menkreis “Schrift und Wort Gottes”: Der Wort-Gottes-Begriff ist sich­er weit­er als die Schrift (vgl. Offb 19,13, wo Chris­tus “das Wort Gottes” genan­nt wird). Doch kön­nten wir die Schrift als das beze­ich­nen, was uns heute vom ergan­genen Wort Gottes direkt zugänglich ist. Die alt­protes­tantis­che Ortho­dox­ie hat­te das recht gut erfasst mit der For­mulierung, dass die Schrift das auf Buch­staben “herun­terge­broch­ene” Wort Gottes ist.
    Soviel mal in aller Kürze, und nochmals vie­len Dank.

    Reply
  5. eisbach

    “Die mod­erne Bibel­wis­senschaft”, “ein, oder das evan­ge­likale Bibelver­ständ­nis” – mir scheint es hier eher um weit­ere Lage­bil­dung oder Ver­fes­ti­gung von Lager­gren­zen zu gehen, als um eine ern­sthafte, ern­stzunehmende Auseinandersetzung.
    “Jed­er” weiß doch heute, dass es solche ein­heitlichen Stim­men von größeren Grup­pierun­gen nie geben kann-
    Was ist denn über­haupt ein (offen­bar abso­lut sta­tis­ches) “evan­ge­likale Bibelver­ständ­nis”? Wer braucht so etwas? Hat irgend­je­mand bei (soge­nan­nten) Evan­ge­likalen irgen­det­was unter­schrieben und kommt jet­zt auf Gedeih und Verderb nicht mehr davon los? (Verzei­ht mir die, auf diese Seman­tik bezo­gene Ironie…)
    Und wenn man diesen Begriff des evan­ge­likale Bibelver­ständ­nisse gel­ten lassen würde, dann würde dieses Ver­ständ­nis nach meinem Empfind­en, doch einem stark exis­ten­tial­is­tisch geprägten entsprechen… immer wieder diese Anspielun­gen, dass ‘Begreifen’ in Bezug auf Gottes Han­deln nicht möglich ist – die Ver­nun­ft, wenn über­haupt zu irgen­det­was zu gebrauchen, dann für eine doch sehr unter­ge­ord­nete Rolle. (Vielle­icht kon­nte die Aufk­lärung nur, oder zumin­d­est maßge­blich dadurch zus­tande kom­men, dass viele Chris­ten, “die Ver­nun­ft” viel zu stark außen vorge­lassen haben… aber das ist jet­zt mal ein­fach eine Ver­mu­tung von mir…)

    Man wird die bib­lis­chen Schriften in der Weise ver­ste­hen, wie man sie ver­ste­hen will… wenn man nicht bere­it ist, sein eigenes (bish­eriges) Ver­ständ­nis zu hin­ter­fra­gen, oder hin­ter­fra­gen zu lassen.
    Ohne diese Bere­itschaft macht es gar keinen Sinn, sich mit der The­matik zu beschäfti­gen… Doch mit dieser Bere­itschaft mag der Aus­gangspunkt dann gar nicht mehr so entschei­dend sein, son­dern die Weise, wie man seinen Weg geht.
    Ich meine, wir sind als Men­schen auch dazu da, damit Weit­er­en­twick­lun­gen stat­tfind­en kön­nen. Wo ist bei den ganzen sechs Artikeln hier irgen­det­was inno­v­a­tives, etwas was einen wirk­lich weit­er­brin­gen kann zu find­en? Nicht ein­mal wesentliche Dinge, die eini­gen zwar bekan­nt, aber wohl für viele neu und bere­ich­ernd zu wis­sen wären, wer­den erwäh­nt. Es scheint die ganze Zeit haupt­säch­lich darum zu gehen, etwas zu vertei­di­gen und nicht darum, den Dienst ein­er gründlichen Ausar­beitung mit Weite und Tiefe zu tun, um die Leser damit zu bereichern.

    Es ist mit Sicher­heit ein großes Wun­der­w­erk, dass wir heute ein Buch haben, in dem aus­gerech­net die Werke in der Weise zusam­menge­fasst sind, wie wir sie jet­zt haben. Das ist kein Zufall – meine Ansicht. Gott selb­st scheint es irgend­wie so arrang­iert zu haben, dass das ganze so zus­tande kam.
    Aber Men­schen haben die Texte aufgeschrieben, auf der Basis dessen, was sie selb­st erlebt haben, wovon sie gehört hat­ten, sie in beson­der­er Weise Erken­nt­nis erlangt hat­ten, was ihre Mei­n­ung war usw. Die Texte wur­den immer wieder (nicht immer fehler­frei) abgeschrieben; bei der Kanon­isierung wurde (auch aus-) sortiert, in Büch­ern zur Bibel ist auch von ‘ver­loren gegan­genen Schriften die Rede usw.…
    Jesus selb­st hat offen­bar nicht begonnen eine schriftliche Zusam­men­stel­lung wesentlich­er Inhalte o. ä.zu organ­isieren, aufzubauen usw. Und auch Paulus hat fing wohl nicht damit an, eine Art “Heils­buch” zusam­men­zustellen. Ich finde man muss sich das mal vor Augen hal­ten: Die ersten Chris­ten hat­ten jahrhun­derte­lang keine Bibel. Das es die Bibel so gibt, wie heute, ent­stand im lauf der Kirchen- oder mit einem anderen Begriff, der christlichen Gemeindegeschichte.
    Das, finde ich, ist ein ganz wesentlich­er Punkt – immer wenn es um die die Auseinan­der­set­zung mit den bib­lis­chen Schriften geht.

    Heute ist soviel zum Entste­hen und zum ursprünglichen Umfeld der bib­lis­chen Texte bekan­nt, zu dem die meis­ten Chris­ten keinen Zugang ver­mit­telt bekom­men. (Klar gibt es bei diesen Din­gen wohl auch viel­er­lei Annah­men, Wahrschein­lichkeit­en usw., Erken­nt­nisse ändern sich… Peter van der Veen zeigt in seinem Buch ‘Keine Posaunen vor Jeri­cho?’ wun­der­bar auf, wie sich “wis­senschaftliche Erken­nt­nisse” – dort zur frühen Geschichte Israels – immer wieder geän­dert haben… von solch einem Umgang mit Fak­ten und Inter­pre­ta­tion wäre für die Auseinan­der­set­zung mit den bib­lis­chen Schriften vielle­icht einiges zu lernen…).

    Das die Bibel jed­er­mann zugänglich sein sollte, ist sehr wichtig. Immer wieder kann Gottes per­sön­liche Stimme beim lesen hör­bar werden.
    Auf der anderen Seit­en ist die Bibel aber auch ein sehr anspruchsvolles Buch. (Die Aus­sage, dass davon auszuge­hen ist, dass jedes Wort, das einst niedergeschrieben wurde, mit schi­er unvorstell­bar­er Sorgfalt aus­gewählt wurde, stammt auch von Siegfried Zim­mer) Vieles kann man erst durch inten­sives forschen ver­ste­hen, his­torisch, lit­er­arisch, the­ol­o­gisch usw. Diese Art von ‘Beschäf­ti­gung mit der Bibel’ sind wir ihr schuldig… also nach mein­er Ansicht, kein ‘kann’, son­dern ein ‘muss’. (wird aber wohl von so vie­len Chris­ten sträflich ver­nach­läs­sigt.. Und auch das sei noch gesagt: Auch Gelehrte kön­nen irren.)

    Gut.
    Ich hab’ mich hier nun durch das schreiben etwas “abreagiert”… ste­ht jet­zt viel mehr das, als ich anfangs dachte, dass es wird.
    Jet­zt ste­hen hier außer ein paar ’spitzen Bemerkun­gen’ auch einige Argu­mente und jed­er der das hier lesen wird, kann selb­st urteilen, was er davon hält.

    Reply

Submit a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Jetzt weiterstöbern

Mehr Blogposts entdecken

Das Alte Testament vom Glaubensbekenntnis her verstehen

Das Alte Testament vom Glaubensbekenntnis her verstehen

Rezension von Benjamin Rodriguez Weber, 03.10.2024 Benjamin Kilchör beleuchtet das Alte Testament aus der Perspektive des Apostolischen Glaubensbekenntnisses und zeigt, wie alttestamentliche Texte zentrale Glaubensaussagen des Christentums vertiefen und verdeutlichen....

Fundiert unfundamentalistisch

Fundiert unfundamentalistisch

Die evangelische Weite zwischen fundamentalistischer Engführung und progressiver Auflösung des Glaubensbestands erkunden Theologie ist immer auch Biografie. Damit du meine Art, mit der Bibel zu arbeiten nachvollziehen kannst, ist hier meine Geschichte: Ich bin in...